Volkwin Marg

Segeln ist Luxus, Entspannung, Abhängen? Von wegen! Der Betrieb einer Yacht ist eine große Aufgabe, besonders, wenn es sich um einen vierschrötigen Dreimastbramsegelschoner handelt.

Die Sage vom fliegenden Holländer erzählt die Geschichte eines Kapitäns, der als Strafe für seine draufgängerische, mit üblen Flüchen ausgeübte Schiffsführung dazu verdammt ist, endlos auf den Weltmeeren unterwegs zu sein. Das Schicksal des Hamburger Architekten Volkwin Marg ist ähnlich. Als verträglicher Mensch hat er aber keine höheren Mächte provoziert. Marg muss also nicht segeln. Er ist dem traditionellen Segelhandwerk aber derart zugewandt, dass er so oft es geht, das Gebälk seines schwarzen Dreimasters irgendwo in der Weltgeschichte entert, wo die „Activ“ gerade unterwegs ist.

Die Activ und ihr dienstältester Matrose

Beruflich ist Marg wie sein Kompagnon Meinhard von Gerkan beinahe so viel wie der einstige Außenminister Genscher unterwegs. Mit seiner Gelassenheit und Übersicht zieht der frequent flyer auch in Brasilien oder Südafrika die Strippen für das 650 Mitarbeiter beschäftigende Architektenbüro. GMP entwirft vom Stuhl über Einfamilienhäuser, Bahnhöfe, Flughäfen, Theater, Museen, Messe- und Kongresszentren, Konzerthallen, Fußballstadien bis hin zum Masterplan von Stadtvierteln oder ganzen Städten seit viereinhalb Jahrzehnten allerhand. Margs Thema ist die Gestaltung humaner Lebensräume als geschichtlich begreifbare, idealerweise in einem gewachsenen, verständlichen Zusammenhang stehender Architektur, besonders deren „soziale Güte“. Wie in seinen zahlreichen Veröffentlichungen nachzulesen, etwa dem Sammelband „Architektur ist natürlich nicht unpolitisch“, bleibt er bemerkenswert unmodisch.

Im Frühsommer ergibt sich Gelegenheit, den keineswegs rastlos wirkenden Gernevielsegler einmal auf der Flensburger Förde nach Sonderburg zu begleiten, bevor der Dreimaster im Anschluss an die Rumregatta zur Vorbereitung eines Törns in den Nordostgrönländischen König Oscar und Kaiser Franz Josef Fjord nach Dänemark und dann auf den Nordatlantik hinaus verschwindet.

Angesichts des weitgereisten schwarzen Dreimasters mit Rostspuren an der Kette des Wasserstags vor dem Bug, der grün angelaufenen Schiffsglocke und den dicken verzinkten Lüfterhutzen an Deck, hält der Besucher das im Frühsommer an der Flensburger Schiffbrücke vertäute Gefährt eher für eine schwimmende Herberge junger Leute, die mit pädagogischer Betreuung hoffentlich noch auf den richtigen Kurs des Lebens gebracht werden. Die „Activ“ ist zwar seeklar, dabei keinesfalls im übertrieben praxisfernen Sinn gepflegt. Wer andauernd Messing oder Bronze putzt, erhält Hafeninventar statt durch die Ostsee, das Mittelmeer, oder kreuz und quer den Atlantik bis nach Kuba zu pflügen.

Mit einigen Schüben am Gashebel vor- und rückwärts zum routiniert herumgewirbelten Steuerrad bugsiert Skipper Jonas Bergsøe den bulligen Frachtsegler von der Schiffbrücke. Der Däne, dessen Organisationstalent und Kontakte Marg neben seinem seemännischen Können schätzt, ist ein Schiffer der Abteilung freundlich, geradeaus und versiert.

Nach Passieren der grauen Halle der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft, wo sich die Wasserfläche des Hafens zur Förde weitet, macht sich der Mittsiebziger gemeinsam mit der dreiköpfigen Besatzung zwanzig bis dreißigjähriger Dänen und eines Engländers auf den Weg nach oben. Der Karabinerhaken des orangenen Hüftgurts soll bei der Arbeit in luftiger Höhe sichern. Der Weg die Wanten hinauf ist steil. Er führt von der Aussichtsplattform neben dem Eselshaupt weiter die dünne Stenge des Masttopps aufwärts, wo es auf dem labberigen Fußpferd in schwindelnder Höhe zum äußeren Ende der Bramrahe geht. Der Besucher erwischt sich dabei, die Kletterpartie als Demonstration des heute gern überbetonten Teamworks zu sehen. Er wird von der Besatzung erfahren, das der Eigner oft im Rigg seines Schiffes unterwegs ist und von Marg selbst, das er diesmal nachgucken wollte, wie gut die Rahen noch im Lack stehen.

Während das vom Segelsetzen wie Spaghetti durcheinander an Deck herumliegende Tauwerk für das nächste Manöver zusammengelegt und an den Nagelbänken rings um die Masten aufgehangen wird, stellt sich die Frage, wozu man so viel dänische Eiche, drei Masten, Stengen, Rahen, Gaffeln, Bäume und gut zehn Meter Klüverbaum zum Segeln braucht. Es gibt heute funktionale, aufgeräumte wie pflegeleichte Yachten, die mit Welten weniger Hardware mehr aus dem dürftigen Westwind machen, als das behäbig durch die Förde driftende Gebälk. „Da haben Sie völlig recht“ antwortet der dienstälteste Matrose der „Activ“ beim Zusammenlegen eines Falls mit Schweiß auf der Stirn. „Es gibt interessante moderne Boote. Aber nun stellen sie sich doch bitte einmal einen Augenblick vor, sie würden in den Alpen Ferien machen. Wo würden sie die Gegend begreifen und spüren, sich wohler fühlen? In einem topmodernen Wohnmobil mit temperiertem Wasser, Internetzugang, Flachbildschirm und so weiter? Oder in einer traditionellen Berghütte, wo sie zwischendurch noch das Moos zwischen die Balken stopfen müssen?“ erkundigt sich Marg listig blinzelnd. „Schauen sie, so ein Schoner ist das Ergebnis einer langen Entwicklung, das Meer mit kleiner Mannschaft zu befahren. Hier passt bis hin zum farblichen Kanon alles. Ich mag die handwerkliche Stimmigkeit an Bord, diesen Einklang von Funktion, Form und Anmutung“ schwärmt der Architekt. „In der Architektur haben wir das Problem, dass die Einheit von Funktion, Form und Bedeutung mit der Industrialisierung verloren ging. Sie wurde durch einen spielerischen, beliebigen Zusammenhang ersetzt, der von den wenigsten Menschen begriffen wird.“

Vor der sogenannten Schwiegermutter, einer gelegentlich sträflich unterschätzten Untiefe vor der Holnisser Landzunge am ersten Schwanenhals der gewundenen Flensburger Förde, werden die Segel auf die andere Bootsseite geklappt. Es ist erstaunlich, wie wenige, allerdings versierte Segler zur Handhabung der „Activ“ nötig sind. Wir segeln jetzt mit halbem Wind und das Murmeln der Förde steigert sich rings um den fülligen schwarzen Bug zu einem munteren Plätschern.

Neben der architekturgeschichtlichen, auch andere kulturelle Sphären streifenden Antwort gibt es einen zweiten, einen biographischen Grund für so viel Holz. „Ich wurde in Danzig in der Frauengasse groß. Von dort waren es nur wenige Schritte zum Wasser“ erinnert Marg, der damals mal zwei Wochen die Schule schwänzte, um sich ungestört vom lästigen Unterricht ganz seinem Metier widmen zu können. Nach dem Krieg wünschte sich der in Mecklenburg aufwachsende Konfirmand in der Mangelwirtschaftsrepublik Messingschrauben für sein erstes selbst gebautes Paddelboot. Es erhielt bald einen Mast und Seitenschwerter nach dem Vorbild der Keitelkähne des Kurischen Haffs. Das Deck von Margs nächstem Boot für die Elde entstand aus der für entbehrlich befundenen Rückwand eines väterlichen Bücherregals.

Nach dem Studium der Architektur in Westberlin und Braunschweig wurde Marg in Delft auf die holländischen Plattbodenschiffe aufmerksam. Der Nähe zum Wasser halber zog es Marg dann nach Hamburg. Dort blieb er nach Gründung des Architekturbüros 1965 mit Meinrad von Gerkan zunächst mit der holländischen Tjalk „Fortuna“, einem 30 Tonnen schweren Plattbodenschiff Baujahr 1914, später der noch älteren Galeasse „Marie“ bei den Arbeitsschiffen. 1976 gründete Marg mit fünf Gleichgesinnten den Verein Museumshafen Oevelgönne. Zuvor hatte er das städtebauliche Gutachten „Bauen am Wasser“ eine Bestandsaufnahme der „amphibischen Stadtstruktur“ Hamburgs abgeschlossen. Es ist ein lesenswertes Plädoyer zur Besinnung auf die Vorzüge der Hansestadt und ihrer Öffnung zur Elbe hin.

„Tja, dann begegnete ich der Activ“, berichtet Marg in der Kajüte, die eher dem Heidelberger Faß als der guten Stube einer Yacht ähnelt. Entlang der gebogenen Bordwand ein paar Bänke und vorn an der Stirnwand des Schotts das friesische Freiheitsmotto „leever dod as slaw“ (lieber tot, als Sklave). Der Individualist hat es von Jakob Both, dem unbeugsamen Voreigner seines ersten Plattbodenschiffs mit auf die „Activ“ genommen. „Dank ihrer Rumpfform bleibt sie nicht im Eis stecken wie ein Fischerdübel“ begeistert sich der Architekt. Er freut sich, während der anstehenden Grönlandreise dänischer Wissenschaftler und Künstler einige Tage als Gast an Bord dabei zu sein. Die Pantry und Sitzgelegenheiten des Heidelberger Fasses haben den Charme einer frequentierten Jugendherberge. Doch genau diese Konzentration auf das Wesentliche machten so viel Schiff für den vollbeschäftigten Architekten die vergangenen drei Jahrzehnte betreibbar.

Der Bootsname, der auch als Motto des beeindruckend fitten Seniors verstanden werden könnte, wurde übrigens bei Übernahme des Gebälks Ende der siebziger Jahre beibehalten. Damals, als die letzten Frachtsegler abgewrackt wurden, verwandelte Marg den einstigen Salzfrachter für die Grönlandfahrt vom Dampfer in diesen Dreimaster. „Die vorn angeordneten Rahsegel ziehen das Schiff im Passatwind ausgezeichnet über den Atlantik“ schwärmt Marg. Neulich wurde ein Großteil der Beplankung, achthundert Meter dänische Eiche und die Knie der Verbindung vom Rumpf zum Deck ersetzt.

„Ich glaube ich hab’ ne Macke“ kommentiert der vermutlich diskreteste Großsegler Hamburgs seine „maritime Verliebtheit“ ohne den in diesem Zusammenhang oft gehörten koketten Unterton. Dabei hat Marg seit seiner Kindheit in Danzig, der Jugend auf der Elde und dem Plattbodenschiff auf der Elbe mit der „Activ“ mit unbeirrter Seemannschaft bloß Kurs gehalten. Außerdem ist das amphibische Arbeiten und Leben am und auf dem Wasser eine schöne Sache.

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