Günther Henze

Es ist manchem Segler von der Waterkant oder süddeutscher Gewässer weniger bekannt, dass man in Nordrhein-Westfalen schön segeln kann. Es gibt dort landschaftlich herrliche, wenn auch vom Wind unterschiedlich begünstigte Stauseen wie den Baldeney- oder Biggesee, die Sorpe- oder beispielsweise Rurtalsperre. Der Möhnesee im Sauerland beispielsweise hat 1.200 Liegeplätze, verteilt auf 14 Clubs.

Wo es so viele Boote gibt, braucht es auch eine Serviceadresse wie die Henze Werft für all die Variantas, Sprintas und Sprinta Sports, Delantas oder Optimas, weshalb Henze fast drei Jahrzehnte Dehler Vertragswerkstatt, war. Auch den Freunden des beliebten Zweimann Kielboots Dyas ist der Betrieb von Günther Henze ein Begriff. „Von 1972 bis ‘87 habe ich etwa vierhundert Dyas verkauft, in den besten Jahren um die hundert jährlich“ erinnert der 64-jährige stolz im Büro bei einer Tasse Kaffee mit Trockenmilch. Ab und zu kommt die Sekretärin mit einer Frage zur Verbuchung von Rechnungen rein, ansonsten ist es nebenan Mitte März im Empfang und Seglerladen für den üblichen Kleinkram ruhig. An den Wänden hängen Bilder von Einzelbauten für das Mittelmeer, Barkassen und Schnellfähren, die offensichtlich nicht an der Möhnetalsperre zum Einsatz kommen. Die baut Henze nämlich auch, doch dazu später mehr.

Eigentlich ist Henze Bremer und ein Bootsbauer der alten Schule. „Ich habe bei Burmester gelernt, als Lehrling aber hauptsächlich die Fertigung von formverleimten Minensuchbooten erlebt. Eine Yacht wie die 11 KR Yawl „Heike“ für Heinz Glahr war auch dabei, erinnert der sportliche Senior, der sogar noch auf dem legendären Burmester Zwölfer „Ashanti III“ segelte, bis das Schiff vor seinen Augen explodierte, ausbrannte und bis zur Deckskante sank. „Wir wollten gerade mit unseren Segelsachen an Bord gehen, als es passierte“ erinnert Henze, der nach seiner Ausbildung drei Jahre als Bootsmann auf dem Burmester Schoner „Ashanti IV“ arbeitete. „Da habe ich Theodor Heuss und Heinrich Lübke kennengelernt.“

Im Frühjahr 1969 ergab sich Gelegenheit zur Übernahme der Bootswerft Schmelz gleich beim Yachtclub Möhnesee, wo „damals so dreißig Hansajollen und einige Piraten lagen“ erinnert Henze seinen Umzug ins Binnenland. Immerhin konnte er zunächst bei seinem Fach, dem klassischen Bootsbau und dem ihm vertrauten Material Holz bleiben. Während der guten Wirtschaftswunderjahre gab Henze dann richtig Gas. So wurden die Räumlichkeiten bald zu klein, weshalb Henze den Betrieb nach Westrich, ein Dorf in der Nähe verlegte. 1981 zog Henze in ein neues Gebäude nach Körbecke wieder näher am See um. Damals ging die von der Fritzmeier Werft in Bruckmühl bei Rosenheim im seinerzeit wegweisenden Depotschaum Verfahren gefertigte Dyas noch weg wie warme Semmeln und Henze beschäftigte in Spitzenzeiten 15 Mitarbeiter.

Anlässlich der „Ultima Ratio“, eines zweirümpfigen 20 x 6 Meter großen Motorboots, eröffnete Günther Henze im ehemaligen Gebäude der Rickmers Werft in Bremerhafen, der heutigen Boot Bremerhafen, eine Zweigstelle für den Bau großer Objekte, wo auch die Schnellfähren „Nordblitz“ (25 m) und die 16 Meter lange „Rheinjet“ entstanden. Bemerkenswert bei der „Ultima Ratio“ ist die fortschrittliche Bauweise aus Epoydharz imprägnierten Karbongelegen (Prepreg) über einem besonders leichten Kern aus Waben (Honeycomb). Leider führte die „Rheinjet“ zur Schließung der Dependance in Henzes Heimat. „Wir hatten die vorgeschriebenen Schall Grenzwerte geringfügig überschritten und ich habe den Eindruck, der Kunde nutzte dies, um das Boot nicht abnehmen zu müssen, weil er gerade nicht liquide war“ erklärt Henze das Aus für die Niederlassung an der Küste. Der Betrieb existiert übrigens heute noch und was er kann, bewies Frank Kamlade mit dem Bau eines ziemlich großen Expeditionsschiffes für private Rechnung. Das 50 m Boot war in den 90er Jahren vorübergehend eines der größten Faserverbundteile.

Seegehende Boote bauen Günther Henze und sein 40-jähriger Sohn Sven übrigens nach wie vor. Im Auftrag des Bauunternehmens Bilfinger & Berger komplettieren die Henzes an der Bremerhafener Adresse neun und 12 m große 40 Knoten Barkassen für Wasserbaustellen in Afrika. Wir wassern die Boote dann in Bremerhafen ein und nutzen die Überführung Weser aufwärts zur Verladung nach Übersee gleich als Probe- und Abnahmefahrt. Bald ist das erste Dutzend dieser Henzeschen Schnellboote komplett.

Mitte bis Ende der 90er Jahre fertigte Henze zwanzig 6 m Kajütboote vom Typ Unna 20, 45 Exemplare der einen Meter längeren Unna 24 und schließlich sieben Unna 31 füi db-Yachtbau. Damals begann Henze auch mit dem Relaunch der Dyas mit GfK-Rumpf anstelle der herkömmlichen Sandwichbauweise, deren Schaum bei vielen Booten Wasser gezogen hatte. Seit Mitte der 80er Jahre machte der Betrieb auch mit Einzelbauten von sich reden. Zwanzig Boote vom 7,30 m Vierteltonner „Hardware“ bis zum zwanzig Meter Retroschlitten von Andre Hoeks Konstruktionsbüro entstanden bislang am Möhnesee, meist in Holz-Epoxydbauweise.In den 80er Jahren erschien ein besonderer Kunde bei Henze auf dem Düsseldorfer Messestand. „Er sah nicht direkt wie der typische Segler aus, eher wie ein Rocker, mit Lederkluft und so. Wir redeten eine Weile, aber das macht man während einer Messe ja ständig. Ehrlich gesagt nahm ich den Mann nicht ganz ernst.“ Das änderte sich schlagartig, als Hein Gericke meinte: So, jetzt schreiben sie mal auf, was das Folkeboot kostet. Der weithin bekannte Händler für Motorradbekleidung und Zubehör kleckerte nicht, er bestellte, was ein Folkeboot gut und begehrenswert macht. Gericke segelte es eine Weile, dann war er reif für einen knapp 13 Meter langen Liberarenner, einen Entwurf, von dem es im wesentlichen ein Foto gab. Die Henzes bauten Gerike das Boot, dem bald die 14 m lange „Speedware“, eine Heinemann Konstruktion folgte.

Das Boot kam im Mittelmeer so gut an, dass es bald verschwand und wie wieder gesehen wurde. Gericke brauchte ein neues Boot und ließ die Henzes die knapp 16 Meter lange „Speedair“ bauen, einen Einzelbau im Stil der 90er Jahre mit Panorama verglastem Aufbau und außen um den Aufbau geführten Dachspanten anstelle der üblichen innen im Deckshaus untergebrachten Versteifungen. Dieses Boot wurde Gericke zwar nicht in Ibiza entwendet, doch war der passionierte Segler bald reif für ein neues, etwas größeres Boot, die „Cheliacarocca“. Den Namen verdankt die Andre Hoek Konstruktion den Initialen von Gericke vier Töchtern.

Der elegante Flushdecker mit dem niedrigen Deckshaus, ansehnlichem Löffelbug und klassischem Yachtheck verdrängt ganze 18 Tonnen. Da der L-Kiel erst nachträglich mit dem Rumpf verbolzt wurde und das Karbonruder ebenfalls erst am Schluß in die Ruderlager geschoben wurde, war der Bau des 4,20 m breiten Bootes formverleimt in ziemlich tiefen Binnenland im Industriegebiet zwischen Möhnesee und Soest möglich. Das Schiff entstand im wesentlichen unter der Projektleitung von junior Sven Henze, der auch in punkto Ausbildung seinem Vater folgend das Handwerk bei einer angesehenen Bremischen Adresse lernte, bei Abeking & Rasmmussen. Die vielbeachtete „Hetairos“ bekam Henze junior nicht mit, er genoss aber die breite Ausbildung mit vielen Materialien.

Seit Anfang des Jahres steht Gerickes 2002 übernommene „Cheliacaroca“ wieder in der Halle der Henze Werft, Kiel und Ruder liegen vor der Tür. „Gericke wollte, dass ich nach Ibiza fahre und das Schiff für ihn transportfertig mache.“ Es gibt keinen größeren Vertrauensbeweis eines Eigners in die Werft seiner Wahl. Bekanntlich enden viele Beziehungen zwischen Kunden und Werft mit der Übernahme des Bootes, sei es, weil der Eigner nicht mit der gelieferten Qualität zufrieden ist, oder die Werft nicht bezahlt bekam, was sie zum wirtschaftlichen Ausübung ihres Handwerks braucht. Nach acht Jahren in der südlichen Sonne wird das Boot generalüberholt. Ob Gericke das Boot behält oder neu baut, ist noch nicht heraus. Derzeit wird das Boot für 890.000 Euro bei Hoek Brokerage angeboten.

Bemerkenswert ist die handwerklich perfekte Illusion eines traditionell geplankten Rumpfes. Die äußerste Lage des formverleimten Bootes wurde mit der Anmutung herkömmlich angeordneter Plankengänge und –stöße aufgebracht. Sogar einen farblich klar abgesetzten Heckbalken und Vorsteven im Eichenlook gibt es. Alles ist sauber, fugenlos zusammengefügt. Ein herzerwärmendes Finish, das Schwärmen lässt. 

 Das überzeugend seglerisch, nämlich funktional und einfach mit wenigen Winschen, technisch Zweckmäßigste und ohne bei bei großen Yachten üblichen Gadgets ausgestattete Schiff folgt Gerickes Philosophie, dass entbehrliches und folglich weggelassenes Equipment nichts wiegt, nichts kostet und auch keine Folgekosten hinsichtlich Reparaturen und entgangener Segelzeit nach sich zieht.

Obwohl Sven Henze kein Freund markiger Worte ist, zeigt er das Henze Flaggschiff mit gewissem Stolz. Von der handwerklichen Qualität des Henzeschen Holzbootsbaues kann man sich übrigens im Vorschiff anhand der beiden nachträglich auf ausdrücklichen Wunsch des Germanischen Lloyd eingebauten Rahmenspanten überzeugen. Die ungewöhnlich innen über die Stringer geführten Versteifungen sind formschön gearbeitet und eine Zierde der Kajüte.

 Stolz zeigt Henze auch das nebenan in der Halle stehende, erstmals selbst in Mahagoni mit Teakdeck ausgebaute Folkeboot. Die GfK Schale wurde mit Kiel und Ruder von der dänischen Folkebootcentrale bezogen. Dank des Henzeschen Ausbaues und liebevoller wie durchdachter Detaillierung kommt es wertig daher. Die elegant geschwungene Sitzbank für den Steuermann lässt sich unter das Achterdeck schieben. Die Schubladen (eine sogar mit Anzünder für die Zigarette nach dem Segeln) schmiegen sich seitlich zwischen Achterdeck und Bank. An den Sitz und Ausreitkomfort der Vorschoter auf der hohen Kante wurde mit ergonomisch ausgeführter Sülloberkante gedacht, und zwar in einer um mehrere Achsen gewundenen, entsprechend aufwändig zu tischlernden Teakleiste und abgewinkelter Fußleiste. Ein Tribut an das leibliche Wohl sind diskret in die Plicht integrierte Dosenhalter. Und weil Sven Henze keine passenden Decksorganizer für die Umlenkung der Trimmleinen vom Mast über das Kajütdach zur Plicht in den Katalogen der Bootsausrüster fand, baute er die Dinger selbst mit Karbonrahmen. Und das bei einer Klasse, wo Holzmasten vorgeschrieben sind. „So anspruchsvolle Faserverbundteile finde ich interessant“ meint der Junior, der den Betrieb nächstes Jahr übernehmen wird.

Ob der Einstieg ins Folkeboot gelingt, bleibt angesichts der maladen wirtschaftlichen Großwetterlage abzuwarten. „Derzeit werden keine neuen Folkeboote und Dyas gebaut.“ So machen die beiden Henzes derzeit lange Gesichter. Es gibt keine Neubauten. Und beim beliebten Zweimannkielboot gibt es noch ein ganz anderes Problem. „Die Dinger gehen ja nicht kaputt“ meint Henze. Dabei ist die neue, im Jahr 2000 gemeinsam mit einem Polnischen Lieferanten für den Gfk Bau weiterentwickelte Henze-Dyas ein reizvolles Schiff. „Wir haben die Aluleiste an der Rumpf-Decksverbindung weggelassen und eine andere übergangslose und formschöne Lösung gefunden. So kommt das Schiff leichter daher“ meint Günther Henze. Lange herumgefuchst wurde an der geschwungenen Travellerkonsole mit beidseitig 2 x 7-fach ausgeführten Trimmklaviatur. Dort kann sogar während des Segelns die Mastkurve anhand der Unterwantspannung variiert werden. Auch über das Dyas Dauerthema, die Größe und Formgebung der Spinnakertrompete, haben sich die Henze gebeugt. Sie bauen die Trompete mit besonders großen, nach innen grefenden Radien, damit das Nylon beim Setzen rasch durch das Deck schlüpft.

64 Dyas wurden seit Ende der 90er gebaut, anfangs gut zehn Boote jährlich. Derzeit ist der Markt tot. „So eine Krise habe ich noch nicht erlebt“ berichtet der alte Hase des Bootsbaugeschäfts, das derzeit mit auf sieben Mann reduzierter Mannschaft und dem üblichen Service- und Winterjobs aufrecht erhalten wird. Ein Teil der Halle ist an eine Autowerkstatt vermietet. Doch sind die Henzes für die Zukunft gut aufgestellt.

Eine große Fertigungstiefe vom Metall-, über den Modellbau, Vielseitigkeit im Umgang mit Holz und Faserverbundmaterialien bis hin zur langjährigen Erfahrung in der Zusammenarbeit mit anderen Werftpartnern macht Henze wie gehabt zur interessanten Adresse. Man muss für einen Einzelbau nach eigenen, speziellen Vorstellung nicht ins Ausland gehen, mit all den kaufmännischen wie juristischen Unwägbarkeiten. Man kann sein Boot auch quasi vor der Tür, eine Autostunde von Dortmund, selbst neu erfinden. „Als wir die Cheliacarocca“ gebaut haben, war Gericke ziemlich oft hier.“ Abgesehen vom Segeln gibt es bekanntlich nichts schöneres, als ab und zu mal bei seiner Bootsbaustelle nach dem Rechten zu sehen.

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