Thermessos

Imposantes Ausflugziel bei Antalya. Verschlungene Wege führen zur antiken Stadt Termessos unter dem Solym-Berg, den die Türken heute Güllük nennen.

Als Alexander der Große beim berühmten Feldzug 334/333 vor Christi auf halbem Weg nach Issos war, wollte er in der Nähe der heutigen Touristenmetropole Antalya an der südtürkischen Küste einen Paß zu Füßen des Solym-Berges überqueren. Dort entdeckte er eine große Zahl zum Kampf entschlossener Einheimischer links und rechts des Bergsattels.

Alexander wollte aber nicht bloß vorbei. Er wollte das wehrhafte Volk der Solymer auf ihrem angeblich uneinnehmbaren Berg kassieren und sich dann wesentlicheren Eroberungen zuwenden. Dazu ließ er seine mazedonischen Krieger aufmarschieren, woraufhin die Solymer in ihrer Festung verschwanden. So konnte Alexander der Große und seine Truppe ungehindert passieren. Als er dann von der anderen Talseite aus die gewaltigen Mauern der Burg sah, soll er, ohne viel Lärm zu machen, weiter in Richtung Issos gezogen sein. So lautet die pointenärmere Version der Geschichte.

Der anderen Überlieferung zufolge ließ Alexander zu Füßen der Burg halt machen und den Solymern siegesgewiß ein Kapitulationsangebot überreichen, in das sie nur noch hätten einwilligen müssen. Doch eine Kapitulation erschien den stolzen Bergbewohnern in ihrem tausend Meter über dem Meer gelegenen Adlernest schlechter als ein heldenhafter Tod. Schließlich war es ihnen bereits über viele Jahrhunderte gelungen, sich am uneinnehmnaren Solym-Berg zu halten. Alexander der Große, so heißt es, habe die Festung während mehrerer Tage vergebens bestürmt und schließlich vorgegeben, er hätte Wichtigeres zu tun, als sich mit diesem blöden Bergvolk abzugeben. Er ließ zur Vergeltung sämtliche Olivenbäume der Gegend fällen und zog weiter.

Auch für den Besucher unserer Tage ist die Erkundung des Solym-Berges noch immer beschwerlich – auch wenn er sich nicht wie seinerzeit die mazedonischen Krieger durch halb Kleinasien geschlagen hat. Kommt man in der schönsten Jahreszeit, im Frühling, sind die höchsten Erhebungen der ein- bis dreitausend Meter hohen Berge noch mit Schnee bedeckt. Im Sommer und Herbst dann schimmern nur noch die hellgrauen Schutt- und Geröllflächen der Gipfel durch den Dunst des Mittelmeeres. Bereits bei der Anreise mit dem Flugzeug am späten Nachmittag fallen im Westen die hohen, unmittelbar ans Meer heranreichenden Berge auf. Das Gegenlicht der Sonne, die hinter dem Bey-Daglari-Massiv untergeht, läßt sie dramatisch groß erscheinen als unerreichbares, unzugängliches Adlernest über der Gegend und dem Meer.

Im 3. Jahrhundert vor Christus und später war die Gründung der Solymer eine blühende, wohlhabende Stadt und nannte sich Termessos. Kein Wunder, dass trotz der abseitigen Lage die Griechen, vor allem die Römer sich für die Festung interessierten. Sie nannten die Stadt Thermessus und gewährten ihr viele Freiheiten, bis sie dann im 5. Jahrhundert endgültig verlassen und vergessen wurde.

Ich erkunde Termessos von Antalya aus. Die Fahrt mit dem Mietauto führt über eine der breiten, vierspurigen Ausfallstraßen zunächst nordwärts in eine langsam ansteigende Ebene hinein und dann nach Westen bis an den Fuß des unwegsamen Gebirges auf der Straße nach Korkuteli, Elmali und Fethije. Führe ich im landestypisch flotten Tempo, was der Motor so hergibt, hätte ich die Zufahrt zum Nationalpark Termessos verpasst.

Für ein paar Lira komme ich in das Naturschutzgebiet und lasse das Auto gleich unten am Eingang des Parks stehen, um die, wie ich vermute, wenigen Kilometer über die Serpentinen hinauf zum Solym-Berg zu laufen. Ein Vorhaben, das ich unterwegs fast bereue, wäre da nicht die Schritt für Schritt beeindruckendere Aussicht in das Yenice-Tal und über die Baumkronen und Büsche hinweg auf die Ebene von Antalya.

In den Bergen ist es noch angenehm kühl, an diesem Vormittag sogar regnerisch. Der Wind drückt die Wolken auf das verwitterte, graue Gestein über mir. Es wird finster und triefend naß. Wolkenfetzen und die Reste schmutzig-finsterer Kumulus-Ballen jagen um die Felsen. Die Wettergötter scheinen uneins, ob es bald gießen oder trocken bleiben soll.

Termessos erscheint dem gehfaulen Büro- und Stadtmenschen fast so uneinnehmbar wie die antike Festung für das mazedonische Heer: Die kurvenreiche, immerzu aufwärts führende Schotterpiste will kein Ende nehmen. Als ich dann endlich da bin, gibt es so gut wie nichts zu sehen, außer einige türkische Familien, die im wuchernden Grün des Parkplatzes mit Kühltaschen und Plastiktüten hantieren.

Irgendwo in den Bäumen finde ich dann einen schmalen, dafür jetzt richtig steil bergauf führenden Pfad. Die Wolken kondensieren, der Wanderer dampft. Durch die Baumkronen tröpfelt Feuchtigkeit auf das unergründliche Blätterwerk des Gestrüpps rundum. Die Nerven melden erste Schwielen zwischen Fuß und Schuh. Wie immer, wenn der Weg nach oben allzu beschwerlich wird, quält die „Sinnfrage“. Doch was ist schon eine richtige Trümmertour ohne Durst und ein gewisses Maß an Leid? Weiter geht’s – bis die aufeinandergestellten Quader einer respektablen Mauer der Bergtour ein Ende zu setzen scheinen. Ich bestaune das zyklopische Mauerwerk. Es verschafft eine willkommene Verschnaufpause.

Und da kommen endlich die jovial grüßenden Freunde mit dem „We have been here“-Lächeln: „You almost got it. Just a few steps to go.“ Leider nimmt die unverhoffte Begegnung mit den fröhlichen folks aus den Staaten der Wanderung ihren Expeditionscharakter. Den hatte die Tour aber vermutlich noch, als vor gut 190 Jahren die englischen Forscher Spratt, Forbes und Daniel auf das Hochplateau von Termessos und den noch einmal 600 Meter höher gelegenen Solym-Berg wanderten. Leiten ließen sie sich, von Homers VI. Gesang in der Odyssee (Verse 184/185), wonach Bellerophon sich im Kampf mit den Solymern zu messen hatte, und von den Berichten Einheimischer über irgendwelche Ruinen am Solym-Berg, den die Türken heute Güllük-Berg nennen. Vom Yenice-Tal aus waren und sind die Ruinen der Stadt tatsächlich nicht zu sehen.

Mehr als dreizehn Jahrhunderte herrschte in der vergessenen Festung Ruhe. So fanden Karl Graf Lanckoronski und seine beiden Mitarbeiter G. Niemann und E. Petersen in Termessos eine weitgehend komplett erhaltene Bausubstanz vor. Sie gingen daran, die Festung systematisch zu erforschen, und fertigten Lageskizzen, Karten und Zeichnungen der schönsten und auffälligsten Bauten an.

Ich folge dem schmalen Pfad, der zwischen dem Fuß der gewaltigen Stadtmauer und dem grün überwucherten Abgrund entlangführt auf das nicht minder unwegsame Plateau. Da und dort geben Bäume und Gebüsch die Reste großer Rundbögen und griechisch-römischer Architektur frei. Immer wieder entdecken ich die teils eingestürzten Gewölbe riesiger Wasserspeicher und die Rinnen eines aufwendigen Bewässerungssystems. Darüber thront der kegelförmig in die Wolken ragende Güllük-Berg.

Am Rand des Plateaus ist nichts zu sehen außer den bedrohlich wirkenden Wolkengebirgen, die unaufhörlich aus den Tälern heraufgedrückt werden und um die Flanke des Götter-Berges quellen. Das Theater, nicht mehr ganz intakt, liegt am westlichen Rand des Plateaus über dem Abgrund. Das Szenengebäude ist nur noch zu einem Teil, das Rund der Sitzplätze jedoch noch fast vollständig erhalten. Der im ersten Jahrhundert vor Christus erstellte Bau fasste einmal viertausend Zuschauer.

Während ich zügigen Schritts und mit weichen Oberschenkeln dem schmalen Pfad abwärts folge, kommen einige rotköpfige, schnaubende Wanderer entgegen. „Just one mile to walk“, erkläre ich unaufgefordert.

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