Yachtcharter, eine windige Geschichte
Ein paar Bootsurlaube, flotte Sprüche und schnelle Aquise – fertig ist der Unternehmer in der Yachtcharterbranche. Fertig ist auch der Bootsurlauber – wenn sich das Urlaubsdomizil vor Ort als Seelenverkäufer entpuppt.
Türkisfarbene Buchten, azurblauer Himmel, Salz auf den Lippen und Abenteuer voraus: „Wer sagt, dass man Glück nicht kaufen kann?“ lockt die Werbung für den Yachtcharter. Leider löst die Wirklichkeit selten ein, was die Reklame versprochen hat. Zusammengeschusterte Billigschiffe, schlecht ausgerüstet und mangelhaft gewartet, lassen den Traum vom Skipperglück ins Wasser fallen.
Das Überangebot von Agenturen und Yachten führt zu Dumpingpreisen, die einen soliden Charterbetrieb nicht zulassen. Mehr und mehr Urlauber werden, unbeschwert von jeglichem Segelwissen, nach amerikanischem Vorbild auf sogenannte Bare Boats, Selbstfahreryachten, gesteckt, obwohl jede Agentur weiß, dass daraus selten ein erholsamer Urlaub wird. Die Folge: Es geht viel kaputt.
Die Geschäftsidee „Yachtcharter“ ist seit Anfang der Achtzigerjahre bei abschreibungsfreudigen Unternehmern beliebt. Die Erfahrung beschränkt sich dabei auf den eigenen Bootsurlaub im sonnigen Süden. Schickes Marketing und verkäuferisches Geschick am Telefon ersetzen den nötigen Background. „Jeder kann nebenberuflich Charterreisen verkaufen“, sagt Hans-Jörg Maug, Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Yachtcharterunternehmen.
So tummeln sich im deutschsprachigen Raumtummeln rund 400 Anbieter. Ein Großteil davon betreibt die Dienstleistung Abends und am Wochenende zuhause. Aber so schnell, wie die eine Agentur gegründet wird, so stillschweigend verschwinden andere wieder. Und mit ihnen nicht selten 20 bis 50 Prozent Anzahlung, die Kunden Monate vor Törnbeginn überwiesen haben.
Nur etwa ein Dutzend Agenturen, so die Einschätzung von Branchenkennern, arbeitet rentabel und professionell genug, um den angebotenen Service durch regelmäßige Besuche der Charterstützpunkte vor Ort zu prüfen. Das erfährt der Kunde dann, wenn er tagelang in irgendeinem Hotel auf „seine“ Charteryacht warten muss, das gebuchte Schiff nicht segelklar ist.
Schlechte Wartung, fertige Schiffe
Die Konkurrenz drückt die Qualität im Yachtverleih. „Mit den heutigen Charterpreisen kann niemand eine Flotte kaufen, geschweige denn warten oder einen guten Service garantieren“, sagt der Hamburger Vercharterer Knut Hamann. So versuchen Agenturen zunehmend neue Yachten als segelnde Renditeobjekte mit Freizeitwert oder in Form von Timesharing-Modellen an den Eigner zu bringen. Bei den bunten Bildern und den coolen Sprüchen setzt schnell der Verstand aus. Basis der Kalkulation ist, dass die Yacht nach vier Jahren zu wenigstens 50 Prozent des Neupreises verkauft wird. Doch „nur ein Doofer“, so zwei Insider, die selbst Time-sharing-Verträge anbieten, „kauft noch so eine Yacht. Diese Schiffe sind fertig“.
Sicher ist nur die Verkaufsprovision des Vermittlers. „Viele große Anbieter“, so Hamann, „gaukeln ihren Kunden Steuerersparnisse und Chartererlöse vor, die sie in den wenigsten Fällen bekommen. Dann haben die Leute aber das Schiff und die Kosten am Bein und nehmen lieber 2.500 Mark pro Woche als nichts.“
Der Unterschied zwischen Auto und Yacht
90 Prozent des Umsatzes machen die Agenturen mit dem Verleih von Selbstfahreryachten, die der Kunde nach Vorkasse und Hinterlegung einer Kaution (zwei- bis viertausend Mark) für eine, zwei oder drei Wochen leiht. Nur sind Yachten nicht so ausgereift wie etwa ein Auto oder ein Wohnmobil. Das liegt an den geringen Stückzahlen. Trotz vieler Verbesserungen und praktischer Ausstattungsdetails, die den Urlaub auf einer modernen Kunststoffyacht gegenüber den ersten GfK-Erzeugnissen der Sechzigerjahre vereinfachen, gibt es störanfällige, nässe- und seewasserempfindliche Technik an Bord.
Urlauber oder Bootsklempner?
Auf Nummer sicher gehen wollte deshalb Dieter Kempf, Geschäftsführer eines Computerunternehmens in Karlsruhe. Nach einer Enttäuschung mit einer abgesegelten Yacht an der Cote d’Azur (Toiletten defekt, unter den Bodenbrettern schwappende Fäkalien) buchte er eine werftneue Serienyacht vom Typ „Sun Magic 44“. Charterpreis für zwei Wochen: 9300 Mark. Doch anstelle des Sektkübels stand die Werkzeugkiste an Deck. Statt Bacardi machten Maulschlüssel, Sicaflextube, Schlauchschellen und ein Eimer mit öligen Feudeln die Runde. Wie der stinkende Cocktail aus Brackwasser, Gas und Diesel im Schiffskeller zustande kam, blieb Kempf und seiner Crew bis ans Ende der Reise unklar.
Ausgiebige Erfahrungen als Schiftsklempner durfte auch der Geschäftsführer der Münchner Holzimportfirma Interholz, Michael Berghofer, machen. „Meine gebuchte Beneteau war fünf Jahre alt, weich, das Deck undicht, die Schotten verzogen, und der ganze Rumpf verwand sich. Unterwegs verabschiedete sich die Propellerwelle, in der Kajüte stand das Wasser knöchelhoch.“ Berghofers Fazit nach zahlreichen Chartertouren im Mittelmeer, in Norwegen und in der Karibik: „Wenn überhaupt noch mal, dann nur mit professionellem Skipper, der die Verantwortung für das Schiff hat, es in Stand hält und sich im Revier auskennt. Da mach‘ ich dann Urlaub.“
Problem Selbstfahreryacht
Das Handling eines bare boats verlangt die Beherrschung des nautischen Handwerks. Da das Potential erfahrener Segler für die Anbieter von Charterreisen jedoch ausgeschöpft ist, werden zehn Tonnen schwere Yachten Anfängern anvertraut. „Heute geben wir jedem Hansel, der 300 Meilen für einen Segelschein irgendwie hinter sich gebracht hat, ein Schiff. So gut kann man Yachten gar nicht bauen, wie die kaputtgesegelt werden“, sagt Knut Hamann. Seiner Ansicht nach hängt die Qualität nicht allein von der Güte der Yacht und der Wartung ab, sondern auch davon, dass die Kundschaft die Schiffe nicht zusammenfährt.
Dieses „größte Problem der Branche“, so Hamann, sei allabendlich in jedem Hafen des Mittelmeeres zu beobachten, wenn Charterboote mit dem Bug oder Heck gegen Kaimauern krachen, weil das Einparken der Yacht unter Motor bei Seitenwind eine schwierige und selten beherrschte Übung ist.
In der Marina der südtürkischen Charterbasis Marmaris, einem Stützpunkt Hunderten von bare boats, erkundigte sich im Frühjahr ein besorgter Familienvater und Skipper einer neun Meter langen Bavaria, „wie man vor der türkischen Küste ankert“. Eine Frage, die für einen Segler etwa so frappierend ist, wie die, ob man auf der Autobahn wenden darf.
Gefürchtet sind auch erfahrene Segler. Oft schinden sie die Mietyachten derart, dass die Schiffe nach zweijährigem Chartereinsatz älter aussehen als manche Privatyacht mit 15 Jahren unter dem Kiel. „Ich habe Kunden, die gehen bei Sturm aus dem Hafen raus und segeln bei acht Windstärken gegenan“, weiß Knut Hamann. „Ist doch klar, dass da was kauptt geht.“
Der rasant gestiegene Bedarf an Selbstfahreryachten hat den Bootsbau verändert. Allein von der Sun Magic 44, einem der zur Zeit beliebtesten bare boats, setzte die französische Werft Jeanneau innerhalb von vier Jahren 800 Stück ab. Eine im Yachtbau mittlerer Grösse sensationelle Stückzahl.
Statt der aufwändig im Auftrag eines kundigen Eigners gefertigten Yacht lassen die Werften jetzt flott zusammengeschusterte, konfektionierte schwimmende Bettenburgen in Großserie für die Abrufaufträge der Vercharterer vom Stapel: trendig gestylt, mit windschlüpfrigen Decks, Streifen an den Seiten, mal eckigen, mal ovalen Fenstern, doppelten Steuerrädern, grossen Badeplattformen und Instrumententafeln. Auch den Targabügel, ein Zubehör von Sportwagen oder Motorbooten, gibt es neuerdings auf Segelyachten.
Dafür werden die Yachten so billig gebaut, dass ihre Rümpfe sich in den Wellen verwinden, das Interieur im Seegang quietscht, sich Türen und Luken verziehen und sich im Hafen nach einem Sturmtag nicht mehr schließen lassen. Durch die Fenster und Decksluken teurer Leihyachten gelangt das Salzwasser tassenweise in Gepäck und Polster.
Es sind „Modeartikel, Produkte für die Wegwerfgesellschaft“, meint Ruth Müller von der Charterhanse Hamburg, seit 23 Jahren im Geschäft. Mit einem guten Schiff, beispielsweise einer Baltic oder Swan mittlerer Grösse für 800.000 Mark, „fährt kein Vercharterer die Kosten rein“.
Geschickt haben sich Werften wie Jeanneau, Beneteau (Frankreich), Moody (England), X-Yachts, Mön und Bianca (Dänemark) oder Elan (Jugoslawien) auf die Nachfrage des Chartermarkts eingestellt. Dem bequemen Bordleben zuliebe haben vor allem die Franzosen die Gestaltung der Yacht konsequent zum pflegeleichten Gebrauchsgegenstand vorangetrieben. So zeigten sie dem traditionellen skandinavischen Bootsbau, wie eine perfekt gestaltete, dem Sanitärraum im Flugzeug nachempfundene Naßzelle aussieht. Statt Stückwerk aus angeleimten Holzbrettchen und Blenden mit unzähligen Schmutzecken bauen sie Wasch- und Toilettenraum aus einem Guss.
Der handwerklich Standard soliden Bootsbaus geht dabei leichtfertig und kostensparend über Bord: Kleine, wie Haifischflossen unter dem Rumpf hängende Kiele zeigen schon nach zwei Jahren ringsum Haarrisse. Bei einer üblichen Grundberührung nehmen sie Schaden, haben ein Knacks. Schon nach einer dreiwöchigen Reise mit dem Passatwind von Gibraltar zur Charterdestination Karibik ist der Steuermechanismus im Heck der meisten Konfektionsyachten so ausgeleiert, dass er überholt werden muss, berichtet Agenturinhaber und Hochseesegler Thomas Stürzebecher vom „Törnclub“ in Horb/ Neckar.
Die Ausrüstung der Yachten mit verschleissträchtigen, tropfenden und riechenden Pumptoiletten, festgebackenen Seeventilen, Frischwasser- und Fäkalientanks, mit salz- und nässeempfindlichen motorisierten Ankerwinden, Generatoren und Dieselaggregaten und immer mehr Elektronik samt leger verlegten Kabeln und Schläuchen geht im rauhen Alltag an Bord schneller kaputt, als ein handwerklich geschickter Segler reparieren kann.
Ankerwinden mit integrierten eisernen Fahrradnaben (Standard des namhaften englischen Herstellers Simpson Lawrence) rosten von innen nach außen unter der glänzend verchromten Oberfläche und quittieren eher früh als spät ihren Dienst. Die meisten Kettenbremsen der im Charterbetrieb täglich gebrauchten Ankerwinden sind bereits beim ersten Törn erledigt: wenn die Bremsen ein paarmal lässig per Fußtritt betätigt wurden.
Die Achillesferse der modernen Charteryacht ist die sanitäre Ausstattung. Jedes moderne Bordklo mit Gummimembranen und allerlei Hebeln kapituliert vor seinem unbedarften Benutzer.
Nur mit sorfältiger Wartung, bei der die Schiffe regelmäßig komplett durchgecheckt und Verschleißteile im Sechs- oder Zwölfmonats-Rhythmus vorsorglich ausgewechselt werden, sind die konstruktiven Mängel der billig gebauten Konfektionsyacht wettzumachen.
Wer sich mit seinem Schiff in rauhen Gewässern bewegt, wird ohnehin andere Booktypen wählen. Die Hochsee Yachtschule Bremen beispielsweise fährt im Frühjahr und Herbst mit ihren Schiffen zum Sturmtraining auf die Nordsee hinaus, eines der anspruchsvollsten Reviere der Welt. Die Teilnehmer erleben in einer Woche mehr als mancher in seinem ganzen Seglerleben. Gesegelt wird mit Swan-Yachten aus Finnland, die in der Anschaffung leicht das Doppelte einer Konfektionsyacht kosten. Firmenchef Logemann: „Alles andere bricht uns bei diesen extremen Wetterbedingungen nach kurzer Zeit auseinander.“
Kein Wunder, denn kaum eines der konfektionierten bare boats ist wenigstens mit einer Sturmfock aus kräftigem Tuch ausgerüstet. Das ist ungefähr so unverantwortlich, wie jemanden ohne Haken und Leine in die Alpen zu schicken. So zog es der Skipper einer 15 Meter langen Oceanis bei neun Windstärken vor, durch die Felsenklippen zum südtürkischen Städtchen Kas zu dieseln. Seine Antwort auf die Frage, warum er die 16 Tonnen schwere Segelyacht bei diesem Wetter mit Motorhilfe bewege: „Eine Sturmfock haben wir nicht. Das Großsegel können wir nicht setzen, weil Latten zur Versteifung des Tuchs fehlen. Das Segel wäre nach einer halben Stunde Flattern im Sturm zerrissen.“ Ein Stottern oder Aussetzen des Motors vor den Klippen hätte das Abenteuer Yachtcharter für die zwölfköpfige Crew aus Pforzheim schnell und vielleicht glimpflich beendet. Die Yacht wäre von der Brandung auf den Felsen zerstört worden.
So wird aus der Verheißung eines Segeltörns motorisiertes Seewassercamping. Mit 3000 U/min. auf dem Tourenzähler geht es schnurstracks zum nächsten Hafen.
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