Die Sache mit der Zwölf

Die beinahe vergessene Klasse der 12 mR-Rennyachten hat sich wieder zum Parkett alljährlicher Segelfestspiele entwickelt. Leider mit einer Note Gemauschel. Ein Blick hinter die Kulissen.

Der Zwölfer ist der Platzhirsch der Regattabahnen. Eine ansehnliche wie fordernde Rennyacht. Seit auf diesen Planken die Segelschlachten des America’s Cups vor Newport und Fremantle ausgefochten wurden, eine Yacht mit speziellem Nimbus. Hinreißend elegant, endlos auf die Seite zu legen, tierisch gut am Wind. Das ultimative Männerspielzeug für ein Dutzend Buddies, die mit Augenmaß, Bizeps, Hirn und Puste knapp 30 Tonnen Edelholz der Vintage-Exemplare aus den Dreißigerjahren um die Bojen scheuchen. Sehenswerter, arbeitsteiliger, intensiver als auf einem Zwölfer lässt sich das Wochenende auf dem Wasser kaum verbringen.

Nach jahrzehntelanger Agonie, in der es hierzulande wenige segelfähige Exemplare gab, wächst die Ostseeflotte seit einer Weile beeindruckend. Josef Martin holte „Anitra“ aus den Staaten und möbelte sie in Radolfzell auf. Der Flensburger Tafelsilber-Fabrikant Oliver Berking gründete nach der Wiederinbetriebnahme von „Sphinx“ eine Werft, in der bisher mit „Nini Anker“ und „Jenetta“ zwei Neubauten nach alten Vorlagen entstanden.

Deutsche und dänische Protagonisten wie beispielsweise Wilfried Beeck oder Patrick Howaldt pushen das Retro-Segelfestspiel mit Klassikern der Dreißigerjahre. Im Vergleich zu „Anita“, „Anitra“ „Evaine“, „Jenetta“, „Flica II“, „Nini Anker“, „Nyala“, „Trivia“, „Vanity V“ oder „Vim“ sind andere Regattayachten rasch vergessene Durchlauferhitzer.

Der Aufwand, mit dem die Schiffe erhalten, restauriert oder nach alten Plänen neu gebaut werden, ist groß. Das Ego der Eigner, die sich das Jahr für Jahr gönnen, auch. Die jährlichen Betriebskosten ehrgeiziger Besitzer liegen beim Neupreis eines 5er- oder 8er-BMW. So kam es, dass einige Spezialisten in aller Stille an der Zwölf feilten. Wie das geht, obwohl es eigentlich nicht geht, zeigt dieser Artikel.

Die zwei wesentlichen Gesichtspunkte einer Rennyacht

Die Zwölf ist Ergebnis einer 1908 erstmals zum internationalen Regatta­segeln vereinbarten, 1933 zuletzt als „Third Rule“ überarbeiteten Formel, dem jedes Exemplar dieser Klasse zu entsprechen hat. Die Zwölf steht für den sogenannten Rennwert. Er darf kleiner oder gleich zwölf sein, keinesfalls mehr.

Neben anderen Werten verrechnet die Formel die beiden wesentlichen Gesichtspunkte einer Yacht: den Antrieb in Gestalt der Segelfläche und ihr Geschwindigkeitspotential anhand der Länge. Das Längenmaß wird beim Zwölfer 18 Zentimeter über der Wasserlinie abgenommen. Bei der Vermessung wird sogar zwischen Salz- und Süßwasser unterschieden, weil das Schiff entsprechend tiefer oder höher im Wasser liegt. Es geht um jeden Zentimeter Länge und davon abhängig jeden Quadratmeter Tuch. Das machte den Zwölfer immer schon vorab, damals am Reißbrett, heute am Computer, interessant. Man hat ein eher kurzes, dafür größer besegeltes Leichtwindschiff oder ein längeres, das entsprechend kleiner besegelt und bei mehr Wind dann schneller ist.

Nun liegt es in der Natur der Sache, dass die Holzplanken Wasser aufnehmen und ein betagtes, zum Tourensegeln genutztes Schiff durch Um- und Einbauten im Lauf der Jahrzehnte schwerer wurde. Die tiefere Schwimmlage infolge des Gewichts und damit das größere Längenmaß würde wie gezeigt eine kleinere Besegelung verlangen. Um das zu vermeiden, vereinbarte die Klasse anlässlich des 150. America’s-Cup-Jubiläums 2001 im Seglermekka Cowes eine kluge, lebensnahe Ausnahme.

Zu schwere alte Exemplare mit Einbaumaschine, Tanks und weiteren Zugeständnissen an die Fahrtentauglichkeit erhielten einen Bonus, damit sie mit unveränderten und entsprechend leichteren Schiffen vergleichbar Regattasegeln können, den sogenannte „Age/Design Correction Factor” (ADCF), festgehalten in der Anlage „E“ der Klassenbestimmungen. Er erlaubte die Teilnahme schwerer Schiffe ohne unnötige teure Umbauten für diese eine Regatta.

Wie „Jenetta“ gebaut ist

Wie in anderen Lebensbereichen auch bleiben jedoch einmal gemachte Zugeständnisse in der Welt. So kommt es, dass der als Restaurierung deklarierte Neubau „Jenetta“ 2019 dank ADCF mit 19 Quadratmetern mehr vermessener Segelfläche aufgetakelt wurde als das Original. Obwohl es bei diesem Schiff – in Epoxidharz gekapselte Holzbauweise – keine Wasseraufnahme gibt. Außerdem ist „Jenetta“ unter Deck leer. Wie bei anderen Bootsklassen liegt die tatsächliche Am-Wind-Besegelung mit Groß- und Genuavorsegel deutlich über der vermessenen. Bei Jenetta sind es 246,50 Quadratmeter. Das sind etwa acht Prozent mehr Am-Wind-Besegelung. Tatsächlich ist „Jenetta“ ein 12,111er.

„Jenetta“ segelte die ersten drei Sommer mit einem angeblich vorläufigen, bis zur 12er-Weltmeisterschaft August 2021 in Helsinki unbestätigten wie unveröffentlichten, also de facto ohne Messbrief. Kay-Enno Brink, der den Neubau des Boots in der Werft Robbe & Berking Classics technisch begleitete und das Boot vermessen hat, blieb nach beharrlichem Fragen zu dem Thema einsilbig. Wie sich später herausstellte, wurde der ADCF-Bonus von 0,9626 „auf Anweisung des Eigners festgelegt“. Die Mitnahme der Gutschrift für Vintage-Boote drückt den Rennwert soeben auf die 12.

Mit dem gleichen Kniff wurde „Nini Anker“ (ex „Siesta“), ein Holz-Epoxidharz-Neubau nach alten Plänen Baujahr 2015 vermessen. Auch hier konnte sich der Eigner die Gutschrift abweichend von den Klassenvorschriften selbst aussuchen. In Anlage E der Klassenbestimmungen ist allerdings vom tatsächlichen Baujahr die Rede, nicht vom Jahr des Entwurfs.

Wie die Segelfläche vergrößert wurde

Die Blaupause für dieses Gemauschel lieferte die dänische Eignergemeinschaft von „Wings“. Sie nutzte den Vintage- und Gewichtsbonus konsequent. Die ursprünglich 13,93 Meter lange Wasserlinie von 1937 wurde 20 Zentimeter länger. Zugleich wurden aus 179 Quadratmeter nomineller Segelfläche 190. Das entspricht etwa 261 Quadratmeter am Wind mit Groß und Genua 1.

Als Segler zweier Zwölfer und für die nordeuropäische Flotte zuständiger Klassenvize setzt sich Patrick Howaldt seit Jahren mit endloser G

eduld und vielen Gesprächen dafür ein, dass die Segelflächen nicht mit Nutzung des ADCF per Umbau der Schiffe vergrößert werden. „Wir haben anlässlich der Vermessung von ,Wings‘, wo alle Lücken konsequent genutzt wurden, damals leider nicht aufgepasst“, fasst Howaldt zusammen.

Angeregt durch beharrliche Recherchen zu diesem Artikel, wollten die Zwölfersegler die missbräuchliche Nutzung des Vintage-Bonus beenden. Eine aus Yachtvermessern bestehende Kommission sollte die Willkür der Zwölfereigner eindämmen und die Rennwerte in Ordnung bringen. Es ist ihnen nicht gelungen. Die Eigner von „Northern Light“, „Jenetta“, „Sphinx“ und „Wings“ beharren auf den ihrerseits geschaffenen Tatsachen. Mit tollen Booten und America’s-Cup-Nimbus Regatten segeln und dabei wie beschrieben mogeln passt nicht zusammen.

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