Die Magie des Segelns

Einem archaischen Brauch zufolge soll man ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und eine Familie gründen. Sind diese Ziele erreicht, schweift der Blick zu weiten Horizonten hinaus aufs Meer. Es ist ein tiefsitzendes, ein archetypisches Bedürfnis abzulegen, auf eigenem Kiel entlegene Küsten anzusteuern.

Dazu, für komfortable, sichere und schnelle Meeresreisen braucht man eine gescheite Yacht. Und wenn sich der stolze Eigner am Strand der fernen Ankerbucht oder im Hafen mal umdreht und er zurück schaut zur eigenen Arche, soll der Anblick ringsum erfreulich sein. Mehr noch als das Auto drückt die Yacht Erfolg, Individualität und Geschmack aus.

Ablegen, mit der Familie oder Freunden die Leinen zu einer langen Reise, vielleicht sogar zu einer Weltumseglung loswerfen, das ist ein gern gehegter Traum. Wer denkt nicht über eine berufliche Auszeit, das Sabbatical nach, das durchaus länger als das berühmte eine Jahr geraten kann? Jost Stollmann hat diesen Traum nicht bloß geträumt und ihn irgendwann wie einen farbenfrohen Segelkalender daheim an den Nagel gehängt. Der Vorzeigeunternehmer, der nach dem Verkauf seiner Firma CompuNet anstelle eines vorübergehend erwogenen Gastspiels in der Politik bei der angesehenen bremischen Werft „Abeking & Rasmussen“ die 40 Meter lange „Alithia“ (Baujahr 2001) aus Aluminium für eine Weltreise schweißen ließ, segelte mit seiner sechsköpfigen Familie und begleitet von Privatlehrern für die Kinder und einer Mannschaft fürs Boot zwei Jahre um die Welt. Angetrieben vom stetigen Passatwind querte der bis zu 17 Knoten schnelle ocean greyhound den Atlantik in gerade mal zehn Tagen. „Ich finde es reizvoller Träume zu leben als sie zu träumen“ sagt Stollmann, der unterwegs eine neue berufliche Herausforderung und im australischen Sydney auch eine neue Heimat fand.

Das es eine moderne und schnelle, für sämtliche Eventualitäten ausgerüstete große Sonderanfertigung mit einigen Finessen sein kann, aber nicht unbedingt muss, zeigt der vergleichsweise filigrane klassische Zweimaster „Kentra“, Baujahr 1923. Die an Deck etwa 26 Meter lange Holzyacht kaufte der in Monaco lebende Schweizer Ernst Klaus als morsches Gebälk. Er ließ es in 45 Tausend Handwerkerstunden vom Southamptoner Klassiker Spezialisten Fairlie Restorations in eine weithin bewunderte Yachtantiquität verwandeln. Nach Erkundung der schottischen und irischen Gewässer, Ansteuerung reizvoller Küsten wie der Bretagne, Spaniens oder Südfrankreichs wurden Inseln wie Sardinien, Elba oder der Ägäis angesteuert. Dann war das Ehepaar bereit zu seiner Odyssee auf dem „erlösend tiefen Blau“, wie der Berliner Schriftsteller Gottfried Benn einmal das Meer genannt hat.

„Sobald sie ein Boot betreten, befinden sie sich in einer anderen Welt“ sagt Klaus. „Meist reicht für diese Verwandlung ein verblüffend kleiner Abstand zum Land. Sie funktioniert also überall. Segeln ist magisch und nirgendwo ist die Magie größer, als auf einer klassischen Yacht“ schwärmt der auf den stilvollen Segeltörn abonnierte Hochseesegler. „Viele Leute können sich vermutlich gar nicht vorstellen, wie komfortabel man auf einer klassischen Yacht lebt. Die Bewegungen solch eines traditionell gebauten, V-förmigen Rumpfes auf See sind angenehm. Sie sind weich und berechenbar. Wenn man wochenlang unterwegs ist, wird das zum entscheidenden Gesichtspunkt.“

Der Hamburger Admiral’s Cup Veteran Hans-Otto Schümann nahm 13 Mal an der inoffiziellen Weltmeisterschaft im Hochseesegeln teil und gewann sie mit seinen hightech Rennyachten namens „Rubin“ drei mal. Der Vaseline-Fabrikant und Nestor des deutschen Grand Prix Segelns verblüffte vor einigen Jahren, als er in seiner zurückhaltenden Art das eigentliche Privileg des Seglers schilderte, nämlich den Anblick des nächtlichen Sternenhimmels in unglaublicher Prägnanz. Dieses von Lichtquellen der Zivilisation ungestörte Erlebnis wird nur vom Sonnenaufgang auf See getoppt.

Nun ist es nicht jedermanns Sache, Ozeane zu überqueren. Sei es, weil die berufliche Beanspruchung und das Familienleben für solche Ausstiege keine Gelegenheit läßt. Sei es, weil die Ehefrau nicht so viel Begeisterung für das Metier entwickelt oder jemand auf See schlecht wird. Das hinderte beispielsweise Herbert von Karajan nicht daran, mit seiner Maxi-Rennyacht „Helisara IV“ in der Nähe seines Ferienhauses durch den Golf von Saint Tropez zu pflügen, soweit ihm seine Dirigentenkarriere dazu Zeit ließ. Es bedeutete dem Maestro viel, der Konkurrenz den Notenschlüssel auf dem Heck seiner Yacht zu zeigen. Die Adrenalin-intensive Teilnahme an einer Regatta ist die gründlichste Art einmal komplett abzuschalten und die Agenda des Alltags zu vergessen. Sie ist die Dur-Tonart der Magie des Segelns.

Wer für den intensiven Segelgenuss nicht so viel Mannschaft an Deck herumscheuchen mag, wie ansonsten im Orchestergraben sitzt, entscheidet sich für eine moderne Yacht der Marke Wally oder vielleicht die Brenta 60. Diese segelnde alda moda ist so konzipiert, dass sie sich allein oder zu zweit segeln lässt. Dienstbare Geister und helfende Hände werden eigentlich nur beim Manövrieren und Vertäuen solcher mittelgroßen bis großen Yachten der 18 bis 30 m Kategorie gebraucht. Leise surrende hydraulische Zylinder oder unter Deck versteckte Winschautomaten zum Dichtholen und Verstauen des Tauwerks erledigen das Segelsetzen und Trimmen auf Knopfdruck.

Der schleswig-holsteinische Fabrikant Dr. Klaus Murmann bedient seine 18 ½ m lange „Uca“ großenteils über etwa Bierdeckelgroße Tastenfelder, die diskret auf den Naben der beiden Steuerräder angebracht sind. Der verblüffend schlichte Silberpfeil hat so wenige Strippen wie ein Segelschulboot. Selbst die Beschläge zum Vertäuen des Bootes am Bug sind unter Deck versteckt. Der versierte Regatta- und Genußsegler Murmann, der auf eine Armada verschiedener Rennyachten zurück blickt, freut sich wie ein Kind an seiner Sonderanfertigung der Kieler Knierim Werft. „Herrlich, wie sie durch die Wellen geht. Ich habe schon einige Boote gesegelt, aber so eins noch nicht“ fasst er begeistert zusammen. Die richtigen Knöpfe drücken und gucken was passiert, macht auch an Bord Spaß.

Unter Deck wirkt dieses segelnde I-Phone wie eine moderne Arztpraxis oder Jil Sander Boutique. Der Entwurf des Mailändischen Yachtarchitekten Luca Brenta ist ziemlich netto. Es gibt weiße Hängeschränke und helle Alcantara Paneelen der Kajütdachverkleidung über weißem Corian der Pantry-Arbeitsplatten. Einzig der Fußboden ist in dunkelbraunem Wengé-Holz gehalten. Noch weiter wurde der Purismus bei der Vorgängerin der „Uca“ getrieben. Diese Brenta 60 heißt „Almost Nothing“, gehört ebenfalls einem deutschen Eigner und liegt in Sardinien. Sie wurde schlicht weiß gemäß der Farbnorm RAL 9010 eingerichtet und zwar abwechselnd mit glänzenden oder matten Oberflächen. Es versteht sich von selbst, dass es mit solch einem konzeptionell leichten und yachtbaulich anspruchsvollen hightech Boot mit großem Ballastanteil am Ende der tiefen Kielflosse zur Sache geht wie mit einem generös motorisierten Sportwagen.

Angesichts der 2,2 Millionen Euro für diese High Fidelity zur See ist es tröstlich, das es den coolen Brenta Daysailor auch als kleineres Modell von knapp neun bis 16 Meter gibt. Übrigens ist die Faszination des sogenannten no nonsense Daysailors, mit dem man einige köstliche Stunden verbringt, keineswegs neu. Der „Trend“ ist ungefähr hundert Jahre alt. Früher wurden solche Segelspaßmaschinen ihrer Nutzung entsprechend schlicht und ergreifend Nachmittagsboot genannt. Die klassische und schweizerische Variante dieses Vergnügens entwarf Ende der Dreißiger Jahre der Genfer Ingenieur Henri Copponex als „Lacustre“. Das hübsche Boot mit dem Kleeblatt im Großsegel ist ein Evergreen eidgenössischer Seen.

Beinahe so schön, wie zur großen Seereise das Weite zu suchen oder ab und zu mal für eine kleine Spritztour die Segel zu setzen, ist es, über das nächste Boot nachzudenken und es zu bauen. Der kalifornische Softwarekaufmann Jim Clark hat es bei dabei 1998 zur 47 Meter langen „Hyperion“, 2004 dem 90 Meter Dreimaster „Athena“ und 2009 dem 40 Meter Renner „Hanuman“ gebracht. „Hyperion“ war vorübergehend die größte Einmastige Segelyacht der Welt und soll damals 19 Millionen Euro gekostet haben. Clarks vorerst letztes Segelboot ist eine Replik des America’s Cup Herausforderers „Endeavour II“. Damit unterlag der englische Flugzeugfabrikant Sopwith 1937 vor Newport der „Ranger“ von Harold Vanderbilt. In dieser exklusiven Bootsklasse der sogenannten J-Class wo nur restaurierte Exemplare oder Repliken akzeptiert sind, werden gerade die letzten Neubautickets vergeben. „If you can dream it, we can build it“ heisst es in der holländischen Traumschiff-Manufaktur „Royal Huisman“. Das Budget einer J-Class aus dieser Werft liegt bei 20 Millionen Euro.

Die Werft schob 2009 auch den 58 Meter langen Blauwassersegler „Ethereal“ aus der Halle, der mit verblüffend leisem und vibrationsarmen Betrieb der Generatoren, einem dieselelektrischen Hybridantrieb mit zwei jeweils 533 KW (715 PS) starken Caterpillar Maschinen punktet. Verbrauchsreduktion und clevere Energieausbeute reduzieren die bordeigene Energiebilanz. Die beiden vierblättrigen Wärtsilä Wasserschaufeln der Verstellpropeller dienen bei gutem Wind als Stromerzeuger. Der Fahrtverlust von 1,5 Knoten wird angesichts 17 Knoten Reisetempo in Kauf genommen.

Solche Kompromisse ging der Wahlschweizer Peter Happel mit seinem wegweisenden, etwa halb so schweren 67 Meter Renner „Hetairos“ nicht ein. Bei diesem yachtbaulichen Meilenstein verschwinden die Propeller beim Segeln hinter bündig mit dem Rumpf abschließenden Klappen wie ein Flugzeugfahrwerk. Vier VW Marine TDI 350-8 Motoren liefern die Power unter anderem zum hydraulischen Anheben des 86 Tonnen schweren Hubkiels. Damit wird der Tiefgang von neun auf 3 1/2 Meter reduziert. Da ist dann das bärenstarke Drehmoment der marinisierten 350 PS Achtzylinder gefragt, wie sie ansonsten als 370 Kilo schwere 4,2 l Maschine im Audi zum Einsatz kommt. So weit wurde dieses Thema bislang nicht getrieben. Vorsprung durch Technik zählt auch auf dem Wasser.

So cool und rasant, so antiquiert und elegant, so anspruchsvoll und schnell, aber leider auch so unerreichbar solche Traumschiffe nach dem heutigen Stand der Technik erscheinen mögen: Tröstlich ist, dass man zwar so groß und kostspielig auftakeln kann, aber nicht muss. Mit einem der Überholung gewidmeten Budget einer gebraucht gekauften Yacht kann man auch ablegen. Oder man teilt Freud und Leid, Kosten und Nutzung des Schiffes mit einem Partner. Letzteres hat der finnische Geschäftsmann Berndt Brunow gemacht, als er mit einem langjährigen Freund eine werftneue Swan 66 übernahm. Die ausgereiften, gediegenen und entsprechend wertbeständigen Erzeugnisse der finnischen Nautor Werft gelten als Mercedes zur See.

Ein fest angestellter Bootsmann betreut und pflegt die zu schönen Revieren der Welt überführte „Lionessa“. Wenn die Eignerfamilien das Boot selbst nicht nutzen, ist es mit zahlenden Gästen unterwegs. Wozu hundert Prozent zahlen und oben drauf die erheblichen Betriebskosten (etwa zehn Prozent des Neupreises jährlich) bestreiten, wenn man das Boot allenfalls gelegentlich nutzt? Übrigens bauen Großserienhersteller wie Bavaria, Beneteau oder Hanse auch komfortable und zeitgemäße Yachten für Realisten, die bereits ein Haus gebaut, den Baum gepflanzt und eine Familie gegründet haben und nun den archaischen Traum von der eigenen Yacht leben möchten.

Motorenkunde: moderne Bootsdiesel

Herkömmliche Einbaumaschinen (aus Sicherheitsgründen durchweg Diesel) punkten als marinisierte Industriemotoren mit robuster Bauweise und großer Zuverlässigkeit, sind aber leider schwer. Zum Glück hat sich da in den vergangenen Jahren einiges getan. Die Einbaudiesel sind kompakter, leichter und wartungsfreundlicher geworden. Der beispielsweise seit 2008 gebaute Volvo Penta D2-40F mit 1,5 l Hubraum bietet bei 3.200 U/min annähernd 40 PS und läuft als Vierzylinder ruhig. Die für ein gut acht Tonnen schweres Tourenboot geeignete Maschine wiegt mit 200 Kilogramm etwa zwei Drittel vergleichbarer Vorgängermodelle. Interessant sind auch die weit verbreiteten und leichten Yanmar Motoren fürs Boot. Leider hat VW Marine seinen vielbeachteten Einstieg in die Bootsbranche Anfang 2011 wieder aufgegeben. Die seit 2003 gebauten Maschinen sind übrigens weiterhin als Cummins MerCruiser Diesel (CMD) erhältlich. Laufruhe und Wartungsfreundlichkeit machen die nach wie vor in Salzgitter gefertigten Motoren neben dem vertrauten Label und Made in Germany interessant.

Für moderne, vom Auto adaptierte Bootsmotorentechnologie spricht ihre clevere Steuerung und zeitgemäße Common Rail Hochdruckeinspritzung. Dagegen die langen Standzeiten von Hilfsmotoren in Segelyachten und ihr unregelmäßiger sowie kurzer Betrieb aus dem Hafen raus und abends wieder rein. Da wird die Maschine kaum warm. Die meisten Bootsdiesel stehen sich kaputt. Daher haben für Gelegenheitssegler und Freizeitskipper in schönen Revieren wie Mittelmeer oder Karibik robuste und gängige, dem ortsansässigen Mechaniker verständliche Motoren und ein großes Händlernetz mit internationaler Ersatzeilversorgung Vorrang.

Dennoch sei für Technikliebhaber ein interessanter Exot unter den marinisierten Automotoren erwähnt: der Dreizylinder Smart Diesel CDI OM 660 liefert 40 PS bei ganzen 125 kg. Dank seiner interessanten Drehmomentkurve ist bei zahm gegebenem Gas (1.700 U/min) eher das durch die Bordwand plätschernde Kühlwasser zu hören, als die Maschine selbst.