Das Buch zur Pause

Ein Gespräch über Risiken und Nebenwirkungen der in Dänemark häufigen Namenskombination Linda Hansen. Von Erdmann Braschos

Frau Hansen, Ihren Namen tragen in Dänemark Abertausende von Frauen. Stört Sie das?

Manchmal gibt es komische Bemerkungen. Oder die Anregung, ich solle mir endlich einen Künstlernamen zulegen.

Und, haben Sie einen?

Nein. Ich habe stattdessen die Linda Hansens in meinem Land fotografiert.

Ärgern Sie sich so über ihren Namen?

Es war eigentlich alles okay, bis die Kuratorin einer Ausstellung vor einigen Jahren meinte, als Linda Hansen könne ich in meinem Job kaum erfolgreich sein.

Elf Buchstaben, bloß die falschen. Wären 13, wie zum Beispiel die von Pipilotti Rist besser?

Was macht denn die Frau?

Videogeschichten, die keiner versteht. Den Namen hab’ ich mir immerhin gemerkt.

Bis zur Bemerkung der Kuratorin hatte ich meinen Namen nicht für eine Behinderung gehalten.

Wieviele Linda Hansens gibt’s denn in Dänemark?

Es gibt rund 250.000 Leute namens Hansen. 20.000 Frauen heißen Linda mit Vornamen.

Bei fünf Millionen Einwohnern…

… heißen 530 Linda Hansen, haben allerdings noch einen Mittelnamen. Ich konzentrierte mich bei den Porträts auf jene 80-100, die exakt wie ich heißen, also die echten Linda Hansens.

Von den Echten haben Sie dann 28 mit 44 Fotos portraitiert, ohne Bildzeilen. Mutig.

Was ist daran mutig?

Heute wird alles betextet, angedacht bis vorgekaut serviert. Es darf nichts für sich sprechen.

Ich möchte, daß man sich die Fotos unbeeinflußt von nebensächlichen Informationen wie Adresse, Alter, Beruf ansieht.

Wird uns das Hingucken und Nachdenken genommen?

Wie oft wird die Wahrnehmung durch Bildzeilen auf die falsche Fährte gelockt! Es geht mir um Vorurteile, die schnell getroffenen Entscheidungen und Zuordnungen, die wir jeden Tag je nach Aussehen, Wohnlage oder Namen treffen. Wenn ich zum Beispiel telefoniere und meinen Namen nenne, gibt es oft diese kleine Pause.

Was passiert da?

Hansen ist der zweithäufigste Familienname in Dänemark. Zusammen mit bestimmten Vornamen wie Linda klingt er etwas gewöhnlich. Früher hätte man gesagt: Working class.

Ist doch nicht übel, heute zur berufstätigen Bevölkerung zu zählen.

Natürlich, nur wissen Sie schon, was gemeint ist.

Die Pause.

Ja, die Pause und das Grinsen. Sie sehen es durchs Telefon.

Um diese kleine Pause geht es in ihrem Buch?

Genau, um den Augenblick, wo sich der Vor- und Nachname zum Klischee verdichtet.

Hätten Sie nicht auf Porträts, die das Klischee so derb bestätigen, in Ihrem Buch verzichten können?

Ich mache kein Marketing. Ich bin Fotografin.

Gucken Ihre Linda Hansens deshalb selbstbewußt und stolz in die Kamera?

Ich begann vorsichtig, mit einem Brief, faßte nach zwei Wochen telefonisch nach. Es war mir wichtig, daß das Linda Hansen Projekt nicht für Ulk gehalten wird.

Haben sie Absagen bekommen?

Ja, drei oder vier.

Ulkig ist ihr Buch dennoch, die Bildauswahl keß.

Es ist mir ernst. Bei den Porträts geht es um Vorurteile, die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen. Wir nutzen wenige vordergründige Informationen, um jemand einzuschätzen. Name, Adresse, Beruf, Klamotten, Auto – schon geht die ganze Chose los. Wir urteilen blitzartig. Deshalb war es mir wichtig, die Linda Hansens  möglichst ehrlich zu porträtieren.

Ich wollte in die Augen sehen, das Gesicht, den Körper zeigen, weniger das jeweilige Milieu abbilden. Ich fotografierte jede Frau mehrmals. Oft verbrachten wir einen ganzen Tag zusammen. Ich wollte hinter die übliche aufgesetzt reservierte Freundlichkeit, diese „ich bin gut drauf“ Maske gelangen.

Wie geht das?

Wir haben geredet, so von Linda zu Linda. Oft sind wir rasch zu  persönlichen Themen gekommen. Wir Frauen sind verletzlich. Das wollte ich auch zeigen.

Interessant ist die Haltung der Hände. Was macht der fotografierte Mensch mit seinen Händen?

Er hält sich, oder die Kinder fest. Er legt die Hände ab, verknotet sie oder läßt sie hängen. Manche Linda hat ja auch einen Hund, da haben die Hände etwas zu tun.

Linda Hansen: Linda Hansen. Multivers APS Forlag, Kopenhagen, 96 Seiten, gebunden, DKK 248, ISBN 87-7917-056-0. Zur Artikelübersicht