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Mastbau Rechnungsprüfung

Der Alptraum jedes Seglers geschah aus heiterem Himmel bei Bedingungen, wo eigentlich kein Mast bricht. Die 42 Meter Röhre der eleganten Mahagoniketsch „Hetairos“ knickte unmittelbar über dem Deck. Dann landete die Takelage neben dem Schiff im Pazifik. Das Boot hatte die angesehene Werft Abeking & Rasmussen, eine führende Adresse für Yachtsonderanfertigungen für einen in der Schweiz ansässigen Eigner gebaut. Bezüglich der Masten hatte sich dessen Yachtberater Jens Cornelsen mit Vehemenz für ein Fabrikat eines kalifornischen Spezialisten stark gemacht. Und das lag nun im Wasser. Damals war der „Hetairos“ Mast einer der ersten großen in Karbon. Die Gewichtsersparnis von überschlägig einem Drittel gegenüber Aluminium erschien derart interessant, dass mit solch einem Prototypen gern ein neues Kapitel Takeltechnologie aufgeschlagen wurde. Große Yachten werden damit in luftiger Höhe um einige hundert Kilo, oft eine bis mehrere Tonnen entlastet. Damit liegt das Boot Welten ruhiger im Wasser. Es segelt aufrechter, was nicht nur den Segelleistungen, auch dem Komfort auf See zugute kommt. Die Gewichtsersparnis oben in der Takelage lässt sich auch zur Entnahme von Ballast unten im Kiel nutzen. Nach einer gängigen Faustformel kann etwa das Zehnfache jedes im Rigg eingesparten Kilos beim Bleiballast entfallen. So führt das neue Mastbaumaterial zu einem spürbar leichteren, agileren Schiff. Lassen sich bei der Takelage einer großen Yacht beispielsweise 1 ½ Tonnen einsparen, entspricht das 15 Tonnen Blei. So wird das Boot bei gleicher Steifigkeit zunächst einmal 16 ½ t leichter. Doch damit nicht genug: entsprechend leichter können die Beschläge, Segel, Schoten, sogar das Ankergeschirr und die Maschine ausfallen, was die Gewichtsbilanz nochmals günstiger ausfallen lässt. So wurde der Hetairos Mast ein Karbonprototyp, der für hundert Tonnen Stauchdruck ausgelegt war. Er hatte mehrere tausend Meilen gehalten, doch plötzlich nicht mehr. Eine Katastrophe auch für die Versicherung, in diesem Fall Pantaenius. Damals sah der seinerzeitige Geschäftsführer und versierte Segler Harald Baum ein großes Problem. Wenn sich der Mast eines namhaften, in der Luftfahrt angesehenen Herstellers aus heiterem Himmel verabschiedet, der Trend zum fortschrittlichen Karbonmastbau aber unumkehrbar ist, wer soll dieses Risiko dann versichern? Normalerweise halten Masten gleich welcher Bauart bei Tourenyachten so lange wie das Schiff, also mindestens ein Seglerleben. Baum wandte sich an die ebenfalls in Hamburg ansässige Klassifikationsgesellschaft, den Germanischen Lloyd. Dieser Schiffs-TÜV entwickelt seit jeher Richtlinien für den betriebssicheren Bau von Schiffen und überprüft deren Zustand. Ein Standard zur Konstruktion und Bauweise von Karbonmasten der hält was Ingenieurbüros und Laminierbetriebe versprechen, musste her. Es große Kommission untersuchte den Mastbruch, der auch der 31-jährige Schiffbauingenieur Hasso Hoffmeister vom Germanischen Lloyd angehörte. „Man hat damals noch zu sehr in Metall gedacht und die Stärken und Schwächen des Materials erst in Ansätzen verstanden“ fasst Hoffmeister den seinerzeitigen Stand der Technik zusammen. Im Unterschied zu Metall ist Karbon kein isotropes Material. Es kann folglich nicht in alle Richtungen gleich belastet werden.“ Man muss die Beanspruchung eines Bauteils folglich genau kennen, um die erforderliche Fasermenge einschließlich der gebotenen Sicherheitsmargen in der nötigen Last-Zugrichtung unterzubringen. „Die Finite Elemente Modellierung zur Darstellung der Belastung von Bauteilen steckte damals im Mastbau noch in den Kinderschuhen“ berichtet der heutige Mastenspezialist der GL Special Craft Abteilung. Sie befasst sich mit Binnenschiffen, Fähren und Yachten. „Hinzu kam, dass das Boot einen Rollmast hatte, dessen Profil mit dem Stauchdruck und der Torsion gerade im unteren Bereich nicht so gut zurecht kommt, wie ein übliches, ringsum geschlossenes, von Haus aus steiferes Mastprofil. Der neue „Hetairos“ Mast war komplett vom Germanischen Lloyd nachgerechnet und die Takelage GL klassifiziert. 1996 veröffentlichte das Institut erstmals seine „Guidelines for Design and Construction of Large Modern Yacht Rigs.“ Sie wurden 2002 und nochmals 2009 überarbeitet. Dank dieser Richtlinie, des technischen Fortschritts und der Nachfrage, es gibt mittlerweile mehrere auf den Mastbau spezialisierte Ingenieurbüros, sind Karbonmasten mittlerweile halt- und versicherbar, obwohl gelegentlich was auf Regattabooten, meist infolge von Fehlbedienung oder crewseitigen Modifikationen, passiert. Doch letztlich hat die Initiative Harald Baums und die GL Richtlinie die Takelagen sicherer gemacht. Der 62 Meter Mast des 52 Meter langen Seglers „Tiara“, der 53 m Hauptmast der „Salperton“ bis hin zur 88 Meter himmelwärts ragende Takelage des 75 m Einmasters „Mirabella“ beispielsweise profitieren vom GL Testat. Neben der bekannten statischen Beanspruchung solcher Masten gab es zu den dynamischen Lasten bei schweren Touren- und Luxusyachten anfangs vergleichsweise grobe Schätzungen. Sie wurden die vergangenen Jahrzehnte mit Sensoren, Fahrtenschreibern und zeitgemäßer Datenübertragung erfasst. Rasant ging die Entwicklung bei den Haltedrähten, den sogenannten Wanten und Stagen, weiter. Denn eigentlich wiegt die leere Röhre eines Karbonmastes ohne übliche Beschläge, Wanten und Stagen gerade mal die Hälfte eines Aluminiummastes. Die Ausrüstung mit herkömmlicher, überwiegend metallischer Hardware, den Haltedrähten aus Stahl, reduziert die Gewichtsersparnis auf das eingangs genannte Drittel. Bereits in den 80er Jahren wurden schon Faserkabel für wissenschaftliche oder militärische Zwecke entwickelt, wo große Entfernungen zu überbrücken sind und bereits das Eigengewicht des Materials eine Rolle spielt. Von der Verankerung von Bohrinseln auf großen Wassertiefen, beim Betrieb von Unterwasserkameras, vom Brückenbau und der Sicherung von Radiomasten beispielsweise wurde das Know How übernommen. Würde man beispielsweise den heute im Serienbootsbau üblichen 1×19 Draht von einer Spule abwickeln und hängen lassen, risse das Material durch sein Eigengewicht bei 17 Kilometern ab. Mit Aramid gelänge das Experiment bis 46 Kilometern. Die Zylon oder PBO genannte Faser des japanischen Herstellers Toyobo ließe sich 77 Kilometer abspulen. Das Karbonrigg eines neulich gebauten 40 Meter Einmasters wiegt mit Zubehör 5,5 Tonnen, wobei die Wanten und Stangen in herkömmlicher Metallausführung 1,3 Tonnen schwer sind. In Zylon bleiben 75 Prozent davon, also eine Tonne an Land. Damit kommen die Vorzüge des Materialwechsels von Alu zu Karbon voll zur Geltung. Leider sind die neuen Fasern mit bärenstarken Eigenschaften ab Werk an Bord kaum geeignet. Denn im Unterschied zu 1×19 Edelstahldraht oder Strangware sind sie Feuchtigkeits-, Licht- und Schlagempfindlich. Einige Fasern neigen zum tückischen Kriechen. Gibt ein Want bei erheblicher Zugbeanspruchung eine Idee nach und verharrt im verlängerten Zustand, ist der Mastbruch vorprogrammiert. Auch die Verbindung der Fasern mit Endbeschlägen war und ist eine Wissenschaft für sich. Teils werden sie in einer Art Konus eingespannt, teil werden sie wie die Taue historischer Rahsegler um Führungen mit materialgerechten Radien (Kauschen) gewickelt. Die Frage, bei welchen Voraussetzungen das Zeug lange hält, beantwortet die „Type Approval of Carbon Strand and PBO Cable Rigging“ vom März 2008. Detaillierte Hinweise zur Verarbeitung, zur Beschlagsanbindung und Schutz vor Nässe, UV-Licht wie Abrieb und ein Ermüdungs- und abschließender Zerreißtest beseitigen etwaige Zweifel. „Rigorose Ermüdungstests mit 100.000 Hüben zwischen lose und der maximalen Arbeitslast, gefolgt von einem abschließenden Zerreißen“ geben Auskunft über die tatsächliche Bruchlast solcher Kabel nach intensivem Gebrauch. Der letzte Schrei sind sich astförmig an den Salingsenden in Ober- und Zwischenwanten gabelnde, fertig konfektionierte Faserstränge. Wenn alles richtig gemacht wird, hat diese Machart viele Vorteile. Der Takelagen Berechnungsprüfer Hasso Hoffmeister und seine Kollegen aus der Special Craft Abteilung haben in der Hamburger Hafencity also weiterhin viel zu tun. Die Geschichte des Schiffs-TÜV Im 18. Jahrhundert treffen sich Reeder, Schifffahrtskaufleute und Versicherer im Cafe von Edward Lloyd in der Londoner Innenstadt zum Informationsaustausch. Es geht um das Fassungsvermögen, Bauweise, Eignung und Zustand der Schiffe, denen wertvolle Ladung anvertraut wird. Mit der Veröffentlichung des sogenannten „Green Book“ wird 1760 aus den Kaffeestunden die erste Klassifikationsgesellschaft, das britische Lloyd’s Register of Shipping. Dem Beispiel folgend entstehen von 1828 bis Ende des 19. Jahrhunderts 15 andere Schiffsklassifikationsgesellschaften in verschiedenen Ländern, darunter 1867 der Germanische Lloyd. Aus den knapp 300 registrierten Schiffen im Gründungsjahr werden 1878 über zwei Tausend. 1890 wird Friedrich Ludwig Middendorf technischer Leiter. Er treibt im Interesse der Sicherheit eigene Untersuchungen voran oder spezifiziert beispielsweise den Ausbau der Rümpfe mit wasserdichten Trennwänden, den sogenannten Schotten. Sein 400-seitiges Handbuch zur „Bemastung und Takelung der Schiffe“ ist ein Beispiel für die wegweisende Arbeit des Instituts und eine bis heute von Sachverständigen und segelgeschichtlich Interessierten genutzte Dokumentation zum Stand der Segeltechnologie zur Jahrhundertwende. Der 1903 erstmals erschienene “Middendorf“ wurde wiederholt, teils als sehenswerter Reprint der Originalausgabe, zuletzt 2009 wieder aufgelegt. Ein Nachschlagewerk ersten Ranges zur Rahseglerära. Es ist derzeit bei Amazon für 45 € zu bekommen. Seit den 60er Jahren kümmert sich der GL nicht allein um schiffbauliche Belange. Es werden auch Richtlinien zum sicheren Betrieb von Ölbohrplattformen oder Windkraftanlangen entwickelt.             Ende 2006 besteht die Aktiengesellschaft eine ihrer größten, wenn auch nichttechnischen Herausforderungen. Der Tchibo-Erbe Günter Herz verhindert mit dem Kauf von 90 Prozent der GL-Anteile eine feindliche Übernahme durch den französischen Konkurrenten Bureau Veritas. Der neuerdings in der Hamburger Hafencity angesiedelte GL beschäftigt in 80 Ländern an 212 Standorten knapp 7.000 Mitarbeiter. Derzeit sind über 7.000 Schiffe GL klassifiziert. Jüngst wurden die Standbeine Öl- und Gasgewinnung nebst Raffinerietechnik, zugleich das Windkraftanlagen-Know How ausgebaut.

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Auf die Spitze getrieben

Eigentlich ist der gebürtige Bochumer Otto Happel ein Segler wie jeder andere. Ganz gleich wie interessant, schön, schnell oder komfortabel die vorhandene Yacht gerade ist. Ein richtiger Segler träumt immer vom nächstbesseren und natürlich größeren Schiff. Bootseigner verfügen über reichlich Phantasie, wie ihre nächste Yacht aussehen könnte. Im Unterscheid zu den meisten Seglern kann Happel seine Träume verwirklichen. Anfang der Neunzigerjahre ließ er bei der Abeking & Rasmussen Werft im Bremen eine ansehnliche Holzyacht tischlern. Entworfen hatte sie der amerikanische Traditionalist Bruce King mit verwegenem Klipperbug, geneigten Masten, antiquiert kastenförmigem Deckshaus, ovaler Sitzmulde und Spielereien wie achteckig verglasten Skylights. Den Vogel schoss der geschwungen zum Deck hin abgerundete Heckspiegel aus klar lackiertem Mahagoni mit umlaufender Goldbordüre ab. Das war nicht bloß retro. Das war King, der das selbstbewusste Kapitel amerikanischer Yachtkonstruktion im Kielwasser Lewis Francis Herreshoffs Ende des 20. Jahrhunderts fortschrieb. Der elegante, als Ketsch getakelte Zweimaster sollte aus emotionalen Gründen komplett aus Holz getischlert sein. Und weil die bremischen Bootsbauer frei nach dem weithin bekannten Toyota Spruch am linken Ufer der Weser auch als unmöglich geltende Sachen machen, tischlerten sie dem cleveren Erben der Gesellschaft für Entstaubungsanlagen (GEA) nach einem einträglichen Börsengang seiner Aktiengesellschaft damals mit 43 Metern Länge die größte Mahagoniyacht der Welt. Schiffe sind Herzensangelegenheiten. Es geht um ein bestimmtes Bordlebensgefühl. Wie wir uns seinerzeit bei einem Besuch der Bootsbaustelle in Lemwerder überzeugen konnten, stellte es sich zwischen den Spänen stehend in der Werfthalle sogar neben einem ernüchternd grauen Boot der Marine ein. Das Holzschiff war damals, als sich nach dem Generationswechsel auf den Regattabahnen die Ablösung von Aluminium durch deutlich leichtere und zugfestere Faserverbundwerkstoffe auch im Luxusyachtbau abzeichnete, ein von manchem Insider belächelter Anachronismus. Die Masten und auch die Maschine wurden auf einer Art stählernem Fahrgestell montiert. Aufwändig ist auch das Rückgrat des Schiffes, ein 14 Meter langer, mit 68 Tonnen Blei gefüllter Kiel aus Marinebronze. Im mittig eingearbeiteten Schlitz sitzt ein 7 ½ Meter langes Klappschwert. Zum Segeln wird es von 3,20 auf 8,70 m abgesenkt. Nach einem erfreulichen Finale anlässlich des Maxi Yacht Rolex Cups im September möchte Happel seine „Hetairos“ nun für knapp 14 Millionen Euro verkaufen. Denn der Seglertraum einer neuen „Hetairos“ schwimmt, er segelt mittlerweile. Er beschäftigte den passionierten Blauwasser- und Vielsegler schon eine ganze Weile. Ein Segeltag an Bord einer ziemlich leichten und leeren Regattayacht aus Karbon, Epoxidharz und Schaum soll dem Wahlschweizer den Rest gegeben haben.  Zehn Jahre nach dem Stapellauf der „Hetairos“ ließ Happel bei führenden Yachtkonstrukteuren einen klassisch gewandeten Ocean Greyhound mit großer Grundgeschwindigkeit, also richtig langer Wasserlinie ausschreiben. Damit die Südsee nicht um das unwirtliche Kap Hoorn oder das Kap der guten Hoffnung herum angesteuert werden muss, sondern auf dem kürzest möglichen Weg durch den Panamakanal erreichbar bleibt, musste das Schiff bei Niedrigwasser soeben noch die 62,5 Meter hohe Bridge of the Americas bei Balboa passieren können. Die Ausschreibung gewann ein Entwurf des Amsterdamer Klassiker- und Großseglerspezialisten Gerard Dykstra. Als versierter Hochseeregatta- und Einhandsegler steht der stille Holländer bei allem Faible für traditionelle Formen für unbedingt zweckmäßige Entwürfe. Der Schonerspezialist zeichnete von Klassikern angeregte Neubauten wie „Borkumriff IV“, „Meteor“, „Windrose of Amsterdam“ oder die viel beachtete 90 Meter langen „Athena“. Man bezeichnet diese Schiffe als „Spirit of Tradition“ Yachten, weil sie traditionell anmuten, aber nach dem heutigen Stand der Technik gebaut und ausgestattet sind. Unterstützt von den kalifornischen Leichtbau und Regattayacht Spezialisten Reichel/Pugh, das Konstruktionsbüro brachte den modernen Rennyachten das Gleiten bei und zeichnete manche wegweisende große Segelyacht, wie beispielsweise den 45 m langen, ganze 105 t schweren Ultraleichtbau „Visione“ für den Walldorfer Software Kaufmann Hasso Plattner, machten sich die finnischen Kompositgurus der Baltic Werft ans Werk. Nach Jahren eines selbst „übliche“ Luxusyachtprojekte toppenden  Geheimhaltungsbrimboriums um das sogenannte „Panamax Projekt“ schob die Werft in Pietarsaari, einer Kleinstadt etwa auf halber Strecke zwischen Helsinki und dem Polarkreis, im Juli einen grünen Bootskörper aus der Halle. In den Gurten zweier Kräne hängend wurde der Rumpf mit dem jollenartig flachen Unterwasserschiff über eine zehn Meter lange Kiel- und sechs Meter lange Ruderflosse gehoben. Dann wurde das Boot mit zwei ziemlich langen Masten bestückt, von denen andernorts nach reiflicher Überlegung vielleicht einer auf einem großen Segelboot errichtet würde. Irreal wie eine Computeranimation schob sich der grüne Renner mit dem markanten Steven bereits mit Groß- und Besansegel durch das kaum vom Wind geschuppte Wasser der Schären von Piertarsaari dem bottnischen Meerbusen entgegen. Von ganz wenigen Ausnahmen wie dem Baltic Werftbau „Visione“ abgesehen sind die meisten großen Yachten seglerisch weniger interessant, weil sich der gefürchtete Kümo- oder Butterdampfereffekt einstellt. Es wird so viel Luxus verwirklicht und derart viel Material verbaut, das auch die Bootsbreite und Deckshöhe der Kontakt zum Wasser und jedes Segelgefühl verloren geht. Große Segelyachten dümpeln bei wenig Wind träge wie Luxusdatschen im Meer. Yachten vergleichbarer Länge wiegen etwa das Dreifache der 230 Tonnen dieses yachtbaulichen Meilensteins. Neben der Brückendurchfahrtshöhe bietet die zweimastige Takelage den Vorteil, die 1.700 Quadratmeter am Wind Besegelung auf mehrere, etwas handlichere Segel aufzuteilen. Man kann damit schneller auf variierende Windverhältnisse reagieren. Am Wind sollen bis zu 16 Knoten drin sein. Bei seitlichen bis Schiebewind, wo die „Hetairos“ bis zu 2.600 qm setzen kann, wird sie mit bis zu 27 Knoten mittelgroßen gleitenden Motoryachten Paroli bieten. Dykstra ist ein Freund der generösen Beseglung. „Einpacken kannst Du bei zunehmendem Wind immer“ meinte er einmal. Weit ausgestellte Achterlieksrundungen projizieren die Segelfläche oben, wo sie besonders wirksam ist. Das Boot wird mit doppelt ausgeführten losen Achterstagen gesegelt. Sie werden bedient wie ansonsten abgeschaffte Backstagen.  Die 50 Meter Wasserlinienlänge, auch der 83 Tonnen schwere Kiel, dessen Tiefgang teleskopisch beim Segeln von 9 ½ auf sechs Meter reduziert werden kann machen es möglich. Ein Beispiel seewassertauglichen Sondermaschinenbaues. Der 15 Tonnen Vorrat an Diesel und Frischwasser lässt sich gezielt auf die windwärtige Seite verlagern. Zusätzlich können 25 t Meerwasser unter die Luvseite der „Hetairos“ gepumpt werden. Wartungsintensive und notorisch störanfällige Wasserballastsysteme sind die vergangenen Jahre ein wenig aus der Mode gekommen. Doch waren das vergleichsweise übliche yachtbauliche Extras. Wie man das Karbon so um den Kielkasten legt, daß er im Fall einer Grundberührung mit angenommenen dreitausend Tonnen punktueller Belastung fertig wird, haben sich die Strukturberechnungsingenieure von SP/Gurit in Südengland gut überlegt. Fortschrittlicher Bootsbau mit minimiertem Epoxidharzanteil dank imprägnierter Karbon Prepregs, meist über Waben als Kernmaterial bei 85 Grad Celsius zu einem ultraleichten Boot „gebacken“, ist eine Spezialität der Baltic Werft. „Herkömmlicher“, einfacher zu reparierender und etwas schwererer Schaum kam nur dort zum Einsatz, wo Beschädigungen des Laminats erwartet werden. Die neunköpfige Stammcrew um den „Mari Cha III“ erprobten Skipper Vincent Fauquenoy, sie soll bei Regatten um eine Fußballmannschaftsgröße Besatzung erweitert werden, wird unterwegs und abends beim Einpacken der Segel gut zu tun haben und fluchen. Etwa sechshundert Quadratmeter dachpappenzähes Großsegel auf einem 15 Meter langen Baum zusammenlegen ist Arbeit. Die praktischen, aber klobig schweren Rollbäume der Vorgängeryacht wurden aus Gewichtsgründen ebenso wie die bei großen Yachten üblichen Ofenrohr-dicken Baumniederholer weggelassen. Der 63-jährige Happel ist vom Sipo- und Khayamahagoni Romantiker zum konsequenten Schnellsegler geworden. Neulich erhielt „Hetairos“ für Regatten den erschütternden Zeitvergütungsfaktor von 2,028. Er liegt deutlich über dem Rennwert derzeit führender Regattayachten. Dabei ist der Spirit of Tradition Segler keine nüchterne Rennmaschine. Die raffinierte Verkleidung der Waben des Hightech Leichtbaues mit Teakplanken oder Mahagonipaneelen und hauchdünnen Furnieren macht die Illusion einer traditionell getischlerten Yacht perfekt. Und wer sich das hinreißend überragende Heck ansieht, entdeckt neben einer vergleichsweise filigranen Goldbordüre rings um den Spiegel aus klar lackiertem Mahagoni einige kühn geneigte Heckbalken, wie sie Mitte des Ende des 19. Jahrhunderts bei den Booten des Royal Yacht Squadrons aus Eiche geschnitzt üblich waren und heute ganz selten, beispielsweise bei „Lulworth“ zu sehen sind. Übrigens wurde die neue Hetairos so schwer wie die alte. Sie ist nur ein wenig länger und mit mehr Ballast in neun statt drei Metern Tiefe und deutlich mehr Garderobe schneller. So weit, mit zeitgemäßer Bootsbautechnologie im antiquierten Gewand, wurde das Thema Spirit of Tradition bislang nicht getrieben.