Darß ohne Balduin Bählamm

Es ist üblich, dass Parteien, Lobbies und ihnen assoziierte Journalisten ihre Zielgruppe bedienen. Je konsequenter die Interessen der umworbenen Klientel vertreten werden, sprich desto größer die unbeirrt getragenen Scheuklappen gegenüber anderen und übergeordneten Gesichtspunkten sind, desto erfolgreicher ist man in seinem Beritt. So funktioniert auch der Fachjournalismus. Je konsequenter er das macht, desto dümmer ist er leider auch.

Der ADAC möchte „freie Fahrt für freie Bürger“. Ostseesegler, ihre Verbände und publizistischen Stimmungsverstärker möchten auf der langen Strecke zwischen Warnemünde und den beiden westlichen Zugängen zum Boddengewässer Rügens einen Hafen. Koste es, was es wolle. Es gibt einen. Der liegt aber in einem Naturschutzgebiet, dessen Zufahrt versandet. Macht nichts. Die kann ja, für den Steuerzahler kostenpflichtig, regelmäßig ausgebaggert werden. Die Alternativen sind teuer und – wie der Durchstich zum Bodden wegen des künstlich geschaffenen Wasseraustauschs – ökologisch fragwürdig. Macht auch nichts. Hauptsache, es gibt Liegeplätze.

Segler und Motorbootfahrer möchten am nordwestlichen Zipfel Mecklenburg-Vorpommerns einen Tag und Nacht problemlos anzusteuernden Unterschlupf und hinter den Molenköpfen ein Hafenbecken ohne Schwell bei jeder erdenklichen Windrichtung. Sie erwarten einen Liegeplatz in Hauptwindrichtung, mit Schwimmsteg, Strom, Wasser, WLAN. Dazu besuchbare Lokale und morgens frische Brötchen.

Die Strecke Warnemünde – Hiddensee mit dem erstbesten Hafen Barhöft ist lang und für Segler kleiner Boote wie ältere Leute ein anstrengender Ritt. Von Hiddensee kommend ist der Törn bis Warnemünde bei üblichem Südwest mit entsprechendem Seegang auch für große und schnelle Boote eine Herausforderung.

Solange der Darßer Hafen mit erheblichem Aufwand für den Seenotrettungskreuzer ausgebaggert wurde, war er ein willkommener Zwischenstopp. Solange ich da mit zwei Metern Tiefgang am späten Nachmittag oder abends im letzten Büchsenlicht noch reinpüttern konnte, habe ich hier angelegt. Ich ging zu diesem sagenhaft patzigen WWF-ler, hörte mir die Standpauke an und unterschrieb eine vorbereitete Erklärung, wonach das Anlegen im Darßer Nothafen unabdingbar sei. Ich habe also, wie alle anderen Pseudo-Havaristen auch, gelogen und versprochen, am nächsten Vormittag spätestens um 11 wieder draußen zu sein.

Es war so sicher wie das „Vorwärts Genossen“ in der einstigen Deutschen Demokratischen Republik, dass das pünktliche Ablegen von diesem wild gestikulierenden Ranger überwacht wurde. Der war garantiert da. Und er war am nächsten Morgen genauso drauf, wie den Abend zuvor. Das war seine Auffassung von diesem Job und er erledigte ihn mit germanischer Gründlichkeit. Deshalb erhielt er von mir bald den Spitznamen Balduin Bählamm.

Natürlich wäre ein weiterhin ausgebaggerter „Not“hafen am Darß oder eine moderne Marina mit allem erdenklichen Komfort vor dem nahe gelegenen Prerow nett. Notwendig ist das nicht. Um das zu verstehen, genügt ein Blick auf die Karte. Die nördliche Landzunge des Darß bietet bei üblichem Wind aus Südwest bis West, sogar bei West mit ein klein wenig Nord, einwandfreien Schutz. Man ankert hier auf flachem Wasser auf ebenem Sandgrund, mit reichlich Kette oder Leine entsprechend sicher. Hinter dem bewaldeten Darß und der langen Sandbank liegend, kann es wehen, wie es will.

Auch das Schiff der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger kann an einer Boje draußen vor dem versandeten Nothafen stationiert werden. Es müsste ab und zu, für Mannschaftswechsel, zur Ver- und Entsorgung die wenigen Meilen bis Barhöft dieseln. Der Kreuzer würde die meiste Zeit mit kurzen Wegen zur Kadetrinne und dem Gewässer rings um die Darßer Landzunge auf Stand-by liegen. Das ist für die Mannschaft nicht so angenehm wie der Liegeplatz im Hafen. Doch steht der Aufwand dafür?

Bei auffrischendem Wind aus Nord oder Nordost heißt es natürlich für uns Segler Anker bergen und weitersegeln. Ab fünf Windstärken ankert keiner bei auflandigem Wind. Bei dieser Windrichtung ist aber auch die übliche Ochsentour gegen deftig viel und nass aus Südwest nach Warnemünde, Kühlungsborn oder Richtung Fehmarn geschenkt. Bis Hiddensee sind es wenige Meilen. In den Schutz zur Leeseite der Darßer Landzunge dauert es eine halbe Stunde.

Für Segler- und Motorbootfahrer, die ihrem Anker nicht trauen, können im Sommer Mooringbojen ausgelegt werden. So ist es in anderen Revieren zum Schutz des Ankergrunds oder bei schlechten Bodenverhältnissen üblich.

Die Debatte um den Nothafen Darß und seine Alternativen ist eine Komfortfrage. Nun ist Fahrtensegeln eine Outdoorsportart, wo gelegentliches Ankern dazu gehört.  

Die Beteiligten, auch die Kollegen, die dieses Thema in den vergangenen Jahren im Gleichschritt mit der Darß-Prerower Hafenlobby aufgebauscht haben, sollten sich einmal überlegen, was das Gekasper gekostet hat: vom wiederholten Ausbaggern hin zu den Gutachten und Planungen für Alternativen. Jeder Notfall in der Gegend wurde zugunsten des Darßer Hafens skandalisiert. Vordergründig ging es um die Stationierung des Rettungskreuzers, tatsächlich um die Liegeplätze für uns Yachties. Wie soll sich denn ein Hafen vor Prerow in diesem entlegenen Winkel rechnen? Gemeinsam mit dem nächsten, mit Ach und Krach ausgelasteten Wellness- und Tagungshotel, von denen es an der Küste schon unzählig gibt?

Was hätte mit dem verschwendeten Geld Sinnvolles in Mecklenburg-Vorpommern gemacht werden können? Der Skandal um den Darß ist die sisyphusartige Geldverschwendung für einen Hafen, dessen Zufahrt immer wieder neu versandet. Dieser Gesichtspunkt spielte früher, als hier die Wachboote zum Abfischen der Bürger bei der Flucht aus dem schikanösen Polizei- und Überwachungsstaat stationiert waren, keine Rolle.

Bei allem Verständnis für die speziellen Bedürfnisse des Bootsurlaubers in Mecklenburg-Vorpommern. Bitte mal die Scheuklappen ablegen. Der einstige Menschenfängerhafen kann ruhig versanden und geschlossen werden, weil draußen geankert werden kann. Es gibt da abends und in der Nacht weniger Mücken. Und es gibt morgens keinen zornigen Vogelwart, der wie Balduin Bählamm mit dem Zeigefinger auf die Uhr mit entsetzlich deutscher Gründlichkeit zum Aufbruch mahnt.

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