Riva zum Fritten holen

Es ist ein Blick in eine antiquierte wie abgefahrene Welt, den Schaulustige gelegentlich am Scharmützelsee oder demnächst als Besucher der Berliner Messe Boot und Fun in Halle 6.2 auf das letzte Exemplar der Riva Tritone werfen können. Der gewölbte Bootsrand aus maronenbraunem Mahagoni rahmt das Deck mit den Intarsien-gleich eingelassenen Fugen aus honigfarbenem Koto wie ein Passepartout.

Ähnlich einer Kühlerhaube ist das Vorschiff zum Bug und den Seiten hin abgesenkt. So etwas ist aus Holz kaum möglich. Ein starres Bootsdeck kann nicht geformt werden wie das Blech einer Karosserie. Die Fingerkuppen gleiten über das Konzertflügelfinish des aus 17 Schichten bestehenden, abschließend mit Viertausender Papier polierten Lacks. Das Auge folgt den Flanken des raffiniert geschwungenen Bootskörpers. Selbst in der gewundenen Taille, wo der Rumpf der klassischen Riva vom oben ausladenden Bug ins unten breite Heck übergeht, glänzt der Lack gleichmäßig im Licht.

Jeder Besucher kann sich bei der Messe anhand dieses „Flankentests“ selbst ein Bild von der handwerklichen Güte machen. Die makellos glänzende, sprich dellenfreie Oberfläche ist Resultat eines beharrlich über Tage erarbeiteten, vorige Misshandlungen mit der Maschine beseitigenden Handschliffs mit einem flexiblen, anschmiegsamen Schleifbrett. Dieser Aufwand wird heute nur bei großen Luxusyachten getrieben, wo Geld eine untergeordnete Rolle spielt.

Verführerisch glänzen die verchromten Beschläge auf dem Mahagoni. Von der Armierung des Bugs, den seitlichen Scheuerleisten, über Poller und Ösen zum Vertäuen des Bootes, der Sirene in der Form eines Cocktailshakers aus Frank Sinatras Zeiten, bis zum Suchscheinwerfer seitlich neben der Windschutzscheibe ist es windschlüpfrig geformtes Zubehör. Sein linksseitiges Steuerrad ist vom seinerzeitigen Musclecar Chrysler 300 inspiriert. Sehenswert auch die Lufteinlässe für den Motorraum oder das geduckte Gehäuse des Positionslichts am Heck. Dennoch sind die schön gearbeiteten Beschläge kein Schmuck. Bis hin zur Badeleiterhalterung am oben abgerundeten Heck erfüllen sie bloß ansehnlich ihren jeweiligen Zweck.

Zum Fahren zu schade?

Manchmal wird der 53-jährige Eigner Konrad Börries gefragt, ob es nicht „zu schade ist, diese Kostbarkeit in das brackige Wasser zu heben und das Boot zu benutzen“. Denn das elegante Motorboot der Marke Riva, Typ Tritone (deutsch „Meergott“), ist nicht irgendeines der etwa zweitausend noch erhaltenen klassischen Riva Motorboote, wie sie vor einem halben Jahrhundert in Norditalien für hoch- und vermögende Kundschaft entstanden. Sie ist ein ganz besonderes Exemplar.

Diese Riva mit der Baunummer T 258 entstand 1966 als Last Edition für Axel Springer. Sie hieß zunächst „Raimond“, lag eine Weile an der Wannseeinsel Schwanenwerder, bis sie für annähernd zwei Jahrzehnte als „Dodo“ im Harz verschwand. Jetzt heißt sie „Hermes“ und befindet sich nach einer aufwendigen 1 ½ jährigen Restaurierung beim Hamburger Bootsbauer Jürgen Renken in jenem Zustand, wie sie damals nach 36-tägigem Bau für den Transport nach Westberlin aus der Halle der Bootsmanufaktur Riva im norditalienischen Sarnico geschoben wurde. Auch die 1966 für Axel Springer zusätzlich georderten Armaturen auf der Beifahrerseite sind noch da.

Gut möglich, dass Börries die Frage nach der Nutzung des Bootes mit Hinweis auf die sogenannte „Fuel to sound Conversion“ beantwortet. So nennt der 53-Jährige das Anlassen der beiden Chris Craft Achtzylinder. Denn diese Riva ist zwar ein charmantes, hinreißendes Boot, ein Fetisch aus Mahagoni und Chrom, dennoch kein Museumsgegenstand.

Wenn Börries beispielsweise am Scharmützelsee die erste Maschine anwirft melden sich asthmatisch hustend die ersten 4,6 Liter Hubraum. Sie kommen mit dem gutturalen Gebrüll eines Löwen in Gang und lassen mit anarchischer Rotzigkeit den halben Hafen wackeln. Irritiert drehen sich ahnungslose Zuschauer dann nach einer anderen Lärmquelle um, weil sich dieser Krach in der ersten Schrecksekunde kaum der aparten Edelholzklasse aus maronenbraunem Mahagoni mit hellen Intarsien zuordnen lässt.

Nach dem Anlassen der zweiten Maschine ist der Zusammenhang klar, wackelt der ganze Hafen und die Mundwinkel sämtlicher kleinen Jungs sind oben. So muss Wasserspielzeug klingen. Jetzt stehen 370 Pferdestärken aus – god bless America – neun Litern Hubraum zur Verfügung. Rhythmisch grollend werden die beiden Aggregate warm. Mit blubbernden Schalldämpfern verlässt der zweimotorige Schlitten den Liegeplatz. Die Frau oder Freundin jedes Riva-Fahrers trägt den Auftritt mit Fassung. Samstagvormittag im Porsche durch ein hippes Stadtviertel zu gnören ist im Vergleich zum Ablegemanöver einer Riva ein gewöhnliches, blasses Vergnügen.

Man kann sich gut vorstellen, wie gern Peter Tamm, damals die rechte Hand des Verlegers, mit diesem Boot zu vorgerückter Stunde den Liegeplatz auf Schwanenwerder verließ, um bei einer Imbissbude an der Heerstraße mal Fritten oder Currywurst zu holen. Die Waschpo soll bei diesen im Tiefflug auf dem Wannsee erledigten Kurierfahrten das eine oder andere Auge zugedrückt haben. Selbst strenge Ordnungshüter sehen ein, dass kalte Fritten und Wurst nicht schmecken.

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