Leicht ist besser
Wie der altbackene Holz- und Metallbootsbau zum faszinierenden Faserverbund-Technologieschaufenster wurde. Von der Jolle aus Glasfaser-verstärktem Kunststoff bis zum 80 Stundenkilometer schnellen Tragflügel-Geschoß aus Karbon.
Der Yachtsport ist eine spielerische Art des Jagens. Bei diesem Wettkampf geht es darum agiler, schneller, wendiger zu sein als andere. Nicht nur bei Grand Prix Regatten wie dem America’s Cup oder dem gerade ausgesegelten Volvo Ocean Race. Auch wenn sich Segelboote sonst begegnen erwacht bei jedem Segler der Jagdinstinkt. Er möchte gewinnen, erster sein.
Wer das bessere, sprich leichtere Boot hat, ist schneller. Beim Sportwagen zählt jedes beschleunigte oder gebremste Kilo. Beim täglich genutzten Auto definiert das Gewicht den Spritverbrauch. Gleiches gilt für das Flugzeug. Je leichter, desto wirtschaftlicher und umweltfreundlicher ist es. Die bis zu 80 m langen Rotorblätter moderner Windräder können überhaupt nur in den heute üblichen Größen gebaut werden, weil sie leicht und belastbar sind.
Auch beim Segelboot ist das Leistungsgewicht das Maß aller Dinge. Um das zu verstehen stellt man es sich als austariertes Gerät vor, wo die Gewichte über und unter der Wasserlinie in einem bestimmten Verhältnis stehen. Ist das Boot oben schwer, legt es sich bereits bei mäßiger Brise auf die Seite. Es kann den Wind nicht gescheit nutzen und kommt nicht voran. Bleibt das Boot oben leicht und steckt dank großem Ballastanteil viel Gewicht im Kiel trägt es die Segelfläche aufrecht im Wind.
Deshalb arbeiten Materialhersteller, Yachtarchitekten, Ingenieure, Bootsbauer und auf weitere Komponenten spezialisierte Lieferanten beharrlich daran, die Boote und deren Zubehör immer leichter und belastbarer zu denken. Anhand angenommener Belastungen wird es per Finite Elemente Analyse im Rechner untersucht und später rigoros geprüft.
Das Konzept leichter schneller Boote liegt bereits seit den Dreißiger Jahren in der Luft. Damals setzt sich der versierte Segler und Bootsbauer Uffa Fox im englischen Seglermekka Cowes für das sogenannte Leichtdeplacement ein. Doch ist das Material dazu, der Sandwichbau aus faserverstärktem Kunststoff über einem leichten Kern aus Balsaholz, Schaum oder Waben noch nicht erfunden.
Bereits Ende der Vierziger Jahre experimentiert die für ihre America’s Cup Rennyachten berühmte Herreshoff Werft in Rhode Island mit einer Jolle aus Glasfaser verstärktem Kunststoff. Der Prototyp ist ein krudes Lowtech-Erzeugnis aus schwerem, sprödem Material. Das Potential zur preiswerten Serienfertigung und Lieferung pflegeleichter wie haltbarer Boote wird aber damals nicht erkannt. Lewis Francis Herreshoff, der Sohn des Werftgründers bezeichnet die Bauweise mit der unansehnlichen Rückseite im Rauhfaserfinish als „frozen snot“. Aus „gefrorenem Rotz“, so behauptet er, könne man keine Boote bauen.
1966, als sich das GfK-Massivlaminat gegen Vorurteile und Widerstände der Holz-, Aluminium- und Stahlbootsbauer weltweit durchsetzt, haben der Ingenieur George Cuthbertson und der Flugzeugkonstrukteur George Cassian das „frozen-snot“ Verfahren weiter entwickelt. Die cleveren Kanadier stellen mit „Red Jacket“ das erste Sandwichboot vor. Es besteht aus einem leichten Balsaholzkern zwischen der inneren und äußeren GfK-Laminatschicht.
Der Siegeszug moderner Faserverbundwerkstoffe im Bootsbau ist eingeläutet. Er muß nur noch weltweit verstanden werden. Nachdem fünf Bootsbauer der angesehenen Nautor Werft vergeblich für den Generationswechsel vom schweren Massivlaminat zum intelligenten Leichtbau geworben haben machen sie sich 1973 mit der Baltic Werft selbstständig. Baltic Yachts gilt heute als erste Adresse für seglerische High Fidelity.
Jahr für Jahr wird die Methode mit zugfesteren Fasern, besseren Harzen und reduziertem Harzanteil verbessert. Die gezielte Erhitzung der Epoxidharz-verklebten Bauteile gewährleistet die vollständige Verkettung der Harzmoleküle, das sogenannte Auspolymerisieren. Der Bootsbau ist vom traditionellen Handwerk mit Hobel und Schraubzwinge zur Chemiestunde geworden.
Damals geht Udo Schütz im Westerwald bei Koblenz einen Schritt weiter. Er ersetzt den Schaum durch geschickt gefaltete, nochmals leichtere Aramidpappe. Er weiß, wie man die Stirnseite der dünnen Trennwände dauerhaft mit dem Laminat verklebt und sich die Waben in enge Radien schmiegen. Den unterschiedlichen Beanspruchungen wird mit der Papierstärke, der Zellweite und –dicke der Waben und auch der Dicke des außen angebrachten Laminats entsprochen.
Ende der Achtziger Jahre ist er so kühn, seine 15 m Rennyacht „Container“ ohne das bislang übliche „strongback“, eine Art Fahrgestell aus Metall zur Aufnahme der zentralen Kräfte des Kiels und der Takelage zu bauen. Das Boot segelt heute noch. Damals wird der innovative Yachtbau zum Labor für andere Anwendungen wie den Flugzeugbau wo sich die Wabe längst durchgesetzt hat.
Allerdings ist die Verbindung der Hightech Kunststoffe mit ihren Metallversteifungen aufgrund der unterschiedlichen Eigenschaften so problematisch, das sehr große Rennyachten vorerst noch komplett aus Aluminium geschweißt werden. Erst als die Strukturberechnungs-Ingenieure von SP-Systems in Southampton Anfang der neunziger Jahre moderne Higtech Fasern richtig zu nutzen wissen, entstehen auch große, hochbelastete Rennyachten ganz aus Komposit. Seitdem werden ernst zu nehmende Rennyachten und große Tourenyachten anspruchsvoller Segler komplett aus Aramid- oder Kohlefaser gebaut. Der Generationswechsel zur Faserverbundtechnologie vollzieht sich.
Die Möglichkeiten faszinieren auch süddeutsche Segler wie Hannes Waimer, der sich zunächst an der A8 zwischen Augsburg und Ulm als Spezialist für Faserverbundfronten zu ICE-Zügen oder Zeppelin-Gondeln und als Lieferant der süddeutschen Automobilindustrie versucht. Seit einigen Jahren wird der Traum vom Erfolg durch zweckmäßig leichte Produkte mit Premier Composite Technologies in Dubai verwirklicht. Dort entstehen transportabel leichte Komponenten für architektonische Großprojekte und schnelle Yachten aus Faserverbundmaterial.
Beim 2013 vor San Francisco ausgesegelten America’s Cup rasen Karbonkatamarane mit bis zu 2,7-facher Windgeschwindigkeit über die Regattastrecke. Sie erreichen sagenhafte Geschwindigkeiten von bis zu 83 km/h (45 Knoten). Solch rasante Fahrt auf reibungsarmen Tragflächen einige Meter über dem Wasser kennt man bisher von stark motorisierten Schnellfähren.
Die Boote sind so schnell, das der Sicherheit halber mit Helm gesegelt wird. Zur Erinnerung: Beim Sprung vom 3 m Brett fliegt man mit 28 Stundenkilometern ins Wasser, vom Zehner wird mit 50 km/h gelandet. Das sogenannte „foilen“, das Tragflächensegeln, ist eine furios-spritzige Dimension des Segelns. Sie läßt den Sport in seiner bisherigen Form alt aussehen. Möglich wurde es durch den heutigen Stand der Technik. Die Kohlefaser-Tragfächen beispielsweise müssen mit großen Biegebelastungen fertigt werden. Es erscheint wie ein Wunder, das die dünnen Klingen die tonnenschweren Lasten bei rasanten gesegelten Kurfen und die Schläge durch Wellen aushalten.
So hat sich der an Bräuchen und handwerklicher Praxis orientierte Bootsbau seit dem ersten Experiment Ende der Vierziger Jahre mit Glasfaser verstärktem Kunststoff rasant zur hochspezialisierten Verfahrenstechnik gewandelt. Denn Holz, Stahl oder Aluminium sind zu schwer, zu pflegeintensiv, schränken gestalterisch zu sehr ein. Hinzu kommt die ausgezeichnete akustische und thermische Isolierung moderner Sandwichboote: man hört in den Kabinen kaum Wassergeräusche und es bildet sich weniger Schwitzwasser. Seit drei Jahrzehnten stehen dem Bootsbau immer zugfestere Fasern und Harze mit Elefantenkleber-artigen Eigenschaften zur Verfügung. Man mußte nur lernen, sie zu nutzen.
Und die Entwicklung geht weiter. Nach dem Generationswechsel von Aluminium- zu Karbonmasten in den Neunziger Jahren werden jetzt die Drähte zum Halten der Takelage durch ultraleichte Faserkabel ersetzt. Sie wiegen einen Bruchteil bisher üblicher Ware aus Edelstahl. Auch das Segeltuch ist bereits durch spezielle, maßgeschneiderte Laminate ersetzt. Die Fasern werden einfach entsprechend der Zugbeanspruchung des Tuchs zwischen die Folien geklebt. So dreht sich die Designspirale hin zum intelligenteren und leichteren, zum halt- und enorm belastbaren Bauteil weiter.
Rehau Kundenzeitschrift Unlimited Heft 8. Zur Artikelübersicht