Split level Fotografie

Über die Herausforderung Segelfotografie, den wassernah ein- bis abgetauchten Blick unters Boot, die Fragwürdigkeit übertriebener Effekte – und die Chance zum perfekten Bild.

Eine Regatta schlanker Yachten im westlichen Fehmarnsund. Dreißig Boote vom Drachen bis hin zu klassischen und modernen 55er Schärenkreuzern sind auf der Bühne des Wassers. Mit ganzen zwei Windstärken und strahlender Sonne gibt es gnadenlos hochsommerliche Bedingungen. Der Wind hält sich mit schwäbischer, vom Bodensee bekannter Sparsamkeit zurück.

Nun sind Schärenkreuzer die schönsten Leichtwindmühlen unter der Sonne. Dümpelst Du noch oder segelst Du schon? Diese Frage beantworten die eleganten und leichten Planken auf ihre Weise. Das ist neben ihrer Eleganz der Grund, warum sie in süddeutschen und alpennahen Gewässern, wo Einheimische das übliche Nichts der lokalen Thermik beharrlich „Wind“ nennen, so beliebt sind.

Vor dem ansonsten windsicheren Fehmarn läßt der leichte Ostwind nicht nur die Segler schwitzen. Auch der für den Seglerverein Lemkenhafen eigens zur „Schlank & Rank“ Regatta gekommene Fotograf Sören Hese hat seine liebe Not. So schön und sehenswert die eleganten Nadeln auch sind: Wer möchte bei diesem Hauch sacht ihre Bahn ziehende, raumschots unter hängenden Lappen dahin treibende Boote sehen: Wenig Wind heißt keine Action. Das ist uncool, ergibt keine Bilder.

Die Digitalisierung der Welt führte auch in der Segelfotografie  zu einem Überangebot altbekannter Ansichten. In dieser Konkurrenz überzeugt ein professioneller Fotograf nicht mit üblichen Motiven.

Doch weiß Sören Hese sich zu helfen. Er geht mit der Kamera nah ans und sogar ins Wasser. Die Perspektive des Haubentauchers läßt das Geschehen auf dem Wasser lebendiger erscheinen. Die Wellen wirken höher. Und wenn es keine gibt, hilft das begleitende Fotoboot mit entsprechender Bugwelle nach. Wird die Kamera in das Tal der selbst gemachten Welle gehalten, erscheint der Fehmarnsund so bewegt wie der von einer Altsee bewegte Atlantik.

Pullquote: Die Oberfläche des Wassers wird zur Textur, zum Thema. Flüchtige Wirbel, Luftblasen oder Schaum werden verblüffend plastisch gezeigt.

Der Effekt des Weitwinkelobjektivs oder die noch kürzere Brennweite des Fischauge mit 10,5 mm und großer Tiefenschärfe zeigt das Wasser unmittelbar vor der Linse ebenso scharf wie das Boot dahinter. Die Oberfläche des Wassers wird zur Textur, zum Thema. Flüchtige Wirbel, Luftblasen oder Schaum werden verblüffend plastisch gezeigt. So klein das Wellental auch ist: Manchmal verschwinden die Boote hinter der Woge des Vordergrunds.

So fragwürdig, weil verfremdend, so inszeniert bis über-dramatisiert diese Perspektive aus dem Tal der Bugwelle des Fotobootes ist: Hese macht das beste aus den ungünstigen Bedingungen einer fotografisch langweiligen Leichtwindregatta im gleißend hellen hochsommerlichen Mittagslicht. Der Fotograf hat ein knappes Zeitfenster. Er kann sich weder das Licht noch den Wind aussuchen. Spätnachmittags oder abends, wenn das Licht interessant wird, sind die Boote in Lemkenhafen. Dann wird Hese bereits eine erste Auswahl im Clubhaus präsentieren.

Hese zeigt dem Betrachter mit der wassernahen Perspektive etwas, was er so noch nicht gesehen hat, was er mangels Standort und Technik sonst nicht sehen kann. Im Grunde ist das die Aufgabe der Fotografie: Dem Betrachter neue An- oder Einsichten zu bieten, zu überraschen, zu verblüffen, zu begeistern. Diese Art der Event- und Regattafotografie finanziert sich heute maßgeblich über die Bildbestellungen der Segler. Angesichts der immer knapperen Etats der Redaktonen sind Zeitschriftenveröffentlichungen mittlerweile ein immer selteneres, willkommenes Zubrot.

Bei manch wassernaher Perspektive unmittelbar am Schiff läßt der niedrige Blickwinkel den Rumpf groß erscheinen, er zeigt sehenswerte Proportionen wie den geschwungenen Löffelbug oder die Eleganz des achteren Überhangs der Schärenkreuzer. Das sähe der Segler ansonsten vielleicht, wenn er an einem Flautentag um sein Schiff schwömme.

Von der wassernahen Perspektive sind es nur wenige Zentimeter bis das Objektiv ins Wasser eintaucht. Dann entstehen zweiteilige Aufnahmen: Sie zeigen das jedem Segler bekannte Geschehen über Wasser und den aquarienartigen Blick ins Meer. An einem heißen Leichtwindtag ist es erfrischend ins grün schimmernde Wasser des Fehmarnsund zu gucken. Besonders reizvoll sind die Aufnahmen, wo das Über-und Unterwasserschiff gleichzeitig zu sehen sind. Solche Fotos erinnern daran, daß sich der Segler mit seinem Gefährt an der Reibfläche zweier Medien bewegt. Sein Boot ist das beide Elemente verbindende Medium. Das mag banal erscheinen, kann aber als zentrales Thema des Segelns auch mal gezeigt werden.

Der Aufwand für solche Bilder ist groß. Außer dem wasserdichten Gehäuse mit einer innen unbedingt sauberen, außen tropfenfreien Linse braucht es Experimentierfreude und einige Übung. Sören Hese berichtet von etwa 5 Tausend Aufnahmen mit dieser Technik in der Saison 2015. Bemerkenswert dabei: die Fotos entstehen blind. Die Kamera wird ohne Blick durch den Sucher oder auf den Monitor nah über das Wasser gehalten und dabei Millimeterweise während einer Serie abgesenkt. Eine Serie besteht aus 10 bis 20 Bildern. „Die Bildideen lassen sich nur ungefähr planen. Deshalb sind bestimmte Effekte, besonders die mit Wasserspritzern, schlecht reproduzierbar“ berichtet Hese, der sich die Technik übrigens erst zur vergangenen Saison aneignete.

„Die Lichtverhältnisse müssen stimmen und man muß sehr nah ran gehen, damit das Boot auf den Weitwinkelfotos auch formatfüllend in Szene gesetzt werden kann. Manchmal bist Du weniger als ein Meter am Boot dran. Das setzt Kooperation, Mut und ein gewisses Können des Schlauchbootfahrers voraus. Ein weiteres Limit ist das trübe Wasser. Für die gelungenen Aufnahmen vom Unterwasserschiff der klassischen Schärenkreuzer waren 3 bis 5 Meter das Maximum, wobei es in der Ostsee noch ganz gut aussieht. Die Berliner Seen sind meistens zu trüb für solche Motive“ berichtet Hese.

Neu ist die fotografische Haubentaucherei übrigens nicht. Carlo Borlenghi gehört international zu den Pionieren, wobei sich das Mittelmeer dank der Lichtverhältnisse und des klaren, meist leuchtend blauen Wassers und der spektakulär großen Yachten mit modernen Kielen für die ein- bis abgetauchte Segelfotografie eignet. Der Süddeutsche Sportfotograf Ulli Seer perfektionierte die Technik der Über-/Unterwasserfotografie bereits vor über 20 Jahren für die Windsurf-Fotografie. „Das Problem: Wasser hat einen Vergrößerungseffekt. Dadurch kann je nach Brennweite und gewählter Blende der Unterwasserbereich des Bildes unscharf werden. Die Unschärfe im Unterwasserbereich ist jedoch abhängig von der Brennweite, der Blende und sogar dem Abstand der Frontlinse des Objektivs zum Plexiglas des Unterwassergehäuses.“ Seer hat „damals die obere Bildhälfte mit einem speziellen Filter um etwa zwei Blendenstufen abgedunkelt, im Unterwasserbereich wurde der Vergrößerungseffekt des Wassers durch eine weitere Linse (ca -2 Dioptrien) korrigiert, um auch hier volle Bildschärfe zu erhalten. Heute ist das dank der technischen Möglichkeiten leichter, weil sich der chronisch unterbelichtete Unterwasserbereich digital aufhellen läßt“ berichtet Seer.

In Norddeutschland war Tom Körber der erste, der mit der Kamera baden ging. Der fotografische Ansatz der lebendig-nahen, der frischen und unerschrockenen Perspektive führte zum Sailing Journal. Vor einem Jahrzehnt machte Körber seinen Kieler Kollegen Ulf Sommerwerck anläßlich seines Einstiegs in die Segelfotografie mit dem Equipment vertraut und wie man so lange im Wasser bleibt, das einem fast Schwimmhäute wachsen.

Natürlich ist es mit reinhalten und draufdrücken nicht getan. „Mit dem Setzen des Fokuspunktes in den beiden verschiedenen Medien Luft und Wasser muß man ebenso umgehen können wie die Lichtverhältnisse und Beleuchtungsrichtung nutzen. Du mußt wissen, was du machst, sonst steht die Quote brauchbarer Bilder in keinem Verhältnis zum Ausschuß. Auch für die Aufnahmen der prägnanten Wasseroberfläche, bestehend aus Verwirbelungen, Blasen oder Schaum gibt es handwerkliche Voraussetzungen“, die Hese aus verständlichen Gründen jedoch nicht näher erklären möchte. Alle Bilder sind nachher gründlich im sogenannten „Postprocessing“ am Rechner bearbeitet. Hinter jedem Event, das Hese besucht, stecken mehrere Tage, manchmal eine Woche nachträglicher Bildbearbeitung.

Wie jeder Effekt läßt sich auch die wassernah ein- bis abgetauchte Fotografie übertreiben, durch inflationären Gebrauch verschleißen. Etwa indem sie sich mit ihren technischen Möglichkeiten und der Spielerei brillant eingefroren gletschergrüner Wellenberge selbst zum Thema macht und sich sprichwörtlich vor ihr ursprüngliches Sujet, die Boote, schiebt.

Die begeisterte Reaktion der Regattateilnehmer von Schlank & Rank, das andächtige Raunen abends im Clubhaus zeigte, wie gut die Bilder von Hese ankamen. „Das ist bei den großen Events im Mittelmeer, wo man diesen Effekt schon das eine oder andere Mal gesehen hat, natürlich anders“ gibt Hese zu.

„Mir persönlich ist ein gut komponiertes Bild mit schönen Lichtreflexen und einem interessanten Schärfe-Unschärfespiel im Normalfall lieber. Trotzdem ist klar, dass Sören Heese in Fehmarn einige hervorragende Bilder gelungen sind. Aufgrund des leichten Windes war es das beste, was er machen konnte“ meint Seer. Auch die Hamburger Fotografin Nicole Werner, die ebenfalls bei einem Teilnehmer mitsegelte und von Bord aus spaßeshalber im digitalen schwarz-weiß Modus fotografierte, nickt anerkennend.

Es gibt endlos viele technische Möglichkeiten und ständig kommt etwas Neues dazu. Man kann mit Drohnen in die Luft gehen oder aus dem Wasser fotografieren. Mit der Event- und Regattafotografie besteht man nur, wenn man zu einem erheblichen technischen und finanziellen Aufwand für neues Equipment bereit ist.

Es gibt in der digitalen Bildbearbeitung bestimmten Stimmungen, die sich einstellen lassen. Alles ist möglich, auch die Besinnung auf die Schwarz Weiß Fotografie als ruhiger Kontrapunkt zur bunten und spritzigen Action, auf den Ulf Sommerwerck neuerdings bei seinen Klassiker Fotos, etwa der 12er Regatta in der Flensburger Förde n der vergangenen Saison setzt.

Der Essayist Jean Amery sprach in anderem Zusammenhang einmal vom „Terror des Aktuellen“. Angesichts der visuellen Reizüberflutung setzen Fotografen auf immer neue, überraschende Effekte. Wenn für ein Foto aber um der Dramatik willen Wellen gemacht werden, bis die Boote dahinter verschwinden, ist dies angesichts des Erwartungsdrucks des Publikums vielleicht verständlich – aber eben auch bedenklich. Eigentlich ist es ein Fake, der eine Dramatik schafft, die es ohne Zutun des Fotografen nicht gab. Dieser Eingriff geht noch einen Schritt weiter als die digitale Bildbearbeitung, mit welcher die „Datenlage“ an die visuelle Erwartung angepaßt wird.

Pullquote: Eigentlich ist Segeln jenseits des Sports eine darstellende Kunst. Ein flüchtiger, beglückender Moment auf der Bühne des Meeres.

Nun sollte es in der Segelfotografie außer dem verblüffenden Hingucker darum gehen, den Charakter eines Boots zu zeigen, nämlich wie es segelt. Ein Beispiel dafür ist das meisterliche Hese-Foto des Sechsers „Hamburg“. Es zeigt die Rasanz, mit der Meteryachten an den Wind gehen. Es zeigt den Wahnsinn des flüchtigen Segelfestspiels – einer darstellenden Kunst.

Solche Fotografie ist für den Segler deshalb so beglückend, weil er als Handelnder Teil des Geschehens ist, er stets andere, aber nie sein Boot in Aktion sieht. Im Grunde ist Segeln jenseits des Sports eine darstellende Kunst. Ein flüchtiger, beglückender Moment auf der Bühne des Meeres, für den die Aufführenden immer wieder neu viel tun. Deshalb ist das Segelfoto in all seinen Spielarten, Manierismen und gelegentlich überzogenen technischen Möglichkeiten als Erinnerung wichtig. Sie hilft uns durch den Winter.