Endlich mal ein leeres Boot

Klappkojen statt Edelholz: Die „Firefly“ ist keines dieser protzigen Boote, deren Aufgabe sich darin erschöpft, den üblichen Landlebenskomfort auf dem Wasser zu duplizieren.

Wir leben in einer seltsamen Welt. Während die Mehrheit derer, die von ihrer Arbeit leben, von Krise zu Krise schlechter dasteht, gibt es eine wachsende pekuniäre Oberschicht. Die weiß nicht, wie sie das Geld ausgeben soll. Ihr bietet die Luxusartikelindustrie, zu deren schillernder Abteilung der Yachtbau zählt, zunehmend ausgefalleneres Spielzeug an, große Motor- und Segelyachten.

Mit einem durchzugsstarken Spritsäufer durchschnittlicher, in Südfrankreich kaum zur Kenntnis genommener Größe ist schon mit wenigen hochsommerlichen Fahrten vom Yachthafen zum Badestrand die Jahresheizölrechnung eines Einfamilienhauses verfeuert. Dabei wird man an dieser Küste erst mit einem 60 Meter langen oder bei passenden Bedingungen 60 Knoten schnellen Schlitten zur Kenntnis genommen.

Spezialität von André Hoek

Einer, der sich in dieser Branche auf den Stil und Charme von Segelyachten vergangener Zeiten spezialisiert hat, ist André Hoek. Mitte der achtziger Jahre stieg der clevere Holländer auf die gerade erst losschwappende Retrowelle. Sie hält bis heute an. Mittlerweile surft er sie mit seinen „nieuwe klassiekers“ so variantenreich und geschickt, dass der Eindruck entstehen kann, Hoek verkörpere sie.

Sein 17 Personen starkes Konstruktionsbüro entwirft meist Segelyachten mit antiquiertem Löffelbug und einer ansehnlich geschwungenen Deckskante. Sie wird von einem oder zwei niedrigen Aufbauten überragt, die so anachronistisch wie ein viktorianischer Eisenbahnwaggon verglast sind. Wie in der seglerisch guten alten Zeit enden Hoeks Yachten mit einem apart aus dem Wasser gehobenen Heck. Unter dem Schiffsbauch gibt es allerdings keinen herkömmlich langen Kiel, wie die sichtbaren Proportionen des Rumpfs vermuten lassen, sondern eine zeitgemäß kurze Kielflosse und ein separates Ruder. Bislang hat Hoek eine ganze Flotte in dieser Manier entworfen, von elf bis hin zu 80 Meter Länge.

Als prototypisch klassische Yacht gilt die sogenannte J-Class. In dieser etwa 40 Meter langen, rund 150 Tonnen schweren Bootsklasse wurde in den dreißiger Jahren um den America’s Cup gesegelt. Die längst ausgestorbenen Dinosaurier der Regattabahnen gelten als Quintessenz der klassischen Yacht. Abgesehen von einer kleinen Eignerkabine mit Tagestoilette waren sie unter Deck ziemlich leer. Die magere Ausstattung hielt den bei schmalen Yachten entscheidenden Ballastanteil hoch. Aus funktionalen Gründen trugen die Glattdecker kein Deckshaus, allenfalls eine spitzkappenartige Behausung für das Schiebeluk über der steilen Stiege ins Schiff.

Als Elisabeth Meyer die einstige Sopwith-Yacht „Endeavour“ des englischen Flugzeugfabrikanten und Pokalherausforderers Ende der achtziger Jahre in eine zum Blauwassersegeln und für Chartertörns mit allem erdenklichen Komfort versehenen Luxusschlitten verwandelte, begann eine bis heute andauernde Fehlentwicklung. Unter Deck wurde die damals vielbewunderte Yacht vollständig mit vertäfelten Kajüten ausgebaut und unter den Bodenbrettern der Kabinen mit moderner Technik wie Hilfsmotor, Stromerzeuger, Meerwasserentsalzer und Klimaanlage, Kühlkompressoren für die Eisboxen, Tanks, Batteriebänken, Wandlern und Hydraulikpumpen vollgestopft.

Die heutige J-Class ist leider ein Fake

Trotz der Entnahme von zehn Tonnen Blei aus dem einst 80 Tonnen schweren Kiel geriet die umgebaute „Endeavour“ 23 Tonnen schwerer. Wie bei jeder anderen J-Class, ganz gleich ob es sich um ein modernisiertes Original oder einen Neubau handelt, stimmt die Wasserlinie nicht mehr. Die heutige J-Class ist ein Fake.

Schon Mitte der neunziger Jahre monierte der Werftinhaber, Kunst- und Ferrari-Sammler Albert Obrist diese Entwicklung. Nach Ansicht des Baseler Fabrikanten sollten die Eigner einer historischen Amerca’s-Cup-Yacht sie so erhalten und segeln, wie sie damals war. Obrists Ansicht mochte damals als rigoros, realitätsfremd und dekadent erscheinen. Allein: Die J-Class ist dekadent. Sie ist die verschwenderischste, konsequenteste Yacht überhaupt – und halt die schönste.

André Hoek, neben seinem Landsmann Gerard Dykstra als Yachtkonstrukteur sowie den Eignern und Beratern einer der Hauptantreiber dieser Fehlentwicklung, hat nun mit einem neuen, etwas kleineren Lookalike Abhilfe geschaffen. Er hat sie „F-Class“ genannt. Der im Mai in Holland aufgetakelte Prototyp namens „Firefly“ machte die vergangene Saison im Mittelmeer bei den üblichen Events in Palma de Mallorca, an der Costa Smeralda und an der Côte eine gute Figur. Außer dem Mast, der traditionellen Fuß- und Griffleiste, der geduckten Lukgarage, den Winschen und einigen Lüfterhutzen ragt wenig über das ziemlich glatte Deck. Schöner segeln wie Vanderbilt, Morgan und Co. mit einer abgeräumten Retro-Rennmaschine. Die J-Class reloaded.

Auch sonst ist das Schiff überzeugend netto. Hoek hat von den überschlägig 150 bis 180 Tonnen der J-Class mehr als 100 an Land gelassen, indem er den messerscharfen Vorsteven am Schiffsbauch in einen modernen U-Spant übergehen ließ. Anstelle des langen Kiels mit viel wasserbenetzter Fläche des Vorbilds, die amerikanische Universal Rule schrieb einen langen Kiel mit angehängtem Ruder vor, ließ Hoek einen modernen T-förmigen 28-Tonnen-Kiel unter den Bootsboden flanschen. Solche Kielkonstruktionen sind bei heutigen Regattabooten üblich.

Beinahe ebenbürtig

Übrigens ist die F-Class mit annähernd 600 Quadratmeter Segelfläche am Wind einer J-Class beinahe ebenbürtig betucht. So kommt das 62-Tonnen-Boot bei den lauen Lüftchen, wie sie an der Côte d’Azur oder in der Bahia de Palma oft wehen, eher in Fahrt. Hat die mediterrane Thermik dann von Mittag an eine passabel erfrischende Brise installiert, hält das wirksam tief angebrachte Blei das Boot aufrecht. So viel zur Segelphysik.

Höchste Zeit, sich mit dem interessantesten Aspekt, der Dekadenz, zu beschäftigen. Also, diesen 35-Meter-Daysailer kann man wie die Platzhirsche der America’s-Cup-Regattabahnen eigentlich nur segeln. Natürlich lässt sich damit auch ankern und baden gehen. Man wird mit fünf Meter Tiefgang etwas weiter draußen in der Badebucht „parken“ oder die Liftkieloption mit drei bis fünf Meter Tiefgang ordern. Übrigens lässt sich in der L-förmigen Pantry gleich links neben dem achtstufigen Niedergang ohne Malheur die Mittagsmelone aufschneiden. Beim Blick unter die unverkleidete Decke sind allerdings sichtbare Schrauben und das Gerippe der Aluminiumunterzüge zu ertragen. Es ist immerhin weiß gestrichen.

Tagesausflüge und Segelregatten

Weil das elegante Tagesausflugssegelboot mit schieren 35 Metern Deckslänge mit Motorwinschen und diskret angebrachten Knöpfen versehen ist, kann es von einem erfahrenen Segler auch mit wirklich kleiner Crew bewegt werden. Die acht bis zwölf Mann starke Besatzung muss lediglich zur Regatta zusammentelefoniert werden.

Natürlich gibt es unter dem Boden der knietief ins Deck eingelassenen Plicht das allernötigste wie beispielsweise einen Maschinenraum mit einem Steyr-Sechszylinder, der die 60 Tonnen vom Liegeplatz vor die Hafenmole zum Segelsetzen schiebt. Sogar einen Toilettenraum mit Duschmöglichkeit bietet die „Firefly“. Für das Nachmittagsnickerchen bieten sich die beiden Sitzbänke mittschiffs an. Richtig übernachten kann man auf dem Boot übrigens auch, auf einer der zehn Rohrkojen, die neben den stilsicher verlegten Wegerungsleisten im Vorschiff hängen.

Herrlich konsequent aufs Segeln zugeschnitte

Ein komfortables Bett hat jedes Mitglied der pekuniären Oberschicht eh zu Hause, in einem seiner Lofts, Penthouses und Ferienhäuser. So ist die „Firefly“ ist keines dieser erwartbar protzigen Boote, deren wesentliche Aufgabe sich darin erschöpft, den üblichen Landlebenskomfort auf dem Wasser zu duplizieren. Sie ist eindeutig auf die Hauptsache, das Thema schön segeln, fokussiert, Prototyp einer neuen Bootsklasse, deren Klassenvereinigung den einheitlichen wie preiswerten Bau mit Aluminiumrumpf und weiteren Einzelheiten überwachen soll.

So apart sich der rabenschwarz lackierte Renommierschlitten durch die Wogen des Mittelmeers schiebt: Es ist zu bezweifeln, dass sich die „F-Class“ durchsetzen wird. Der Eigner dieses Bootsformats mit entsprechend großem Ego ist eher Bauherr als Segler mit der Bereitschaft, in eine fertige Einheitsklasse einzusteigen. Das wurde vor gut einem Jahrzehnt schon mal mit der sogenannten W-Class in Amerika versucht, die sich als hübscher Ladenhüter erwies. Doch haben wir uns dieses köstlich dekadente Segelspielzeug gern angesehen. So was traut sich sonst keiner: ein konzeptionell klares, unverbautes und mal richtig leeres Boot mit zehn Klappkojen statt Edelholzklasse.

Übrigens kostet dieser stilvoll-spartanische Retroluxus mit knapp fünf Millionen Euro ein Drittel des Einstiegspreises für eine neue, überladene J-Class. Zählten wir zur pekuniären Oberschicht, die nicht so recht weiß, wohin mit dem Schotter, wir würden ihn stilvoll für eine F-Class versenken. Bezüglich der Lackierung, ob dieses John-Pierpont-Morgan-Rabenschwarz oder aktuelles Chromsilbermetallic, sind wir einstweilen unentschlossen. Bis zur Klärung dieser Frage begnügen wir uns mit einem kleineren Boot.

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