Benjamin auf dem Kaiserbänkchen

Am Abend des 4. Juli 1908 ist Kaiser Wilhelm II schlecht drauf. Es hat zwar ausgezeichnet in Borby geta­felt, aber gut essen tun Monarchen öfter. „Germania“, die neue Yacht des Stahlkochers Krupp von Bohlen und Halbach hat „Meteor III“, das Segelspielzeug Seiner Majestät mit der Segelnummer „A1“, schlimm nach hinten gesegelt. Dabei brauchen Majestät außer Sonne exzellente Platzierungen auf den Regattabahnen.

An diesem Abend meint Yachtkonstrukteur Max Oertz, das Problem lasse sich mit einer neuen „Meteor“ beheben, und zwar „deutsch vom Kiel bis zum Flaggentopp“. Seit dem Entwurf der Kruppschen „Germania“, wisse er, wie es geht. Keine Frage, der gerade 37-jährige Emporkömmling hat Chuzpe. Bald wird er als Architekt der vierten und fünften „Meteor“ auf dem sogenannten „Kaiserbänkchen“, einer kommoden, meistens angemessen besonnten Sitzgelegenheit an Deck, Platz nehmen.

1871 in eine holsteinische Kapitänsfamilie geboren wächst Oertz als Findelkind in Berlin auf, studiert Schiffbau, wird nach Wanderschaft und günstiger Heirat 1896 mit einer eigenen Werft in Hamburg seßhaft. Mit „Germania“ ist ihm 1906 ein verblüffendes Debüt in der angelsächsisch dominierten Klasse der größten Rennyachten gelungen. Oertz hat Fortune.

Bislang war Oetz allenfalls traditionsverbundenen Salzbuckeln an der Küste ein Begriff; war seine Arbeit im Unterschied zu Henry Rasmussen, über den es mehrere Veröffentlichungen gibt, kaum dokumentiert. Nach Kristin Lammertings vorzüglichem Buch über „Die Kaiserlichen Segelyachten“ (siehe Mare Heft 20) namens „Meteor“, wo ein anekdotenreiches Kapitel zu Max Oertz zu lesen ist (DuMont 1999), hat jetzt der Schwarzwälder Schafzüchter, Fotograf und Hobbyhistoriker Klaus Kramer eine 74-seitige Broschur über Oertz im Selbstverlag herausgegeben. Eine verdienstvolle, manche Lücke schließende Arbeit.

Natürlich war Oertz ein vielseitiger Mann, der sich von Yachten über Flugzeuge, ein strömungsgünstiges Ruder bis hin zu gebogenen Scherbrettern für die Schleppfischerei interessante und praktische Sachen ausdachte. Solcher Ideenreichtum ist jedoch in der Industriegeschichte (Deutschlands) nichts besonderes. Oertz als „Genie“, so der unnötig lärmende Untertitel, zu bezeichnen, ist hoch gegriffen. Auch sonst hätte der lesenswerten Dokumentation Oertzschen Wirkens mehr Distanz gut getan.

Wer sehen möchte, wie aus dem sensiblen Schiffbaustudenten mit dem Spitznamen Benjamin eine gut gepolsterte Kapazität mit Zigarre, Chauffeur und piekfeiner Adresse an Hamburgs Außenalster wurde, greift tief in die Tasche und kauft das Buch von Frau Lammerting. Über Oertz „Flugschoner“, einen doppelten Doppeldecker und manch’ andere Kuriosität informiert Kramer, der streckenweise leider flusig textet und manche Dublette serviert. Das kann, sollte aber im hübsch gemachten Büchlein mit einem derart interessanten Thema nicht passieren. Dennoch wird es jeder kleine und große Junge wie ich mit Begeisterung lesen.

Klaus Kramer: „Max Oertz. Genie, Yachtkonstrukteur, Aeronaut und Erfinder“, Verlag Klaus Kramer, Schramberg 2001, 74 Seiten