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Idyll an der Elbe

Wie Kopenhagen, London oder Oslo besinnt sich Hamburg auf den Charme wassernahen Arbeitens und Lebens. Die neue Besiedlung der Speicherstadt als Hafencity und des Harburger Hafens, auch der Wilhelmsburger Inselpark locken mit Charakter, Freizeitwert und der Geschichte elbnahen Lebens. Dennoch gibt es nach wie vor manche brachliegende Fläche, aus der sich mit dem richtigen Ansatz etwas machen lässt. Zum Beispiel ein beinahe vergessenes Grundstück am Ende des Peuter Elbdeichs in Sichtweite der vielbefahrenen Elbbrücken. Jeder Hamburg-Reisende lässt, die Norderelbe mit dem Auto oder Zug querend, den Blick durch die geschwungenen Spannbögen der markanten Brücke auf den Fluß schweifen. Vorne die glänzenden Schornsteine und Silos der Barry Callebaut Schokoladenfabrik, dahinter ein bewaldetes Ufer. Hier liegt versteckt hinter hohen Pappeln, zwischem dem Schutenhafen der Peute und der Norderelbe eine idyllische Halbinsel. Binnenschiffe schieben mit rauschender Bugwelle vorbei. Enten und Schwäne sind hier zuhause – und neuerdings auch der Bootsbauer Jürgen Renken und sein junger Kollege Alexander Mühle. Wobei die Berufsbezeichnung Bootsbauer es nicht ganz trifft. Einfach weil kein klardenkender Mensch das Konzertflügelfinish, wie die beiden es nach endlosem Schleifen und Lackieren als veredeltes Mahagoni aus der Halle schieben, noch als Boot bezeichnen würde. Die Finesse, in der die Planken zusammengefügt sind, erinnert eher an Intarsien oder ein Musikinstrument. Bei den aufwändig restaurierten Spritsäufern der Marke Riva ist der Fetischierungsgrad abgefahren. Der wird nur mit konzentrierter Arbeit erreicht. Eine einzige Unachtsamkeit eines abgerutschten Werkzeugs und alles wäre futsch. Renken restauriert seit 1999 Rivas in einem Hinterhof in Bahrenfeld. Gemeinsam mit seinem Kollegen Mühle wollte er seit Jahren schon an die Elbe. So suchte und fand er in etwa mit jener Beharrlichkeit, mit der die Beiden sich über eine Nautiquität beugen, die Peute 1. Und weil ihre neue Bleibe Anfang 15 nicht mehr war als ein Wendehammer-artiges, von Unkraut überwuchertes Grundstück, legten sie für ein Jahr Hammer und Stechbeitel beiseite. Sie räumten auf, planierten das Gelände und bauten sich aus gebrauchten, geschickt gestapelten Containern erst mal ihre eigene Werft. Der Betrieb ist ein 11 x 12 m großes, sieben Meter hohes U aus üblichen, innen aufgeschnittenen Containern. Sie bauten ein Dach drauf und setzten eine Front davor. Hier gibt es Platz genug für ein, zwei Rivas, die Werkstatt, Werkbänke, ein Lager und eine Spritzkabine. „Es war schon immer mein Traum die Boote am Wasser zu restaurieren.“ Renken hatte als Innenarchitekt und Planer eine Weile ein Büro in einem Tiefpaterre am Nicolaifleet – bis er sich dann ganz dem still ausgeübten Handwerk der Rivamania zuwandte. Mittlerweile werden ihm die Kostbarkeiten aus ganz Europa in Pflege oder zur Wiederherstellung gegeben. Sogar andernorts bei namhaften Adressen verbastelte Objekte, wo vielleicht auf den ersten Blick noch alles stimmt, der zweite und vor allem der nächste hinter die Verkleidungen dann leider schmerzt. „Früher gab es in Hamburg unzählige Bootsbauer und Werften. Fast alle haben irgendwann aufgehört. Da dachte ich, die Peute 1 wäre als Gewerbehof fürs Maritime mit Alexander und mir als Bootsrestauratoren ein Neubeginn.“ Die ersten Mieter auf dem zweitausend Quadratmeter Gelände gibt es schon. Weitere sollen hinzukommen. Denen bauen die Beiden von der Peute 1 dann ihren Betrieb aus ebenfalls gebrauchten, aufgeschnittenen und geschickt zusammengestellten Containern. Die Module sind in 10, 20 oder 40 Fuß mit der üblichen Breite zu haben. Es gibt auch sogenannte High Cubes mit 2,75 statt 2,60 m Höhe. Das Angebot gerade in Hamburg ist groß. Wenn es gut läuft kann die Fläche des Gewerbehofs sogar erweitert werden. Inspiriert wurde Renken von einem Containerdorf im Londoner Stadtteil Brixton. „Mit den Modulen kann man sich an den Tidenhub des Geschäfts anpassen. Brummt es, bauen wir an. Stagniert es, bauen wir ab.“ Eigentlich ist die zur Veddel gehörende Peute keine Traumlage. Das lag maßgeblich an der Kupferverarbeitung der heute als Aurubis bekannten Norddeutschen Affinerie. Elisabeth Essen erinnert, wie es in den damals noch vorhandenen Kleingärten „ab Juni/Juli keine Blätter mehr an den Bäumen gab, weil die Luft so schlecht war. Aber sonst“, so erinnert Frau Essen, die lange mit ihrem Mann am Peuter Elbdeich eine Tischlerei betrieb, „war es ganz schön hier. Die Werftarbeiter kamen alle zu Fuß von der Veddel. Sie gingen durch den sogenannten Grund, eine heute geflutete Senke hinter dem Schutenhafen, die bis zur verheerenden Sturmflut im Februar 1962 von Schrebergärten und Behelfsheimen seit dem Krieg besiedelt war.“ Auf dem Gelände der Peute 1 befand sich bis 1965 die andernorts bereits 1884 gegründete Wilhelm Neumann Werft. Sie baute und reparierte Binnenschiffe und Schuten (offene Kähne). Später wurden hier von der Firma Seacat Schmeding Ankerketten gefertigt. Nicht nur Hamburger, auch viele Besucher der Stadt kennen den sturen Yachtausrüster Schmeding, der sich jahrzehntelang weigerte, seine kleine Butze an der Ecke Stubbenhuk/Vorsetzen an den Verlagsriesen Gruner & Jahr zu verkaufen. Die Leute von der Peute halten Kurs. Neulich schaute ein ehemaliger Schiffbauer der Neumann Werft vorbei. Er erzählte mit leuchtenden Augen von seinen Lehrjahren hier, obwohl die Arbeit damals kein Zuckerschlecken war. Auch die Augen der Riva Kunden leuchten, wenn sie sich das Grundstück ansehen. Das liegt an der schönen Arbeit, die hier in meditativer Stille ausgeübt wird. Das flimmernde Grün der Pappeln, das Rauschen der Bäume im Wind und der aromatische Brackwasserduft der Norderelbe tragen dazu bei. Und wenn der Besucher mal muss, dann sucht er ein liebevoll restauriertes und zur Toilette umfunktioniertes stilles Örtchen auf. Er nimmt in der Kommandobrücke eines Binnenschiffs aus den Zwanzigerjahren Platz. Das stille Örtchen passt zum Idyll an der Norderelbe.