Vele d’ Epoca

Über hundert klassische Yachten kreuzen anlässlich der Vele d’ Epoca vor Imperia an der italienischen Riviera. Außer vorzüglichen Bedingungen für formidables Olivenöl und goutierbaren Wein gibt es zu Füßen der Seealpen köstliche Segelbedingungen.

Das buchtenreiche ligurische Meer und die Côte hat mehr idyllische bis illustre Häfen als Untiefen. Der Flughafen Nizza und die Küstenautobahn machen das Gewässer zur Wochenenddestination, die von den meisten europäischen Städten rasch erreicht ist. Deshalb sind die Eigner schicker Yachten und Inhaber adäquat gepolsterter Brieftaschen seit einer Weile hier heimisch.

Im Jet- und Sailset gilt der Betrieb eines geschichtsreich klassischen Bootes als Inbegriff des exquisit stilvoll maritimer Lifestyles. Ende der achtziger Jahre legte der generalüberholte Fahrtenschoner Altaïr, eine 33 mal 6,20 Meter große zweimastige Tourenyacht der schottischen Fife Werft von 1931, die Latte für vorbildlich restaurierte Klassiker hoch. Seit dem Anfang der Neunzigerjahre einsetzenden Restaurierungsboom begeistern sich immer mehr Segler für geschichtsreich schwimmendes Gebälk. Selbst Protagonisten des Hightech Segelsports, die auf eigentlich moderne Rennyachten abonniert sind, erliegen dem Charme traditioneller Planken.

Der Mailänder Modekaufmann und Prada Boß Patrizio Bertelli erholt sich an Bord seiner lindgrünen „Nyala“, einem Sparkman & Stephens Zwölfer Baujahr 1938 von seinen Geschäften und seiner „Luna Rossa“ America’s Cup Herausforderung. Die Konstrukteure Douglas Peterson und German Frers, beide sind täglich mit modernen Regattabooten aus Faserverbundwerkstoffen beschäftigt, schwärmen in ihrer Freizeit für Schiffe, die gar nicht alt und umständlich genug sein können. Der eigentlich schweigsame Kalifornier Peterson kann endlos über seine norwegische 9 mR Yacht „Tamara IX“ erzählen und Frers bewundert „die schlichte Funktionalität“ seines Achters „Folly“, den der berühmte Konstrukteur und Werftinhaber Charles Nicholson 1909 für sich baute. Die Beherrschung der generös besegelten, gaffelgetakelten „Folly“ mit Klüverbaum ist bereits bei mittlerem Wind eine Herausforderung. Neuerdings wird der wiederholt America’s Cup geprüfte Spitzensegler Dennis Conner an Bord einer Q-Klasse von Anno 1925 gesehen. Für den nüchternen Segelstrategen ist es „das schönste Boot der Welt.“

2005 debütierte die Rennyacht „Mariquita“ von 1911 als einzig erhaltenes Exemplar der 19 mR Klasse an der Küste. Der Gaffelkutter ist mit 38 Metern etwa doppelt so lang wie seine Wasserlinie. Er geht mit knapp 600 Quadratmetern an den Wind. Vergangenes Jahr schoß die 46 Meter lange „Lulworth“ ex „Terpsichore“ von 1920 den Vogel ab. Angesichts der wechselvollen Geschichte dieser Yacht erscheint ihre Existenz wie ein mittleres Wunder. Nach einer schillernden Karriere zwischen den Kriegen als einer der „Big Five“ erinnerten Segelsaurier auf dem südenglischen Solent überstand das weitgehend intakte Holzschiff die jahrzehntelange Nutzung als Hausboot im Modder des Hamble River bei Southampton, um dann nach einem gescheiterten Restaurierungsversuch in den Neunziger Jahren auf einer Werft bei La Spezia zu verrotten. Nach fünfjähriger Sanierung wurde „Lulworth“ im Frühjahr 2006 wieder aufgetakelt. Die jahrzehntelange Agonie des einzig erhaltenen Big Class Rennkutters endete mit einer großartigen Segelsaison, Lulworths Teilnahme an der Panerai Classic Yacht Challenge. Vor und hinter dem 52 Meter langen Mast werden 830 Quadratmeter am Wind gesetzt. Bei Schiebewind ist der Kutter beinahe mit der doppelten Fläche unterwegs.

Nach zweistündiger Vorbereitung durch die 24 köpfige Crew pflügen wir im September bei leicht geneigtem Deck mit neun bis 13 Knoten durch das ligurische Meer. Nach mancher haarsträubend engen Begegnung in der Vorstartphase, der 180 Tonnen Segler und derzeit größte Gaffelkutter der Welt ist so manövrierfähig wie ein Jumbo, wendet Eigner Johan van den Bruele aus dem Windschatten der vor uns kreuzenden „Cambria“. Diese, heute einem Deutschen gehörende Rennyacht ließ der englische Entrepreneur und Verleger Sir William Berry Anno ‘28 vom Stapel. Es ist ein besonderer Reiz, mit geschichtsreichen Antiquitäten um die Wette zu segeln, ein Vergnügen, das selbst kühle Rechner unvernünftig werden läßt und eine Menge Geld versenken. Mit einer namhaften klassischen Yacht ist es meist gut angelegt. Gibt es einen schöneren Ertrag, als den Genuß?

Natürlich gibt es heute Zubehör, das die Handhabung der mehr als vier Tennisfelder großen Segelfläche erleichtern würde. Doch ist das bequeme selten so interessant wie „Lulworth“. So zahlen der holländische Immobilienkaufmann und seine Mannschaft begeistert zur Sache gehender Segelhandwerker den Preis des Umständlichen gern. Wie auf einem alten Sklavenschiff gibt es nur wenige Umlenkrollen oder Winschen an Deck. Dichtgeholt wird mit Muskelkraft, wobei manche Leine durch antiquierte Führungsösen statt reibungsarmer Rollen läuft. Gehalten wird das Tauwerk von alten Klampen, die vor jedem Wendemanöver mit eigens angelegten Entlastungsstropps für neue Aufgaben befreit werden müssen. Nach hinten wird der Mast von doppelten Flaschenzügen gehalten, die vor jedem Kurswechsel von acht Deckshandwerkern auf der jeweiligen Seite gelöst, ausgehangen und gegenüber entsprechend eingehangen und dichtgeholt werden. Fehler oder Nachlässigkeiten erlaubt die längst obsolete Takeltechnik nicht. Deshalb sitzt hier jeder Handgriff. Trotz aller Umstände bewegen van den Bruele und seine Combo den Saurier beinah so routiniert wie ein modernes Boot, wäre da nicht der historische Mechanismus zum Bewegen des Garagentor-großen Ruderblatts, wie es der seit 1852 tätige Glasgower Spezialist Thomas Reid & Sons rekonstruierte. Damit würgt van Bruele das Ruder am natürlich authentisch alten Steuerrad von Anno 1920 für jede Kursänderung mit derart angespannter Miene herum, als würde er ein alte Schleuse öffnen. Die Schinderei war dem Retter der „Lulworth“ übrigens zehn bis 15 Millionen Euro wert.

Die Kostbarkeit pflügt mit Altaïr, Aschanti, Cambria, Mariette, Mariquita, Moonbeam und Zaca zur ersten Panerai Boje. Alles liebevoll wiederhergestellte und gekonnt bewegte Kulturgüter. Sie führen ein beinahe vergessenes Segelfestspiel auf, das es zuletzt in den 30er Jahren auf dem Solent gab. „Lulworths“ beigefarbenes Teakdeck, die glänzend im Lack stehende Mahagonireling, die Skylights und das Deckshaus, die Leder bekleideten Ringe am schornsteindicken Mast, die im historischen Baumwoll Look patinierten Segel, die endlos über das Heck hinausragende Pipeline des Großbaums – was für eine preziöse, antörnend maritime Welt. Frühestens, wenn die Sonne hinter den Seealpen verschwindet und sich auch der Wind zur Ruhe begibt, wenn die Stunde für den Apritif unweigerlich naht, mag der Gast im Hafen von Imperia über die federnde Gangway von Bord gehen.

Artikel im Centurion Magazin für American Express Karteninhaber