Vilm Yachten: Bärenstark statt saugünstig

Haltbare und wertstabile Fahrtenboote gibt es nicht nur in Skandinavien. Auf Rügen werden ebenfalls besondere Yachten gebaut. Sie sind in der Lage, einiges zu überstehen – Sozialismus und Schietwetter zum Beispiel.

Segler kennen das Bedürfnis nach dem grundsoliden Boot, wenn der Wind zunimmt und das Meer zu einer ruppigen, mühsam und nass durchfahrenen Piste zusammenschiebt. Je weiter man draußen ist, je unabsehbarer die Ansteuerung eines schützenden Hafens, desto größer ist es. Wer beispielsweise während des Sommertörns von Bornholm nach Rügen einen normaldeftigen Südwestwind abkriegt oder vom geschützten Boddengewässer der Insel Hiddensee die schleswig-holsteinische Küste ansteuert, der braucht auch in den guten Monaten eigentlich ein Schietwetterboot.

Ein verlässliches Seeschiff ohne eingebaute Fragezeichen, mit Windschutzscheibe oder zumindest vorne unter einem permanenten Dach geschützter Sitzkuhle. Denn ab fünf Windstärken gegenan setzt das Boot mit deftigen Schlägen in die Wellentäler ein, fliegt das Spritzwasser über das ganze Schiff. Nun zeigt sich, ob sämtliche Fenster und Luken dicht halten, es unter Deck ständig knackt und quietscht, sich Schränke und Schubladen noch öffnen lassen, Einbauten an ihrem Platz bleiben. Lieber bärenstark als saugünstig.

Robustes Schietwetterboot: Motorsegler Vilm

Ist man ab und zu übers Wochenende und gelegentlich mal zum Sommerurlaub auf dem Wasser, wird die weithin unterschätzte gefühlte Sicherheit wichtig. Wenige Werften, meist an der Westküste Schwedens gelegen, entsprechen dem Bedürfnis mit generösen Materialeinsatz und grundsolidem Bootsbau. Hallberg-Rassy, Najad und Malö sind zum Begriff für haltbare und wertstabile Fahrtenboote geworden. Doch muss man so ein Erzeugnis nicht in Skandinavien bestellen. Das gibt es auch made in Germany, und zwar zu einem interessanten Preis. In Lauterbach, einem dem Greifwalder Bodden zugewandten Hafen im Süden der Insel Rügen, werden seit 60 Jahren Boote gebaut. Die Motorsegler vom Typ „Vilm“ waren schon zu DDR-Zeiten ein Geheimtipp komfortorientierter und preisbewusster Eigner im Westen.

Am ringsum geschützten Fischer- und Yachthafen mit Fischbrötchenbude und Lokalen, einer Anlegestelle für Fahrgastschiffe und Blick zur bewaldeten Insel Vilm werden die Yachten seit vier Jahrzehnten gebaut. Hier stemmt sich heute der einundvierzigjährige Michael Lenz mit 20 Mitarbeitern und einer interessanten Mischung aus mecklenburgischer Sturheit und klarem Blick auf das, was auf dem Wasser bei Schietwetter zählt, gegen den Zeitgeist der Sparfüchse und Prozessoptimierer im Großserienbau.

Bootsbau mit Augenmaß und Erfahrung

Wer sich in den drei Hallen umguckt, entdeckt keine einzige rechnergesteuerte Fräse, dafür Schablonen an den Wänden und über den Werkbänken aufgebockte Boote, die mit manchem Weg zwischen Werkbank und Werkstück, mit Erfahrung, Augenmaß und handwerklicher Versunkenheit zu Vilm-Yachten werden. Das erinnert an das Handwerk der siebziger Jahre auf der westschwedischen Insel Orust.

Die Bootsbauer nehmen vom Besucher Notiz, sie nicken freundlich, bleiben aber bei der Sache. Besuch gibt es hier oft. Wer möchte nicht mal sehen, wie das ansehnlich getischlerte Interieur, die edlen Furniere, Bodenbretter, all die Schränke, Türen, Grätinge, die Schubladen, das fugenlos in die Rundungen des Deckshauses geschmiegte Mahagoni zu einem stimmig ausgebauten Schiff werden? Der 61 Jahre alte Eckart Maas beispielsweise hat als Dreiundzwanzigjähriger beim alten Lenz, dem Vater des heutigen Chefs, angefangen, diesem Werftleiter, der den Bootsbau durch das tückische Fahrwasser des real ineffizienten, vollüberwachten und komplett bürokratisierten Sozialismus zu bugsieren wusste. Maas hat, wie mancher seiner Kollegen und natürlich die Familie Lenz, sein ganzes Bootsbauerleben in Lauterbach verbracht. In der Nachbarhalle verkündet eine dieser staatstragenden, damals hier üblichen Parolen in verblichenen Farben: „Sozialismus, das ist Zukunft“. „Haben wir gemerkt“ hat jemand zum Thema handschriftlich nachgetragen.

Eine Kleinigkeit, die sonst keiner macht

Der Besucher nimmt die steile Stiege zu einer in halber Freibordhöhe eingerüsteten Vilm und nochmals einige Stufen an Deck. Es ist ein Weg, den Eckart Maas und seine Kollegen unzählige Male gehen. Der Blick in den teils ausgebauten Niedergangsbereich und den Salon lässt an ein schwer kaputtbares Rettungsboot denken. So generös wurde hier mit Glasfaser und Harz umgegangen. Die zwischen Bordwand und Deck einlaminierten Knie haben beeindruckende Wandstärken, die Spanten, Stringer, die Bodengruppe mit den breiten Bodenwrangen machen einen durchweg vertrauenerweckenden Eindruck.

Im Empfangszimmer lag nicht zufällig eine etwa drei Zentimeter dicke Scheibe Massivlaminat auf einem Stapel Seglerzeitschriften. Es war ein frisch aus dem Achterschiff einer neuen Schale gebohrtes Loch zur Aufnahme der Ruderwelle. Keine Ahnung, wozu man solche Bordwandstärken bei einer zehn bis zwölf Meter langen Segelyacht braucht, außer im Vorschiff und Bereich der Kielaufhängung vielleicht. Aber so wird das hier, auf der größten Insel Mecklenburg-Vorpommerns, halt für ein langes Seglerleben mit vielen Schietwetterlagen gemacht.

Vor der Montage der Fenster werden für den Fall einer Leckage die innen hinter Mahagonirahmen verschwindenden Ausschnitte mit einem Epoxy-Anstrich versiegelt. Es ist eine Kleinigkeit, die schnell gemacht ist und sich für den Eigner vielleicht eines Tages einmal lohnt. Deshalb wird sie so gut wie nie gemacht.

Made in Mecklenburg-Vorpommern

Umleimer und die üblichen rahmenartigen Fassungen von Bootsbausperrholz sucht man an Bord einer Vilm vergeblich. Ähnlich wie die eine oder andere finnische Edelwerft baut das Unternehmen seine Boote mit einer speziellen Lamelliertechnik aus mehrschichtig verklebten 1,5-Millimeter-Teakfurnieren aus. Damit sind, im Unterschied zu massivem Holz, große Flächen wie beispielsweise Fronten des Innensteuerstands möglich, und die Ausschnitte für Schwalbennester, Staufächer oder Inspektionsluken sehen aus wie massives Teak.

Doch lässt es Lenz nicht beim grundsoliden Schwarzbrot-Bootsbau mit ansehnlichem Innenausbau. Für Schaulustige, Neugierige und andere Interessenten wurde neulich eine gläserne Werft mit Ferienwohnungen, Gastronomie und einem natürlich selbstgetischlerten Vilmbug-Tresen eröffnet. Eignern aus dem fernen Binnenland bietet Lenz ein Rundumsorglos-Paket vom Saisonende bis zum Ablegen im Mai an.

Jetzt geht der zielstrebige Macher gemeinsam mit dem Bremerhavener Konstruktionsbüro Judel/Vrolijk & Co, einer für erfolgreiche Regatta- und zeitgemäße Fahrtenyachten bekannten Adresse, mit der Vilm 41 einen Schritt weiter. Angesichts seiner fast zwei Meter Tiefgang und einem skeglos freistehenden Ruderblatt unter dem Heck ist das 12,40 Meter lange, gut acht Tonnen schwere Boot für die rügischen Sturköppe geradezu modern – eigentlich ein grundsolides Fahrtenboot, wie es schon in den achtziger Jahren entworfen wurde. Es wird, wie seine Vorgängerinnen, die von Georg Nissen gezeichneten Konstruktionen 101 und 117 und die 34, natürlich ein stäbiges Schietwetterboot. Denn auf dem garantiert ruppigen Rückweg vom Bornholm brauchen Segler keinen modernen Wackelkram, sondern ein Dickschiff made in Mecklenburg-Vorpommern.