Gruebehues in Gstaad

Zerlegt und nach altem Muster wiederaufgebaut: Über die Wiederherstellung eines Saaner Bauernhauses durch den Autosammler und Yachtrestaurator Albert Obrist.

Bei einem seiner Spaziergänge durch Gstaad machte der Baseler Fabikant Albert Obrist im Berner Oberland eine beunruhigende Entdeckung. Im Ortsteil Gruben zu Füßen des Horneggli stieß er auf ein saanenländisches Bauernhaus mit der Jahreszahl 1795 und der Inschrift „ln Deo Gloria“ an der Firstseite. Es wurde auf der Stelle zum Objekt seiner Begierde. Denn Obrist hat eine Schwäche für Bejahrtes, dessen Substanz ihm die Rekonstruktion des Urzustands aufdrängt.

Besuch beim Zurückbauer Albert Obrist

Seine Passion nennt Obrist zurückbauen. Deshalb scheut der Ursprungsfanatiker keine Mühen und Kosten, legendäre italienische Sportwagen, heruntergekommene schottische Segelyachten oder ab und zu ein würdiges altes Haus für sich und seine Freunde vor dem Untergang im stilistischen Einerlei unserer Tage zu schützen. Die weltberühmte Obrist Ferrari Collection fasziniert seit den sechziger Jahren mit ihren etwa 50 mustergültig restaurierten Flitzern aus Maranello und einigen bulligen Spritschluckern aus Zuffenhausen. Der Fuhrpark ist irgendwo im Berner Oberland unterirdisch in einem klimatisierten Gewölbe versteckt. Obrist mag bei meinem Besuch nicht darüber reden.

Mit seinem vielbeachteten Gesellenstück Altaïr, einem detailversessen instandgesetzten 32-Meter-Zweimaster debütierte der Eidgenosse auf dem Wasser. Mit der gleichen Konsequenz schritt der seit einigen Jahren privatisierende Ästhet beim Gruebehues zur Tat. Nach eingehender Stilkunde anhand der wenigen unveränderten Bauernhäuser der Gegend ließ er ein Zelt über seiner Neuerwerbung errichten, die Balken nummerieren und das Gebäude bis auf die Kellermauern zerlegen. Von der Schwelle aufwärts ist ein Saaner Bauernhof aus etwa 300 Stämmen nach allen Regeln der Zimmermannskunst zusammengesteckt. Man könnte theoretisch damit umziehen.

Ein Bauernhaus muss seinen einfachen Charakter behalten

Türpfosten sind mit Zapfen und Schlitz in der Deckenkonstruktion arretiert. Winklig ragt das Gebälk mit klassisch „verkämmten“ Ecken ein Stück aus der Außenwand. An der Firstseite haben sich „Peter Reichenbach, Zimmermeister und seine Frau Anna Maria Hauswirth“ vor gut zweihundert Jahren verewigt. Wo Generationen von Vorbesitzern Reichenbachs Werk mit der Säge, achtlosen Verschalungen und ähnlich fragwürdigen Anpassungen an Zeitgeschmack und Bequemlichkeit zu Leibe gerückt waren, wurde wettergegerbtes Material besorgt und eingefügt. Rücksicht verbietet es zu schildern, was der 1982 verstorbene ehemalige Eigentümer, der Schauspieler Curd Jürgens, mit dem Haus angestellt hatte. Obrist hat dazu deutliche Worte.

Ursprünglich war das Gruebehues zweistübig, das heißt, es gab einen linken und rechten Teil mit separaten, frontseitigen Treppen für die Eltern und den ältesten Sohn. So sah damals der Generationenvertrag zwischen Jung und Alt aus. Beidseitig unter den Traufen liegen die „Lauben“ mit den steilen Stiegen, über die man früher zu den Schlafstuben gelangte. Die einst unbeheizten „Lauben“ dienen heute als Schlaf- und Eßzimmer.

Ein schmaler langer Eßtisch aus dem Saanenland mit einem Dutzend alter Stühle, ein Bauernschrank von 1191 aus gewachster Tanne und sieben historische Scherenschnitte aus dem Nachbarort Rougemont zieren den schlicht gehaltenen Raum. Stolz zeigt der Hausherr die Verfärbung des Holzes an der Wand, wo die Stiege nach oben führte

In bewährter Manier verriegeln drehbare Latten die Fenster. Scharniere, Türbänder und Schlösser guckte Albert Obrist vergleichbaren Gebäuden ab und ließ sie nachschmieden. Im Mittelteil des Hauses wurde die Trennwand des zweistübigen Erdgeschosses entfernt und so ein großzügiger, für einen Bauernhof atypischer Wohnraum gewonnen. Die mittig im Haus auf einem Steinfußboden um die einzige Feuerstelle gruppierte „Chuchi“ (Küche) wich einer stählernen Treppe. Sie verbindet Fitneßbereich. Gästezimmer und Büro im Keller mit den unter dem sogenannten „Gadengeschoß“ (Giebel) befindlichen Kinderzimmern. Wie die Türbänder, Scharniere, Gardinenstangen und die filigranen Heizkörper wurde die Treppe anthrazitfarben gestrichen. Bei den Materialien beschränkte sich Obrist auf Stein, Tanne und Stahl.

„Ein Bauernhof“, sagt der bedächtig, dabei entschieden formulierende Schweizer, „muss seinen einfachen Charakter behalten. Deshalb mag ich Altes und Neues nicht als Kontraste inszenieren. Modernes muß sich unterordnen. Ich nehme alte Möbel, wenn sie passend und sinnvoll sind. Ein Haus muss ehrlich sein.“

Der elf mal elf Meter messende Gemüsegarten vor dem Gruebehues ist zum Schutz vor den draußen weidenden Kühen eingezäunt. Die Tiere haben allerdings keinen Blick für das wunderbare alpine Panorama verwegener Dreitausender: von den Diablerets über das Sanetschhorn bis hinüber zum Spitzhorn. Auch das Wildhorn lässt sie genauso kalt wie der Apfelbaum, der den Bewohnern eines Bauernhauses seitjeher Glück, Gesundheit und geschäftliches Gelingen bringen soll. Als der knorrige Stamm vor dem Gruebehues einzugehen drohte, veredelte Obrist ein neu gepflanztes Bäumchen mit Teilen des betagten Vorgängers. So lebt der alte Baum im neuen weiter.

Architectural Digest Dezember – Januar 1998/99. Mehr über den Yachtrestaurator Albert Obrist, Interview zum Thema Bewahren statt Umbauen.

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