Weniger Strippen, mehr Knoten

Die Branche hat ihn verschmäht und belächelt, aber Luca Bassani hat sich von seinem Ziel nicht abbringen lassen. Mit alten Erfindungen, neuen Ideen, mit Reduktion und Beharrlichkeit hat der Unternehmer die Luxusyacht neu erfunden, sich seinen eigenen Markt geschaffen – und der konservativen Yacht-Branche einen anderen Kurs gezeigt. Text: Erdmann Braschos

Der Chef ist schon da, an diesem Apriltag 1994 im norditalienischen Erbusco. Im Schatten der Werfthalle liegt kopfüber eine honiggelbe Wanne aus Kevlar, deren 24 Meter noch den letzten Schliff bekommen. Mehr Jolle als Yacht. Luca Bassani, ein kleiner energischer Italiener, Igelschnitt, Dreitagebart, farbenfroher Blouson, kommt seinen Besuchern entgegen.

Das Schaustück ist Bassanis dritte Sonderanfertigung. Die erste Wallygator, die heute Mr. Gecko heißt, ließ er vor drei Jahren in Ligurien vom Stapel. 17 Segelwinden waren auf dem Deck montiert, bedient von einer mehrköpfigen Mannschaft. Dieses Boot hier wird mit zwei Winschen auskommen und von einer Person gesegelt. Die notorisch konservative Yacht-Branche behauptete bisher, so etwas gehe nicht, sei nicht seetüchtig und überhaupt. 15 Winschen weniger binnen drei Jahren künden entweder von einer eingefahrenen erstaunlichen Gedankenlosigkeit, einer steilen Lernkurve oder beidem. Wer nicht kann oder will, kennt viele Gründe, bei 17 Winschen zu bleiben.

Meister in der Kunst des Weglassens

Bassani kennt kaum einen. Luca Bassani Antivari, Erbe der italienischen Elektroartikelfabrik BTicino, ist ein Überzeugungstäter. Einer, der sich den Teufel um Traditionen schert oder darum, was man wie machen muss, weil es schon immer so gemacht wurde. Bassani ist Segler aus Leidenschaft. Also baut er Boote. Weil er das nötige Kleingeld besitzt, baut er sie zunächst auf eigene Rechnung. Und weil seine Prototypen schlicht, technisch herausragend, schön und funktional sind, stoßen sie die Insider erst vor den Kopf – und werden am Ende die Branche umkrempeln.

Sein dritter Prototyp, den die Besucher wenig später in Saint Tropez als fertiges Produkt bestaunen, hat zwei Steuerräder, besagte Segelwinden, einige Knöpfe, davor eine Sitzgarnitur, ein kleines Deckshaus, einen Mast. Ansonsten zum Bug hin fluchtende Teakleisten. Keine Schienen, Schäkel, Umlenkrollen oder Strippen. Die übliche zehenschindende Hardware hat Bassani komplett in den Katalogen der Bootsausrüster gelassen. Der Mann segelt gern barfuß.

Weglassen, sich vom angeblich Nötigen trennen, ist eine schwere, eine selten beherrschte Disziplin. Sie setzt Nähe und Abstand zugleich voraus: eine intime Kenntnis der Materie und doch einen distanzierten Blick auf das, was zählt. Und unbeirrtes Festhalten am Konzept. Bassani versteht sich auf all das wie kaum ein anderer.

Am Anfang gibt es wenige Bewunderer, der reiche Italiener gilt als Spinner, der um jeden Preis auffallen will. Seine notorisch andersartigen Boote nennt er selbstironisch Wally, was so viel heißt wie gaga. Er baut sie für sich selbst, sie lassen die Szene stöhnen oder feixen. Ein gutes Jahrzehnt später ist Wally ein Synonym für modernen Yachtbau geworden, für Segelspaß und Coolness auf See. Insgesamt 23 Yachten zwischen 18 und 32 Metern ließ Wally inzwischen vom Stapel – und ist mit dieser Stückzahl weltweit führender Lieferant großer Yachten in fortschrittlicher Kompositbauweise. Beim Maxi Yacht Rolex Cup im Spätsommer 2003 gingen allein neun Wallys an den Start, sie bildeten eine eigene Klasse. In der Vergangenheit fochten die Swan-Yachten der finnischen Nobelmarke Nautor ihre Regatten vor Porto Cervo exklusiv aus.

Es war ein Jahrzehnt, geprägt von Versuch und Irrtum, von altem Wissen in neuer Kombination. Und vom unbeirrbaren Festhalten an der Idee des Weglassens. „Praktisch alle Yachten, gleich welcher Größe, sind Daysailor“, erklärt Bill Langan, einst Leiter des namhaften New Yorker Konstruktionsbüros Sparkman & Stephens. Die Branche baut dennoch unbeirrt und grundsätzlich Kap-Hoorn-taugliche Boote für den Zweck, den Heimathafen vormittags zu verlassen und nachmittags zurückzukehren, weil der Eigner abends noch eine Verabredung an Land hat.

Bassani sieht sich weniger als Yachtbauer, er versteht sich als Entwickler. Und schon seine dritte Konstruktion lässt die Konkurrenten im Vieux Port aussehen wie überladene Schlachtschiffe. „Genie of the Lamp“ ist dagegen leicht, agil, aufgeräumt. Sie hat alles an Bord, was man für die mehrstündige Bootspartie oder eine Atlantiküberquerung braucht. Und Bassani manövriert ihre 27 Tonnen so spielerisch im Zickzackkurs die Hafenmole von Saint-Tropez entlang, als hockte er in einer Jolle. Auf eine 24-Meter-Yacht hat dieses elementare Segelvergnügen noch keiner übertragen. „Genie of the Lamp“ ist ein Concept Boat für den Yachtbau: Es braucht weniger Strippen und macht mehr Knoten.

Auszug Heft 7/2003 McKinsey Magazin zum Thema Strategie