Der segelnde Impressionist

Der segelnde Impressionist

Es gibt zwei Möglichkeiten sich mit Segeln zu beschäftigen. Man kann seine kostbare Freizeit mit einem Ersatz, dem Traum vom großen Boot und dessen Instandhaltung vertrödeln. Oder man baut sich eins in der passenden Größe und legt einfach ab. Auf der Alster, Elbe, der Kieler oder Flensburger Förde beispielsweise, auf dem Ratzeburger See oder dem Golf von Saint Tropez.

Hinnerk Bodendieck und Kronprinzessin Ute

Die Sache mit dem Bau hat der Hamburger Grafiker, Illustrator und Maler Hinnerk Bodendieck auf naheliegende Weise gelöst. Weil Garagen, Schuppen oder Zelte im Winter dunkel, zugig und unnötig teuer sind, baute er das Boot in der Wohnung seiner Eltern, was auch für Bodendiecks Eltern Vorteile hatte: Sie wussten, was ihr Junge in der Freizeit so macht. Der Hobby-Bootsbauer hatte es warm, was auch dem Anrühren und Verarbeitung, dem Trocknen und Aushärten der verarbeiteten Kleber, Harze und Lacke zugute kam. Er hatte gescheites Licht. Außerdem gab es zwischendurch dank kurzer Wege zur Pantry mal einen Tee und was zu essen.

Wer den Bootsnamen „Kronprinzessin Ute“ mit Hinweis auf den Heimathafen „Blankenese“ – angebracht in goldenen Lettern – für kapriziös hält, sollte wissen: Es handelt es sich erstens um einen Zweimaster. Zweitens die Nachahmung eines Beibootes zum artgerechten Übersetzen von Kapitänen oder (mindestens) Kommandanten. Drittens ist der Bootsname ein Dank an Bodendiecks Mutter.

Die Gig ist ein leichtes, geklinkertes Ruderbeiboot mit Hilfsbesegelung, also das klassische Gefährt zur Fortbewegung auf dem Wasser mit umweltfreundlichem Hybridantrieb. Dabei ist die Inanspruchnahme des Windes beliebter. Rudern ist unnötig anstrengend und gibt Schwielen an den Händen. Als Bodendieck die Handhabung der Jolle auf allen möglichen Gewässern geübt hatte, wollte er mal nach Saint Tropez. Da muß jeder Segler mal hin. Natürlich nicht irgendwann im Sommer. Da kommt außer obszön reichen amerikanischen Millionären oder russischen Oligarchen fast jeder rein.

Der beste Weg zu den Voiles de Saint Tropez

Bodendiek wollte in der ersten Oktoberwoche zum Klassiker gucken zu den Voiles de Saint Tropez. Diesmal kam statt seinem Vater Bodendiecks treuer Matrose Fiete Girardet mit. Die beiden packten die Jolle auf den Hänger und putzten die 1.600 Kilometer bis Port Grimaud in einer Sitzung weg. Das Gefährt war flott eingewassert, aufgetakelt und eingeräumt. Denn der einzig wahre Weg zum Vieux Port von Saint Tropez, diesem Concours des verfeinerten maritimen Geschmacks, zum Gral klassischer Yachten geht nur auf eigenem Kiel und angemessen besegelt.

Eigentlich kommt man während der Segelwoche nur nach Anmeldung in den Vieux Port, sofern man ein unverbaut klassisches Boot hat oder ein modernes, wo Wally drauf steht. Denn der Hafen ist dann eine geschlossene Gesellschaft. Die 16 Fuß Jolle, deren Name und Heimat in goldenen Lettern auf dem schwarzen obersten Plankengang angebracht ist, steuerte unbehelligt von Pfiffen, Platzverweisen und bulligen Türstehern zwischen der langen Mole und der vorgelagerten Marina, wo das moderne Vollplastik Kroppzeug ganzjährig Seepocken ansetzt, die Arena des alten Hafens an.

Sogar die Passage der Capitainerie im dicken Turm gelang. Kein wildes Gefuchtel, kein Schlauchboot preschte heran. Bodendieck drehte mitten in der Arena vor den kühnen Vorsteven und Klüverbäumen mit einem Aufschießer in den Wind. Der drei Quadratmeter Klüver und das handliche Luggersegel wurde geborgen und der praktische Besan weggepackt. Fiete legte sich in die Riemen. In der nordöstlichen Ecke des Hafens fand sich vor der Mole Jean Révelle zwischen den Fischer- und Beibooten ein Spalt zum anlegen.

Natürlich war Bodendieck nicht allein der kühnen Hafenansteuerung und wunderbaren Boote halber gekommen, die sich hier zum stilvollen Saisonabschluß versammeln. Er holte seine Farben heraus und fing an. Am einstigen Umschlagplatz für Wein, Kork, Fisch oder Nüsse war der segelnde Maler genau am richtigen Ort. In Saint Tropez griffen Ende des 19. Jahrhunderts die Pointillisten zum Pinsel, rückten Impressionisten die Staffelei zurecht. Bald sprach sich der Charme des Ortes herum. Saint Tropez wurde zum Lebenskünstlerdorf. Genau der richtige Ort für ein Boote bauendes, malendes und segelndes Gesamtkunstwerk wie Bodendieck.

Der Odeur von Saint Tropez

Nirgendwo mischt sich die Pestilenz schlecht verbrannten Diesels aus kalten Motoren mit sündteurem Parfüm besser als Anfang Oktober in der Arena pastellfarbener Häuser des Vieux Port. Hier riecht es schon länger nicht mehr „nach Teer, Salz und Sardinen“, wie der notorisch mürrische Guy de Maupassant 1887 von einem Besuch notierte.

Bodendieck malt inspiriert vom Schweden Anders Zorn, dem Franzosen John Singer Sargent oder dem Spanier Joaquin Sorolla in der Tradition des Spätimpressionismus, als begeisterter Segler mit Einschänkungen auch angeregt vom deutschen Marinemaler Hans Bohrdt. Er nennt bewundernd Carl Becker, Robert Schmidt-Hamburg, Friedrich Kallmorgen und Emil Nolde als Vorbilder. Er begeistert sich für die „verstörend unechten Seestücke“ Manets oder den malenden Seemann, Journalisten und Reisemaler Albert Brenét. Damit sitzt Bodendieck zwischen gleich mehreren Stühlen. Denn die gegenständliche, traditionell inspirierte Malerei gilt als passé.

Haben Sie noch Sex?

Aber solche Rubrizierungen und Trends sind dem jovialen Endvierziger ziemlich schnuppe. Bodendieck, der übrigens einen vollen Saal ziemlich gut unterhalten kann, begann mal einen Vortrag vor der versammelten Holzwürmerszene mit der irritierenden Frage: „Haben sie noch Sex oder segeln sie schon Klassiker?“

Das gewagte Intro stieß als Variante des weithin bekannten Golferwitz manchem Blazer- und Schiffermützenträger übel auf. Es war schneidend still und interessant zu erleben, mit welcher Nonchalance Bodendieck rhetorisch die Kurve von diesem Glatteis kriegte. Natürlich hat Bodendieck in Saint Tropez nicht nur gemalt. Als Klassiker Liebhaber hat er natürlich Schiffe geguckt. Angesichts der Schönheit und Vielfalt im Vieux Port versammelter Kostbarkeiten kann man in der ersten Oktoberwoche in Saint Tropez verrückt werden.

Liebe zum Metier

Bodendieck hat ein beeindruckend kritisches Auge für Yachten. Er kann bei manchem als Replik daher kommenden Neubau genau erklären, was nicht stimmt. Tja und zwischendurch ging Bodendieck natürlich segeln. Mal solo, mal mit Matrose Fietje. Mit so einem handlichen Boot ist das Ablegen und Auftakeln kein Akt. Es ist ein Vergnügen in der beinahe vergessenen Leichtigkeit des Jollensegelns.

Außerdem ist es wunderbar Nautiquitäten wie dem markanten Gaffelkutter „Marigold“ oder der charmanten Fahrtenketsch „Yali“ draußen auf dem Wasser zu begegnen. Im Zeitalter der Digitalfotografie, wo nachbearbeitete Bilder immer perfekter, farbenfroher, leider auch zunehmend glatt, beliebig und austauschbar werden, ist Bodendiecks Liebe zur Meteir, sind sein Blick und Talent sehenswert.

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