Die fabelhaften Boote der Businessbarone

Die zwanziger Jahre New Yorks bleiben nicht nur wegen des Jazz als Roaring Twenties in Erinnerung. Jeden Morgen brummte eine Armada von Motoryachten nach Manhattan. Die Kapitäne der Wirtschaft ließen sich auf dem Long lsland Sound zur Stadt chauffieren.

Herr Mooney geht auf dem Weg zur Arbeit gern baden. So erwartet ihn Rosemarie halb Acht mit warmen Motoren am Steg in Long Island’s Oyster Bay. Barfuß, in Morgenmantel und Badehose verläßt der General-Motors-Vize das Haus. James D. Mooney geht über den taufrischen Rasen seines Anwesens zum Bootsanleger. Die ersten Meilen beschäftigt wirft er einen Blick in die Zeitung. Dann nimmt sein Chauffeur Johson die Fahrt raus und stellt die Motoren ab. Mooney lässt den Bademantel im Rattansessel und steigt die Leiter hinab ins Meer, um ein paar Züge zu schwimmen. Die restliche Fahrtzeit nach Manhattan nutzt er zur Rasur, Wäsche und Anlegen von Anzug und Schlips. Das Frühstück mundet, einige Züge aus der Montechristo, the miles slip by, dann gleitet Rosemarie den East River hinab.

Die Pendler von Long Island rauschen zum Job. Sie kommen von den ansehnlichen Adressen Larchmonts, Mamaronecks, den idyllischen Wassergrundstücken weiter draußen in Connecticut, wo der Ahorn so groß ist, vom Oberlauf des Hudson, wo der elfte US-Bundesstaat New York nach Laub und Apfeln duftet.

Wer am Steg des Montauk Yacht Club in Höhe der 52. Straße an Land geht, beim Columbia Yacht Club vor der 86. Straße aussteigt, am New York Yacht Club vor der 26. Straße im East River anbinden lässt, zählt zu den Kapitänen der Wirtschaft. Das Geschäft mit Baumwolle, Eisenbahnen, Geld, Immobilien, Kohle, Stahl, Autos, Schrott oder Waffen, dazu eine gute Konjunktur, niedrige Steuern oder das Geschick der Väter haben ihnen sagenhaften Reichtum beschert.

Außerhalb der Geschäftszeiten brauchen die Businessbarone Platz – für Swimmingpools, Gartenlabyrinthe und Rasen, Platz, den die Stadt nicht hat. So entstehen in den Jahren 1860 bis 1940 allein auf Long Island knapp tausend Landhäuser. Für den Weg nach Manhattan und zurück braucht es Boote, die die 30 oder 40 Meilen flott zurücklegen. So geht en Auftrag nach dem anderen bei den Werften in New York ein, an die 300 private Pendlerboote entstehen in dieser Zeit.

Für die Herren Astor, Borden, Chrysler, Doubleday, Fokker, Ford, Ingersoll, Hearst, Morgan, Olds, Pulitzer, Winchester, Woolworth oder Vanderbilt ist das private Pendlerboot eine wassernahe Variante des Fliegens. Deshalb werden die ersten Commuter Flyer, später Business Boats genannt. In den heißen Sommermonaten ist die Fahrt über den Long Island Sound, den East oder Hudson River angenehm kühl..

Bei Nebel, Niesel oder Eis hingegen lassen sich die Tycoone im Franklin Phaeton oder Packard Twin Six über die Brooklyn Bridge zum Broadway oder der Park Avenue chauffieren, zu den Headquarters in den Häuserschluchten von Manhattan.

Einer der Pendlerpioniere ist John Pierpont Morgan, der 1882 mit einer gemieteten Dampfyacht eine Mittelmeerkreuzfahrt macht. Seitdem läßt er alle paar Jahre ein neues Schiff vom Stapel. Sie heißen allesamt Corsair, sind schwarz gestrichen und so stattlich wie seine Trusts, die Morgan. Mit einer Länge von 93 Metern hat die dritte Corsair das Format eines Großseglers wie der Gorch Fock. In der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts entdeckt Morgan, dass sich seine Dampfer mit den Abmessungen von Staatsyachten nicht nur zu Kreuzfahrten eignen. Man kann darin auch zur Arbeit fahren. Oder Bekanntschaften beherbergen.

Wie sein Vater bevorzugt Jack Morgan die Musik entweichenden Wasserdampfs gegenüber dem Röhren der Explosionsmotoren, die zunehmend auf dem Long lsland Sound den Ton angeben. Der Mann, dessen Kredite unter anderem den Ersten Weltkrieg finanzieren, ist Romantiker. Die aufkommende Mode, aus der Fahrt zum Büro ein Wettrennen zu machen, sehen die Morgans als Gebärde der Neureichen. Mögen andere die Dampfmaschinen durch kräftigere Zeppelin- oder Flugzeugmotoren ersetzen – die Morgans setzen wie gehabt auf Kohle.

Gependelt wird in allen Bundesstaaten der USA, wo es Geld und Wasser gibt: in Miami, Boston, Detroit, Chicago, San Francisco und Seattle. Doch wo gibt es so viel Geld und Wasser wie rings um Manhattan? So entwickelt sich die spezifisch amerikanische Bootsklasse der Commuter maßgeblich in New York.

Dazu trägt auch Matthew Chaloner Durfee Borden bei. Der Baumwollfabrikant wohnt in Atlantic Highlands am südlichen Ausgang von New Yorks Lower Bay. Für den Weg zu seiner Fabrik zwei Staaten weiter in Fall River, Massachusetts, nimmt Borden sein Boot. Der Landweg rings um die Bay, über Inseln und ungezählte Brücken wäre lang und mühsam. Er sitzt lieber im Korbsessel achtern, während die Little Sovereign II eine Bahn schäumenden Schraubenwassers in die Hudson-Mündung zieht.

Er ist zufrieden, bis sich ein Boot auf dem Long Island Sound an ihm vorbeischiebt. Es ist Winchester ll, die mit 25 Knoten (45 Kilometer pro Stunde) etwas schneller ist. Sie gehört dem Schrotthändler Peter Winchester Rouss, dessen Vater mit Handfeuerwaffen ein Vermögen gemacht hat. Sein Schiff ist weiß, dampfbetrieben und hat zwei Schornsteine. Beeindruckender noch als der martialische Anblick allerdings ist die mächtige Welle, die der Commuter des Schrotthändlers hinter sich herzieht. Bordens Lomousine wird mächtig durchgeschüttelt.

Als die 55 Meter lange Winchester zwischen City Island und der Manhasset Bay verschwindet, hat Borden genug. Nach dieser Provokation ist es ausgeschlossen, wie üblich an der 26. Straße auszusteigen. Indigniert ordnet er an, den Kurs Richtung Harlem River zu ändern und zieht sich unter Deck zurück. Noch am selben Tag bestellt Borden bei dem Commuter Spezialisten Charles Searburg in Morris Heights, dem heutigen Bronx-Ufer des Harlem River, ein 39 Knoten-Boot.

1912, im Jahr nach der Begegnung zwischen der Little Sovereign und der Winchester, hat Borden sein neues Schiff. Zu seinem Leidwesen Konkurrent Rouss allerdings auch. Der logiert am Nordufer von Long Island und lässt keine Gelegenheit aus, Borden auf einen hinteren Platz zu verweisen. Die neue Winchester ist von ihrer Vorgängerin kaum zu unterscheiden, nur etwas länger – und schneller.

Als Gegenstände alltäglichen Gebrauchs werden die Commuter zügig weitergereicht. Von 1922 bis 1938 ist der kunstsinnige Unternehmer Solomon R. Guggenheim mit einer ausgemusterten Winchester unterwegs. Er lässt sie grau streichen und nennt sie Trillora. Auch Winchester IV erfreut sich als Gebrauchtboot großer Beliebtheit. Unter den späteren Eignern sind der Hotelmagnat Astor und der Eisenbahnunternehmer Vanderbilt. Ebenfalls Zweitnutzer von Commutern ist die US-Navy. Auch Schmuggler schätzen die Boote. In Zeiten der Prohibition ist es wichtig, schneller als Zoll und Küstenwache zu sein. 

In den zwanziger Jahren werden die Commuter kürzer, handlicher und schneller. Aus den langen Verdrängern werden rasante Wellenreiter. 1921 liefert sich Gar Junior II mit der Eisenbahn eine Wettfahrt an der amerikanischen Ostküste. Nach 1260 Meilen und fünf Tankstopps im bewegten Atlantik ist der Commuter 21 Minuten vor dem Havanna Special da.

Das hat William Kissam Vanderbilt nicht nötig. Der Commuter des seinerzeit reichsten Mannes von Amerika schafft die Strecke von Northport bis Manhattan in 40 Minuten – mit einem Tempo von 100 Kilometern pro Stunde. Der Geschwindigkeitsrekord wird bald wieder eingestellt sein. Bis heute unerreicht geblieben ist dagegen Vanderbilts Geschick, sich bei Vollgas auf dem East River unverletzt zu rasieren.

Mare Nr. 33, August/September 2002