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Jäger und Sammler

Das Thema, wie groß und aufwändig ein Boot sein muss, wie viel Raum es im Wesentlichen vom Arbeits- und Familienleben ausgefüllten Dasein einnehmen darf, ist eine der leidlich diskutierten Dauerbrenner fast jedes Seglerhaushalts. Von der Materie schwer in Beschlag genommene große Jungs sind da naturgemäß etwas anderer Auffassung als ihre Lebensgefährtinnen. Abgesehen von Pferden, die von Töchtern und Frauen niemals als Spielzeuge, nämlich Tiere und somit völlig anders als Boote eingestuft werden, ist der weibliche Teil eines Seglerhaushalts bei Spielzeugen wie Autos, Jollen, Yachten, Flugzeugen oder Hubschraubern furchtbar vernünftig. Hier werden mit klarem Kopf nüchterne Kosten-Nutzungen Rechnungen aufgestellt. Nach landläufiger Auffassung langt ein Boot vollkommen, am besten ist es aus pflegeleichtem Kunststoff. Weil da der Wartungsaufwand und Kosten überschaubar bleiben. Ab und zu eine Pütz Wasser mit schmutzlösenden Essenzen, der beherzte Einsatz des Schrubbers, etwas Politur und das alljährlich aufgefrischte Antifouling. So bleibt die Kirche im Dorf. Doch sogar dieser Aufwand wird von Nichtseglern, speziell weniger segelaffinen Ehefrauen als viel zu hoch eingeschätzt. Diese Diskussion hat der 49-jährige Kai Wohlenberg nicht. Zwar hatte der joviale, meistens für einen würzigen Spruch zu habende Parkettverleger aus Flensburg schon die eine oder andere Lebensabschnittsgefährtin und er erinnert die gemeinsame Zeit beispielweise mit einer Sabine vor einigen Jahren als schön. Doch ist Wohlenbergs Lebensschwerpunkt nun mal eindeutig das Segeln, der Bootsbau und seine Bootssammlung. Letztere besteht aus derzeit ungefähr neun Booten. Es ist durchaus möglich, dass demnächst noch ein schönes Exemplar dazu kommt. Außerdem ist die Lage auf seinem Grundstück unübersichtlich. Es befindet sich neben dem ehemaligen, längst stillgelegten Flensburger Güterbahnhof. Hier stehen in diversen Schuppen oder unter temporären, von Partyzelten zu überdachten Stellplätzen modifizierten Gestellen so viele Boote, dass der Besucher mehrmals zählen muss. Hinzu kommen die kopfüber abgelegten Baustellen oder unter die Dachbalken gehangenen Exemlare. Wer so fokussiert auf die vielleicht schönste Sachen der Welt, ansehnliche, klassische, schnittig schlanke Segelboote, lebt, solch ein Sammler und Jäger ist und bleibt wohl Junggeselle. Übrigens gehören einige Boote seiner Schwester Andrea und seinem Schwager Holger. Von den drei hinreißenden Exemplaren der internationalen 5,5er Klasse ist eigentlich nur eines Wohlenbergs alleiniges Eigentum. Die beiden anderen teilt er sich mit seinem Schwager. Das ist so eine Art innerfamiliäres Boatsharing. Der Besitz und auch die artgerechte Verwendung der Boote, das Segeln, ist Wohlenberg weniger wichtig. Entscheidend sind die kurzen Wege zur Flotte, dass die Kostbarkeiten gut aufgehoben sind, vom Herbst bis Frühjahr geschützt vor den gnadenlos nassen, windreichen und kalten norddeutschen Wintermonaten und im Sommer schön kühl und schattig stehen, also nicht austrocknen. Die Lagerung von Holzbooten ist ein Thema für sich, sonst drohen der Substanz Trockenfäule, Schimmel, Gammel und das Gebälk ist bald so rott wie der englische Kanalkutter von Anno 1906, der neben der Zufahrt zur Wohlenbergschen Bootskollektion in einer offenen Scheune steht. Ähnlich wie dem Auto im Carport bekommt alten Planken ein vor Regen, Schnee und Sonne geschützter, zugleich gut gelüfteter Stellplatz am besten. Die Planken des mittelgroßen, schweren Langkielers halten soeben noch die Farbe. Das sich achtern, vor dem Ruderblatt mal die Einbaumaschine befand, ist auch an der dunklen Färbung des Gebälks zu erkennen. „Ein schönes Schiff, nicht wahr? Das hat Holgers Vaters lange gesegelt. So was kann man ja nicht verkommen lassen“ meint Wohlenberg. Als wir uns umdrehen und sich der Blick der filigranen Form eines sturmsicher mit Baumarktplanen eingepackten Schärenkreuzers zuwendet, fallen wir beinahe in ein anscheinend gerade erst abgestelltes Finn Dinghi. Es ist ausnahmsweise aus Gfk, obwohl Wohlenberg nach eigenem Bekenntnis angesichts Gelcoat beschichteter Glasfaser eher früh als spät „Pickel“ kriegt. „Das hat Holger für den Sommer so zwischendurch gekauft. Wenn es ihn an Feierabend mal so juckt, über die Förde zu glitschen.“ Der 22er Schärenkreuzer mit den nackten und ergrauten Planken ist in ziemlich morschem Zustand, weshalb das Achterschiff mit einer Maurerspindel, das ist eine auf dem Bau übliche Stahlstange mit herausdrehbarer Gewindestange zum Sichern von Betonbalken abgestützt ist. Wie ein flüchtig auf die Planken gehaltener Exzenterschleifer verriet, ist die Substanz besser als vermutet. Der Bootssammler müsste bloß mal Zeit finden, sich über die Aufbewahrung des Gebälks hinaus um das Boot zu kümmern. Derzeit wird die Aufmerksamkeit des Reeders von „Beatrice“, einer im Herbst im ostschwedischen Nyköping geholten 10,20 m langen Nadel beansprucht. „Ich habe das Boot mit der Segelnummer S 30 in schwimmfähigen Zustand für kleines Geld bekommen.“ Der 15 Quadratmeter Schärenkreuzer ist ein Exemplar der kleinsten Schärenkreuzer Klasse. Im Unterschied zu den in Schweden nach wie vor engagiert Regatta gesegelten 22ern und der in süddeutschen wie schwedischen Gewässern stabilen Flotte der Dreißiger, die dank des alle zwei Jahre abwechselnd am Bodensee und in den Schären ausgesegelten Europapokals um gelegentliche Neubauten erweitert wird, werden die 15er langsam aber sicher rar. Das erklärt, weshalb sich Wohlenberg vor einigen Monaten ziemlich kurzfristig entschied, auch „Ramona“ von 1948 vor dem fürchterlichen Kettensägenschicksal zu retten. Der elegante Rumpf hängt jetzt sicherheitshalber ohne Bleikiel und für die ungewöhnliche Aufbewahrung in luftiger Höhe unter dem Hallendach der Robbe & Berking Classics Werft gezielt verstärkt, sozusagen als Deko am Flensburger Industriehafen. „Ich habe Oliver erklärt, das man so was nicht umkommen lassen kann. Es gibt keine Zeichnung mehr von dem Schiff. Wenn es weg ist, ist es für immer weg. Man kann es nicht mal nachbauen“ empört sich Wohlenberg. “Ich musste Ramona einfach holen.“ Wer weiß, vielleicht findet sich eines Tages ein Liebhaber, für den das Schiff abgeseilt und restauriert werden kann. Ein klassischer 15er Schärenkreuzer ist nur eine Idee länger als ein Drachen. Er kann als handliche Schönheit ohne weiteres allein oder zu zweit gesegelt werden. Von Anfang an war Wohlenberg auf ansehnlich schöne Boote abonniert. Bereits als 17-jähriger legte er im Flensburger Yachtclub in Fahrensodde mit einem Drachen ab. Dann träumte er mit seinem Schwager vom „das gleichen Boot nochmal, nur etwas größer und mit einer Kajüte als Unterschlupf bei kleinen oder ausgiebigeren Fluchten aus dem Wochenende“. Die beiden sahen sich „nach einer bezahlbaren BB10 oder etwas ähnlichem“ um. „Tja, und dann liefen uns die Fünfeinhalber über den Weg. Damals sagte ich zu Holger, weiß Du was, so Scheiß-Plastikboote, das ist doch nichts für uns.“ Natürlich ist das eine etwas krasse Aussage, weil es außer den üblichen und weniger entzückenden auch sehr schöne bis hinreißende Plastikboote gibt. Aber erstens ist dieses Statement in seiner saloppen, die viele Segler beleidigenden Unbedingtheit typisch Wohlenberg. Zweitens muss man auf der von Apfel- und Kirschbäumen bestandenen Wiese des Grundstücks bloß in die hintere linke Hälfte des größten Bootsschuppens gehen. Dort entdeckt der Besucher in der Dämmerung rechts die „Chaje II“, eine Ray Hunt Konstruktion, 1963 in der finnischen Vator Werft aus Mahagoni gebaut und daneben die „Web“. Zwei offene Dreimannkielboote mit schachtähnlichen Decksausschnitten, beide aus Natur lackiertem Mahagoni, die Avantgarde der 5,5er Regattabahnen der 60er Jahre. Angesichts dieser beiden hinreißend schönen Schiffe kann man durchaus zu der Einsicht gelangen, dass übliche Plastikboote nicht so doll sind. „Du darfst nur abgesägte kaufen“ erklärt Wohlenberg und meint die von der damals noch üblichen klassisch überhängenden Spiegelneigung zu rasant vorwärts geneigten Winkeln modifizierten Exemplare, die theoretisch am achteren Schiffsende etwas Gewicht sparen. „Die Boote mit dem original Heck, die liefen damals schon nicht.“ Aufschlussreich ist trotz der Dunkelheit auch ein Blick unter den Bauch der beiden 5,5er. Hunt hat auf ein V-förmiges Unterwasserschiff und bessere Eigenschaften bei der Kreuz gesetzt. Die raumen Kurse mussten irgendwie gegen die 5,5er mit flachen Spantformen wie die Ohlson Konstruktion „Web“ von 1959 und entsprechend schneller absolvierten Spinnakerkursen überstanden werden. Seit Jahren stehen die beiden Schiffe schon hier an Ort und Stelle, obwohl die Großschot und Traveller der Vorsegelwendeeinrichtungen startklar bereit liegen. „Im Schuppen kannst Du die Zeit für die Boote anhalten, hier altern sie kaum“, schwärmt der Bootssammler. Doch weil die 5,5er-Anteile bloß halbe Sachen sind, hat Wohlenberg noch einen, der ihm komplett gehört, die vor einige Jahren aus Dänemark geholte „Rock’n Roll“ mit der Segelnummer N-20. Eine Bjarne Aas Konstruktion, 1960 in Norwegen gebaut. Das Boot macht Wohlenberg gerade mit einem angeschliffenen Freibord und gezielt verdünntem Klarlack für die Saison fertig. Der verdünnte Lack fließt zwar rasch die Bordwand hinab und muss daher sorgfältiger gestrichen werden, dringt aber besser in die Poren ein. Eine in der Sonnenbeschienen Hälfte der Bordwandinnenseite ausgebreitete Decke soll das Austrocknen des Bootes im Sonnenlicht hinauszögern. Auf dem Weg zurück in den großen Wohlenbergschen Schuppen fällt ein vierbeiniges Stativ aus kräftig verschweißten Stahlrohren auf. An diesem Galgen, den Wohlenberg mal von einer dänischen Werft geschenkt bekam, lassen sich bis zu acht Tonnen schwere Boote vom Straßentrailer auf einen Lagerbock umsetzen. Der kommunikativ amüsante Typ bekommt auch mal Sachen wie diese Hebehilfe geschenkt. In der Halle liegt über Kopf und noch in den Mallen ein in Dänemark begonnener Neubau der formverleimten Schale eines 22er Schärenkreuzers, den Wohlenberg vor einigen Jahre einmal günstig geschossen hat. Sobald die gebrochenen Spanten der danebenstehenden „Beatrice“ im achteren Überhang ersetzt sind das mit offenen Decksbalken im Wohlenbergschen Schuppen herumstehenden Gefährt sein neues Deck bekommen hat, könnte er den 22er Neubau vollenden. „Ich muß bloß noch mit der Klassenvereinigung die Wandstärken abklären.“ Nebenan und mit dem Kiel einer Art Grube in der Verlängerung vor dem Bootsverladegalgen steht ein ebenfalls ansehnliches Holzboot, ein 10,50 mal 2,14 m großer Nordisk Krysser, 1948 in Schweden nach einer Konstruktion von Arvid Laurin gezeichnet. Zwar ist das Boot von Wohlenbergs Schwager weitgehend intakt, doch ein paar hundert Stunden dürften es vom nächsten Segelschlag trennen. Und daneben, im Gang zwischen dem Fahrtenboot von der westschwedischen Küste und Wohlenbergs aktuellster Bootsbaustelle steht „Snipa Liten“, ein charmantes 6,20 m langes, zwei Meter breites, hübsches geklinkertes Motorboot, 1963 in Strömstad gebaut. „Das gehört meiner Schwester Andrea. Damit tuckern wir zwischendurch mal abends mit einigen Flaschen Wein und ein paar Freunden auf die Flensburger Förde hinaus. So wird da zum Saisonbeginn gerade wirklich letzte Hand angelegt. Beinahe unnötig zu erwähnen, dass Wohlenberg auch zwei Motorboote hat. Das erste ist ein Autoboot anscheinend aus den Zwanziger Jahren. Der Stahlrumpf hat zwar einige Beulen, ist aber weitgehend intakt. „Das habe ich in den 90er Jahren“ mal aus der Berliner Gegend geholt. Und in einem separaten Schuppen, wo Wohlenberg übrigens eine ansehnliche Kollektion von klassischen Haustüren und Fenstern – „sowas kann man doch nicht umkommen lassen“ – stehen hat, hängt noch ein kleiner, quasi fahrbereiter Mahagoni Spritsäufer unter der Decke. Nach einigen Jahren intensiver und harter Arbeit am 12er „Sphinx“, den Wohlenberg als Projektleiter im Auftrag einer Flensburger Eignergemeinschaft generalüberholt hat und dem Aufbau der Werft „Robbe & Berling Classics“ hat Wohlenberg eine Auszeit genommen. Demnächst möchte der gelernte Tischlergeselle seine Meisterprüfung ablegen. Als Meisterstück ist ein klassischer Werkzeugschrank vorgesehen. Denn der Sammler und Jäger hortet nicht nur Boote, er mag auch gutes Werkzeug. Noch verwahrt er es in einem normalen Schrank aus Großmutters Zeiten. „Die guten amerikanischen Hobel von Lie-Nielson oder Veritas ganz oben, darunter eine Kollektion Stechbeitel aus japanischen, besonders chromhaltigem Blaustahl, in der untersten Etage die billigen Chinesen.“ Auf den einschlägigen Seiten des Internets springen den tief in der skandinavischen Klassikerszene verwurzelten Holzwurm ständig neue Schnäppchen interessanter Motorboote oder günstig bis umsonst abzuholender Holzboote an. So ist es gut möglich, daß Wohlenberg Segelfreund Berking anruft und fragt „Oliver, kann ich mal drei Tage deinen VW Bus haben?“ Platz für den Fund findet sich in Wohlenbergs Bootsschuppen, zur Not unter der Decke von Berkings Werft. Als Handwerker ist Wohlenberg nicht gerade vermögend, doch hat er den Standortvorteil über ein ebenerdiges, von den Großeltern geerbtes Grundstück für seine Kollektion zu verfügen. Hinzu kommt, dass er Sammler sparsam lebt. Wohlenberg fährt Fahrrad statt Auto. Übliche Besorgungen wie die Beschaffung von einer Kiste Bier, schwerem Werkzeug und Gerätschaften, die ein solo lebender Jäger und Sammler so braucht, macht der notorisch fröhliche Lockenkopf mit einem leuchtend blauen Lastenfahrrad. Da hat Wohlenberg die Ware unterwegs immer im Blick und hört nicht erst, wenn mal was von der Ladefläche fällt. Das Leben kann schön und einfach sein, wenn man es sich als solches einzurichten weiß.

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Eine noble Sache

Die Werft des Flensburger Tafelsilberfabrikanten Oliver Berking schob mit „Jenetta“ ihr drittes Exemplar einer edlen 12 mR Rennyacht aus der Halle. Ein Maimorgen unter bewölktem Himmel in Flensburg. Es ist halb zehn und hat noch keinen Tropfen geregnet. Für norddeutsche Segler passables, für schottische Verhältnisse sensationelles Wetter. Als der ellenlange Bootskörper das 22 m Renners „Jenetta“ komplett vor der Halle steht, gibt es keinen Zweifel. Der Rumpf wurde allen Ernstes im Schottenkaro dekoriert. Die vierköpfige norddeutsche Eignergemeinschaft, die „Jenetta“ zum historischen Kiel neu bauen ließ, dachte sich das Dekor als Hinweis auf die schottische Herkunft der Yacht aus. Es ist eine Folie, die nach der ersten Segelsaison abgenommen werden soll. „Jenetta“ entstand 1939 nach einem Entwurf von Alfred Mylne in seiner Werft auf der Insel Bute am Firth of Clyde im Westen Glasgows. Glasgow war im 19. Jahrhundert nach London, Paris und Berlin die viertgrößte europäische Metropole. Der Wechsel vom herkömmlichen Holzbauschiffbau zur leichten und Platz sparenden Mischbauweise aus Holzplanken über Metallspanten wurde am Clyde für Frachtschiffe eingeführt – und vom Yachtbau auch für „Jenetta“ übernommen. „Jenetta“ war das letzte von zahlreichen Regattabooten des englischen Zuckerhändlers Sir William Parker Burton (1864 – 1942). Nach Entwürfen anderer Konstrukteure und guten Erfahrungen mit einem vorigen Mylne-Entwurf hatte der passionierte Segler bei „Jenetta“ für die windreichen englischen Verhältnisse auf ein langes Exemplar zulasten der Segelfläche gesetzt. Das Reglement, nach dem Zwölfer entstehen, verrechnet unter anderem die Länge, sie wird 18 Zentimeter über der Wasserlinie der still liegenden Yacht gemessen, mit der Segelfläche. Der schnittige Bug weitet sich zum kühn geschwungenen Leib, der mit der Rasanz einer Skulptur auf dem Bock steht. Fast zwei Drittel der 27 Tonnen stecken im Bleikiel als Gegengewicht zu 130 Quadratmetern Großsegel und etwa 114 qm des Genua-Vorsegels. Es gibt keinen zweiten Bootstyp, der mit vergleichbarer Rasanz am Wind segelt. Mit einem Zwölfer geht die Post bereits bei leichter Brise ab. Bei mittlerem Wind hat er Wumms. Ab vier Windstärken macht er süchtig, bei frischem Wind alle. Zwölfersegeln ist eine arbeitsteilige Sache und für die Mannschaft eine Frischluft Muckibude. Die Crew hält die Fuhre bei den zahlreichen Wendemanövern mit schnellem Dichtholen des Vorsegels auf Trab. Über hundert Quadrameter Vorsegel alle paar Minuten loswerfen und für den neuen Kurs erst schnell, dann zentimetergenau einstellen ist eine Schinderei. Ein Zwölfer aus Mahagoni, Teak, Spruce, und allerhand Blei unter dem Schiffskeller und surrenden Winschen war damals State of the Art. Solch eine Vintage Segelmaschine aus den Dreißiger Jahren heute um die Bojen zu scheuchen ist die schönste Art, den Segelsport zu betreiben. 1934 bis zum zweiten Weltkrieg entstand in England eine Flotte von 13 Booten. In den Staaten wurden sechs neue Zwölfer aufgetakelt. Im Deutschen Reich liefen damals vier Exemplare, die „Inga“ des Hamburger Reeders John T. Essberger und das Schwesterschiff „Anita“ des Margarinefabrikanten Walter Rau vom Stapel. Der Zigarettenhersteller Philipp Fürchtegott Reemtsma stiftete dem Norddeutschen Regatta Verein „Sphinx“ und der Bremer Bootsbauer Ernst Burmester segelte die vielversprechende „Ashanti III“. Anläßlich des 150. Amerika Pokal Jubiläums 2001 in Cowes waren 36 Zwölfer, Klassiker und moderne Exemplare der Amerika Pokal Ära dabei, darunter die Antiquitäten zweier Shooting Stars der damals boomenden „New Economy“, die weiße „Trivia“ (Charles Nicholson 1937) des IT-Unternehmers Wilfried Beeck und die schwarze „Flica II“ (Laurent Giles 1939) seines Segelfreundes Alexander Falk. Auch der Flensburger Tafelsilberfabrikant Oliver Berking, der vergleichsweise bescheiden mit kleineren Exemplaren der sogenannten Meterklasse – es gibt sie vom Fünfer, über Sechser oder Achter – begonnen hatte und seit 1995 Regatten mit solchen Booten auf der Flensburger Förde ausrichtet. 2008 schob Oliver Berking gemeinsam mit zwei Flensburger Partnern die generalüberholte „Sphinx“ aus einer provisorischen Werft, verkaufte seinen Anteil und gründete den auf Yachtlagerung, die Überholung und Neubau von Holzbooten, vornehmlich Meteryachten, spezialisierten Betrieb Robbe & Berking Classics. Eine Wahnsinns-Idee, sich auf diese kapriziösen Rennyachten zu konzentrieren. Mittlerweile segeln mehrere Zwölfer in unseren Gewässern, von denen einige in Eignergemeinschaft oder von Vereinen betrieben werden. Zwölferfans wie Beek oder der Däne Patrick Howaldt halten sogar zwei Exemplare. Berking verwirklicht den Traum stilvollen Segelsports mit beharrlicher Gelassenheit. Sein Betrieb beschäftigt mittlerweile 38 Leute. Wäre der Begriff Entspannt nicht so entsetzlich abgegriffen, er wäre bei Berking zu verwenden. Der Flensburger versteht es mit italienischer Grandezza und bodenständig anmutender Gelassenheit die Fertigstellung von „Jenetta“ mit einer pfiffigen Party und wenigen klaren Worten zu feiern. Sven Dose, der Häuptling der vierköpfigen norddeutschen „Jenetta“-Eignergemeinschaft berichtet in seiner kurzen Ansprache unter der aufgebockten „Jenetta“, er hätte sich von Berkings Begeisterung für Meterklasse-Rennyachten mitreißen lassen. Bislang baute die Werft kleinere Exemplare dieses Typs, im Auftrag eines vermögenden Dänen mit „Siesta“ einen lediglich entworfenen, bis 2015 nicht gebauten Zwölfer und jetzt „Jenetta“. Zwölfer sind eine Limited Edition. Von 172 gebauten Booten existieren noch 110. Dabei sind die Exemplare der Dreißiger Jahre die schönsten, weil sie weitgehend aus Holz sind und nicht wie die Amerika Pokal-Rennmaschinen der Siebziger- und Achtzigerjahre aus nüchternem Aluminium oder Kunststoff. Man kann sie nach historischen Plänen neu bauen, sofern das Original verloren ging, oder restaurieren. Berking holte „Jenetta“ als Wrack aus Kanada. Einzig der Bleikiel und das symbolische Stück eines Decksbalkens mit der Registriernummer ließen sich erhalten. Da mit dem Kiel das Namensführungsrecht einer Yacht verbunden ist, gilt der Neubau von „Jenetta“ als Restaurierung. Restaurierte Exemplare dürfen jenseits der ursprünglichen Bauvorschriften neuerdings etwas mehr Segel setzen, was bei leichtem bis mittlerem Wind Vorteile hat. Wie bereits die Zwölfer „Sphinx“ und „Siesta“ ist „Jenetta“ zwar ein klassisch geplanktes, bei näherem Hinsehen jedoch modernes Holzboot mit Epoxidharz verklebten Planken. Da das versiegelte Holz weder nennenswert quillt noch trocken schrumpft und miteinander verklebte Planken einen unnachgiebigen Rumpf ergeben, bleibt ein Epoxidboot auf Dauer dicht. Interessant ist auch, dass sich so ein Boot härter segeln läßt. Die Rennyachten der Dreißigerjahre waren mit nachgiebigen Baumwollsegeln unterwegs. Die Fasern moderner Segeltuche geben die Stöße von Windböen dagegen direkt ans Gebälk ab. Nicht zuletzt ist ein Zwölfer-Neubau mit abschließend unter dem Rumpf montiertem Originalkiel günstiger als eine zeitfressende Restaurierung. Dennoch gingen 20 Tausend Stunden in das Schiff, das dem Vernehmen nach etwa 1,5 Millionen Euro gekostet hat. Nach dem Einwassern gibt es Gelegenheit zu einem Blick an Bord. Abgesehen von der Luke im Vordeck, dem verglasten Skylight mittschiffs und dem Niedergang ist das Deck so schier, wie eine alte Rennyacht zwischen der Deckskante aus glänzend lackiertem Mahagoni sein kann. Einzig die Kurbeln der Grinder zur Handhabung des Vorsegels und die Takelage ragen nach oben. Die Beschläge aus keramikgestrahltem Edelstahl sind – bis hin zu den Gehäusen der diskret angebrachten Positionslaternen – raffiniert schlicht. Im Schiff auf den Bodenbrettern stehend bleibt uns die Spucke weg. Abgesehen vom den weißen Paneelen des Toilettenraums und der Kochstelle ist „Jenetta“ leer. Einzig das warme Braun der Decksbalken, das honigfarbene Spruce der Längsbalken (Stringer) die ebenfalls klar lackierten Bodenbretter und der matte Edelstahl der Rippen (Spanten) unterbrechen die innen mattweiß gestrichene Bordwand. Wie das Original entstand „Jenetta“ in Mischbauweise aus 29 Stahlspanten, zwischen denen jeweils zwei Spanten aus schichtweise verklebter (lamellierter) Esche montiert sind. Ein Thema für sich war die Anpassung der Metallspanten, die der Langlebigkeit halber aus nichtrostendem statt herkömmlichem Stahl angefertigt wurden. Zugunsten der Festigkeit wurden die 45 bzw 50 mm Winkelprofile nicht erhitzt, sondern kalt gebogen. Den teils verzogenen Winkelprofilen nach dem Anschmiegen an die Rumpfform mit Schraubzwingen wieder eine rechtwinklige Form zu geben, war für die Bootsbauer eine Fron. Man braucht dafür gute Schraubzwingen und kräftige Hände. Zahlreiche Stunden gingen auch in die herkömmlich geschraubte Verbindung der 36,5 mm dicken Planken mit 10 mm Senkkopfschrauben und innen sitzenden Flachmuttern. Es stecken 2.856 solcher Verbindungen in „Jenetta“. Es ist schwer, sich dem schlichten Purismus von „Jenetta“ zu entziehen. Wie das beeindruckende Regatta-Debüt zeigt, segelt der soeben in Betrieb genommene Neubau ausgezeichnet. Das Retro-Segelfestspiel auf der Ostsee ist um eine Kostbarkeit reicher.