Supremely practical

Manches Boot ereilt das Schicksal der Eintagsfliege. Outlaw, Trendsetter der Segelsaison 1963 und Admiral’s-Cup-Sieger von eigenwilliger Form, hat es dennoch zum Klassiker gebracht.

Der Status des avantgardistischen ist wie das Leben eine flüchtige Geschichte. Was bleibt über die Sensation des Neuen hinaus, der verblüffenden Überlegenheit, des unerwartet Andersartigen? Was ist seine Substanz und wie rasch verschwindet er im Schattenreich des Vergessens?

Was heute auf der Regattabahn zwischen Start- und Ziellinie die entscheidende Idee schneller ist, kann morgen durch geändertes Reglement obsolet, von der Konkurrenz begriffen, besser nachgemacht, überholt sein. Deshalb wird bei Rennyachten von Eintagsfliegen geredet. Seit Generationen fasziniert das Metier den Typus des Tatmenschen, der auch in seiner Freizeit sich, Freunden und Anderen auf dem Wasser etwas beweisen möchte.

Sir Max Aitkens Cupper

Als der englische Verleger Sir Max Aitken seine konservative „Drumbeat“ Ostern 1963 durch ein ringsum andersartiges Boot ersetzt, hat er mit „Outlaw“ einen passenden Bootsnamen gewählt. John Illingworth und Angus Primrose zeichneten ein auf die seinerzeit maßgebliche Vermessung des Royal Ocean Racing Club (RORC) abgestimmtes 15 Meter Boot, dessen vier Meter Breite im Vor- und Achterschiff rasant und günstig vermessend eingeschnürt sind. Der Rumpf ist als im Prinzip selbst tragende Konstruktion aus acht Schichten kreuzweise verklebtem drei Millimeter Mahagonifurnier gebaut. Die Souters Werft in Cowes fertigte das damals größte Form verleimte Bauteil.

Doch traut man dem Wagnis der geklebten Schale anstelle der herkömmlichen Massivholz Bauweise über Spanten, Schotten und weitere Aussteifungen nicht. In den handfesten Stürmen, denen britische Segler im englischen Kanal und bei der Fastnet Regatta, der Eigner Nordwand des Segelsports, trotzen, ist ein Quantum gefühlter Sicherheit beruhigend. Deshalb bauen die Tischler der Souters Werft noch einige Rahmenspanten ein, wovon die Outlaw, sie segelt seit 1989 in Südfrankreich, als regelmäßige Teilnehmerin der Panerai Classic Yacht Challenge bis heute profitiert.

Zwei Eingänge nebeneinander

Wie zur Londoner Subway führen bei „Outlaw“ zwei Eingänge ins Tiefpaterre, allerdings weniger, um dem Andrang zur Rush Hour, beim Wach- oder Segelwechsel, Herr zu werden. Die Variante bietet der Crew einen trockenen und sicheren Weg über die angehobene Luvseite des Bootes nach unten.

Natürlich ist das Schiff auch „down below supremely practical“. Wer nach mehrstündigem Aufenthalt an Deck durchfroren, notdürftig, müde, hungrig und durstig nach unten kommt, möchte gleich die „Oilies“ und „Wellies“ loswerden, um im Toilettenraum zu verschwinden. Die Vertrautheit des Briten zu Ölzeug und den Wellingtons genannten Gummistiefeln drückt sich bereits in den Kosenamen für die alltäglich gebrauchten Utensilien aus. Dann braucht der segelnde Angelsachse zur Wiederherstellung der Lebensgeister und für den weiteren Rennverlauf nötigen Optimismus eine warme Suppe oder mindestens einen Tee. Der lässt sich im breiten und ruhigen Mittschiffsbereich der schaukelnden und stampfenden Hochseeyacht am ehesten zubereiten. Bekanntlich findet ein waschechter Brite auch bei katastrophalen „cats and dogs“ Verhältnissen, bei denen kein normaler Mensch oder zivilisierter Mitteleuropäer für unzählige Pfund Sterling seine kostbare Freizeit auf dem Meer vergeuden würde, beim Tee zu seiner trockenen, tröstlichen, auch zivilisierte Mitteleuropäer unterhaltenden Lakonie zurück.

Anfang der 60er Jahre wurde – heute kaum mehr vorstellbar – ohne GPS, Kartenplotter und Farbbildschirm „pretty basic“ von Hand, mit Erfahrung, Geduld und Glück navigiert. Im beinahe vergessenen Zeitalter der herkömmlichen Papierseekarte, als die Fathoms und Feet in meistens funktionierenden, Vogelhaus großen, nylongrauen Kisten vom Typ Hecta oder Homer, die Knoten und Seemeilen durch die Hermes Serie von Brookes & Gatehouse mitgeteilt wurden und man mit Sicht- und Funkpeilung, routiniertem Guesswork und gekoppelten Kursen irgendwie zum Ziel kam, brauchte es einen versierten Navigator. Dessen Arbeitsplatz brachte Illingworth unmittelbar vor dem Steuerstand an der Kajütrückwand unter, wo üblicherweise der Niedergang ist. Durch die seitlich neben dem Steuerrad geöffneten Klappfenster gelangte selten Spritzwasser ins Schiff, bekam der Steuermann die zu steuernde Gradzahl und seinen Tee.

Erfolgreicher Admirals Cupper

Bootseigner Aitken, der sich im zweiten Weltkrieg als Pilot für das Kingdom eingesetzt hatte, macht seiner Nation und sich während der Segelsaison 1963 mit diesem speziellen Schiff auf den Regattabahnen einige Ehre. Im Dreibootteam mit „Noreyma III“ und „Clarion of Wight“ gewinnt die radikale Segelsonderanfertigung die vierte Ausgabe des Admirals Cup vor den USA, Schweden und drei weiteren Nationen. Der Admirals Cup, nicht zu verwechseln mit dem küstennah ausgefochtenen America’s Cup, ist die inoffizielle Weltmeisterschaft im Hochseesegeln. Im Herbst ‘63 ist die Novität dann anlässlich der London Boat Show am Earls Court vom breiteren Publikum zu besichtigen. Die Bootsmesse hatte der Verleger selbst initiiert.

Negativer Deckssprung

Schockierend ist die von der Schiffsmitte zum Bug und Heck hin abgesenkte statt herkömmlich elegant nach oben geschwungene Deckskante. Den eigenwillig abgerundeten Kajütaufbau aus formverleimtem Mahagoni hat man so auch noch nicht gesehen. Der Steuermann sitzt vor seiner Crew, die in der Sitzkuhle hinter seinem Rücken den Segeltrimm mit einem eigenartig gewölbten Großschotwagen und geneigten, an der Zugrichtung der Leinen ausgerichtete Winschen besorgt. Auch das ist anders. Die in blaue Blazer gewandeten Schiffermützenträger gehen Kopf Schüttelnd weiter. Aus irgendeinem unaussprechlichen Leim geklebte Boote mit negativem Deckssprung, allerlei Gadgets und einem auch noch an Deck stehenden Mast mögen ja schnell sein, gelten aber als „not seaworthy“. Für die Regatta- und Zahlenfüchse ist „Outlaw“ aus einem anderen Grund erledigt. Die Erkenntnis der Saison ist, dass sich ein so genanntes Leichtdeplacement, das aus weniger Boot mehr Knoten macht und bei günstigen Bedingungen surft oder gleitet, mit der halben Bordwandstärke der „Outlaw“ bauen läßt.

In den siebziger Jahren ist die Eintagsfliege in der Fahrten- und Bummelsegelei, darunter zwei Atlantiküberquerungen, unterwegs. Dann wird „Outlaw“ auf der Isle of Wight in Cowes auf dem Gelände der Shepards Wharf stillgelegt. 1983 verguckt sich der junge englische Lederhändler Michael „Mike“ Horsley in die vorübergehend berühmte Admirals Cup Eintagsfliege und spuckt für eine umfassende wie stilsichere Sanierung des Regattaklassikers in die Hände. Sein Vater verdingt sich im sonnigen Antibes als Yachtmakler, die Familie ist also vom Fach.

Wie jede glückende und gute Beziehung ist auch die Horsleys zu seinem Schiff eine Lebensaufgabe, dessen Pflichten regelmäßig ernst- und wahrgenommen werden. Zwar ist bislang das meiste gemacht, doch dauert das Instandsetzungsprogramm bis heute an. ´95 bekommt Outlaw eine neue Takelage aus gold eloxiertem Aluminium. Stolz, aber auch grinsend berichtet der Lockenkopf von der letztmöglichen Lieferung eines einst angesagten Alufinish, dessen gewollt wertige Anmutung etwas aus der Mode gekommen ist. Obwohl der Erhalt des Originalzustands klassischer Yachten mehr denn je angestrebt wird, trennt sich Horsley schweren Herzens von den einst an Deck installierten Winschen vom Typ Lewmar 65. Wie von Trimmhilfen der 60er Jahre oder historischen Porsche Modellen leidlich bekannt, wurde damals zugunsten der schieren Funktion ein erschütternder Aufwand für laufende Wartungsarbeiten in Gestalt der komplett ausgebauten Winsch oder des Motors in Kauf genommen.

Seit Ende der 80er Jahre segelt Horsley den betagten Cupper an der Cote d’ Azur. Da muss nicht so oft auf die Seekarte geguckt werden, wird bequemer als bei stündlichen wechselnden Strömungen durch Untiefen gespickte, von Nordatlantischen Tiefdrucksysteme heimgesuchte Gewässer geschippert. Außerdem regnet es in Südfrankreich in der Segelsaison weniger als an einem Segelwochenende auf dem Solent.

Die Sache mit den Bohnen

Bei den Klassikerkonvents des Mittelmeeres ist Horsley wie der alte Aitken direkt hinter dem rasant abgerundeten Deckshaus am formverleimten Steuerrad zu sehen. Lange darf er es nicht loslassen, sonst biegt das semimoderne Schiff, dessen Ruderblatt im Stil der 60er Jahre an einem halblangen Kiel hängt, kurzerhand ab. Zur artgerechten Fortbewegung auf der Regattabahn turnt eine quasi Fußballmannschaft große Crew an Bord herum. Die 80 Quadratmeter des Genua Vorsegels und das 55 qm Groß sind kein Pappenstil, die Handhabung schwarz-weißen Spinnakers mit den beiden goldenen Spinnakerbäumen auch nicht.

Wir begegnen Outlaw in Imperia, wo Horsley mit verschmitztem Stolz das merkwürdige, heute noch ungewöhnliche Schiff mit dezent in das kleine Heck geschnitztem Bootsnamen zeigt. Den Lederhandel hat er mittlerweile aufgegeben. Nach Übernahme und Verkauf des väterlichen Geschäfts makelt er in Antibes bei Edmiston & Company mit klassischen Yachten. Die Polster sind mittlerweile grün statt rot. Beim Öffnen der natürlich auch Form verleimten Küchenschubladen freut sich der hagere Endvierziger, dass der Resorzinol Kleber bis heute nicht nur diese mehrschichtig verleimten Bauteile zusammen hält. Ehefrau Ros, eine sportlich blonde Britin, erklärt „only my mother called me Rosalind“ und kocht gerade Beans. Echte Engländer bringen nicht nur ihre Schiffe zur sonnen verwöhnten Beletage des Lebens. Auch ihre sonstigen Gewohnheiten, etwa den Verzehr weißer Bohnen, ein Brauch, der nicht von allen Europäern als Quintessenz gehobener Esskultur erlebt wird, werden tradiert.

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