Disruption im Yachtbau

Wie unterschiedliche Vermessungen, neues Bootsbaumaterial und neue Erkenntnisse die Entwicklung der Yacht vorantrieben, ausbremsten, sie unterbrachen oder ihr eine andere Richtung gaben. Ein Blick auf vier Jahrhunderte Yachtkonstruktion.

Man könnte annehmen, dass die Entwicklung der Rennyacht in den vergangenen Jahrhunderten einigermaßen geradlinig zur immer schnelleren Formgebung verlief. Von wegen! Ständig überarbeitete, oder durch andere Reglements ersetzte Yachtvermessungen, neue Erkenntnisse der Strömungslehre, das Segelrevier, regionale Vorlieben und moderne Bootsbaumaterialien prägten die Formgebung. So wurde die Rennyacht eher sprunghaft als kontinuierlich, aus immer neuen Ansätzen heraus entwickelt.

Die Yachtvermessung beispielsweise, jenes Reglement, welches Regattasegeln mit unterschiedlichen Booten überhaupt erst sinnvoll macht, muss man sich wie die Steuergesetzgebung vorstellen. Was profitabel oder schnell ist, wird bestraft und ausgebremst. Allerdings werden, ob bewusst oder unbewusst, Lücken zugelassen. Je schneller diese erkannt und konsequenter sie genutzt sind, desto eher werden sie mit einem präzisierten Reglement, dem Nachtrag zum Steuerparagraphen, geschlossen.

Entsprechend wächst der Aufwand zum Erzielen eines Vorteils bei schwindendem Benefit (günstigeres Handicap oder mehr Segelleistung). Früher oder später ist ein Bootstyp innerhalb der Bauvorschriften auskonstruiert. Spätestens dann wird der Ruf nach einer vereinfachten Steuergesetzgebung (alles auf einem Bierdeckel) oder eben einer neuen Yachtvermessung laut. Sind die neuen Modalitäten erst einmal beschlossen, beginnt das Spiel von vorn.

Produktive Yachtvermessung der Meterklassen

Interessanter als die jeweiligen Bauvorschriften selbst ist die Frage, wie produktiv sie für die Weiterentwicklung der Yacht und den Erkenntnisgewinn innerhalb der komplexen Materie der Yachtarchitektur waren. Der beispielsweise 1906 vereinbarten „International Rule“ verdankt die Seglerwelt ein enges Vermessungskorsett, das nach der zweiten Revision 1933 weit in das 20. Jahrhundert hinein viele segeltechnische Innovationen brachte, bis hin zum weithin bekannten Flügelkiel, mit dem die Australier 1983 vor Newport den America‘s Cup bei genau definierten Wind- und Wellenverhältnissen gewannen. Die so genannten Meterklassen gemäß International Rule sind besonders beim Kreuzen gegen den Wind ein beeindruckend leistungsfähiges Wassersportgerät, dessen seglerischer Rasanz bei küstennahen Regatten bis heute viele nachtrauern.

Fragwürdige Ära der International Offshore Rule

Weniger nachgetrauert wird dagegen der in den 70er und 80er Jahren gültigen „International Offshore Rule“, kurz IOR genannt. Sie nutzt mit ihren konsequent in das Reglement hinein konstruierten ultraleichten Hochsee“jollen“ die Erkenntnisse des Leichtdeplacement Segelns, wonach ein federleichtes, reaktionsschnell durch die Buckelpiste des Meeres gesteuertes Boot sich Welten besser zum Regattasegeln eignet als ein traditionell schweres Bollwerk zur See, wie der eine Weile in Fahrtenseglerkreisen beliebte, ebenfalls skandinavische und im Vergleich zum 30 Quadratmeter Schärenkreuzer etwa zehn mal so schwere Colin Archer.

Die IOR erweist sich während der ausklingenden Wirtschaftswunderära gerade in Deutschland als produktives Reglement, das allerdings breite, auf das Mannschaftsgewicht angewiesene, bei viel Wind schwer zu beherrschende, plattbödig in die Wellentäler schlagende Rümpfe schuf, weshalb die IOR rasch durch neue Reglements abgelöst wurde. Die Vermessung selbst ist Geschichte. Die Erkenntnisse des Bootstyps leben im modernen Yachtbau weiter beispielsweise den breiten Hochsee“jollen“ der Volvo Ocean 70 Füßer. Deren Rumpf ist vom Bug bis zur Bootsmitte keilförmig geformt, von dort zum Heck auf Gleitfahrt abgestimmt.

Im 17. Jahrhundert entdecken die Holländer auf heimischen Gewässern und Kanälen die Vorzüge des Vergnügungssegels als sonntägliches Pläsier. Die fülligen Linien der niederländischen Frachtsegler bieten Laderäume, die sich als Kajüten, Vorratskammern und Mannschaftslogis eignen. Mit seitlich angebrachten Schwertern wird der Tiefgang pfiffig an die Verhältnisse angepasst. Später asymmetrisch profiliert und eine Idee aus der Fahrtrichtung gedreht, bietet das in Lee herunter gelassene Schwert seglerische Vorteile, die auch im 21. Jahrhundert noch bewundert und nachgeahmt werden.

1649 macht der damalige Prince of Wales und spätere König Karl II. im Exil Bekanntschaft mit der holländischen Segeltechnik. Bald segeln König Karl II und sein Bruder, der Herzog von York auf der Themse im Osten Londons um die Wette. Es geht vordergründig um hundert Pfund, doch eigentlich um den eitlen Spaß, die Regatta als erster zu beenden. Aus der holländischen Bummelsegelei mit Kaffee und Kuchen ist eine ernste Angelegenheit, eine Sportart geworden.

Die Themse Tonnage Vermessung

Ein Reglement muss her, damit die Regatten mit unterschiedlichen Yachten Sinn machen. Wie die Boote selbst wird es in der gewerblichen Schifffahrt in Gestalt der Tonnage Vermessung gefunden. Diese dient ursprünglich zur Besteuerung ankommender Schiffe anhand des Gesichtspunkts, wie viele Fässer, damals noch „tuns“ genannt, sich im Schiffsbauch unterbringen ließen. Die lange gültige Themse Tonnage Vermessung lässt aber die Motorisierung der Yacht, seine Besegelung, unberücksichtigt und favorisiert den schmalen, zunehmend beballasteten Bootskörper, beispielsweise von „La Mascotte“ von 1883.

Breit und flach

In der neuen Welt wird dagegen auf die Bootsbreite gesetzt. Gegenüber dem englischen Typ des schlanken Bootskörpers sieht das amerikanische Konzept den Rumpf als eine Art kippsichere Plattform, die möglichst lange viel Segel tragen kann. Eine wegweisende, bis heute in Gestalt so genannt formstabil moderner Boote variierte Idee. Breite Boote bieten eine sichere Schwimmlage, legen sich unter dem Winddruck nicht so schnell auf die Seite und bieten viel Ladekapazität. Anstelle der beidseitig von der Bordwand hängenden Schwerter der holländischen Schiffe halten Catboote den Tiefgang mit einem Schwert in der Mitte variabel.

Anlässlich des 100 Guineen Pokals, einem seglerischen Begleitprogramm zur Londoner Weltausstellung mit einer Regatta im Uhrzeigersinn um die Isle of Wight, düpiert der Zweimaster „America“ die Flotte des Royal Yacht Squadron 1851. Das Erfolgsrezept: Ein cleverer Mix aus Formstabilität, Innenballast, seegangstauglichen Linien, die vielseitige wie handliche Schonertakelage und bessere, mit Abnähern profilierte Segel aus Baumwolle statt Flachs. Seit dieser denkwürdigen Regatta wird um den America’s Cup gerungen.

1891 verabschiedet sich der amerikanische Bootskonstrukteur und Werftinhaber Nathanael Herreshoff mit „Gloriana“ von der herkömmlich langkieligen Yacht. Die filigran schlanke Linienführung mit gerader Kielvorderkante vom Bug bis unter den Mast soll der Drehfreudigkeit zugutekommen und die Wasser benetzte Fläche geringhalten. Reichlich Tiefgang und die Mischbauweise aus Holzplanken über dem stählernen Gerippe der Spanten bringen Segelleistung am Wind. Zusätzlich innen auf die Holzplanken seiner Konstruktionen genietete diagonale Stahlbänder steifen seine Rümpfe aus.

Yachtkonstruktion ist bis weit ins 20. Jahrhundert noch eine intuitive, quasi künstlerisch ausgeübte Tätigkeit. Nathanael Herreshoff beispielsweise entwirft anhand von Halbmodellen, deren Linien bei Gefallen auf Zeichnungen übertragen und gebaut werden. Ob das Boot schnell ist, sieht er erst auf der Regattabahn. Der Schotte George Lennox Watson zieht die empirische Prüfung seiner Ideen anhand von Messreihen vor. Angeregt von William Froudes vertiefter Beschäftigung mit dem Wasserwiderstand zieht er Wachsmodelle seiner Yachten durch den 1882 bei Glasgow in Betrieb genommenen Schlepptank der Denny Werft. Überzeugend wird die deutlich weiter entwickelte Schlepptanktechnologie etwa ein halbes Jahrhundert später am New Yorker Stevens Institute of Technology zur Verteidigung des America’s Cup genutzt.

Die amerikanische Seawanhaka Rule verrechnet die Wasserlinienlänge mit der Segelfläche. Wie mit der insgesamt 61 Meter langen „Reliance“ entstehen Boote mit vergleichsweise kurzer Wasserlinienlänge von 27,4 m der still liegenden Yacht, die sich entlang der über Wasser schwebenden Bug und Heckpartie der fahrenden Yacht verlängert. Mit diesem Kniff wird die Seawanhaka Rule umgangen, denn interessant ist die wirksame Wasserlinie der fahrenden Yacht und weniger die Konstruktionswasserlinie. Leider beendet die extremste Rennyacht der Segelgeschichte die spannende experimentelle Phase der Yachtkonstruktion Ende des 19.Jahrhunderts.

Damals wird der homogene Rumpf von Bootskörper, Kiel und Ruder in seine Funktionen zerlegt und als so genannter „canoe body“, der das Boot schwimmen lässt und die Anhängsel des separaten Kiels und Ruders getrennt. Mit „Dilemma“, „Independance“ oder Puritan“ entstehen großformatige Prototypen der modernen Rennyacht. Das Material, solche Boote stabil und zugleich leicht zu bauen, gibt es eigentlich erst heute. Die Idee, einen Rumpf konsequent in seine Bestandteile zu trennen und sodann den Bootskörper und seine Anhängsel wie Kiel und Ruder jeweils separat auf seine Aufgaben hin zu optimieren, ist heute Standard der Yachtkonstruktion.

Angesichts der yachtbaulichen Exzesse der Seawanhaka Rule entwickelt Nathanael Herreshoff als „Hauptübeltäter“ mit der „Universal Rule“ ein neues Reglement für eine neue, allerdings konservativ schwere und wieder langkielige Bootsklasse. Die europäischen Seglernationen vereinbaren 1906 in London mit der „International Rule“ eine komplexe Formel, die ähnlich wie ihr amerikanisches Pendant mehrere Variabeln der Yachtkonstruktion miteinander verrechnet.

Angesichts der International Rule befürchten Stockholmer Segler die Entwicklung eines schweren, im Bau und Betrieb kostspieligen Bootstyps. Sie gehen mit den 1908 verabredeten Schärenkreuzerklassen einen nationalen Sonderweg, der bald in Skandinavien, im Deutschen Reich, in England und sogar in den Staaten Anhänger findet. Einzig der Antrieb, die Segelgröße wird zunächst vorgeschrieben. Ansonsten bleiben alle erdenklichen Freiheiten zur Entwicklung der schnellstmöglichen Yacht. Sie werden in verschiedenen Klassen von 15 bis 150 Quadratmetern Segelfläche mit zunehmend filigranen Rennbooten derart genutzt, dass die rasante Entwicklung in den zwanziger Jahren mit wiederholt nachgebesserten Vorschriften eingefroren wird.

Seit  Generationen schwören Segler auf den sensiblen Segelgenuss und die Leichtigkeit des Bootstyps. Ende der 40er Jahre demonstriert der englische Leutnant Blondie Hasler an Bord eines 30 Quadratmeter Schärenkreuzers mit seglerischer Kühnheit das bislang unterschätzte Konzept der leichtgewichtigen Rennyacht bei Hochseeregatten. Die von Laurent Giles entworfene „Myth of Malham“ überträgt das Konzept in das Reglement des Royal Ocean Racing Club (RORC) der Nachkriegszeit. Von hier aus ist es nicht mehr weit zu den noch leichter und breiter gebauten Hochseejollen der auch an diese Vermessung anknüpfenden International Rule. Es wird mit neuen, Gewicht sparenden Bauverfahren aus schichtweise verleimten Sperrholz, Aluminium und schließlich Faserverbundwerkstoffen, experimentiert.

Die America’s Cup Boote der 32. Pokalserie vor Valencia treiben die technischen Möglichkeiten 2007 mit ausgereizter Ballastanordnung in einem Bleitorpedo am Ende einer vier Meter langen Stahlklinge, dem Kiel, auf die Spitze. Der Großteil des sichtbaren Bootes, bestehend aus Rumpf und Takelage wiegt einen Bruchteil des 19 Tonnen Kiels. Das Resultat sind faszinierende Am Wind Segelleistungen mit ausgezeichneter Höhe am Wind und hoher Geschwindigkeit.

Steigern lässt sich das mit dem modernen Neigekiel, der das Blei am Ende eines langen Hebelarms hydraulisch unter die Luvseite wuchtet und das Boot wie mit zugeschaltetem Turbolader beschleunigt. Damit segelte die „Ericsson 4“ Ende 2008 ein Etmal (24 Stunden Distanz) von 603 Seemeilen. Das entspricht mit 25 Knoten Durchschnitt dem Tempo einer Schnellfähre. Die Blaupause dazu veröffentlichte Lewis Francis Herreshoff, Sohn des berühmten Nathanael Herreshoff, im Jahr 1946 mit dem Kommentar „It would be the full sensation of sailing, or really tasting the nectar“ in einem Buch.

Da ist es wieder, der amerikanische Konzept des jollenartig flachen und formstabil breiten Rumpfes. Auch das asymmetrische Seitenschwert der uralten holländischen Plattbodenschiffe ist wieder da. Als Steckschwert durch die leewärtige Seite des Rumpfes geschoben verhindert es wirksamer als jeder Kiel das seitliche Abtreiben des Bootes. Schneller geht es nur noch, wenn die Boote das Wasser ganz verlassen. Mit dieser neuen Dimension des Segelns, eigentlich des wassernahen Tiefflugs, beschäftigt man sich derzeit vertieft – übrigens in der Schweiz.