
Der Häuptling
Wie viele Schiffer, speziell aus dem Norden, ist er am ehesten in seinem Terrain, der Welt des Segelns, zugänglich. Wilfried Horns ist gebürtiger Flensburger, gelernter Tischler und passionierter Segler. Das sind drei ungünstige Voraussetzungen für ein flüssiges Gespräch mit dem Nestor und Impresario der deutschsprachigen Klassikerszene. Doch wenn es um traditionsreiche Segelboote geht, um laufende Projekte und neue Ideen des Freundeskreises Klassische Yachten oder seine schmucke 7 KR Yacht „Piraya“, teilt Horns sich mit.
An Bord wie an Land, Sommers wie Winters in einen universell getragenen Pullover gewandet, den markanten Schädel von einer Korona weiß-grauer Haare umgeben, das meist in sämtliche Himmelsrichtungen zeigt, hört er gründlich zu. Seine stets in Betrieb befindliche Pfeife gibt kleine Rauchzeichen. Die Abstände zwischen den Rauchzeichen des Freundeskreis-Häuptlings kündigen an, dass es heftig in ihm denkt und Horns gleich etwas sagen wird. Wenn Horns sich dann äussert, kommt er mit wenigen, überlegten Worten aus.
Wer Horns eine Weile kennt und eine Stunde mit ihm geredet hat, erfährt, dass der Eigner des knapp elf Meter langen Fahrtenbootes nach langer Beschäftigung mit dem betagten Benziner unter dem Bodenbrett den Motor kurz und schmerzlos aus dem Schiff hob, ihn zum Sperrmüll brachte und seitdem richtig und wie früher unterwegs ist. „Ich war es einfach leid, da stundenlang über dem Motorschacht zu hängen und nicht zu kapieren, warum er mal anspringt und dann wieder nicht.“ Horns erzählt es so, als hätte er einen lang ertragenen, lästigen Besuch vor die Tür gesetzt. Mittlerweile ist Horns die fünfte Saison ohne Maschine unterwegs. Im Mai vor zwei Jahren segelte er anlässlich der Max Oertz Regatta von Kiel nach Neustadt, hing zwölf Stunden in einer Flaute vor der Fehmarnsundbrücke und kam im letzten Büchsenlicht an. Horns und seine neue Lebensgefährtin Hella Peperkorn, eine extrovertierte Leiterin einer Kinderschauspielschule, machten das Beste draus, warteten einfach ab, bis sich ihr Freund, der Wind, wieder zurückmeldete. Da auch gute Freunde manchmal unzuverlässig sind, plant Horn die Segelwochenenden mit Blick auf den Montag genau. „Ich guck’ mir die Wetterprognose im Internet an und mache solche Schläge, dass wir Sonntag zurückkommen.“ Eine weitere Herausforderung ist es, einen Langkieler in unseren engen Häfen unter Segeln an den Liegeplatz zu bringen. „Es ist interessant, wie langsam Sie segeln können, wenn Sie richtig hoch an den Wind gehen. Das musste ich auch erst mal üben“ berichtet Horns mit sympathischer Bescheidenheit.
Zum Classic Yacht Event im Sommer 2005 hat das Seglerpaar Horns/Peperkorn die „Piraya“ natürlich ohne den lärmenden und stinkenden Gesellen unter dem Bodenbrett von Kiel nach Stockholm und zurück manövriert. „Es ist herrlich, wie früher zu segeln“ schwärmt Horns. „Du bist aufmerksamer, beschäftigst Dich gründlicher mit dem Wetter und weißt den Wind mehr zu schätzen.“ Er erzählt von der Schwedentour durch steinige und enge Fahrwasser so beiläufig, als hätte er nachmittags mal bei passendem Wind eine Runde zum Stollergrund und zurück in die Förde gedreht.
Bei aller Sprödigkeit ist der 57-jährige eine angenehm uneitle Ausnahme in der Segel- speziell der Klassikerszene, wo es manchen PR-Strategen, Berater und Makler gibt, es um Eitelkeiten, Euros, den Logenplatz für das eigene Schiff und natürlich Geld geht. Oliver Berking, er initiierte 1995 die Robbe & Berking Classics, und ist neuerdings erster Vorsitzender des Freundeskreises Klassische Yachten e.V., kennt Horns seit zwölf Jahren: „Was ich besonders an ihm mag, ist die Tatsache, dass ihm jede Art der Selbstdarstellung zuwider ist. Damit ist er vielleicht nicht im herkömmlichen Sinne ein Frontmann, aber gerade das qualifiziert ihn eben doch genau dieses für den Freundeskreis zu sein. Es geht ihm nämlich ausschließlich um die Sache.“
Natürlich betritt Horns in seiner Eigenschaft als Freundeskreis-Häuptling das Podium der Klassikerszene auch. Etwa, wenn er die eine oder andere sommerliche Klassikerveranstaltung eröffnet oder mit wenigen klaren Sätzen durch den alljährlich „bunten Abend“ des Wintertreffens führt. Da legt Horns dann die Pfeife beiseite, steht im Pulli vor dem brechend vollen Hörsaal eines Hamburger Museums und moderiert mit der Gelassenheit und Übersicht eines Leuchtturmwärters eine Veranstaltung, die – passend zum Freundeskreis und typisch Horns – unter beiläufig bescheidenem Titel antritt und oft hochkarätige Vorträge oder Einladungen zum Segeln bietet.
Die Klassikerszene ist facettenreich. Hier tummeln sich die Fans grob getischlerter Arbeitsboote im Finkenwerder Fischerhemd, Jollensegler, Studenten und andere, deren seglerische Mittel begrenzt sind. Vom unzugänglich feinen Pinkel bis zum maritimen Lebenskünstler, vom Blazer- bis Pulliträger, von bräsig bis nett, vom Hoch- bis Tiefstapler ist alles dabei. Charaktere und Temperamente mögen verschieden sein, dabei haben die Freundeskreisler alle den gleichen Knall. Und deren Häuptling hat mit „dem Kulturgut klassische Yacht,“ wie Horns es in aller Gelassenheit und Klarheit nennt, das Thema seines Lebens gefunden. Das sie nicht bloß zusammengefunden haben, sondern, was schwieriger ist, zusammenbleiben, liegt maßgeblich an ihrem gelassen integren Strippenzieher. Der langjährige Holzbootsegler, Nautiquitäten- und Büchersammler Volker Christmann aus Wiesbaden, er berät den Freundeskreis und Horns in Literaturfragen, schätzt Horns als „Visionär mit Bedacht und starkem Durchsetzungsvermögen. Wenn er was will, dann macht er es.“
Für ausländische Beobachter ist der Freundeskreis längst ein Phänomen. Wie ausgerechnet Deutsche, die im Ausland als überorganisiert, zu Formalien und zum Vereinsklüngel neigend gesehen werden, eine derart entspannte, zugleich dezentral effiziente Interessenvertretung auf die Beine und ins Laufen bekommen, ist manchem Kenner der Szene ein Rätsel. Dabei ist der Freundeskreis am Beispiel seines Häuptlings recht einfach zu verstehen: Horns interessiert sich bloß fürs Segeln alter Schiffe, die Kultur und Dokumentation klassischen Yachtsports – wie gesagt eher im universell getragenen Pulli als im blauen Blazer. Im Pulli kann man auch mal eben das Boot auspumpen.
Februar 1994 versammeln sich Horns und vierzig andere, für alte Schiffe begeisterte und gründen mit einer 50 Mark Spende eine „Initiative von Schwärmern, die sich aus Lebensfreude, Leidenschaft, Weltanschauung um den Erhalt klassischer Yachten bemühen,” jenen „Verein“, den es formal, um den Vorschriften zu genügen, natürlich gibt, der aber als solcher erfreulich wenig stattfindet. Natürlich ist der stille Tischler und „Piraya“ Eigner Horns auf die möglichst authentische Klassikerinstandsetzung abonniert. Doch verbohrt, wie der eine oder andere „Holzwurm“ der Szene, ist er deswegen nicht. Er wirbt einfach für seine Vorstellungen, er motiviert und lässt dennoch das andere gelten. Als Segler, Handwerker und gelassen toleranter Mensch kennt er die Grenzen des Machbaren. Mit diesem Spirit wurden aus den 50 Gründungsmitgliedern mittlerweile rund 1.200 Freundeskreisler. Horns Drive, die Bewegung mit immer neuen Vorhaben lebendig zu halten, hat eher zu als abgenommen. Berking beispielsweise ist „immer wieder verblüfft, was für Ideen Horns hat.“
Welche Schätze es hierzulande zu heben gab und gibt, welche Vielfalt zu dokumentieren, ist seit einigen Jahren einem größeren Publikum auf der Homepage des Freundeskreises klassischen Yachten zugänglich, speziell dem digitalisierten Yachtsportarchiv zu sehen, wo im Wesentlichen die Ausgaben der „Yacht“ von 1904 als führendem Medium eingescannt sind. Es ist via Internet per Mausklick in Sekundenschnelle zugänglich. Eine weltweit einzigartige Suchmaschine für Holzbootliebhaber und Klassikerfans mit täglich 500 Zugriffen. Das ist maßgeblich Horns Initiative und Überredungskünsten, seiner beharrlichen Suche nach Partnern zu verdanken.
Seit Jahren redet er mit finanzstarken Eignern, manchem Protagonisten des Wirtschaftslebens, Museumsdirektoren, Verlagsleitern oder Berthold Beitz von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Beharrlicht zieht Horns an allen möglichen Strippen für die Bewahrung, Dokumentation und Wertschätzung klassischen Yachtsports. Schon manchen, der eigentlich gar keine Zeit hat, hat der Motivationskünstler dafür gewonnen, sich mit seinen Möglichkeiten und Kontakten einzusetzen. Wie ihm das gelingt? Ganz einfach, er lebt dieses Programm seit über einem Jahrzehnt und verfolgt manches Vorhaben mit der Cleverness und Konsequenz eines Regattaseglers auf der entscheidenden Kreuz.
Die neue Freundeskreis-Aktion „Rettet die Klassiker“ etwa spürt sanierungsbedürftige Holzboote auf, dokumentiert ihren Standort in einer Karte, findet Interessenten für die Problemfälle und trägt so dazu bei, das sie wieder gesegelt werden.
Der neue, von der Versicherung Wehring & Wolfes unterstützte Restaurierungsfond bietet dem Bootseigner eine Begutachtung, Anleitung und Betreuung der Instandsetzung. Vorbilder sind ähnliche Stiftungen in den USA, England, Holland, Dänemark oder Schweden. Horns und die Aktiven des Freundeskreises nutzen die internationalen Kontakte nicht bloß zum Segeln, Würstchen grillen, Bier trinken und für Döntjes.
Derzeit beschäftigt sich Horns mit dem Ausbau und der Überarbeitung des Yachtsportarchivs, jener international Bahn brechenden digitalen Klassikerdatei, die der Freundeskreis die vergangenen Jahre über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen schuf. „Ich meine, das Angebot könnte noch attraktiver daherkommen und die Navigation in der Website einfacher werden.“ Im Herbst wird er sich nochmals um die Europäisierung des weltweit einmaligen Angebots bemühen. Finnland, Schweden, Norwegen und Holland haben bereits zugesagt. Die zum zweiten Mal in unseren Gewässern gesegelte Classic Week hat Horns für 2010 natürlich längst in der Pipeline. Das alles bahnt Horns nebenher an, zusätzlich zum Privatleben und dem Betrieb zweier Schiffe. Seine neue Lebensgefährtin machte neulich eine historische 5 mR Yacht flott.
Im Unterschied zu manchem Küstenbewohner ist ihm das Metier nicht in die Wiege gelegt. Horns wächst in einer Flensburger Lehrerfamilie auf, wo es eher um Latein und Griechisch als um die in dieser Stadt so nahe liegende, außerdem eindeutig interessantere Freizeitbeschäftigung Segeln geht. Irgendwann ergab sich dann für den Jugendlichen mal eine Mitsegelgelegenheit im Flensburger Segel Club. „Da wurdest Du als junger Vorschoter wie ein Hiwi behandelt, musstest dauernd irgendwelche Honoratioren und Heinis da grüßen, Flaggen dippen. Nö, das war’s nicht“ erinnert Horns den abtörnenden Probeschlag in die Welt des Herrensegelns. Horns geht rudern, tobt sich im Einer, Zweier oder Achter auf der Flensburger Förde aus, wo es mehr um Sport als Status und mit Gleichaltrigen ins Geschirr geht. Zum Segeln gelangt Horns erst Ende der 70er Jahre in Kiel. Da fährt er mit einer kolossalen 22 m Gaffelketsch allerhand Eiche spazieren und ertischlert sich seinen Anteil an der „Rhea“ ex. „Juliane von Holdt“, die 1900 im dänischen Nyborg als Arbeitsboot vom Stapel lief.
In der Zwischenzeit hat er den schönen Beruf des Tischlerhandwerks ergriffen, anstatt wie in Kiel studiert Biologie und Geografie zu unterrichten. Damit ist er dem damals absehbaren Thema seines Lebens beruflich Welten näher, als zwischen Pult und Tafel. Einige Sommer genießt Horns das amphibische Leben zwischen Kiel und der dänischen Südsee. Als „Rhea“ für einträgliche Charterfahrten zum Mittelmeer verlegt wird, steigt Horns aus. „Ich möchte nicht tausend Kilometer weit zum segeln fliegen, wenn ich zu Fuß an die Förde gehen kann.“
1984 kauft er „Piraya“, eine 7 KR Slup mit seegängig weichen Linien und gestrecktem Aufbau über einem spannungsreichen Decksprung. Mit 10,20 x 2,60 m und 47 Quadratmetern am Wind zählt sie nicht zu den spektakulär großen Schiffen der Förde. Dafür ist es ein berühmter Bootstyp. „Piraya“ ist ein slupgetakelter Nachbau der legendären „Störtebeker III“, mit der Ludwig Schlimbach in den 30er Jahren einhand in 59 Tagen von Lissabon nach New York segelte. Seit der Atlantiküberquerung ist der Bootstyp für manchen gestandenen Segler ein Traumschiff, nicht zuletzt, weil es aus einem guten Stall kommt, gezeichnet von Henry Rasmussen und gebaut bei A&R. „Piraya“ entstand 1949 für den Vorsitzenden des Weser-Yachtclubs. Henry Wilkens segelte manche Nordseewoche, das Skagenrennen, Gotland Rund Regatten mit dem Schiff und damals lernten der heutige A&R Werftchef Hermann Schaedla nebst Betriebsleiter Horst Lehnert auf „Piraya“ das Handwerk mit Schot und Pinne. Der zweite Eigner vergnügte sich bei Rote Sand Regatten, auf der Nordsee oder Helgoland-Edinburg Rennen mit dem Schiff.
Als dritter „Piraya“ Eigner macht Horns kein großes Tamtam um sein Schiff. Er mag, pflegt und segelt es einfach. Deshalb hat er gleich nach der Übernahme die Reling samt Heckkorb und Sitzbank entfernt. Eine Reling ist eigentlich ganz praktisch, doch scheuern die Vorsegel am Draht und den Stützen. Außerdem ist „Piraya“ ohne Seezaun einfach übersichtlicher und so, wie in Lemwerder an den benachbarten Club geliefert. Mit Sprucemast, Leinen bezogen und weiß gemaltem Kajütdach, den ovalen und runden Bullaugen, verzinkten Beschlägen und der in Feder und Ähre auslaufenden A&R Göhl auf der weißen Bordwand sieht das Schiff im fünften Jahrzehnt aus, als sei es neulich erst aus der Halle geschoben worden. Wer wenig schnackt, kriegt was gebacken. Horns ist während der hektischen Märzwochen, wenn es zur Bootspflege genug Licht und mit etwas Glück erstmals die wünschenswerte Trockenheit im Winterlager gibt, kaum ansprechbar.
Der Freundeskreis-Häuptling ist auf dem Rückweg von einem anderen Termin zum Interview ins Hamburger Univiertel gekommen. Horns ist beinahe ein wenig gesprächig geworden. Dann steckt er sich noch mal eine Pfeife an, schweigt, und gibt abnehmend Rauchzeichen. Nun hat der Häuptling genug von sich preisgegeben, mehr als sich für einen gebürtigen Flensburger, gelernten Tischler und echten Segler gehört. Für manche Leute ist es das höchste Glück, eine edle Yacht zu besitzen.
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