Meereselefanten mit Motoryachtkomfort

Wie der toskanische Maschinenbauer und Erfinder Fabrio Perini mit komfortablen und entsprechend großen Motorseglern einen eigenen Markt schuf.

Es ist ein eindimensionaler Gesichtspunkt, Schiffe (und deren Eigner) anhand der Mastlänge einzuschätzen. Doch schweift der Blick des Seglers in Hafennähe immer nach oben, zu den Masten. So sieht er gleich wo die dicken Pötte liegen. In Viareggio, dem toskanischen Badeort nordwestlich von Pisa, künden stets mehrere endlos himmelwärts ragende Takelagen von einer Flotte stattlicher Segler. Denn im Zentrum des italienischen Luxusyachtbaues werden die Perini Navi Segler aufgetakelt, gewartet und repariert. Abends künden Großseglerlaternen, wie sie sonst im Topp der „Gorch Fock“ oder „Sea Cloud“ leuchten, von der Masthöhe.

Die Mastlänge ist Ausdruck von Macht und Reichtum, symbolisiert Potenz. Doch von dieser Gigantomanie abgesehen geht es bei Luxusyachten um Platz, Komfort, um Rückzugsmöglichkeiten an und unter Deck. Und damit der voluminöse Meereswohnsitz auch noch passabel segelt, braucht er diese riesige Takelage. So werden einige hundert Tonnen Schiff von vielen hundert Quadratmetern Segelfläche an 40, 50 und neuerdings mehr Metern Mast bewegt. Neulich wurde auf der „Salute“ ein 75 Meter Mast errichtet.

Anfang der achtziger Jahre dachte der norditalienische Fabrikant Fabio Perini über eine komfortable Segelyacht nach. Als Spezialist für Papiermaschinen konnte sich Perini nebenher einer neuen Aufgabe zuwenden, der Entwicklung seines Traumschiffs für schöne Stunden vor der italienischen Küste. Komfortabel, also groß genug sollte es sein, um die Familie, Freunde und auch mal Geschäftspartner mitzunehmen. Perini dachte an eine 40 Meter Yacht.

Da es die Hardware zum Bedienen derart großer Segel durch eine kleine Besatzung damals nicht gab, gründete er ein Ingenieurbüro, Perini Navi. 1984 lief bei einer venezianischen Werft das Traumschiff des Tüftlers vom Stapel, ein eleganter Zweimaster mit kühn geneigtem Bug und traditionellem Yachtheck. Die windschnittigen Aufbauten erinnerten eher an eine Motor- als Segelyacht. Gezeichnet hatte es der auf Regattabahnen ausgewiesene Amerikaner Dick Carter. Das Boot war ein kühner Crossover als alt und neu, amerikanisch groß und mit italienischer Raffinesse gestaltet. Gesegelt wurde das Gefährt aus einem oben offenen Steuerstand mit dahinter angeordneter Polstergarnitur. So ein „unseglerisch“ komfortables Arrangement kannte man von der Flybridge großer Motoryachten. Und wie bei Motoryachten, in Seglerkreisen als „Ginpaläste“ verspottet, saß man abends im Hafen auf dem windgeschützten Achterdeck mit Blick auf die Promenade. Der Laie staunte und die konservative nordeuropäische Segelszene schüttelte sich.

Das  eigentliche Novum aber war der Prototyp einer motorisierten Winde im Schiff, welche das eingeholte Seil einem Baukran um eine Trommel aufwickelt. Mit dieser 350 Kilo schweren, selbst stauenden Winsch im Format einer Kühltruhe war der erste Schritt zur automatisierten Segelyacht mit diskreten Helfern getan. Der Apparat wurde hydraulisch bewegt und pneumatisch gesteuert. Zwar funktionierte die Sache im Prinzip, doch steckte der Teufel im Detail. Denn die selbst stauende Perini Winsch war unregelmäßigem Zug ausgesetzt, von ganz lose, über rucken eines flatternden Segels bis hin zu zerstörerisch großer Last. Sie musste bei verschiedenen Neigungswinkeln des Bootes funktionieren. Auch wurde damals noch mit Drahtschoten gesegelt, einer fingerdicken Ware, wie sie die meisten Segler vom Travellift zum Aus- und Einwassern von Yachten in der Marina kennen. Drittens musste die Perini Winsch fehlbedienungssicher werden. Denn im Unterschied  zum Kranführer drückt der Freizeitsegler spaßeshalber Knöpfe und neigt Joystickhebel in der Annahme, dass alles hält.

Bald ersetzte Perini die gefährlichen Drahtschoten durch angenehmeres Tauwerk aus Kevlar und Spectra. Die Sensoren und Überwachungsmechanismen zur Steuerung des Wickelmechanismus und Abschalten bei den gefürchteten Überläufern (sie können eine Yacht im Sturm gefährden), zum automatischen Stopp bei Fehlbedienung und Überlastung entwickelte Perini Navi rasch selbst. Welche dynamischen Lasten an Bord einer großen Yacht in bewegter See entstehen, lernte die Werft anhand eingebauter Segelfahrtenschreiber.

Ein Tüftler, der die technisch anspruchsvolle Papierverarbeitung auf schnell laufenden Maschinen beherrscht, bekommt auch das semiautomatische Segelmanagement in den Griff. So wurde aus dem privaten Spleen des Fabrikanten, dem Ingenieurbüro, dem Winschprototypen und „Aleta“ nach Beteiligungen bei verschiedenen Bootsbauadressen in den 80er Jahren schließlich jene Werft in Viareggio, wo die großen Pötte heute geradezu in Serie entstehen. Da der Stratege weiß, dass Millionäre ungern warten, finanziert Perini die Rohbauten und damit ein Drittel des gesamten Schiffes einfach vor. So konnte die Werft die Schiffe quasi auf Vorrat schweißen und hatte immer ein oder zwei Kaskos zur Ansicht und Vereinbarung des individuellen Innenausbaues bis zur nächsten Segelsaison in der Halle. Dieses sonst bei Motoryachten mittlerer Größe übliche Kalkül ging für die Perini Werft die vergangenen Jahrzehnte immer auf. Im Nischenmarkt sehr großer Segelyachten ist es einmalig.

1987 gründete Perini im türkischen Tuzla eine Tochter zur Fertigung der Rohbauten (zunächst in Stahl, neuerdings Aluminium), die bis heute am ligurischen Meer zu den Perini Yachten veredelt werden. Skeptiker, die meinen, die türkischen Metallbauer seien als Billigheimer nur zu kruden Erzeugnissen fähig, sind spätestens seit der viel beachteten „Maltese Falcon“ eines besseren belehrt. Dieser 88 Meter lange, über tausend Tonnen schwere Dreimaster mit 2.400 Quadratmetern Tuch an freistehenden Masten entstand der Größe halber komplett in der Türkei. Das Schiff mit dem konzeptionell interessanten, technisch anspruchsvollen Dynarigg (siehe FAS vom 6.8.06, FAZ vom 15.8.06) ließ die Kritiker verstummen.

Denn Skepsis und Spott gegenüber den Perini Navi Yachten war in Seglerkreisen groß. Da berichtete ein namhafter Yachtkonstrukteur Anfang der 90er Jahre erschüttert, die Werft müsste die fertigen Boote in Unkenntnis der Gewichtsverhältnisse erst probehalber in Viareggio zu Wasser lassen werden, damit die Maler wüssten, wo die Wasserlinie anzubringen ist. Ein Kompass Kompensierer verließ einmal in den Staaten Mitte der 90er Jahre erschüttert eine Perini Yacht, weil sie sich angeblich nicht genau geradeaus steuern ließ. Und in der Straße von Gibraltar soll eine schwere Böe einen dieser Panorama-verglasten Meereselefanten mit den Masten fast ganz bis aufs Wasser gedrückt haben, weil die Schotautomaten nicht locker ließen.

Sicher ist, dass Fabio Perini, seine Ingenieure und Yachtbauer binnen drei Jahrzehnten einen respektablen Kurs im Superyachtbau zurück gelegt haben. An die 50 Prozent Marktanteil bei den sehr großen Segelyachten weltweit, Kunden die wiederholt Perini Yachten kaufen, prominente Eigner wie der kalifornische Risikokapitalist Thomas Perkins  („Andromeda la Dea“, gefolgt von „Maltese Falcon“), die Medienkaufleute Rupert Murdoch („Rosehearty“) oder Silvio Berlusconi kaufen keine Gurken.

Für den Genießer, der gern ohne störende Motorengeräusche und lästige Vibrationen mit allem erdenklichen Komfort durch‘s Mittelmeer pflügt, ist eine Perini Yacht richtig. Heute, wo große Motoryachten mit verschwenderischem Treibstoffkonsum nicht mehr zeitgemäß sind, die Branche fieberhaft über umweltverträgliche Antriebe, Rumpfformen bis hin zu cleveren Nutzungsarten der Schiffe nachdenkt, ist der mit reichlich Pferdestärken ausgestattete Perini Motorsegler als ausgereiftes „Hybrid“boot zur Nutzung des kostenlos vorhandenen Windes ausgereift. Die Maschine und Generatoren werden bei Flaute, für Hafenmanöver und zur Stromversorgung gebraucht. Aus den schwerfälligen, für die üblichen Leichtwindbedingungen im Mittelmeer untertakelten Motorseglern wurden zeitgemäß Ketsch- und neuerdings auch einmastig getakelte Blauwasseryachten.

Und wie segelt sich so etwas? Also, es ist ein abstraktes Vergnügen, auf der Flybridge hinter dem Steuerpult mit den Joysticks einige Meter über dem Wasser durch das ligurische Meer zu pflügen. Wie bei der Modelleisenbahn braucht der Besucher eine Weile zum Verständnis, dass hier keinesfalls per Hand einzugreifen, alles per Fernbedienung in die Wege zu leiten ist, und zwar nicht bloß beim Bugstrahlruder, wie es ja heute schon normalgroße Yachten haben. Den gesamte Segeltrimm wird ziemlich weit vorn und oben leise surrend ausgeführt. Eine aktuelle 56 Meter Perini Ketsch ist mit einem Dutzend selbststauender Winschautomaten, fünf herkömmlichen unter Deck versteckten Motorwinschen, zwei an Deck sichtbaren und zwei Winschen zum Vertäuen des Hecks unterwegs.

Natürlich ist wie beim veritablen Dampfer mit mehrerer hundert Tonnen unter den Füßen ein gewisser Kümoeffekt nicht kleinzureden. Wer wie gewohnt sportlich segeln und dabei mal nass werden möchte, kann ja ein flottes kleines Wassersportgerät auf dem geräumigen Meereszweitwohnsitz mitnehmen. Oder er steuert die windreiche Costa Smeralda  an. Da ist der Eigner bei der Regatta der Perini Navi Yachten mit einer stattlichen Flotte Meereselefanten unter seinesgleichen und es gibt am späten Nachmittag im Hafen Gelegenheit für diesen zugegeben etwas eindimensionalen Mastlängenvergleich.

Da begegnet man auch Fabio Perini, einen leise redenden, gelassenen Selfmademan, der es gewohnt ist, heute die Entscheidungen für Übermorgen zu treffen, weil die für Morgen schon getroffen sind. Neulich ließ die Werft die 50. Perini Yacht in Viareggio vom Stapel. Demnächst werden die endlos langen Masten mit den Großseglerlaternen im Top errichtet.

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