Ein Tag im Schmidtuniversum

Michael Schmidt ist der Mann auf der Kommandobrücke der Hanse-Yachts AG. Vor allem ist er ein Typ. Gehen wir mit ihm segeln.

Ein Anruf bei Hanse Yachts. Herr Schmidt, wollen wir nicht mal ne Homestory machen? „Nö, Homestories finde ich sch… Da muss ich wie Vicky Leandros mit Tochter und Köter am Kamin sitzen, stürzt dann ein Fotograf da rein und knipst alles. So’n Mist guck ich mir nicht mal in der Wartezeit vor dem Haareschneiden an.“ Sie haben doch einen alten Zweimaster aus Amerika. Damit können wir doch ne runde Segeln und ein bisschen über Boote quatschen. „Okay, kommen Sie nächsten Freitag nach Greifswald, da zeig ich Ihnen den Laden und wir legen ab.“

Der passionierte Segler Michael „Schmiddl“ Schmidt hat als bunter Hund der Bootswelt schon einiges gemacht, in Kiel kanadische Serienboote gebaut, Admirals Cupper wie die „Düsselboot“, „Pinta“, „Rubin“, „Outsider“ oder „Tina“ für die inoffizielle Hochseesegel Weltmeisterschaft vor Cowes vom Stapel gelassen, in den 80ern beinah das erste deutsche America’s Cup Syndikat mit auf die Beine gestellt, oder mit „Michael Schmidt & Partner“ einen bis heute florierenden Gebrauchtboothandel gegründet. Wie unschwer am langen Haupthaar zu erkennen, ist er selten beim Friseur, wo diese unsäglichen Postillen ausliegen, die bekanntlich keiner liest, deren Inhalt wir dennoch alle kennen. Schmidt trägt das Haar noch länger als Hasso Plattner, was für Vielsegler nicht gerade praktisch ist. Es hinterlässt rasch einen ungekämmten Eindruck, kündet aber von einer Neigung zur unzeitgemäßen Individualität, die viele simulieren, wenige sich wirklich leisten. Freunde der langen Matte fahren entweder Taxi oder Porsche. Der Gründer und Vorstandsvorsitzende der Hanse Yachts AG hat einen dunkelblauen.

Anfang der 90er packt der Regattasegler und High Tech Bootsbauer zum Entsetzen seiner Familie, Verwandtschaft und Freunde in Wedel an der Elbe seine Sachen zusammen, um in Mecklenburg-Vorpommern noch mal neu anzufangen. „Ich hatte in Wedel drei Jahre auf die Genehmigung eines Bootssteges von der Hafenbaubehörde gewartet. Drei Jahre, verstehen Sie, nicht drei Wochen oder Monate. Ich war diese saturierte Wessiwelt, die Döntjes in der Regattasegelszene müde. Alle hielten mich für bescheuert.“

Von der Volkswerft Stralsund zur Hanse Group

In Greifswald übernimmt Schmidt mit der „Volkswerft Stralsund“ einen stotternden Betrieb zur Reparatur von Fischkuttern. Interessanter als die 135 Leute auf der Gehaltsliste findet Schmidt die zwanzig Tausend Quadratmeter mit Wasseranschluss zum Bodden. „Für dreißig von Euch habe ich Arbeit“ erklärt Schmidt der Belegschaft frank und frei. Das war natürlich ein Spitzeneinstieg für den Wessi mit der rauhen Schale und dem weichen Kern. Zur Hanseboot ‘93 stellt Schmidt die „Hanse 291“ unter einem unübersehbaren Preishammer aus. Das Verkaufstalent bietet 8,90 m und 2,6 Tonnen Segelboot mit fünf Kojen und 43 Quadratmetern Segelfläche für ganze 44.444,44 deutsche Mark an. Da staunt der Laie. Die Fachwelt wundert sich. Schmidt kehrt mit dreißig Aufträgen nach Greifswald zurück. „Das war der Hanse-Urknall“ meint Schmidt. Dabei ist er das eigentlich selbst. „Bis heute haben wir rund 500 Boote des damaligen Einsteigermodells gebaut. Das war für eine abgeschriebene Form nicht übel.“

Heute, 22 Hanse Yacht Modelle und einige Tausend Boote später ist aus Schmidts ostdeutschem Werftabenteuer eine rasant wachsende, Börsen notierte Aktiengesellschaft geworden. Sie macht gerade die englische Tourenseglermarke „Moody“ und die norwegische Motorbootlinie „Fjord“ mit frischen Ideen flott. „Nach Benetau und Bavaria sind wir bei den Segelbooten die Nr. 3.“ Aus der 30-köpfigen Belegschaft der stotternden Fischkutterwerft sind mittlerweile über tausend geworden, von denen gut die Hälfte bei Hanse angestellt, sonst als Lieferanten in der Gegend beschäftigt sind und mit 850 Booten im letzten Geschäftsjahr 105 Millionen Euro Umsatz machten. Neulich wurde nochmals in die Produktion investiert. Hanse lässt zur Hälfte im nahe gelegenen Polen, 50 Prozent in deutschen Hallen laminieren. Unterstützt von Porsche Consulting werden die Abläufe bei Hanse weiter optimiert.

Nach dem Einstieg in den ertragreichen und vergleichsweise kontinuierlichen Motorbootbau mit pfiffig eingefädeltem Fjord Relaunch stellen die Greifswalder demnächst in England mit der Moody 45 DS einen 14 Meter Motorsegler mit überraschend kleinem Gähnfaktor vor. Sechs bereits vom Papier weg verkaufte Boote zeugen vom Vertrauen in Konzept und Bauausführung.

Der Individualist mit der langen Matte und der klaren Ansage ist zu einer Art Vorzeigeunternehmer und -wessi geworden, den mancher Politiker vor allem im Sommer, wenn in Greifswald die Sonne scheint und alles schön grün ist, gern besucht. Stolz zeigt der Selfmademan und Wahlossi die neue Fünfachsfräse, eine Art Computer gesteuerten großen Zahnarztbohrer, der einen Schaumblock wieselflink in die Form des nächsten Hanse, Moody oder Fjord Modells verwandelt.

 Am Schwimmsteg vor der Werft liegt Schmidts Amischlitten, die „Bounty of Mobile“ mit stilisiertem Adler auf dem Rotweinglas förmigen Heck, bronzener Schiffsglocke, hölzernen Umlenkrollen und umständlichen Flaschenzügen. Ein richtiges Schiff und etwa so umständlich wie die „Pamir“. Eine Antiquität mit charmant geschwungener Deckskante und kastenförmiger Kajüte, dessen Dach wie in der guten alten Zeit mit weiß lackiertem Leinen bezogen ist. Kühn ragt der Klüverbaum über den Klipperbug. Die „Bounty“ ist 18 Meter Charme, der Soft Spot des Gemüts- und Genussmenschen Schmidt.

Der Hanse-Urknall

Es gibt Schiffermützenträger, die könnten ein mächtiges Seemannsgarn über Francis Herreshoffs Entwurf von Anno 1931, ach was, die ganze amerikanische Bootsbauerdynastie, zu der es Archive, Bildbände, Devotionalien und ein eigenes Museum in Rhode Island gibt, die legendäre „Ticonderoga“, in deren Kielwasser auch die „Bounty“ segelt, spinnen. Schmidt interessiert das wenig. „Ich habe sie gekauft, als mich das Regattasegeln nicht mehr reizte. Ich mag den Böckel einfach“ meint er und erzählt stattdessen die Geschichte eines Vorbesitzers, der sich eines Tages zwischen seinem Schiff und seiner Frau entscheiden musste. Es ist eine ziemlich virile, Schmidt-typische Geschichte, dessen Einzelheiten wir anstandshalber weglassen. Natürlich behielt der echte Seemann damals seine hinreißende Ketsch. Später pflügte die „Bounty“ als segelnder Milchmann durch die Karibik. Wer durch die Relingspforte aus grün angelaufener Marinebronze mit eingelassenem Bootsnamen steigt, hat innerlich schon abgelegt.

Wenn „der Scheiß“ nicht anspringt

Doch scheint aus unserer Bootspartie auf den Bodden nichts zu werden. Der Anlasser rührt sich nicht, so deftig Schmidt auch schimpft. Noch nie haben noch nie so viele four letter words gehört, wie in diesen Stunden. Zum Glück gibt es ja das Mobiltelefon, eine Errungenschaft der modernen Welt, ohne die der Hanse-Urknall kaum denkbar ist. Wer das Glück oder Pech hat, zum Schmidtuniversum zu gehören, sei es auf gehobener Hierarchieebene in der inneren Umlaufbahn, oder als Trabant einer äußeren, muss zu praktisch jeder Tages- und Nachtzeit mit einem Anruf rechnen. „Ja Schmiddl hier: sach mal, warum geht’n der Scheiss hier nich?“ Nach umgelegtem Batteriehauptschalter geht ein Rütteln durchs Gebälk und „der Scheiß“ geht.

Am liebsten trägt er ein fröhlich buntes Hawaiihemd, eher leger so über den Gürtel. Bei semioffiziellen Anlässen, wenn etwa ein Fotograf an Bord ist, nimmt Schmidt ein gebügeltes in dezenteren Farben. Segler und solche mit gesundem Appetit schätzen die alles umhüllende, luftige Kluft nicht nur beim Boot als Über Alles Persenning. Auch die Schuhe, seine Docksides, sie gleichen ramponierten Hafenschleppern, trägt Schmidt offen. Da muss er sich nicht so oft bücken. Die blöden Lederbänder bleiben eh nie zu. Draußen vor dem Wampener Riff dreht Schmidt den Bug seiner Antiquität in den Wind und freut sich über hilfreiche Hände an den Fallen für das Großsegel, Besan und den Klüver. Schmidt lehnt, er liegt eher neben dem gemütlich geschwungenen Holzrand der Sitzmulde und dem Steuerrad im Herrenseglerbänkchen auf dem grünen Polster. Es ist sein Kanapee.

Ein diesiger Freitagsfeierabend. Schmidts „Böckel“ nimmt Fahrt durch den Greifswalder Bodden auf. Seit 17 Jahren hat er ihn. Die beiden brauchen einander. Das gut siebzigjährige Gebälk die professionelle Pflege, Schmidt den Frieden auf dem Wasser. „So’n büsch’n die Schoten auf und es rutscht.“ Mit ganzen 1,45 Metern Tiefgang ist der Schmidts „Böckel“ ideal für die pappflachen Boddengewässer. Schmidt macht beiläufig viel richtig. Die gemütliche Brise aus West ist mit unserem Ziel Lauterbach auf Rügen einverstanden. Zeit, ein bisschen über Boote zu reden. „Du musst die Schiffe so bauen, das man die Mittwochsregatta im Club damit gewinnt und Muddi mitkommt“ beantwortet Schmidt die Frage, warum Hanse Yachten so breit und hochbordig sein müssen und wo dieser Trend zur schwimmenden Datsche noch hin führt. Mit „Mutti“ meint er die Mehrheit der Frauen, „die nur mitkommen, wenn es unter Deck Platz gibt. Wie viele Frauen gibt es, die Du heiraten kannst und die gerne segeln?“ Dieses auch dem Hanse-Urknall vertraute Dilemma des Seglers löst er mit immer neuen Ideen.

Schmidt denkt eher in Märkten und dem Lebensgefühl seiner Klientel als in Booten. Zum Träumen und loslassen hat er ja seinen „Böckel“. Er entwickelt schwimmenden Komfort für eine sich nach wie vor jung fühlende, älter werdende Klientel. „Heute ist man mit 60 nicht mehr so alt wie früher. Wir leben heute globaler, Design orientierter. Mich interessiert Lebensqualität auf einem Schiff.“ Deshalb gibt es bei der neuen Moody eine Ebene vom Steuerrad bis in die Kajüte. Solchen Komfort und eine Glasschiebetür zwischen draußen und drinnen kannte man bei Motorbooten, die von eingefleischten Seglern herablassend als „Cocktailshaker“ bezeichnet werden.

Und wie ist es, in Greifswald zu arbeiten und zu leben? „Es gibt motivierte, tüchtige Leute hier. Wenn Du nicht bescheißt und pünktlich zahlst, kriegst Du gute Arbeit.“ Auch sonst hat die Provinz klare Vorteile. „Wir sitzen hier oft nach der Arbeit beim Italiener zusammen und denken uns neue Sachen aus. Das ginge in Hamburg nicht, da haben alle noch was vor und hauen ab.“

Die Insel Zudar zieht am diesigen Spätsommerabend weit an backbord vorbei. Vor Vilm ist der Augenblick zum Segel bergen gekommen. Diesmal springt „der Scheiß“ unten im Motorraum willig an und Schmidt muss nicht telefonieren. Die letzten Kabellängen nach Lauterbach werden gedieselt. Manchmal, wenn der Selfmademan „in einem Hafen die Leute mit ihren Booten sieht,“ überlegt er: „Mann, wo ham die denn alle schon die Asche her?“ Für die „mit Asche,“ die Mittwochsregatta und „damit Muddi mitkommt“ denkt der Hanse-Urknall von morgens bis abends über Segelboote nach.

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