Wolkenkunde

Mit dem Wetter ist es so eine Sache. Es gibt jeden Tag welches und meistens bekanntlich das gleiche. Dennoch wissen wir nie mit Gewissheit, wie es morgen wird. Obwohl es bei den Angeln und Sachsen täglich so oft regnet, wie das Jahr Monate hat, beschäftigt die seit Menschengedenken kaum zuverlässig beantwortete Frage auch auf den britischen Inseln.

Guckt der Brite in die Luft, sieht er Wasserberge, die ihre Fracht soeben noch halten, andere, die sie gerade entlassen: Wolken. Schöne, schreckliche, erheiternde, drohende, helle, dunkle, dicke oder dünne. Logisch, dass der gelernte Chemiker und Hobby-Wol­kenkundler Luke Howard (1772 – 1864), er klassifizierte die luftigen Gebilde, gab ihnen brauchbare Namen und wurde darob zum führenden Nephologen, aus England stammt. Neulich hat ihm Richard Hamblyn – ein Landsmann natürlich – ein schönes Denkmal gesetzt: 279 unterhaltende, streckenweise spannend geschriebene Seiten.

Howards Unterscheidung der Wolken in Fransen- oder Faserwolken, lateinisch „Cirrus“, Haufenwolken als „Cumulus“ und Deck- oder Schichtwolken namens „Stratus“, gilt im Wesentlichen bis heute. Doch erzählt Hamblyn nicht nur Howards Leben mit dem wegweisenden Vortrag im Dezember 1802 „Über die Modifikationen der Wolken“, zu dem er eigens mit einem „geliehenen Pferd“ durch London gekommen war – streckenweise hin wenig ins Anekdotische und schmückende Detail verliebt. Hamblyn skizziert die Entwicklung der Metereologie von den Anfängen in der Antike bis in unsere Tage und referiert manche, heute kurios anmutende Idee: zum Beispiel die zu Howards Zeiten verbreitete Bläschentheorie, wonach sich Wasser unter Sonneneinstrahlung in hohle, luftgefüllte Kügelchen verwandelt, die dann wie Luftballons aufsteigen.

Zugleich skizziert Hamblyn aus biographischer Per­spektive einige Kapitel europäischer Geistes- und Wissen­schaftsgeschichte. Aufklärung und naturwissenschaftliche Euphorie. Das macht die Lektüre über die schiere Nepholo­gie (Wolkenkunde) hinaus interessant. Quäker Howard hielt seinen Vortrag bei den Askesianern, einem für damalige Verhältnisse respektlosen Debattierclub, wo unter anderem Selbstversuche mit Rauschgift oder Lachgas veranstaltet wurden. Die Abende bei den Askesianern waren „Theater des Wissens“, zweifellos fröhliche Wissenschaft.

„Das Wetter ändert sich möglicherweise“ Antike Wetterprognose

Die systematische Beobachtung der Himmelskörper begann bereits im 7. Jahrhundert vor Chr. mit der Astrono­mie, das Studium des Donners nannte sich Brontologie, außerdem wurden Blitz- (Keraunik) und Wolkenkunde, be­sagte Nephologie, betrieben. In Zeiten ungleich größerer Abhängigkeit von der Stimmung der Götter und dem Wetter waren diese Untersuchungen von elementarer Bedeutung. Bemerkenswert auch das Wetterbeobachtungprojekt der Medici, die Mitte des 17. Jahrhunderts dreizehn Jahre lang in den Alpen und im Norden des Appenin an mehreren Be­obachtungsposten notieren ließen, wie das Wetter ist. Die Sache blieb Statistik, der es an einer brauchbaren Wolkennomenklatur mangelte. Zur Wetterprognose fehlten außer­dem geeignete Kommunikationsmöglichkeiten. Wolken und Wetter waren meistens schneller, als der reitende Mensch.

„The rosiest clouds in the evening’s sky, are those which soonest fade and fly“ Mary Russell Mitford, 1810

Wie die Beschäftigung mit dem Wetter und das Ver­ständnis der Wolkensprache mit anderen menschlichen Erungenschaften zusammenhängen, der erste Aufstieg der Gebrüder Montgolfier ins Reich der Wolken erfolgte 1783, der erste Fallschirmsprung glückte drei Monate vor Howards Vortrag, oder der Katalogisierung des Windes in der Beaufort-Skala 1832, schildert Hamblyn ebenso, wie Goethes Begeisterung für den Nephologen: „Drum danket mein beflügelt Lied dem Mann, der Wolken unterschied.“ Alles schön und lehrreich. Hamblyns Erinnerung an den Nephologen und Mitbegründer der modernen Metereologie ist mindestens so interessant wie Dava Sobels „Längengrad“. Auch wenn „Die Erfindung der Wolken“ manchmal vor Informationsfülle zu bersten droht wie eine zum Abregnen reife Cumuluswolke. Doch unterfordert wird der lesende Mensch ja allerorten zur Genüge.

Über Richard Hamblyn: „Die Erfindung der Wolken; Wie ein unbekannter Metereologe die Sprache des Himmels erforschte“, Insel Verlag, Frankfurt 2001, 350 Seiten, 19,43 €