Besuch bei Toplicht

Im elbnahen Stadtteil Hamburg Bahrenfeld sind beim üblichen Westwind die Signale der Schiffe, die Sirenen der Kräne und das Poltern der Ladeluken zu hören.

In einem zweistöckigen Backsteingebäude einer Marzipanfabrik befindet sich der Boots- und Schiffsausrüster Toplicht. Beim Betreten des Geschäfts empfängt den Besucher der aromatische Geruch von geteertem Werg. Wenn sich die schwere Holztür unmerklich hinter dem Besucher schließt, hat er die 1,8 Millionen Einwohner Metropole verlassen und glaubt an Bord eines alten Holzbootes oder in ein Museum geraten zu sein.

Hier liegen Blöcke mit Gehäusen aus Buche, Esche oder Ulme, Wantenspanner aus Bronze oder verzinktem Stahl. Hier gibt es noch Poller, Klüsen oder Klampen in einer Machart, die längst durch pflegeleichtere aber eben auch seelenlose Ware ersetzt ist. Von der Affenfaust bis zur Zitrone, einem Tennisballgroßen Knoten zum Werfen dünner Leinen, bis hin zum Prisma zur verblüffend wirksamen Versorgung der Kajüte mit Tageslicht ist in Bahrenfeld alles zu haben, was ein Seemann in seinem Leben so braucht.

Mit Holzteeraroma

Mehr als 12 Tausend Artikel lagern hier – von der Holzschraube über den Dieselofen des dänischen Herstellers Refleks bis hin zum antiquierten Zweigang-Handankerspill. Hier kann das Objekt der Begierde nach ausführlichem Schmökern zuhause im Katalog nochmal in Ruhe am Tresen von allen Seiten angeguckt, in die Hand genommen und schließlich gekauft werden.

Wer sich beim Einkauf von Bootszubehör vorrangig am Preis orientiert, ist hier falsch. Das liegt am breit gefächerten Sortiment, das Toplicht im Lager vorrätig hat. Doch wer beispielsweise den zum Interieur passenden Türbeschlag sucht, wird hier fündig. „Wer sein Boot ausrüstet, kauft meist fürs Leben. Bei einer jahrzehntelangen Nutzung ist die Gewissheit, genau das richtige gekauft zu haben, wichtiger als der Preis. Es geht immer um Herzensdinge“ weiß Kai Bruhn. Wer eine beschichtete Nirowinsch im Bronzelook gekauft hat, ärgert sich sein Leben lang über den Fake. Er bleibt nämlich blank wie am ersten Tag. Oder man kauft eine Winsch, die Grünspan ansetzt, poliert werden muss und zum Boot passt.“

25 Mitarbeiter setzen hier 4 Millionen Euro um. Tendenz, entgegen der krisengeschüttelten Branche, steigend. Es ist ein Nischengeschäft, aber eines, das sich steter Nachfrage erfreut. „Wir könnten mehr Gas geben, mehr Werben und mehr expandieren. Aber wir arbeiten einfach wie gehabt weiter. Das Wachstum kommt von selbst“ sagt Geschäftsführer Michael Thönnessen, der stolz durch das aufgeräumte Lager führt, in dem wenig herum liegt und alles im Pappkartons bereit ist zur Lieferung.

Die für einen Bootsausrüster verblüffende Ordnung ist kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung zur schnellen Lieferung. „Wir liefern grundsätzlich an dem Tag, an dem wir die Bestellung bekommen haben. Dann ist der Kunde happy und wir haben weniger Korrespondenz. Das setzt voraus, das wir 95 Prozent aller angebotenen Artikel griffbereit im Lager liegen haben.“

Der Laden ist Visitenkarte und als beratungs- und zeitintensives Geschäft für private Kunden Luxus. Neuerdings wächst der Internetshop mit einer englischen Website zugunsten der telefonischen Bestellabwicklung. Die meisten unserer Kunden kommen aus dem deutschsprachigen Raum, zunehmend aber auch aus Europa. Es gibt einen holländischen Partner. Außerdem ist Toplicht als Großhändler Lieferant praktisch aller Werften für Restaurierungen und hochwertige Neu- und Einzelbauten im traditionellen Stil in England, Holland, Frankreich, Italien und natürlich Deutschland.

Tja, und wenn es etwas nicht mehr gibt und Eigner wiederholt danach fragen, dann sucht Toplicht einen Hersteller. Das ursprünglich schwedische Ettan Nahtwachs zum Abdichten von Planken eignet sich besonders geklinkerter Rümpfe. Es wird jetzt nach Original Rezeptur für Toplicht hergestellt. Und weil man zum Abdichten klassisch geplankter Holzboote gescheites Werkzeug braucht gehören Kalfathämmer und -eisen zum Sortiment. Letztere lässt Toplicht in einer dänischen Schmiede fertigen.

Mit den Bronzewinschen des neuseeländischen Herstellers Murray war bereits das Weltumsegler Ehepaar Hiscock unterwegs. Sie hatten damals schon eine komfortable Fierfunktion. Die sind bei Toplicht ebenso zu bekommen, wie Nachbauten der berühmten amerikanischen Merriman Fallwinschen mit Klemmband-Bremse. Damit lassen sich auch die Seitenschwerter auf Plattbodenschiffen bewegen.

Für die amtlich zugelassenen Schiffsglocken mit eingegossenem statt graviertem Bootsnamen hat Toplicht einen Lieferanten aus dem Sauerland. Die klingen besser als Billigware und sehen schöner aus. Auch die Deckenleuchten Fabrikat Davy Made in England aus Bronzeguss passen zu einem Klassiker wie die neuerdings bei Peters & Bey gebaute Positionslaterne mit einem Kupfer- statt Nirogehäuse. Für Motorbootfahrer hat Toplicht eine eigens aufgelegte Serie des beinahe vergessenen Steuermannsklappsitz im Lager. Jährlich werden etwa zehn verkauft.

Angesichts des anhaltenden Interesses an klassischen Yachten wäre es naheliegend, auf den Lifestyle zu setzen. Aber für Thönnessen ist die Beschäftigung mit alten Schiffen, klassischen Jollen oder Yachten kein Lifestyle, sondern das Thema seines Lebens. Er gehört zum visionären Gründerkreis des Museumshafens Oevelgönne, einem nostalgisch-charmanten Kontrapunkt zur Industrialisierung der Elbe mit immer effizienterem Warenumschlag in den Containerterminals. Thönnessen kümmerte sich damals um die holländische Tjalk „Fortuna“, einem 30 Tonnen schweren Plattbodenschiff Baujahr 1914. Weil man für den Betrieb solcher Schiffe ständig was braucht, hatte er immer ein paar Holzblöcke, etwas Teer oder Leinöl in der Garage. Aus dieser Vorratshaltung für Freunde wurde 1981 Toplicht. Ein Laden, der an die Küste gehört wie die Elbe zu Hamburg, mittlerweile halb Europa beliefert und Jahr für Jahr weiterwächst.

Aus dem anfangs dünnen Din A5 Katalog ist ein dickes Buch geworden. Es liegt in jedem Schwalbennest, auf den Werkbänken und überall, wo es um traditionelle Jollen, Yachten oder Schiffe geht.

Zur Artikelübersicht