Daysailer
Wer wenig Zeit hat und nur ab und zu für ein paar Stunden aufs Wasser möchte, für den sind sie genau richtig: Daysailer versprechen großes Vergnügen mit wenig Aufwand.
Sieht man sich in den Buchten, Segelvereinen und Häfen unserer Gewässer um, wo selbst an schönen Sonn- und Feiertagen eine riesige Flotte von Freizeitbooten unbenutzt unter der Plane an den Bojen oder Stegen schlummert, entsteht der Eindruck, Boote würden ähnlich wie Heimtrainer als Versprechen eines anderen, aktiven Lebens gekauft, das nicht eingelöst wird.
In einem großen Yachthafen wurde einmal über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet, dass die dort vertäuten Boote im wesentlichen zwei Mal in der Segelsaison, nämlich im Frühjahr aus dem Winterlager an den Steg und im Herbst wieder zurück an Land bewegt werden.
Liegt das an der Überalterung der Klientel, lassen wirtschaftliche Entwicklung und ökonomischer Druck jüngeren Bootseignern keine Freizeit mehr? Vielleicht erschöpft sich das Glück des Eigners nach dem Motto „mein Haus, mein Auto, mein Boot“ auch in der Repräsentation.
Oder liegt es am Boot selbst? Bereits das zehn Meter lange Kajütboot heutiger Machart bietet als schwimmendes Wochenendhaus vier Kojen, Salon, Pantry, Toilettenraum, Einbaumaschine und Stehhöhe in allen Kabinen. Das Einsteigermodell der Großserienhersteller wiegt Werftangaben zufolge etwas mehr als fünf Tonnen und ist mit etwa 50 Quadratmetern besegelt.
Auf dem hochbordigen Gefährt findet der Segler keine Nähe zum Wasser. Er hat sich von dem entfernt, was er eigentlich sucht. Ein führender Bootskonstrukteur bemerkte einmal: „Ganz gleich, ob wir vom kleinen Kabinenkreuzer oder einem hochseetauglichen Renner reden – von wenigen Ausnahmen abgesehen sind alle Segelboote Daysailer. Auch mit der 25-Meter-Yacht wird Sonntag nach dem Frühstück abgelegt und am Nachmittag zurückgekehrt.“
Höchste Zeit also, sich auf einen uralten Bootstyp zu besinnen, den es schon seit der Kaiserzeit gibt. Damals wurde er Nachmittagsboot genannt. Heute, da das Lifestyle-Thema Segeln ohne Anglizismen nicht mehr auskommt, heißt es natürlich Daysailer. Bei diesem Gefährt handelte es sich um ein etwa neun Meter langes, offenes Kielboot ohne Unterschlupf, Spritzkappe oder Kajüte – ein Gefährt für schöne Segelstunden.
Flott zur Sache kommen
Man kam flott zur Sache. Der Aufwand – das Auf- und Abdecken des Bootes, das Auf- und Abtakeln – stand in einem gesunden Verhältnis zu den Stunden auf dem Wasser. Und wer dann noch das Glück hatte, in der Nähe des Liegeplatzes zu arbeiten und zu wohnen, legte an schönen Sommertagen sogar unter der Woche mal ab.
Kein Wunder, dass sich seit einigen Jahren mancher Konstrukteur und Bootsbauer auf dieses Konzept besinnt. Von einem Trend zu sprechen wäre zu früh, weil die Stückzahlen der Daysailer im Vergleich zur Konfektion der Großserienwerften verschwindend klein sind. Es ist eher eine Art Gegenströmung zu den heute üblicherweise angebotenen schwimmenden Alleskönnern.
Solche Boote werden meist von Individualisten gekauft, die sich für die Essenz des Segelns interessieren. Sie wissen, dass ihnen der Alltag, ganz gleich, wie schön oder verregnet der Sommer ist, wenige Gelegenheiten lässt. Entsprechend kostbar sind die Stunden auf dem Wasser.
Ein Boot, das bereits bei sanfter Brise segelt und bei zunehmendem Wind überzeugt, muss leicht und mit gescheitem Ballastanteil unterwegs sein. Das geht nur, wenn Einbauten wie Kojen, Polstergarnitur im Salon, WC, Dusche, Kochgelegenheit, Tanks und Batterien weggelassen oder auf das Allernötigste reduziert werden. Neben dieser konzeptionellen Klarheit trägt eine anspruchsvolle, gewichtsparende Bauweise zur Agilität auf dem Wasser bei.
Mitte der neunziger Jahre etwa ließ sich der italienische Industrielle Giovanni Agnelli nach einer Enttäuschung mit einer größeren Yacht einen 29 Meter langen Daysailer bauen. Die karbonschwarze Stealth ist dank klarer Konzeption und hochwertiger Bauweise mit 71 Prozent Ballastanteil unterwegs. Agnelli genügte es, sein Landleben für ein paar Stunden zu unterbrechen. Er genoss das seglerische Nirwana und wandte sich dann wieder anderen Dingen zu. Die Segelspaßmaschine aus Kohlefaser ist unter Deck quasi leer.
Abgesehen von solch segeltechnischem Fetischismus gibt es einen praktischen Grund, warum ein Boot für hiesige Gewässer leicht sein sollte. Am Bodensee beispielsweise geht es alljährlich vom Spätsommer an in vielen Häfen um jeden Zentimeter Tiefgang. Auch das flache Ijsselmeer limitiert ähnlich wie manch mühsam ergatterter Liegepatz an den bayerischen Seen den Tiefgang. Das leichte Boot mit seinem jollenartig flachen Rumpf lässt zwischen dem Bootsboden und dem Grund Platz für eine seglerisch vorteilhafte Kielflosse.
Ein fünf Tonnen schweres Boot dagegen zieht bereits einen derart dicken Bauch durchs Wasser, dass wenig Platz für einen gescheiten Kiel bleibt. Zwar gibt es pfiffige Hubkiellösungen, doch: Wer wenig Zeit zum Segeln hat, befasst sich ungern mit zusätzlicher Technik zum Anheben und Absenken des Kiels. Für gelegentlich Nachmittags- und Feierabendsegler gilt das auf dem Wasser Keep-it-simple-Prinzip ganz besonders. Wer sich am Arbeitsplatz und daheim mal ausklinkt, möchte segeln und nicht basteln.
Leichte Boote, bei denen das Verhältnis von Gewicht und Besegelung stimmt, kommen bereits bei jenem Hauch von Wind, den das Schwäbische Meer oder die bayrischen Seen an vielen Tagen in unbeirrter Sparsamkeit bescheren, in Fahrt.
Der elf Meter lange Daysailer vom Typ Sagitta der Schweizer Heinrich Werft beispielsweise wiegt mit zweieinhalb Tonnen weniger als die Hälfte des erwähnten 30-Fuß-Großserienboots und ist mit sechzig Quadratmetern unterwegs. Dann sollte der Daysailer, gleich welcher Größe, möglichst flachbordig sein, damit er mehr Sportgerät als schwimmender Caravan ist.
Daysailer werden heute in verschiedenen Spielarten gebaut – von cool bis charmant, von italienischer alta moda für den Hauslago bis hin zum Retrosegler für Küste oder Côte d‘ Azur. Wer es modern mag, wird sich eine Esse oder die B-Yachts des mailändischen Konstrukteurs Luca Brenta ansehen. Die B30 eignet sich für Binnengewässer wie den Attersee, der 60-Füßer wurde bislang zwei Mal im Auftrag deutscher Eigner für die Kieler Förde und die Costa Smeralda gebaut.
Wem maronenbraunes Mahagoni lieber als die Trendfarbe silbermetallic ist, wird sich die formverleimten und einhandtauglichen Binnenrenner der Markus-Glas-Werft am Starnberger See ansehen. Oder er schaut bei Carpe Diem Yacht Design in Tutzing rein, wo Klaus Röder den persönlichen Kompromiss aus Segelspaß, Eckdaten des Liegeplatzes und Erfüllung menschlicher Bedürfnisse unterwegs wie Koje, Kochgelegenheit und Bordklo maßschneidert. Kostspielige Versuchungen in Retromanier sind die Daysailer Eagle 44, Friendship 40 oder die ansehnliche Hinckley 42DS.
Wem das vorerst alles viel zu teuer ist, schießt für wenige Tausend Euro ein gebrauchtes Plastikboot, beispielsweise ein Zweimannkielboot vom Typ Dyas. Da geht man mittwochs einfach mal an Bord seines Nachmittagsbootes, oder am Sonntag nach dem späten Frühstück. Man hebt die blaue Persenning runter, schubst sich für ein paar intensive Stunden vom Steg hinaus aufs Wasser, wo man wie Agnelli garantiert auf andere Gedanken kommt.
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