Congern mit Ulli Libor

Gutmütig und haltbar – die Conger-Jolle ist ein Kind der Wirtschaftswunderzeit, fröhlich bunt, entfernt verwandt sogar mit dem Schlachtschiff Bismarck. Ein Probeschlag mit Ulli Libor, dem Urheber des Evergreens.

Es ist an dieser Stelle meist vom Außerordentlichen, Gediegenen, dem konzeptionell Bemerkenswerten, der Neuheit die Rede. Das liegt daran, dass es reizvoller und einfacher ist, über die auffällige, geschichtsreiche und exklusive Yacht zu berichten. Die Novität erscheint interessanter als eine gewöhnliche Jolle, die seit vier Jahrzehnten von jedermann auf irgendeinem Baggersee oder einer Talsperre in fast viertausend Exemplaren gesegelt wird. Die es für kleines Geld im Segelverein, einem Winterlager oder bei Ebay zu schießen gibt und für das Budget eines günstigen Kleinstwagen neu zu kaufen.

Es soll bei einer Bootstaufe eines Conger vorgekommen sein, dass der weihevolle Akt der Namensgebung mit der herablassenden Erkundigung nach den Hähnen für warmes und kaltes Wasser ins Lächerliche gezogen wurde. Tja, so geringschätzig, so gemein kann der zum besseren Boot promovierte Angeber sein. Man kennt dieses Benehmen von Kindern. Kaum aus dem Gröbsten raus, wird schon über die Kleinen gelästert. Dabei hat der Angeber wahrscheinlich seine ersten tastenden Versuche im Umgang mit Schot und Pinne an Bord dieser Jolle mit dem stilisierten roten „C“ im Großsegel gemacht.

Farben der ausklingender Sechzigerjahre

Die gut fünf Meter lange Jolle mit dem verschließbaren Unterschlupf gibt es in selten gesehenem Perlweiß. Eigentlich kennt man sie aber in bunten Farben. Beispielsweise in türkisgrün und rubinrot, in adriablau, korallrot, smaragdgrün und aquamarinblau, wie der Prospekt „Sieben Conger-Träume“ damals die Pigmentierung der Gelcoat Deckschicht anpries. Wie seinerzeit in Kantinen, Saunen oder Badezimmerausstattungen wurde auch beim Conger verwegen kombiniert. Grün und orange etwa galten lange als hip. Der aufmerksamkeitsstarke Kontrast von kräftigem rot zu leuchtendem blau wurde auch gern genommen.

Sitzmulde wie im Whirlpool

Sie ist mit körpergerecht geformter Sitzkuhle, dessen stufiges Arrangement mit rutschsicheren Flächen an das Blubberbecken einer Therme erinnert, ein Erzeugnis des Wirtschaftswunders. Sogar zwei Abflüsse gibt es, nur die allernötigsten Leinen, eine Badeleiter, sogar eine Halterung für den Außenbordmotor. Abgesehen vom vierkantigen Teakgriff der Pinne und dem Paddel für den Heimweg ist das Boot komplett holzfrei, also ringsum pflegeleicht und abwaschbar.

Mit den beiden zu Griffen geformten Klüsen lässt sich der Conger Sonntagabend oder am Ende der Segelsaison mit energischem Schwung auf den Anhänger zerren. Charakteristisch ist die ovale Dichtmanschette an der Mastdurchführung in die Spitzkappe, sind die allernötigsten Klemmen, hinten noch mal zwei Festmachgelegenheiten und eine umlaufende Scheuerleiste als Rammschutz für die üblichen kleinen Rempeleien eines Seglerlebens. Was immer ein Boot theoretisch und bei geschicktem Einsatz sogar praktisch schneller, aber eben auch komplizierter macht, gibt’s beim Conger nicht. Die Jolle ist also sehr modern und für den „just do it“ Typen einfach richtig.

Warum Helmut Schmidt Conger segelte

Der Conger war, ist und bleibt je nach Perspektive erfrischend bis erschütternd einfach. Ein Boot für Leute, die mit ihrem eigentlichen Privat- und Arbeitsleben, vielleicht auch einem weiteren Hobby ausgelastet sind. Deshalb segelte der einstige Bundeskanzler Helmut Schmidt, ein Freund klarer Präferenzen, Conger.

Um den Erfolg des Evergreen und seine Geschichte zu verstehen, eignet sich eine Verabredung mit Ullrich Libor am nördlichen Zipfel von Hamburgs Außenalster. Die Straßen hier heißen Bellevue oder Fernsicht. Eine zentral gute Gegend mit Blick über den ringsum begrünten See hinüber zur Innenstadt mit markanten Hochhäusern, Kirchtürmen und den aktuellen Baustellen. Hamburg ist hier auf eine entspannt noble Art schön, ein wenig, aber nicht zu englisch.

Wer hier lebt, segelt entweder das klassische Dreimannkielboot Drachen im obligatorischen Verein nebenan, eine Klasse mit besonderem Nimbus. Oder er hat eine Yacht am Meer. Dennoch gibt es am Bootssteg Bobby Reich so viele Conger Jollen wie sonst kein zweites Mal. Hier haben Segelvereine ihre Jugendboote liegen, Betriebssportgruppen ihren Firmenconger und natürlich ist die Jolle hier auch für ein Stündchen oder zwei zu mieten. Der Conger wurde an der Elbe ausgedacht und bis Ende 1971 zunächst bei Blohm & Voß gebaut. Vorübergehend laminierte eine andere Werft, seit ‘78 die Firma Fiberglas Technik im Süden Hamburgs.

Dem ehemaligen Silber- und Bronzemedaillensegler im Flying Dutchman (in 1968 Acapulco und ‘72 Kiel) und langjährigen Geschäftsführer des Deutschen Golf Verbands sind die 70 Jahre kaum anzusehen. Seit seiner Pensionierung ist Libor wieder oft auf dem Wasser, segelt seit drei Jahren erfolgreich Drachen. In dieser segeltechnisch ausgereizten und taktisch anspruchsvollen Klasse mit hochkarätiger internationaler Konkurrenz wurde er 2007 Vizeweltmeister.

Es ist lange her, dass Libor mit dem Conger abgelegt hat. Entsprechend amüsiert geht er auf den Vorschlag ein, mal zusammen eine Runde mit maßgeblich seiner Kreation von anno 1964 zu segeln. Vor uns liegt ein fertig aufgetakeltes Exemplar mit adriablauer Plicht über weißem Rumpf. Eine für den Bootstyp dezente, hanseatische Farbkombination.

Es ist ein kleiner Schritt vom niedrigen Steg in die ergonomisch geformte Conger Plicht, dennoch einer in eine andere Welt, in dieses Wirtschaftswundererzeugnis, den Optimismus der 60er Jahre. Flott ist das Boot abgestoßen, treibt bei der Alstertypisch unregelmäßigen Brise erstmal eine verblüffende Portion seitwärts. Oh Mann, wir haben wohl das Schwert vergessen. Ist das denn wirklich unten? „Keine Sorge, das wird schon, wir brauchen erst mal ein bisschen Fahrt“ beruhigt der alte Segelfuchs. Tatsächlich, nach einer Weile wird die Abdrift erträglich. So congern wir in gemächlichem Tempo über den Haussee der Hansestadt. Libor erzählt von damals.

„Anfang der 60er Jahre arbeitete ich als Repräsentant von Elvström Segeln auf einer Messe“  erinnert Libor. „Nebenan stellte Blohm & Voß eine Kunststoffjolle, den „Hawk“ (Habicht) aus. Die Werft wollte mit der Lizenzfertigung des amerikanischen Bootes damals Erfahrungen mit Glasfaser verstärktem Kunststoff als neuem Bootsbaumaterial sammeln. Leider war der Hawk aber nicht gelungen. Das Boot hatte so wenig Anfangsstabilität, dass es sich nicht gefahrlos von der Seite betreten ließ.“ Auf diese und andere Nachteile machte Ulli Libor den seinerzeitigen Werftchef Joseph H. Van Rieth aufmerksam, der daraufhin vom viermaligen Jugendmeister in der Piratenjolle, Europameister im Snipe und deutschen Meister im FD eine bessere, familientaugliche Wanderjolle mit Regattaoption entwickeln und von Bootskonstrukteur Karl Feltz in Finkenwerder zeichnen ließ. Ein Boot, dessen füllige Linien den Bauch bei zunehmender Geschwindigkeit über das Wasser in die rasante Gleitfahrt hebt. Einen Allrounder mit trockenem Platz für den Fresskorb und reichlich Zulademöglichkeit für‘s Wochenende. Sie bietet eine Übernachtungsoption für zwei 1,80 m große Erwachsene unter der Spitzkappe und in der riesigen Sitzmulde Sitzplätze für sechs. Eine multioptionale Familienkutsche für Einsteiger und Fortgeschrittene mit Genuavorsegel statt Fock und Trapez für die sportlichere Gangart.

Gestalterisch und vom pflegeleichten Bootsbaumaterial her war der Conger fortschrittlich. Üblich waren damals altbackene Knickspanter aus Holz. Einmal gekentert oder vollgeschlagen blieben die Boote ohne eingebaute Auftriebskörper auf Tauchstation. Sie waren nur mit Mühe wieder in Fahrt zu bringen. Je nach Alter und Vernachlässigung waren die Holzboote Dauerbaustellen. Sie waren von gestern, etwas für Traditionalisten. Der unsinkbare Conger hatte reichlich eingebauten Auftrieb.

Mit clever eingefädelter Publicity wurde der Conger bekannt gemacht. Die Bildzeitung, Spiegel und Stern berichteten über die neue Jolle. Die damals 4.985 Mark teure Wanderjolle war problemlos hinter einen VW Käfer zu hängen. Der gelernte Maschinenbauer und Schiffahrtskaufmann Libor kümmerte sich ab 1965 fünf Jahre um den Vertrieb. Bald war der am steilen Elbhang nach Blankenese kapitulierende R4 durch einen komfortablen Ford Taunus Kombi ersetzt. Da passten die Segelsachen hinten rein und Platz für Libors Familie gab es auch. Im ersten Jahr brachte Libor 165 Conger an den Mann. „Später waren es so drei bis sechshundert Schiffe jährlich.“ Es wurde sogar eine Lizenz an Kawasaki nach Japan vergeben.

Und warum ist das Boot so schwer geworden? „Na, es gab damals die Direktive: Macht es gleich richtig, es dürfen keine Reklamationen kommen“ erinnert Libor, gibt aber zu: „Natürlich könnte man das Boot heute 60 bis 80 Kilo leichter bauen und ihm, wie manch’ anderen Bootsklasse auch, etwas mehr Segelfläche mitgeben. Doch dann wäre der Conger nicht mehr so haltbar und gutmütig.“

So ist der Jolle beim schwachwindigen Probeschlag auf der Alster auch mit dem Segelfuchs Libor an Schot und Pinne anzumerken, dass er aus der Großschiffswerft stammt, wo unter anderem das Schlachtschiff „Bismarck“, die „Cap Arcona“ oder das Segelschulschiff „Gorch Fock“ vom Stapel liefen. Das Boot ist für die Ewigkeit gebaut. Ein paar Windstriche schubsen uns wieder zurück an den Bootssteg. Schmunzelnd schweift Ullrich Libors Blick hinüber zur Bellevue. „Als der Conger damals weg ging wie warme Semmeln,  hieß es garstig: Mensch Ulli, Du kleisterst uns hier den ganzen See mit Deinen bunten Dingern zu.“

Wenn ein Boot seit 45 Jahren einfach so, nämlich häufig und gern, auch aktiv Regatta gesegelt wird, perlen die ätzenden Kommentare ab wie Spritzwasser auf frisch poliertem, fröhlich buntem Kunststoff.

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