Das Schnäppchen aus Turin

Dies ist die Geschichte von einigen Bayern, ihrem segelnden Schnäppchen und den Abenteuern auf dem Mittelmeer. Wir versprechen ein Happy End.

Es ist eine bekannte, leider immer wieder unterschätzte Tatsache, dass Männer Spielzeuge brauchen. Der Münchener Hotelier Markus Daniel und sein Spezi Christoph Schmidt haben auf ihrem Weg zu erwachsenen Jungs verschiedene Sachen ausprobiert. Sie sind im Sommer mit dem FD auf dem Starnberger See, im Winter im DN Eissegelschlitten über gefrorene Gewässer gebrettert und haben mal ein offenes Kielboot namens „Toy for the boy“ flott gemacht. Sie waren also im Thema.

Leider sind Ehefrauen hinsichtlich Spielintensität und Kosten schlimme Spaßbremsen. Erschütternd früh wird der große Junge mit einem üblen Ultimatum etwa folgenden Wortlauts vor die Wahl gestellt: „Das Boot oder ich.“ Schweren Herzens schwor Daniel also dem Segelspielzeug ab. Es wurde ein Hund angeschafft und Daniel beschäftigte sich des häuslichen Friedens halber mit Autos. So schob der Segler stattdessen artig mit einem alten Bentley samt Gattin und „Zamperl“ (hartdeutsch Hund genannt) durch das bayerische Voralpenland.

Spatzl, I’ hob grod a Schifferl g’kauft

Nun ist Straßenoldtimer fahren nicht halb so interessant, wie auf einem dicken Schlitten die Winschen surren lassen oder messerscharfe Segelscharmützel mit anderen Jungs ausfechten. So erklärte Daniel seiner Frau eines Tages nach artig durchlittener Abstinenz: „Du Spatzl, I’ hob grod a Schifferl g’kauft. Goahns gühnstig.“ Das Schnäppchen stand mitten in Turin als Ausstellungsstück. Es gibt wenige Schiffe, die man auf der Piazza Vittorio Veneto zeigen kann. Eine dieser abgefahrenen Wally Yachten vielleicht oder einen Zwölfer der letzten Generation. Mit Flügelkiel, Trimmklappe, separatem Ruder und weiteren Schikanen. Jeder Segler, der um so eine aufgebockte Last Edition herumgeht, wird vom Habenwollen-Impuls bemächtigt, einer bohrenden Mangelerscheinung, wie seit der Kindheit vom Besuch eines Spielzeuggeschäfts erinnert. Oben ragten ein paar Kurbeln über das Deck, wie man sie aus jeder Muckibude kennt. Das beste: Es hatte zwei mal drei, also insgesamt – boah! – sechs Steuerräder. Daniel kaufte „innerhalb zwei Stunden.“

Die Einzelheiten des ehelichen Disputs über das Schnäppchen, haben wir nicht erfragt. Jeder Segler kennt solche Debatten über „warum und wozu,“ wenn er nicht gerade Ellen McArthur oder eine olympisch gestählte Segelamazone geheiratet hat. Abgesehen davon, dass Spielzeug da sein muss und Spaß machen, lässt es sich nicht rechtfertigen. Wer darüber daheim zu diskutieren anfängt, ist in Teufels Küche.

Natürlich hatte Daniel zwischendurch den Gebrauchtbootmarkt im Internet abgescannt. Irgendwas Sinnvolles außer arbeiten muss ein vom Segeln suspendierter Hundegassigänger und Oldtimerfahrer ja machen. „Die „Italia 7“ war in Southampton zu haben, wurde aber während der Kaufanbahnung immer teurer und schließlich kaltherzig vom Markt genommen. So machte ihn der Münchener Segelfreund Franz Höflinger auf „French Kiss“ aufmerksam. Echte Freunde verstehen es, ein Leid mit hilfreicher Information zu beenden. „Wir sind dann gleich runter gefahren. München – Turin ist ja nicht weit“ erinnert Daniel.

Rasch wurde das Turiner Ausstellungsstück zur Marina di Carrara verfrachtet. Dort gibt es Kranmöglichkeiten für schwere Steine aus den Marmorbrüchen oder sackschwere Grand Prix Zwölfer, die sich vermögende Italiener an der toskanischen Küste halten wie andere eine kapriziöse Hunderasse.

Nach diesem furchtbaren Entzug hatte der angefressene Bayer die „Panerai 12 Metre World Championship“, ausgetragen Mitte September vom Yacht Club de Cannes, als Regattadebüt ausgeguckt. Als er daheim das Schnäppchen gebeichtet hatte, war es bereits August. Das ist bekanntlich ein Monat, wo in Italien außer dolce vita, schwitzen und Touristen ausplündern wenig geht.

Das Innenleben eines Zwölfers der letzten Generation ist so umfangreich wie das einer mechanischen Uhr. Zum Glück kannte sich Christoph Schmidt aus seinem früheren Erwerbsleben recht gut mit der Reparatur von Druckmaschinen aus. Dieses Know How hatte er bereits in der seglerischen Kleinspielzeugphase ins Bootsfach übertragen. Schmidt nahm eine Auszeit vom Riederinger Haus und Hof und brummte mit Daniel im dunkelgrünen Sprinter durch die Alpen zur Bootsbaustelle in der fernen Toskana. Hinten drin die mobile Werkstatt mit breit gefächertem Werkzeug- und Schraubensortiment und – wichtiger – eine Espressomaschine und zwei Fässer trinkbares bayerisches Bier.

Natürlich war es gewagt, in Italien als Deutscher den Einheimischen Kaffee anzubieten, aber guter Wille wird im Ausland immer honoriert und dann gab es ja noch das Löwenbräu. Damit wurde im fernen Bootslager- und -reparaturbiotop ein günstiges  Klima hergestellt, Skepsis in Hilfsbereitschaft, die Eurozeichen in den Pupillen der Ortsansässigen in Sympathie verwandelt. Flink wurden die Winschtrommeln im Autofelgenformat abgehoben, Sperrklinken und Federn gereinigt, gefettet, wieder zusammengebaut, die Grinder, Kardanwellen, Gangschaltungen, Getriebe und die umfangreiche Hydraulik zumindest angeschaut und das Schiff ins Hafenbecken gehoben. Richtige Kerle putzen halt was weg, besonders wenn es sich um eine interessante Aufgabe handelt, die ohne lästige weibliche Supervision erledigt werden kann.

Der 27 m Mast wurde über das Boot gehoben, die seitlichen Haltedrähte aus zugfester Edelstahlstrangware mit den Wantenspannern im Format Kawasakidicker Auspüffe handwarm angezogen und die nötige Riggspannung zwischen Boot und Mastfuß mit der Hydraulikpresse hergestellt.

Dann zogen die Bayern einen kühnen Strich auf der Seekarte quer über den Golf von Genua. 128 Meilen bis Cannes. Daniel, Schmidt und Segelmacher Jörg Mößnang überführten das ihnen anfänglich kaum bekannte Schiff zu dritt, obwohl man dafür eigentlich eine Fußballmannschaft-große Crew braucht. Der 85 PS Turbodiesel schob die Segellokomotive auf das erfreulich windarme und entsprechend ruhige ligurische Meer hinaus, bis er irgendwo draußen das dieseln einstellte. Bei erträglichen Windverhältnissen – ein gepflegter Tramontana oder Mistral hätte dem „French Kiss“ Überführungs- und Probeschlag übel mitgespielt – segelten die Bayern weiter. Bordmechaniker Schmidt sah unten in der bullenheißen Tropfsteinhöhle des stickigen Aluminiumschiffes nach dem rechten. Männer müssen sinnvoll beschäftigt werden, am besten mit etwas zu großen Aufgaben. Also waren die drei mitten auf dem ligurischen Meer „grad sauglücklich.“

Wie bei älteren Booten üblich, hatte die Jobliste des soeben in Betrieb genommenen Schnäppchens zu- statt abgenommen. Also holte Schmidt erst mal sein fahrendes Basislager aus Carrara her und stellte den Sprinter am Quai Saint-Pierre in Cannes gegenüber vom Casino ab. Da, wo Prada Handtaschen und sündteurer Gucci Kram an der Promenade rings ums Hafenbecken hergezeigt werden. Das ist zwar nett anzusehen, aber nicht mal halb so interessant wie eine Last Edition mit America’s Cup Aroma.

Als verblüffendes Ergebnis eines echt italienischen Mix aus günstigen und weniger günstigen Umständen war das Ersatzteil von Lombardini „supperschnell“ da, es war ja bereits September. Zu vorgerückter Stunde, wo nur Deutsche und von der Hardware beanspruchte Segler arbeiten, statt sich entspannt in aparter Begleitung mit der örtlichen Weinkarte zu befassen, wurde das Turboteil montiert.

Dann weihte Marc Pajot, mit Medaillen und Silberbechern prämierter Segelprofi, die Bayern in die Finessen ihrer Segelmaschine ein. Der Franzose hatte „French Kiss“ in den achziger Jahren vor Fremantle schon gesteuert. Anlässlich der Übungswettfahrt vor dem eigentlichen Rennen machte Pajot die aus Bayern und Franzosen verschiedener Provenienzen gemischte Crew mit dreißig hintereinander absolvierten Halsen warm. „Jo, an goahns a cooler Hund“ meinten die Bayern einstimmig „und: echt suppernett.“ Dabei kennen wir Pajot mit Wohnsitz Saint Tropez einfach als Schnösel der soigniert südfranzösischen Sorte, alles andere als allürenfrei. Nach der Verständigung an Bord haben wir nicht gefragt, ob die in Bayrisch, bayrischem Englisch oder ein paar Brocken rudimentär vorhandenem Versuchsfranzösisch erfolgte. An Bord verstehen Jungs sich immer.

Trotz straffer Heranführung ans Thema wurde beim Regattadebüt natürlich nichts gerissen. Das lag unter anderem daran, dass die meisten 12er Eigner das Renngeschehen von Profis erledigen lassen. An Bord der brasilianischen „Wright on White“ ließen die Gebrüder Torben und Lars Grael nichts anbrennen, Patrizio Bertellis „Kookaburra II“ steuerte James Spithill und Bill Kochs „Kiwi Magic“ wurde von Paul Cayard um die Bojen gescheucht. Segler dieser Kampfklasse stellen die Hackordnung bereits in der Vorstartphase mit ein paar Kringeln her. Der Texaner Bill Koch, der mit 1992 mit „America3“ den America’s Cup vor San Diego verteidigte, würdigte immerhin „die Tatsache, dass die Bayern überhaupt mit „French Kiss“ hier sind, als great.“

Zwei Segelsommer später ist „French Kiss“ mit einem neuen, vom süddeutschen Spezialisten Andy Steiner laminierten Mast unterwegs. Dem alten, aus besonders hartem und unschweißbarem Flugzeugaluminium traute Daniel nicht, zumal zwischendurch bereits der Großbaum zerlegt wurde. Wenn „sonst was kaputt geht“, wirft Daniel einen gründlichen Blick in den Ersatzteilcontainer, wo „praktisch das ganze Harken-Sortiment der 80er Jahre noch original verpackt liegt“ berichtet der 40-jährige Eigner mit leuchtenden Augen. Und wenn es mal eine Getriebebox in der Frischluft Muckibude zerlegt, die einzig mit einem zölligen Helicoil zu retten ist, dann „schauen wir bei der örtlichen Caterpillar Vertretung rein. Solche Gewindebuchsen werden bei der Reparatur der amerikanischen Maschinen in den Marmorbrüchen von Carrara wie bei uns ab und zu mal gebraucht“ weiss Daniel.

Wie im Landleben auch ist die Software so wichtig wie die Hardware. So wird die „French Kiss“ mittlerweile von einer bayrisch-italienischen Mannschaft bewegt. Rinaldi Ronaldo war schon auf der „Italia 7“ dabei, Giulio Pino gibt den Bugmann und Dario Gallino beispielsweise ist als hauptberuflicher Segellehrer auch im Thema. Der 66-jährige Schmidt ist neben pikanten mechanischen Problemen für den Großsegeltrimm und die Backstagen zuständig. Er gilt altershalber als „Bordmethusalem“. Profis beschäftigt Daniel aus guten Gründen nicht. Als langjähriger FD Segler, eine Weile recht erfolgreich mit Markus Wieser, steckt der Eigner selbst genug im Metier, allerdings, ohne es mit Segler typischer Starkschwätzerei groß kund zu tun.

Trainiert wird vor dem endlos bis Viareggio reichenden Strand von Carrara. Zum Bummelsegeln geht es ins toskanische Archipel. In der gefürchteten Passage zwischen Korsika und Sardinien kriegte der frisch „schanghaite“ Bordelektriker Georg „Schorchi“ Vordermaier, der noch nie zuvor segelte, letztes Jahr bei acht Windstärken seine Feuertaufe. „Aber eins muss man dem Schorschi scho’ lassen. Er ist der einzige, der bei Stress immer mit den komplizierten Dreigangwinschen klarkommt.“

Die entsetzlich segelfreie Zeit von November bis März wird mit einem monatlichen Stammtisch im Schwabinger Hotel Vitalis ertragen. „Da gucken wir uns immer einen Film aus alten America’s Cupperzeiten an, gibt’s an g’scheiten Schweinebraten und ein paar Biere dazu.“ Und wie teuer ist der ganze Spaß? Also, wenn wir zum Segeln zum Mittelmeer fahren, mieten wir immer ein Haus oder ein, zwei Ferienwohnungen. Wir segeln, wohnen, brutzeln und essen grundsätzlich zusammen. Das hält die Kosten im vertretbaren Rahmen.“

Tja, was könnte praktisch jede Seglerfrau davon lernen, falls sie diesen Artikel bis hierher gelesen hat? Na, ist doch sonnenklar: Ist der Bursche mit dem richtigen Segelspielzeug voll beschäftigt, am besten einem mit 2 x 3 Steuerrädern und jeder Menge Winschen, geht die Ehe „supper“.

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