Das Leben nach Intershop

Die Oldtimer-Szene lebt, besonders die alten Zwölfer bekommen frischen Wind. Nicht zuletzt dank Wilfried Beeck.

125 Quadratmeter Großsegel zerren an der hölzernen Takelage der 12 mR Yacht „Trivia“. Cannes ist von einer tief hängenden Wolkendecke dicht gepackter weiß-grauer Watte überzogen. Eigentlich kein Wetter für Couponschneider, echte und gefühlte Millionäre, gar keins zum segeln. Deshalb sind trotz der Regates Royales, der Weltmeisterschaft der Zwölfer und der Panerai Classic Yacht Challenge so gut wie alle Teilnehmer noch im Hafen.

Leben nach Intershop: Der Zwölferfuchs

Der Hamburger Software Kaufmann Wilfried Beeck hockt schweigend mit Käppi, Sonnenbrille und beigefarbigem Blouson am Rad seines 70 Jahre alten Segelsportplatzes. Es besteht aus einem 21 Meter langen, rund dreieinhalb Meter breiten Teakdeck mit ziemlich viel Segeln oben und allerhand Blei unten drunter. Kommt gleich die Sintflut, eine brutale Böe, fegt der gefürchtete Mistral über die Seealpen, oder ist dies bloß ein Wetterumschwung für einen konstanten Wind aus einer neuen Richtung? Wird der dritte Lauf heute überhaupt stattfinden und welches Vorsegel nehmen? Hasenfüßigkeit würde die gestern ersegelte Anwartschaft auf den mittleren Platz des Siegertreppchens kosten, eine zu große Genua das Tuch ruinieren, einen Segelwechsel, quälende Minuten und vorbeiziehende Konkurrenten kosten. Es wäre so verdrießlich, als wenn hier irgendeine Segelspaßbremse aus dem Wasser gefischt werden müsste, die zu dämlich war, an Bord zu bleiben. Eine Reling gibt es hier nicht.

Den Schaulustigen im Hafen am Ende der Croisette mag Regattasegeln mit Rennyachten aus den 30er Jahren als apartes Pläsier erscheinen. Mancher wird es als maritimen Lifestyle mit kompliziertem Kodex und spezieller Sprache unterschätzen, der être, peut-être mit gebügelten weißen Hosen ausgeübt wird.

Beeck und seine etwa Fußballmannschaftgroße Combo ist zum Vergnügen hier. Für die überwiegend norddeutsche Crew besteht es darin, den Fight zwischen den Bojen mit „Vanity V“, „Wings“ und weiteren Booten, die Beeck weniger beschäftigen, für sich zu entscheiden. Zwischen dem Festspielhaus und dem quirligen Suquet Viertel im maritimen Ambiente des Vieux Port auf einem Vintage Schlitten hocken und Abends cool ein Bier kippen ist nett, langt aber nicht.

Deshalb ist der Zwölferfuchs schon draußen, erwartet seine Pappenheimer auf der Bahn. Bei den Vorregatten am Montag, einer Art Warm up, musste die „Trivia“ Crew quälend lange auf dem motorlosen Schiff im Hafen auf einen Schlepp zur Regattabahn warten und erreichte mit Ach und Krach die Startlinie. So was passiert Beeck nur einmal.

Großes Palaver innerhalb der Mannschaft über das Wetter und welches Segel wohl passt. Mit typischem Pokerface steht Beeck schweigend am Rad. Schwer zu sagen, welche Meinungen ihn interessieren und ob die Anekdoten von anderen Hard- und Softwarekonstellationen, von anderen Regatten ihm bloß auf die Nerven gehen. Beeck hört zu, sortiert. Regattasegeln ist wie das Führen eines Geschäfts, eine strukturierte arbeitsteilige Geschichte. Der Bullshit kommt in die Tonne, die interessanten Sachen werden gemacht. Beeck ist ein Fighter, um den ein unsichtbarer Kreis gezogen ist. Zu seiner mephistophelischen Erscheinung tragen sein kahler Kopf, seine spitzen Ohren und Nase bei. Wenn Beeck mal die Sonnenbrille absetzt, bestätigt sein bohrender bis stechender Blick diesen Eindruck.

Mit einer Speiche links, einer rechts hält er „Triva“ am Wind. Wenn der Gegenbauch im Großsegel verschwindet und sich die Schwinge aus weißem Segeltuch über unseren Köpfen mit einem vernehmlichen Plopp füllt, legt es die schmale Rennyacht ruckartig auf die Seite. Wir ahnen, was hier erst mit gesetztem Vorsegel auf dem dachschrägen Deck im Nahkampf mit anderen Zwölfern abgeht. In der einstigen America’s Cup Klasse steckt etwas Animalisches. Bei frischem Wind ist der Übergang zwischen dem seglerischen Ernst- und Notfall fließend. Wie in der freien Wildbahn des Wirtschaftslebens braucht es Übersicht und im passenden Moment eine gewisse Entscheidungsfreude.

„Wenn Du mit der ganzen Flotte auf die Linie zu fährst, alles höher, höher brüllt und die 26 Tonnen beschleunigen, Mann, das spürst Du in jeder Zelle“ wird Beeck die Faszination später bei einem Bier erklären. Beeck hat die Segelsaison 2007 im Wesentlichen mit seinem Vintage Segelschlachtroß im Mittelmeer verbracht. Nach einer Weile ist er die Kaffeesatzleserei und Döntjes müde. Er fingert das Handy vom Gürtel, ruft bei seinem Segelmacher in Deutschland an und lässt das ausgerechnet fehlende Segel aus dem Vieux Port kommen. Frage, Antwort, Aktion.

Sein Weg vom gelegentlich während des Mathe- und Informatikstudiums auf der Kieler Förde gesegelten Strandkatamarans an das Rad der Königsklasse des Yachtsports ist kurz und steil. Nach einem prägenden Incentive, das Intershop Kompagnon Beeck sich und Geschäftsfreunden Ende der Neunzigerjahre auf dem Firth of Clyde mit einem klassischen Kutter gönnt, eignet er sich zügig alles zum Thema Meterklassen an. Dann shoppt er Rennyachten, wie sich normale Leute diese modischen, leider völlig unpraktischen Seglermokassins mit permanent offenen Schnürsenkeln zulegen.

Er ist kein Freund halber Sachen. Beecks materialreiche Website ist die einzig erschöpfende zum Thema, eine der interessantesten Seglerhomepages überhaupt. Seine Achter „Windsbraut“, ein Schwesterschiff der Kruppschen Olympiayacht „Germania IV“ für Helsinki 1940 und die moderne „Spazzo“ sind sein Weg zur Charles Nicholson Konstruktion „Trivia“, die der Liverpooler Reeder Vernon MacAndrew 1937 bei Camper & Nicholson, dem damals führenden Spezialisten für Rennyachten, vom Stapel ließ. Im Milleniumjahr 2000, als Beeck „Trivia“ von einem Mailänder in Monaco kauft, ist Intershop auf dem Papier 11 Milliarden Euro wert. Das ist eine Zahl mit einigen Nullen links vom Komma.

Anlässlich des 150. America‘s Cup Jubilee, einem einmaligen seglerischen Showdown, zu dem von Agnelli bis Plattner jeder, der an Land und auf dem Wasser was zu melden hat, sein Spielzeug mitbringt, kreuzt Beeck mit der weißen „Trivia“ im Seglermekka Cowes auf. Sein Segelfreund Alexander „Sascha“ Falk ist mit der nachtschwarzen „Flica II“ und einer farblich passenden Barkasse dabei. Richtige Rennyachten haben keinen Motor. Wie Beeck ist Falk seit dem Verkauf des ihm langweilig erscheinenden väterlichen Faltkartenverlags für 25 Millionen und nach Weitergabe seiner jungen Internetfirma Ision Ende 2000 für 812 Millionen Euro in der so genannten New Economy auf etwas abstrakte Weise zu Geld gekommen. Da ist die Wertschätzung für Erzeugnisse der guten alten Zeit, einen Reüssierschlitten der Dreißigerjahre aus Blei, Bronze, Mahagoni, Teak und Rindsleder bekleidete Takelage verständlich. Falk, der über Nacht zu den 250 reichsten Deutschen gehört, segelt être, peut-être mit weißen Hosen und schwarzen Polohemden. Beeck und seine Combo damals im rot-weißen Outfit. Eine Weile setzen die Beiden ihren ansehnlichen Fight als schwarz-weißes Matchrace auf der Ostsee fort. Das bringt auch modisch etwas Glamour in das „moinmoin“ Land bräsiger Bedenken-, Schiffermützen- und Schwimmwestenträger.

In guten Zeiten, als Beeck beschließt segeln zu gehen, ist Intershop mehr wert als die Lufthansa. Leider rutschen die Nullen des Intershop Börsenwerts damals auf die weniger interessante Seite rechts vom Komma. Im Februar 02 wird Finanzvorstand Beeck abgemustert. Das exklusive Vertriebsrecht für die Software Intershop 4, einer E-Commerce-Lösung für den Mittelstand, versüßt ihm das Outplacement. „Wilfried, es gibt noch ein Leben nach Intershop“ ruft ihm ein Kollege nach, als hätte man sich um den gebürtigen Flensburger je Sorgen machen müssen. Beecks Leben nach Intershop heißt „Trivia“ segeln und gelegentlich bei „Epages“, einem 80 Mann Betrieb mit Niederlassungen in Jena, London, San Francisco, Barcelona, Mailand, Stockholm und Paris gucken. „Dank Mobiltelefon, Notebook, Internet und Skype ist man ja ohnehin immer am Geschehen dran.“ Der selbstbewusste Jungunternehmer und Beeck Freund „Sascha“ muss die weißen Hosen noch ein bisschen im Schrank lassen: nach einem aufwändigen Verfahren mit 157 Verhandlungstagen verurteilte das Hamburger Landgericht Falk am 9. Mai 08 wegen gemeinschaftlich versuchten Betrugs und Bilanzfälschung zu vier Jahren Haft.

Geschickt zieht Beeck die Strippen für eine wachsende Ostsee Zwölfer Flotte. Dazu ließ er sich neulich zum Vize der „International Twelve Metre Association“ ITMA wählen. Beeck sieht in den nächsten Jahren 17 klassische Zwölfer an der Ostsee. „Nach der WM in Flensburg wird vor Laboe gesegelt, es folgen weitere Events in Oslo, Sandhamn, Marstrand und vielleicht auch St. Petersburg.“ Neun klassische Zwölfer laufen diese Saison in norddeutschen und dänischen Gewässern, vier weitere liegen in Oslo. „Blue Marlin, eine Nicholson Konstrution für Thomas Sopwith Baujahr 1937 wird gerade in Finnland restauriert. Drei Neubauten nach historischen Plänen sind im Gespräch“ berichtet Beeck. Zur Flensburger WM debütieren die restaurierte „Anitra“ vom Bodensee und die Instand gesetzte „Sphinx“, die einstige Spende des Zigarettenfabrikanten Reemtsma für den Norddeutschen Regatta-Verein, nicht zu vergessen die ehrgeizig gesegelte „Vanity V“ aus Kopenhagen. Der interessanteste Gegner wird „Nyala“, eine von Haus aus schnellere Konstruktion des Meterklassenspezialisten Olin Stephens von 1938. Die gehört dem Mailänder Modekaufmann Patrizio Bertelli und der lässt sie von der America’s Cup erprobten australischen Segelfachkraft James „Spitfire“ Spithill steuern.

Das Pokerface wird wieder früh ablegen und seine Pappenheimer draußen auf der Regattabahn erwarten. Er wird das Interessante aus den verschiedenen Einschätzungen an Bord filtern und mit der passenden Genua an den Wind gehen. Wer vor den anderen da ist, kann was reißen. Kennen wir doch vom Hasen oder Igel. Und, wie im sonstigen Leben auch, gibt es immer noch einen Fuchs.

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