Die Manufaktum Meise

Ist das vertiefte Interesse an ausgefallenen Uhren, speziellen Sportwagen und gediegenen Holzbooten ein Zeichen des Älterwerdens? Wenn es immer Hand gearbeitet, sündteuer und von gestern sein muss, hat sich dann die Manufaktum Meise im Oberstübchen eingenistet?

Wir sind mit „Margarethe von Zülz“ unterwegs, einem Geschöpf der zwanziger Jahre, nach Plänen des Kieler Bootsbaumeisters und Möbelgestalters Georg Wawerla neu aufgetakelt. Form verleimt und Detail verliebt von Andreas Gronau gebaut. Das Finish einiger Lackschichten erinnert an Musikinstrumente, auf denen keiner ungestraft ein Glas abstellt.

M-Jolle „Margarethe von Zülz“

„Margarethe von Zülz“, so nennt die Barbour, Connemara und Loden-Frey Fraktion ihre Jagdhunde oder Turnierpferde. Doch diese Jolle ist charmant von gestern und unergründlich auberginenfarben bis schwarz lackiert. Auf dem See bei zischender Fahrt, wir sind da durchaus bestechlich, erscheint der prätentiöse Bootsname passend. Die aparte, dunkel gewandete Madame kann man durchaus wie einen Irish Setter oder ein kapriziöses Hannoveraner Warmblut nennen.

Ein verregneter Spätsommernachmittag auf einem entlegen stillen Gewässer im Norden der holsteinischen Schweiz. Wir hängen mit dem Hintern drei Handbreit über dem Wasser, die Pinne in der linken, die Großschot in der rechten Hand, und sind ein bisschen hin. Erstens, weil wir die Inanspruchnahme der Bauchmuskeln zum so genannten Ausreiten, dem Geradehalten der Jolle mit dem Körpergewicht nicht mehr so gewohnt sind. Und dann ist da noch dieses wunderbare Deck aus Mahagoni mit Ahorn-Wenige Intarsien. Schon doll, dieses ferne Zitat der einst an der Mittschiffslinie orientierten Decksplanken auf großen Yachten. Oder sind es gar Rallystreifen?

Wir werden nachher, wenn wir diese Madame trotz dem heutigen Böenallerlei aus einigen Richtungen ungekentert an Land manövriert haben, Andreas Gronau mal fragen, wie man so was eigentlich derart sauber zusammenfügt, dass es aussieht wie gespritzt oder geplottet, obwohl es ja ausgeschnitten, geschliffen und passend gehobelt sein muss. Wir werden keine begreifliche Antwort bekommen, außer dass es eine schwere, zeitintensive, schöne Übung mit dem Japanhobel war und dass man das eine oder andere Furnier halt öfter macht, bis alles fugenlos, Stoß an Stoß, sitzt. Der sympathisch bescheidene Bootsbauer ist kein Freund der Allüre. Dass dieses Boot ihm und seinen Kollegen Thomas Petersen und Georg Wawerla Spaß gemacht hat, sieht man dem Ergebnis an. Diese Margarethe hier ist der Prototyp einer neuen M-Jollen Serie und Gronaus Weg in die Selbstständigkeit. Das zweite Exemplar liegt bereits kopfüber mit fast fertiger Schale in der Halle und der Holzstapel für den dritten M-Jollen Neubau liegt bereit.

Die aus Südwest heran schiebenden Wolken tröpfeln unschlüssig und wissen nicht, ob sie noch mal alles geben sollen, wie ihre Vorgängerinnen vor einer halben Stunde, als sie das Idyll in einer Sintflut verschwinden ließen. Aber Segler haben ja, anders als Angler, Großwildjäger, Motorbootfahrer und ähnliche Angeber immer Glück.

Schon eilt wieder eine von drei Windstärken gedunkelte Schraffur über die Wasserfläche heran. Reinlufen, raushängen, abfallen und Gas geben. Das ist der Reiz unbeschwerten Segelns. Herrlich. Mit einem schnittigen Verdränger kreuzen, ist immer ein besonderer Genuss. Die M-Jolle stammt noch aus der Zeit, als es noch keine gleitfähigen Schwertboote gab. Weit draußen hängend beobachten wir den schnittigen Bug, wie er teils über den See schießt, teils durch die Wellen schneidet. Ein schönes Bild, diese apart auberginenfarbene Form über dem grauen Wasser. Eine Segelstunde überwiegend im Schwarzweiß des regnerischen Spätsommernachmittags, dazu das Kastanienbraun vom Khaya Mahagoni des Decks mit den Rallystreifen des hellen Ahorn und der in tiefes Afrikaschwarz gebeizten Wenge unter dem braunen Sprucemast.

Überhaupt, dieser eigenartig gekrümmte Mast. Früher wurden Jollen mit der so genannten Steilgaffel, einer neben Mast und Baum dritten Segelstange zur oberen Führung des damals trapezförmigen Großsegels, aufgetakelt. Diese Vogelschwingen artige Form bietet bei halbem oder Schiebewind den Vorteil der einige Meter über dem Wasser günstig projizierten Fläche, ist aber bei Kursen hoch am Wind weniger effektiv und beim Auf- und Abtakeln umständlich. Deshalb gab Wawerla dem M-Jollen Neubau diesen eigenartig peitschenförmigen Mast, wie er einst bei den Schärenkreuzern der zwanziger Jahre üblich war und damals, wie bei Manfred Curry nachzulesen, aerodynamisch der letzte Schrei. Auch die durchgehenden Latten knüpfen an alte Erkenntnisse an. Sie ermöglichen eine Vogelschwingenartige Rundung der Segelhinterkante und stabilisieren das Tuch. Natürlich gibt der reizvolle Anachronismus der neuen alten M-Jolle eine besondere Note. Von weitem sieht er aus wie ein historisches Steilgaffelrigg.

Moderne Beschläge wie Kugel gelagerte Harken Rutscher zur reibungsarmen Führung der durchgehenden Segellatten am Mast oder die formschön bündig ins Vordeck eingelassene  Bartels-Kardanik für den Fockroller machen den wieselflinken Renner zur segeltechnisch beglückenden Modelleisenbahn. Kostspielig schöne Lösungen, die von Liebe zum Detail künden.

Den Plichtausschnitt vorn hätten wir schmaler gehalten, den Wellen und Spritzwasser abweisenden Süllrand vorn und seitlich höher. Ein nach vorn geneigtes Ruderblatt böte mehr Balance und machte die Madame etwas drehfreudiger. Im Flachwasserrevier ist ein Klappschwert praktischer, weil es Grundberührungen verzeiht. Das Schöne am „Projekt M“, wie die drei von der Neudorfer Werft ihre Mission zur Wiederbelebung der einst beliebten, heute klassischen 15 Quadratmeter Rennjolle nennen, ist, dass der Auftraggeber seine aus der eigenen Segelpraxis geronnenen Vorstellungen mit dem Jollen Neubau verwirklichen kann. Das dürfte manche halbstündige Autofahrt von Kiel, Neudorf bei der Kleinstadt Lütjenburg, wert sein.

Noch schöner, als zwischendurch mal beim werdenden Boot zu gucken, ist eigentlich bloß, es zu segeln. Lautlos zieht die flotte Margarethe vor dem Grün des üppig bewaldeten Ufers ihre Bahn. Zögernd haben Petersen und Wawerla uns vorhin die Pinne überlassen. Die Madame ist ziemlich neu und die Behauptung, wir würden schon eine Weile segeln, langte den beiden kaum. Erst das Versprechen, das Missgeschick einer Kenterung mit einer Kiste trinkbaren Biers zu vergüten, ließ Wawerla nach vorn rücken.

Außer dem Schwert, der Pinne, dem niedrigen Süllrand ist das so genannte Kielschwein, ein den Rumpf mittig in Längsrichtung aussteifende Leiste, aus dunkler Wenge. Unter dem Plichtausschnitt ist die makellos glatte und entsprechend pflegeleichte weiße Innenschale mit kleinen Lattenrosten aus Teak belegt. Von geschickt versteckten Splinten gesichert, gehen sie nicht mal bei einer Kenterung verloren, was wir aber ehren- und der kostspieligen Kiste trinkbaren Biers halber nicht ausprobiert haben.

Wawerla hat die M-Jolle, die Klasse war in den zwanziger und dreißiger Jahren gut anderthalb Meter länger, bei 1,50 Metern Breite auf sechs Meter gekürzt. Diese Maße erleichtern die Bootslagerung im Car Port zuhause oder im Segelverein. An der angenehm auf die seglerische Notwendigkeit reduzierten Detaillierung und Ausstattung des Bootes wird der ordnende Blick des international ausgebildeten Designers spürbar. Wawerla begann in Shigeru Uchidas „Studio 80“ in Tokio und setzt die Arbeit heute mit seinem Studio 38 in Kiel fort. So ist die aparte Madame ohne die Jollentypisch übertriebene Bastelei, ohne unzählige, selten gebrauchte Trimmhilfen unterwegs.

Eine charmante Versuchung, sich auf das Wesentliche und Einfache, vielleicht die Quintessenz des Segelns zu besinnen, mit auberginenfarbenem Rumpf und Rallystreifen aus Ahorn und Wenge. Ein klein wenig Chi-chi für das Auge darf’s schon sein. Ein apartes Spätnachmittagsboot für die kostbaren Stunden, wo wir auf dem Heimweg von der Arbeit oder am Wochenende mal die Persenning von den Intarsien heben und mit flink gesetzten 15 Quadratmetern Ablegen vom Alltag.

Also, nach dieser Bootspartie mit der flotten Margarethe ist die Manufaktum Meise im Oberstübchen gelandet. Leider ist so ein Spleen kaum kurabel. Wer die Möglichkeit zum kultivieren dieser Meise hat, sollte bald damit beginnen. Es wäre schade um den entgangenen Genuss.