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Steuerfrei

Die Solosegler der Vendée Globe brauchen ihre Kraft, wachen Momente und Konzentration für wichtigere Aufgaben als das Steuern. Diesen Dauerjob übernimmt ein Automat. Mit zahlreichen Sensoren an Bord vernetzt, macht er das besser, als es der Mensch je könnte. Wie es funktioniert und was er alles kann. Von Erdmann Braschos Die Vendée Globe findet an der frischen Luft statt. Wie könnte das bei einer 44.000 Kilometer Regatta auf hoher See auch anders sein. Tatsächlich absolvieren die Segler sie jedoch fast ausschließlich in einem kleinen Kabuff unter Deck. Es hat eine Pritsche zum Schlafen, eine Sitz- und Kochgelegenheit, Instrumente, Rechner und Bildschirme. Während ältere Imoca 60 Boote hinter dem Unterschlupf noch ein halbwegs spritzwassergeschütztes Cockpit draußen haben, sind die neuen Boote weitgehend überdacht. Der deutsche Teilnehmer Boris Hermann beispielsweise segelt die Regatta im Schutz eines oft überspülten, hinten offenen Unterstands. Einzig bei leichtem Wind und entsprechend ruhiger Fahrt kann er unbehelligt von Spritzwasser an Deck gehen. Bei mittlerer Brise wird es naß. Bei voller Fahrt wäscht das Meer regelmäßig mit einem Schwall massiven Wassers über das Boot. Marinisierte Mechatronik Gesteuert wird nicht vom Segler selbst. Diesen Job übernimmt ein Autopilot – und zwar praktisch die gesamte Strecke von Les Sables-d’Olonne bis Les Sables-d’Olonne. Von diesem Hochleistungs-Segelautomaten wird der Segler um die Welt gelenkt. Er macht das besser, als es der Segler selbst könnte. Denn der Autopilot ist nicht nur Tag und Nacht im Einsatz. Er ist bestens vernetzt und immer wach. Der Mechanismus eines Autopiloten ist einfach. Ein seitlich an der Ruderwelle angebrachter Hebel wird vom Schubgestänge des Autopiloten bewegt. Boris Hermanns „Seaexplorer“ ist mit einem elektrischen Autopiloten unterwegs, wobei ein zweiter als Backup zum Umschalten bei einer Störung bereits eingebaut ist und sofort aktiviert werden kann. Ein Ruderlagengeber informiert über den aktuellen Winkel des Ruders. Etwas komplizierter ist, wie die Kurskorrekturen zustande kommen. Der Rechner des Autopiloten wird mit Daten aus vielen Bereichen des Bootes gefüttert, beispielsweise dem eingestellten Kurs. Früher wurde dieser mit einem sogenannten Fluxgate Magnetometer bestimmt, der für heutige Anwendungen jedoch zu ungenau ist. Heute übernimmt das die Interferometrische Glasfaser-Gyro-Technologie (IFOG), kurz Faserkreisel genannt. Er enthält keine beweglichen Teile oder Verschleißteile und mißt Bewegungen und Richtungsänderungen mit enormer Geschwindigkeit und Präzison bei Grand Prix Regattabooten, der Marine, der kommerziellen Schifffahrt oder selbstlenkenden Waffen. Die kleine „Quadrans“ genannte Box ist wartungsfrei, nach IP 66 spritzwassergeschützt und wiegt keine 3 kg. Die Windmeßanlage informiert über die Windrichtung und -stärke. Der Wind wird zugunsten brauchbarer Messwerte am Ende einer deutlich über oder vor das Top ragenden Stange gemessen, wo es weniger Wirbel gibt. Der lange Hebelarm, Vibrationen und bis zur Mastspitze gelangende Schläge der hart gesegelten Boote macht den Gebern zu schaffen. Da sich der Solo-Segelmarathon um die Welt ohne Windmeßanlage nicht erfolgreich absolvieren läßt, haben bereits mehrere Segler die Sensoren 30 m über dem Meer ersetzt. Denn die größte Geschwindigkeit wird anhand des Kurses passend zur Windrichtung erreicht, auf den die Segel eingestellt sind. Der Automat steuert anhand eines vorab eingestellten Windwinkels. Da das Präzisonsinstrument infolge der rasanten Bewegungen des Bootes im Seegang aber auch permanente Windrichtungsänderungen an der Mastspitze mißt, werden die Schiffsbewegungen herausgefiltert. Fährt das Boot beispielsweise mit dem Bug einen Wellenberg hinab, schwingt die Mastspitze nach vorne und der Windeinfallswinkel wird entsprechend spitz. Übernähme der Autopilot nun diese Informationen ungefiltert, würde der Kurs ständig geändert. Der zentrale Bordrechner des französischen Spezialisten Madintec beispielsweise gleicht die Winddaten mit den Bewegungen des Bootes per Beschleunigungs-, Dreh- und Gierratensensorik in einem zentralen Rechner ab und wandelt die Datenflut von 100 Herz (d.h. 100 x pro Sekunde) in 50 Herz Steuerbefehle für den Autopiloten. Last-Geber füttern den Bordrechner des Bootes ständig mit Daten aus den Segeln, Takelage, dem Rumpf und Foils. Denn die größte Herausforderung der Vendée Globe ist es überhaupt anzukommen. Während früher überwiegend Gefühl, Tagesform, Müdigkeit und Stimmungen entschieden, was dem Boot und der Takelage an Schräglage, Geschwindigkeit und Schlägen infolge des Seegangs zumutbar ist, treffen bei modernen Vendée Globe Booten Beschleunigungs- und Belastungsmesser diese Entscheidung. Boris Hermann berichtet von jeweils 15 Meßpunkten jeweils in den seitlichen Tragflächen seiner „Seaexplorer“. Lästige Piepstöne, wie man sie aus dem Krankenhaus kennt, warnen und wecken den Segler – sei es um die Segelfläche anzupassen, oder mit etwas eingezogener Tragfläche Druck aus dem Boot zu nehmen. Neulich wurde Boris Hermann bei einem plötzlichen 38 Knoten Sprint gewarnt. Der sogenannte „Beast Mode“ des Autopiloten hält das Boot mit flinken Kurskorrekturen bei geringstmöglich bremsendem Wasserkontakt auf der Tragfläche und damit auf Spitzengeschwindigkeit. Bei hohen, für normale Freizeitsegler unerreichbaren Geschwindigkeiten von teilweise 30 Knoten und mehr profitieren Boot und Autopilot vom erwähnten Datendurchsatz. Der schnellstmögliche Kurs wird anhand des Kränungswinkels des Bootes eingestellt. Ein moderner Imoca 60 wird idealerweise mit maximal aufrichtendem Moment in einem möglichst konstant gehaltenen Winkel auf der leewärtigen Tragfläche gesegelt. Dafür gibt es einen speziellen Algorithmus. Den haben Spezialisten für die Vendée Globe Teams selbst geschrieben. Madintec aus La Rochelle ist als Entwickler für die französisch dominierte Szene des Hochsee Regattasegelns und regelmäßig unterbotender Rekorde mit riesigen, neuerdings foilenden Dreirümpfern da schon länger im Thema. Die Steuerung des Autopiloten im kompletten Hochsee-Tieffug mit den derzeit bei den Imocoa 60 Booten noch nicht zugelassenen Tragflächen auch am Ruder ist bereits startklar. Noch ziehen die Boote die Heckpartie ihrer Rümpfe durch das Wasser. Ergänzend zu einem besonders schnellen GPS mit zehn- statt zweifacher Datenrate pro Sekunde wird die Geschwindigkeit durch‘s Wasser mit einem kleinen Paddelrad gemessen, wie es heute jedes Freizeitboot im Rumpf stecken hat. Seit die modernen Vendée Globe Boote mittschiffs im Tiefflug segeln, sitzt der Impeller des Loggengebers ganz unten im 4,50 m tiefen Kiel. Faseroptische Belastungsmessungen in Bauteilen aus Verbundwerkstoffen sind beispielsweise in den Flügeln von Windenergieanlagen oder im Yachtbau bei großen Schiffen oder Regattabooten seit einer Weile üblich. Dort, wo große dynamische Lasten zustande kommen und die Beanspruchung sicherheitshalber zu drosseln ist. An Bord von Boris Hermanns „Seaexplorer“ beispielweise wird die Beanspruchung der Takelage mit sogenannten Ring Pins anhand Verformung der Bolzen an zentralen Punkten gemessen. Die Daten stehen dem Vendée Globe Segler auf dem Bildschirm zur Verfügung, und dem Autopiloten für Kursänderungen, wenn es zu heftig wird. Seit einem Jahrzent beschäftigt sich Pixel sur Mer in Lorient mit nautischer Mechatronik, Navigationsinstrumenten und fiberoptischen Sensoren. Zur Belastungsmessung in Faserverbundteilen wird Laser durch 250 Mikrometer dünne Glasfaserfäden geschickt, die in die Tragflächen, in den Mast oder beispielweise das Deck einlaminiert sind. 1 µm entspricht einem tausendstel Millimeter. Ein Menschenhaar ist 100 µm dick. Mehrere, in ein Foil einlaminierte Meßpunkte entlang eines solchen Glasfaserfadens geben anhand der geänderten Lichtfrequenz per sogenannter Faser-Bragg-Gitter Auskunft über die Verformung und damit Beanspruchung eines Bauteils. Die Franzosen haben die Technologie des amerikanischen Herstellers Luna Innovations marinisiert, eines Spezialisten für die fiberoptische Messung von Deformationen, Temperaturschwankungen, Beschleunigung oder Gewicht. Fiberoptische Beschleunigungsmesser werden an Staudämmen oder Brücken, in der Energiegewinnung bei Windmühlen und Plattformen zur Öl- und Gasgewinnung montiert. Damit lassen sich Erdbeben noch in 3000 km Entfernung messen. 1956 begannen Major R. N. Gatehouse und sein englischer Kompagnon Ronald Brookes mit einem Funkpeiler, führten in den Sechzigerjahren moderne Instrumente zur Geschwindigkeitsmessung, in den Achtzigern den Computer ins Regattasegeln ein. Heute bietet Brookes & Gatehouse mit der H 5000-Serie eine prozessorgesteuerte Instrumenten- und Autopilotfamilie. Darauf wurde für Grand Prix Anwendungen wie das Vendée Globe das sogenannte Expert System aufgepfropft. Es reagiert nicht allein wie ein erfahrener Segler auf Windänderungen, es lernt auch dazu. Etwa wenn das Boot nach Verlassen des Wassers im Flugmodus beschleunigt und der Fahrwind entsprechend zunimmt. Der spitzere Windwinkel verlangt eine blitzschnelle Kursänderung, um das Boot in der Luft zu halten. Samantaha Davies von “Initiatives Cour” schwärmt von der Präzision ihres Autopiloten. „Er segelt schneller als ich das Boot steuern kann. Außerdem kannst Du beim heute gesegelten Tempo keine zehn Minuten draußen sein, ohne von einem Schwall Meerwasser erwischt zu werden.“ Der Vendee Globe Segler ist unter Deck besser aufgehoben, wo er den Kurs durch die Hoch- und Tiefdruckgebiete festlegt, die Besegelung anpasst, die Technik instandhält und die nächste Reparatur vorbereitet.

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Keine halben Sachen

Wie ein schwimmender Klassiker und sein originaler Transporter aus prominentem Vorbesitz zu neuem Leben fanden. Von Erdmann Braschos Jungs gleich welcher Größe brauchen Spielzeug. Das ist ebenso bekannt, wie der Zusammenhang zwischen den Spielzeugerwerbs- nebst Betriebskosten und der Spielzeuggröße in Relation zum Alter schon beschrieben wurde. Jeder, der aus 1:87, dem Maßstab des Wiking-Modells, herausgewachsen ist und mit deutlich überschrittener Adoleszenz das Spiel in 1:1 fortsetzen möchte, kennt die blöden Limits der sogenannten Realität. Diese will der Spielende ja gerade hinter sich lassen. Weithin übersehen ist die Tatsache, dass das Spiel gleich welchen Maßstabs keine halben Sachen duldet. Nur das authentische, detailgetreue und zueinander passende 60er Jahre Ensemble, bestehend aus einem Magirus Deutz Rundhauber, und zwar dem mit luftgekühlter Sechszylinder Maschine, dazu passendem Kässbohrer Sattelauflieger und apartem Mahagoniboot huckepack lässt das große Kind in beinahe vergessener Glückseligkeit versinken. Also, der Laster sollte zum Boot passen. Alles andere, liebloses, schlecht gemachtes oder nicht stimmiges Spielzeug etwa, trübt die Stimmung. Der Berliner Verleger Konrad Börries ist da auf einem guten Weg. Er fährt mit diesem auf Originalgröße vergrößerten Matchbox Set gerade in den überwiegend sonnigen Südwesten. Im Sommer ist es am Bodensee etwa eine Welt angenehmer als mitten in Berlin zu schwitzen. Man kann mal in das herrlich klare und erfrischend kühle Wasser des Schwabenmeeres springen. Noch schöner ist es, mit den beiden durchzugsstarken Chris Craft Achtzylindern aus Frank Sinatras Zeiten über den Lago zu röhren. Das geht zwar auf Berliner Gewässern im Prinzip auch. Aber nur, wenn die Wasserschutzpolizei gerade Fußball statt mit dem Fernglas aufs Wasser guckt. Einzig auf penibel definierten Wasserskistrecken dürfen die elfenbeinfarbenen Knäufe der beiden Gashebel mal durchgedrückt werden. Außerdem macht Motorbootfahren in der Edelholzklasse – Sipo Mahagoni mit dünnen, in Fahrtrichtung verlegten, Intarsien-gleich eingelassenen honigfarbenen Kotostreifen – mit Gleichgesinnten mehr Spaß. Dazu gibt es eine Art geheimbündlerischer Zusammenkünfte der Tropenholz-Bootsfetischisten, beispielsweise die Riva Classics. Sie finden von Donnerstag bis Sonntag, den 1. Juli am Nordufer des Bodensees bei Ultramarin in Kressbronn-Gohren statt. Dieser Hafen mit trendigem Namen wird von allen, die entweder kein Boot oder – noch schlimmer – dort keinen Liegeplatz haben, geringschätzig „Baggerloch“ genannt. Beim größten Bodenseehafen handelt es sich um eine zum Bootsresort mit assoziiertem Hotel nebst Gastronomie veredelte Kiesgrube mit Seeanschluss. Börries sind solche Rubrizierungen ziemlich gleich. Hauptsache, das Ensemble schafft es bis zum See. Dort wird die zweimotorige Last Edition der Tritone, wie sie Peter Tamm 1966 als rechte Hand des Verlegers Axel Cäsar Springer bestellte, ins Hafenbecken gehoben und mit dem durchdringenden Grollen der beiden Maschinen akustisch das Revier markiert. Dem Anfänger und Ignoranten, der die lombardische Edelholzklasse womöglich nicht kennen sollte, sei an dieser Stelle diskret zugeflüstert, dass eine Riva die Sophia Loren unter den Motorbooten ist. Etwas in die Jahre gekommen vielleicht, aber nach wie vor unvergleichlich. Dieses Geschöpf hat mit anderen, modernen, pflegeleichten Vollplastikerzeugnissen und etwaigen Imitationsversuchen gemeinsam, das die auch schwimmen, laut sind, man sich damit ohne weiteres ein Knöllchen einfahren kann und regelmäßig die Tankstelle aufsuchen sollte. Erfreulich ist, dass sich Börries dem Spiel und seinem Ensemble mit gebotener Hingabe widmen kann. Seine Inanspruchnahme vom Berufsleben liegt seit dem Verkauf der Zweite Hand Annoncenblätter schon erfreulich achteraus. Entsprechend wurden Gebrauch und Pflege des Bootes zum Laster in den vergangenen Jahren kultiviert. Da macht es nichts, wenn die Fahrt dauert, weil dem alten Magirus 7DL auf langen Steigungen, wie es sie unterwegs zum Bodensee nun mal gibt, langsam aber sicher die Puste ausgeht. Die Zugmaschine des ehemaligen Lasters der Deutschen Bundespost zerrt die knapp drei Tonnen Mahagoni, silbern funkelnden Beschläge, die leuchtend blauen Chris Crafts, die türkisen Polster, das Kabriolet-Verdeck und die nachtschwarzen VDO Instrumente schließlich mit 40 Stundenkilometern über die Kuppe. Auf gerader Strecke beschleunigt der von Ende der fünfziger Jahre bis ‘67 in Ulm gebaute Sechszylinder in 7 ½ Minuten auf 80 Stundenkilometer. Macht nichts, flott fahren können heute ja viele. Dafür ist alles schön vintage und stimmig. Das Boot zum Laster, Axel Springers „Raimond“, galt lange als verschwunden, was in der Szene der Riva-Fetischisten, die über jedes Exemplar praktisch alles weiß oder mit detektivischer Besessenheit heraus findet, fast unmöglich ist. Es wurde 1998 auf dem alten Magirus bei einem Bootshändler in Rhumspringe im Harz entdeckt. Dort stand es als unverkäufliches „Holz-Schätzchen“ in einer ehemaligen Wasserstoffsuperoxid Fabrik aus dem zweiten Weltkrieg zwischen amerikanischer Importware aus ziemlich buntem Kunststoff und Weinrotmetallic-farbigen Zierstreifen. Man kennt dieses Dekor vom Autoscooter auf dem Jahrmarkt. Die Nautiquität war ein Gruß des mediterran gestimmten Jet Sets in die niedersächsische Provinz. Das Ansichtsexemplar trug die Initialen des „Motor Yacht Club Hitzacker“ auf dem Heck und hieß wie diese seltsame, längst ausgestorbene Vogelart „Dodo“. Das letzte Exemplar der legendären zweimotorigen Tritone Serie, wie sie Carlo Riva von 1950 bis 1966 in 258 Exemplaren zur Rauhwasser-tauglichen Fahrt mit V-förmigem Bug, kernigem Antrieb und in wegweisender, aus dem Flugzeugbau adaptierten Holzbauweise perfektioniert hatte, war gut getarnt. Günstige Umstände ließen das Boot als Botschafterin und Messe-Exponat des Zweite Hand Verlages nach Berlin gelangen. Dort ergriff die Riva langsam aber sicher, wie hübsche Holzboote mit Herkunft und Klasse das halt so machen, vom zunächst reservierten Kaufmann Börries Besitz. Der baldigen Umbenennung in „Hermes“,  einer ersten Instandsetzung und mancher Reise auf dem alten Magirus Deutz folgte vergangenes Jahr eine aufwändige Restaurierung durch den Hamburger Riva-Spezialisten Jürgen Renken. Dieser Bootsrestaurator mag die Marke und adäquates Handwerk so sehr und halbe Sachen so wenig, dass er sich selbst samstags und an Feiertagen über manches Liebhaberstück beugt, wie es einst in der legendären Werft in Sarnico am norditalienischen Iseosee für hoch- und vermögende Kundschaft entstand. Begleitet wurde die insgesamt 18-monatige Instandsetzung von der Fotografin Nicole Werner für den soeben erschienenen Band „T 258“. Das drei Kilo schwere 224 Seiten Werk ist das Buch zum Boot und Laster und für 198 Euro zwar nicht gerade geschenkt. Es ist aber bereits günstiger, als eine dreistündige Fahrt mit dem zweistrahligen Gleiter, der bei zahmen 25 Knoten Reisetempo eine Drittel Tankfüllung Superbenzin durchlässt. Übrigens lässt sich das 60er-Jahre Ensemble anlässlich der „Riva Classics“ bei Ultramarin umsonst besichtigen. Das exquisite Finish des raffiniert gewölbten, mit skulpturaler Eleganz zu einem Bootskörper zusammengefügten Mahagonis ist etwas für stille Genießer. Börries kann es nach der aufwändigen Wiederherstellung in den Originalzustand von Anno ’66 und der langen Reise kaum erwarten, die „Hermes“ endlich wieder zu fahren. Wenn sich der erste Achtzylinder mit anarchischer Rotzigkeit unter dem Konzertflügelfinish der Motorraumdeckel meldet, glaubt der arglose Zuschauer zunächst nicht richtig zu hören. Nach einer Schrecksekunde meldet sich der zweite Krachmacher mit den nächsten 4,6 Litern Hubraum. Der 53-Jährige mag diese „fuel to sound conversion“ und meint, dass bereits dieser archaische Hörgenuss es verbietet, die Motoren auf eine zweckmäßig thermostatgesteuerte, technisch bessere Zweikreiskühlung umzurüsten. Auch die ersten Takte müssen richtig, so wie früher klingen. Damals, als der Springersche Haushalt auf der Wannsee Insel Schwanenwerder zu vorgerückter Stunde nicht auf ordinäre Bedürfnisse wie etwas Deftiges aus der Fritteuse vorbereitet war, ließ Peter Tamm genau diese Motoren an. Dann brüllte der Vertraute und angehende Geschäftsführer des Verlegers mit der „Raimond“ zum Pommes holen zu einem Imbiß an der Heerstraßenbrücke. Später am Abend mal mit einer Riva über den Wannsee holzen war für die Luxusinsulaner halt der direkte Weg. Sonst wäre das Essen kalt geworden. Ganz legal und am Wochenende mit der Zweimotorigen vor einer Schneise weißer Gischt im Tiefflug über den Bodensee bis Konstanz oder rüber nach Bregenz reiten und gucken, ob die 41 Knoten (76 km/h) noch drin sind ist eine schöne Abwechslung zur langsamen Anreise im Magirus. Dazu das Wahnsinnsgebrüll der beiden jetzt ganz zur Sache gehenden Achtzylinder und die bewundernden Blicke der träge auf dem spiegelglatten Gewässer dümpelnden Segler im Rücken. Sämtliche lästigen, das Spiel in 1:1 störenden Gesichtspunkte bleiben natürlich an Land und so irreal fern wie der über dem Appenzeller Land thronende Fels des Säntis. Das Spiel gleich welchen Maßstabs duldet keine halben Sachen.

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Swan 441 R Best Buddies

Diese Swan von 1979 hat ein ereignisreiches Logbuch mit bemerkenswerten Regatten, einem Dutzend Atlantiküberquerungen und ein viel beachtetes Refit hinter sich. Nach dem Motto „es gibt keine alten Porsche, nur neue Besitzer“ ist sie ein Beispiel dafür, was sich aus einem guten Schiff machen lässt. Mittschiffs breite und achtern eingeschnürte, auf zahlreiche Crew angewiesene Boote der International Offshore Rule haben keinen besonders guten Ruf. Mit ihren riesigen Genuas und ebensolchen, am Top gesetzten Spinnakern werden sie ab frischem Wind nur von versierten Seglern ohne den gefürchteten Sonnenschuss über die Regattabahn gebracht. Hinzu kommt, dass IOR Boote seit dem fürchterlichen Fastnet Race von 1979 als nicht besonders seetüchtig gelten. Genau dieses hat die seit 1997 dunkelblaue Ron Holland Swan vom Typ 441 R namens „Best Buddies“ hinter sich. Die entsetzliche  Regatta durch die chaotische irische See absolvierte sie gleich in ihrer ersten Saison als „Milene IV“. Atlantiküberquerungen, Chartertörns, Eignerwechsel, eine vielbeachtete Verwandlung in einem Cruiser-Racer und ein neues Leben als begeistert in norddeutschen, dänischen und englischen Gewässern gesegeltes Regattaboot stehen in ihrem Logbuch. Die „Best Buddies“ ex. „Pepsi“, ex „Leda IV“, ex. „Milene IV“ ist eine vom souveränen Admiral’s Cup Sieger „Marionette“ von 1977 inspirierte Ron Holland Konstruktion. Der Wahlire zeichnete nach Sparkman & Stephens eine Weile für die finnische Nautor Werft, insgesamt fünf Typen, darunter die Swan 441. Sie entstand 1978 bis ‘82 vierzig Mal mit dem Nautor-typisch keilförmig aus dem Deck ansteigenden Aufbau, außerdem fünf Mal als Swan 441 R (wie Racing) als Glattdecker und leichtere Version ohne Teakbelag. Bei „Milene IV“ handelt es sich um die Baunummer drei dieser Regattaedition. Nach dem Fastnet Race ist ihr erster Eigner namens Mirlesse erst mal vom Segeln bedient. Er verkauft das Boot an einen Holländer, der es „Pepsi“ nennt. Bald übernimmt der passionierte Berliner Segler Peter Lühr das Schiff. Als „Leda IV“ ist es abwechselnd in der Karibik und im Mittelmeer als Charterboot unterwegs. 13 Atlantiküberquerungen absolviert sie mit ihrem spartanischen wie funktionalen Interieur. Es besteht aus einer Naviecke unter dem Brückendeck, acht Rohrkojen im hinteren Drittel des Schiffes, einem Toilettenraum und Pantry hinter dem Mast. Vor dem Hauptspant ist das Boot leer. 1996 wird Kay-Johannes Wrede im Hamburger Yachthafen in Wedel an der Elbe auf einen sichtlich gebrauchten Cupper mit Ron Holland typischem Heck aufmerksam. Der ehemalige Regattasegler und Bootsbaumeister würde das Boot gern kaufen, sauber machen und segeln. Doch hat er gerade die Zahnärztin Dr. Birgit Susann Eggers geheiratet und die ist von der fixen Idee nicht angetan. Doch wozu hat man gute Freunde, welche die Notwendigkeit solcher Anschaffungen nicht bloß verstehen, sondern ohne großes Federlesen gleich mit finanzieren. Also kaufen Kay Wrede und Frank Buddenhagen das Schiff. Als ehrlicher Gatte unterrichtet Wrede seine Frau sinnvollerweise tagsüber telefonisch über die geschaffene Tatsache. Die begeisterungsfähige Ehefrau weiß, dass sie einen Segler geheiratet hat, macht das Beste draus und sagt: wenn schon, denn schon. Sie besteht auf einer Generalüberholung. Aus dem Bootskauf wird ein Projekt, und ein Projekt, wenn auch eines mit erfreulich seglerischem Schwerpunkt, ist die Swan bis heute geblieben. Innerhalb eines Vierteljahres ist der betagte Cupper entkernt und mit einem glänzend lackierten Kirschinterieur nach Plänen von Birgit Schnaase und einem von Frank Neubelt überarbeiteten Exterieur mit sechs statt 14 Winschen und einer niedrigen, das breite Deck zierenden Spritzkappe als Schau- und Schmuckstück, als Refit-Visitenkarte der Yachtwerft Wrede in die Messehalle der Hanseboot 1997 gestellt. Sie begeistert auch einen Stuttgarter Architekten, der sie von 1999 bis 2006 besitzt und dem Ehepaar Dr. Susann und Kay Wrede verkauft. Nach einem zweiten, dem Interieur und der Technik gewidmeten Refit beginnt das eigentliche zweite Leben des aufgemöbelten Swan bei der „Copenhagen Swan Challenge“ 2007. Dank der freundlichen Aufnahme im Nautor Zirkel und einem ermutigenden Debüt bei den Regatten der Saison gibt es für die Wredes und ihre zügig erweiterte Crew nun kein Halten mehr. „Unser Schwänchen“ erinnert Susann Wrede mit leuchtenden Augen, „kam ins Laufen“. Es wird umgestellt auf honigfarbenes Kevlar, die Garderobe der Profis und angefressener Amateure, die auf der Regattabahn über das olympische Motto „Dabei sein ist alles“ hinaus sind. Zwar bleibt der Trimm der sogenannten, ihrer Kostspieligkeit halber als „Ming Vase“ bezeichneten Kevlar Genua I vorerst das Geheimnis des Glückstädter Segelmachers Christoph Thomsen (Tommy Sails, vormals Hood Germany), auch beeinträchtigen ein gebrochener Kohlefaserspibaum in der Flensburger Förde oder eine rissige Kielperipherie das Renngeschehen. Solch Malaisen halten die Wredes jedoch nur vorübergehend auf. Beim Fastnet Race, der Eigner Nordwand der Hochsee Segler, ist die elegante dunkelblaue Swan dreißig Jahre nach ihrem Debüt natürlich dabei. Zum Nahkampf auf der Regattabahn gehört die hart aber fair ausgetragene Fight mit der 48er Sparkman & Stephens Swan „Elan“ von Harald Baum. Da wird natürlich alles gegeben und weil es zu den Spezialitäten der neuerdings wieder gemeinsam an Bord gesichteten Gebrüder Kay und Peter Wrede gehört, nicht nur gut zu starten, sondern praktisch immer Spinnaker zu segeln und das Boot mit einem verwegen tief bis übergeigt gesteuerten Kurs meistens heil zur Leetonne zu bringen, ist die „Best Buddies“ eine ernst genommene Größe auf dem Swan-Parkett. Zur Saison 2012 ist der betagte und weich gewordene Alumast von Stearns durch einen etwas längeren Hall Spars Karbonmast von ersetzt. Auch am Rating, einem ständig diskutierten Thema an Bord, soll innerhalb eng gesteckter Grenzen etwas getan werden. Dank Kay Wredes Ok-Jollen, Starboot und „Pinta“ Knowhow und seines Bruders Peter „Saudade“ Praxis greift die Ron Holland Swan an. Wenn es weiterhin so läuft, wird die Admiral’s Cup Edition der Nautor Werft in absehbarer Zeit durch das Mittelmeer pflügen. Groß und auch erfahren genug zum Überführen des Schiffes ist die Crew mittlerweile. Die Copa del Rey, Sardinien und auch das Middle Sea Race locken. Früher hieß es in Zuffenhausen: „Es gibt keinen alten Porsche, nur neue Besitzer“ schwärmen die sechsten Eigner für ihr begeistert gesegeltes und erhaltenes Schiff.

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Die sentimentale Seite der Zahlenfüchse

Warum mit modernen Booten beschäftigte Yachtkonstrukteure wie Doug Peterson und German Frers Klassiker segeln. Von Erdmann Braschos Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, dass sich Protagonisten der High Tech Regattaszene, die Konstrukteure exquisiter Tourenboote, die Yachtcouturiers repräsentativ großen Segelspielzeugs für Costa Smeralda oder Côte d’ Azur wie der Argentinier German Frers und sein kalifornischer Kollege Douglas Peterson mit uralten Holzbooten beschäftigen. Frers und Peterson leben in der Welt modernen Yachtbaus. Seit Jahrzehnten beschäftigen sie sich mit der Konzeption der nächstschnelleren, nutzwertigeren, nochmals pflegeleichteren und möglichst wartungsarmen Avantgarde. Ihre Entwürfe entstehen mit Hilfe von Finite Elemente Analysen und Computational Fluid Dynamics, der simulierten Darstellung der Belastung von Bauteilen und Strömungsverhältnissen an Rümpfen, Kielen, Ruderblättern oder Takelagen. Gebaut werden die Schiffe im Prinzip wie das Leitwerk eines Airbus in Faserverbundwerkstoffen. Yachtbau im heutigen Stand der Technik ist nüchterne Mathematik, Chemie und Materialkunde. Für Charme, Sentimentalität geschweige denn Nostalgie ist da kein Platz. Frers, der einstige Think Tank der italienischen Il Moro und Prada America’s Cup Syndikate, Hauskonstrukteur der in den vergangenen Jahren rasant modernisierten Nautor’s Swan Flotte von 42 bis 130 Fuß, Architekt viel beachteter Trendsetter der Marke Wally von der verblüffend aufgeräumten „Genie of the Lamp“ bis zum neulich aufgetakelten 98 Füßer „Y3K“ des Hamburger Reeders Klaus Peter Offen, denkt an gestreckte Wasserlinien mit hohlwangiger Bugpartie hinter nahezu senkrechtem Vorsteven und breitem Achterschiff. Die formstabilen Rümpfe kommen mit wenig Blei aus laufen und besonders bei halbem Wind ausgezeichnet. Frers zeichnet jollenartig flach gehaltene Unterwasserschiffe, abgespeckte, backstagslose Takelagen, unter denen man auch große Boote mit einer Hand lässig durch den Wind bringt. Frers segelt seit Jahren, ohne dass er groß darüber spricht, einen Klassiker von 1908. Die 8 mR Yacht „Folly“ zeichnete und baute der berühmte Konstrukteur und Werftinhaber Charles Nicholson (1868 bis 1954) als Doyen angelsächsischer Yachtkonstruktion damals für sich. Ein flachbordig nasses, haarsträubend umständliches, rankes, sensibles Wassersportgerät, mit filigranen Überhängen, Klüverbaum und generöser Gaffeltakelage. Bei leichter Brise macht “Folly“ Spaß, bei mittlerem Wind wird sie zur Herausforderung. Frisch es auf, flüchtet man mit ihr sicherheitshalber hinter die nächste Hafenmauer. „Ich mag dieses Boot“ sagt der zurückhaltend distinguierte Argentinier, dessen Scheu schon mal als Arroganz missverstanden wird. „Alles daran ist zweckmäßig, nötig, richtig. Folly hat keine Klampe zu viel. Von ihrer Schlichtheit kann ich als Konstrukteur nur lernen“ meint der 67-jährige. Für Frers sind der Yachtbau unserer Tage und der annähernd  hundert Jahre alte Klassiker zwei Seiten der gleichen Medaille. Mit Doug Peterson über Boote reden, ist nicht einfach. Zu lange ist er im Geschäft, um sich mitzuteilen, vielleicht auch schon ein bisschen müde. Peterson hat keine Lust auf Küstenklatsch, Namedropping und die übliche Stegsegelei. Ein introvertierter, verschroben wirkender Eierkopf, der sein Konstruktionsgeschäft viele Jahre zwischen Pizzaschachteln, Burgerdosen, Cokebechern und aus seinem legendär unaufgeräumten Auto führte. Eine Startup Type, die mehr in der Zukunft und gedanklich auf dem Wasser lebt und folglich für Äußerlichkeiten oder die Gegenwart wenig Zeit und Lust hat. Im Unterschied zu Frers hat sich Peterson kaum für Nebensächlichkeiten wie Haarschnitt oder ein richtig sitzendes Sakko interessiert. Peterson ist eher ein Freund des universell getragenen Sweaters. Die Karriere des Kaliforniers begann 1973 mit dem Paukenschlag namens „Ganbare“, einem so genannten Eintonner der International Offshore Rule. Das Schiff überzeugte bei verschiedenen Seegangsbedingungen am Wind. Mit konsequent in die Formel gezeichneten Booten wie „Gumboots“, „Eclipse“, „Moonshine“, „Ragamuffin“ oder „Yeoman XX“ startete Peterson durch, nicht unbedingt schönen Trendsettern, die nur netto mit einer vielköpfigen Mannschaft auf der Kante funktionierten und allenfalls von Könnern bei viel Wind havariefrei über die Regattabahn gebracht wurden. Peterson war number cruncher, einer der ausgebufftesten Tüftler für die IOR vermessene Hardware des seinerzeitigen Hochseesegel-Rennstalls. Wie Frers brachte er es zur Meisterschaft, seine Konstruktionen auf dem Papier gezielt langsamer erscheinen zu lassen, als sie waren. Ein seelenloses, kurzlebiges, ein abgekochtes Geschäft mit Rechenschieber und den kleinen schwarzen Zauberkästen von Hewlett Packard. Sie setzte die Verinnerlichung geschwindigkeitsbesteuernder Faktoren und die intellektuelle List an der Lücke voraus. Bei Peterson knobelten und übten sich Kapazitäten wie Bill Tripp Junior, John Reichel und Jim Pugh für die nächsten Eintagsfliegen der Regattabahnen. Später grübelte Peterson für Bill Koch über „America3, an „Black Magic“, später eine Weile für den exzentrischen Modekaufmann Patrizio Bertelli an „Luna Rossa“. Peterson zeichnete für den finnischen Kompositspezialisten Baltic, manche luxuriöse Hochseelokomotive der Marke Jongert, für Comar, Franchini und die italienische Nobelmarke Solaris. Was könnte so einen Mann begeistern und wie bringt man den einstigen Shooting Star des Konstruktionsgeschäfts zum reden? Peterson ist anlässlich der Panerai Classic Yacht Challenge mit „Tamara IX“ nach Imperia gekommen. Die Annahme, dass es sich dabei um eine Freundin handelt, wäre eine Übertreibung, denn die 15,40 Meter lange Schönheit nimmt seit zehn Jahren mehr Platz in Petersons Leben ein, als eine neue Liebe gemeinhin die Aufmerksamkeit eines Mannes beansprucht. Petersons Affäre ist Baujahr 1933 und wurde bei der Soon Slip & Baatbyggerie für den Osloer Versicherungskaufmann Halfdan Hansen nach einem lokalen Regelment nach Plänen von Christian Jensen gebaut. Darüber kann Peterson endlos reden, über die kongeniale Partnerschaft zwischen dem Bootsbauer Jensen und dem verkaufstüchtigen Segeltalent, Gentleman und Yachtkonstrukteur Johan Anker damals, 1905 bis 15. Ehe sich der Besucher versieht, hockt er mit dem vorhin noch unzugänglichen Kalifornier im schnittig schlanken, weiß gestrichenen Gebälk von „Tamara IX“. Peterson kaufte „Cloud Nine“, die zwischendurch mal „Annie“ und „Rigoletto“ geheißen hatte, 1998 in reparaturbedürftigem Zustand an der amerikanischen Westküste und verfrachtete sie zur Cantiere Navale dell’ Argentario“ nach Porto Santo Stefano, wo vermögende Römer oder Mailänder ihre Nautiquitäten von Frederico Nardis Bootstischlern zurecht machen lassen. Hier ist die Frage, wie viele Lira, Dollars oder Euro eine Arbeit kostet, nachrangig zur Qualität. Weil es bei einem Schiff dieser Güte nicht langt, es von frevelhaften Umbauten, Änderungen, morschem Holz oder dem Aluminiummast zu befreien, flog Peterson nach Norwegen und recherchierte im Osloer Schifffahrtsmuseum und in der dortigen, ausgesprochen Traditions-verbundenen Segelszene die Geschichte seiner Kostbarkeit. Anhand ihrer Schwesterschiffe rekonstruierte er das Interieur. Wer mit Kajütbooten Panoramablick, eine U-förmige Dinette, all die fragwürdige Zweckmäßigkeit moderner Wohnmobile verbindet, dem erscheint der spartanische Ausbau mit steiler Stiege, Sitzbank back- und steuerbord, Spinden, Skylights und Vorluk wie eine schiffig getischlerte Meditationszelle, in der man ziemlich gut mit sich auskommen sollte, um darin zu entspannen. Einziger Stilbruch sind die unzähligen kleinen Plastikbüchsen für „Cellphones“, „Tools“ und was ein Kalifornier im Mittelmeer an Bord so braucht. Doch geht es im ligurischen Meer mal zu Sache, wäre es doch schade, wenn die großen und kleinen Jungs daheim nicht anrufen können und ihren Frauen oder Freundinnen erzählen, was die eigentlich schon wissen. Das sie auf dem Meer sind, glücklich und es Wind gibt. Gut sieben Jahrzehnte seit dem Stapellauf hockt der bärtige kalifornische number cruncher Doug Peterson in seiner köstlichen musealen Welt und ist nicht mehr zu bremsen. Er erzählt vom chronisch unterschätzen Bootsbauer und Johan Anker Kompagnon Christian Jensen, die produktive Zusammenarbeit der beiden, die viele, bis heute weltweit geschätze Schiffe, darunter Dennis Conners Anker & Jensen Werftbau „Cotton Blossom II“ von 1925 hervorbrachte, und spekuliert über das Ende der kongenialen Partnerschaft, begeistert sich für das Talent des Bootskonstrukteurs Jensen, der 1918 Roald Amundsens Expeditionssegler „Maud“ für eine mehrjährige Drift durch das arktische Eis gezeichnet und gebaut hat. Mit „Tamara IX“ ist der introvertierte Zahlenfuchs und Schöpfer mancher Eintagsfliege für die Regattabahnen seglerisch beim Wahren, Schönen und Guten angekommen. Es ist für jeden Zuschauer und Segler ein Fest, die schlichte Norwegerin mit ihrem aufgeräumten Deck, Merkmal und Voraussetzung gediegenen Yachtsports, bei kräftigem Wind die levantinischen Küste entlang brettern zu sehen. Bei „Tamara IX“ wird die elementare Auseinandersetzung mit Wind und Wellen nicht in Kauf genommen sondern gesucht. Wie bei anderen kulturellen, geistigen oder spirituellen Angeboten auch, kommen sogar die Trendsetter der Regattabahnen und luxuriösen Einzelbauten früher oder später zu den richtigen, wahrscheinlich zeitlos schönen Schiffen zurück. Vielleicht liegt es einfach daran, dass Frers, dessen Vater 1926 in Buenos Aires mit dem Entwurf von Segelyachten in bester angelsächsischer Tradition begann, mit dem Metier groß wurde. Sein Kollege Doug Peterson lernte Genuss und die bleibende Versuchung klassischen Segelsports mit den Achtern „Emily“ und „Cherio“ und „Cotton Blossum II“, einer Q-Klasse der amerikanischen Universal Rule, kennen, bevor er, vorübergehend, ins moderne Fach wechselte. Ohne die sepiafarben sentimentale Erinnerung an die seglerisch gewiss gute alte Zeit, den Charme einer längst vergangenen Ära wäre unsere Welt auch auf dem Wasser arm.

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Boatsharing

Teilen statt besitzen: Dinge gemeinsam zu nutzen ist sinnvoll, günstig und inzwischen auch ziemlich schick. Jetzt gibt es auch eine Boatsharing-Börse. Doch die wird von Statussymbol-Seglern noch argwöhnisch beäugt. Von Erdmann Braschos Bei Autos heißt es Carsharing, bei Wohnungen Zwischenmiete, bei Sofas Couchsurfing – all diese Spielarten des Teilens haben denselben Hintergrund: Der eine hat etwas, was er gerade nicht braucht. Und der andere braucht etwas, was er nicht selbst haben will. Ein Auto, um ein Sofa zu transportieren. Eine Wohnung für ein kurzes Praktikum in einer anderen Stadt. Eine günstige Gelegenheit zum Übernachten Diese Möglichkeit, durch Teilbörsen Geld und sonstigen Verwaltungs- oder Wartungsaufwand zu sparen und dennoch mobil zu sein, gibt es jetzt auch für Segelboote. Denn Segeln ist ein schönes und leider teures wie zeitintensives Hobby. Zu den Anschaffungskosten kommen Liegeplatz, Versicherung und Instandhaltung. Pflege, Ein- und Auswintern, Arbeitsdienste im Segelverein binden Zeit. Ein beträchtlicher Aufwand, vor allem im Verhältnis zu den auf dem Wasser genossenen Stunden. Als Alternative zum Kauf ab und zu eine Jolle zu mieten oder eine Yacht in einem windsicheren Revier zu chartern, ist oft aufgrund des schlechten Zustands der Mietboote ernüchternd, und Charter-Yachten in der Ferienzeit sind teuer und haben manchmal den Charme einer Billigherberge. Zugleich dümpeln unzählige gepflegte Boote in privater Hand den größten Teil der Saison ungenutzt an ihrem Liegeplatz. Segeln und segeln lassen Die Hamburger Studenten Peter Sorowka und Marius Schmeding haben eine Antwort auf dieses Dilemma. Sie bringen Angebot und Nachfrage mit einem neuen Konzept zusammen. „Bootschaft“ haben sie ihr Projekt genannt, dessen Claim „segeln und segeln lassen“ lautet. Sorowka ist 26, Elektroingenieur; er schreibt gerade seine Doktorarbeit zum Thema zivile Radarsignalverarbeitung an der TU-Harburg. Sein Kompagnon Marius Schmeding studiert Elektrotechnik. Vor zwei Jahren kam Schmeding durch eine Erbschaft in den Besitz einer Jolle, die er gern behalten wollte. Ihm fehlte aber absehbar die Zeit zu einer mehr als sporadischen Nutzung, und zweitens war ihm der Betrieb der Jolle zu teuer. Also machten die beiden aus der Not eine Tugend und aus der Erb- ihre Bootschaft: das Boatsharing-Portal. Im Herbst und Winter 2010 konzipierten sie die Hardware nebst Website. Im Frühjahr montierten sie ein kleines Kästchen zur GPS-gestützten Kursüberwachung in ihrem betagten Mahagoni-Zugvogel. Eine etwa DIN-A5-große Solarzelle am Heck versorgt jetzt eine Motorradbatterie mit dem erforderlichen Strom. Über die Homepage kann das Boot gebucht und der Kurs vom Ablegen bis zur Rückkehr an den Liegeplatz nachvollzogen und die Bezahlung der Segelstunden abgewickelt werden. Interessenten registrieren sich zunächst kostenlos. Wer ein Boot mieten möchte, bekommt beim ersten Mal eine Einweisung, hinterlegt eine Kaution, eine Kopie des Personalausweises und des Segelscheins. Soweit ähnelt der Einstieg bei Bootschaft der üblichen Miete beim Bootsverleih. Im vergangenen Jahr ging es mit 30 registrierten Seglern los. Der Zugvogel wurde auf Hamburgs Stadtsee, der Außenalster, zwanzig mal gemietet. Dieses Jahr war die Geronimo auf der Alster bereits mehr als hundert bezahlte Stunden unterwegs – und mit mehr als 2000 Euro Mieteinnahmen wurden die Betriebskosten der Jolle damit mehr als gedeckt. Das Boatsharing-Konzept der beiden Studenten scheint aufzugehen. Die Flotte wurde daraufhin prompt erweitert: Um ein Exemplar des noblen Dreimann-Kielboots Drachen. „Wir leben heute in einer Zeit, in der man Dinge nicht mehr unbedingt haben muss, um sie zu benutzen“ meint Sorowka in Bezug auf Fahrradvermietungskonzepte, Carsharing oder die Vermietung der eigenen Wände an wildfremde Besucher. Bei den meisten Konzepten muss man nur einmalig die Anmeldeprozedur hinter sich bringen und muss an Ort und Stelle mit einem Smartphone umgehen können – das ist alles. Segelvereine boykottieren das Konzept So pfiffig die wegweisende Idee und so clever die Technik gelöst ist – die eine oder andere Hürde müssen die Bootschafter noch nehmen. Erstens bricht das Konzept mit der herkömmlichen Vorstellung von Besitz nach dem bekannten Motto: „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“. Ähnlich wie das Auto dient der Wassersport manchen Menschen nach wie vor zur sozialen Distinktion. Luxus möchte man herzeigen, nicht teilen. Folglich werden viele Bootseigner ihr Boot lieber wie gehabt am Liegeplatz dümpeln lassen, als es zu verleihen. Zweitens blockieren Segelvereine, die sich als traditionsverbundene, gegenüber Nichtmitgliedern abgeschottete Zirkel sehen, das Konzept geradezu. Deren Sorge: Da könnte ja jeder ohne Aufnahmeantrag, Bürgen, Aufnahmegebühr, Vereinsbeiträge, Probezeit, Arbeitsdienst und die vereinsüblichen Fraternisierungen durchs Clubgatter kommen und einfach segeln gehen. Diese Erfahrung macht Bootschaft gerade mit dem Fruchtzwerg einem Drachen, der im Hamburger Segel Club liegt. Drittens setzt es einen pfleglichen Umgang mit dem geliehenen Boot voraus und darauf, das Schäden gemeldet werden. „Unsere Kunden haben uns während der vergangenen Segelsaison fünf Sachen zum Zugvogel mitgeteilt. Es waren alles Petitessen wie ein verlorener Schäkel oder Splint, ein gebrochenes Paddel und Lackschäden“ berichtet Sorowka. „Das sind alles Kleinigkeiten, die zur laufenden Instandhaltung gehören und entweder mit einem Griff in die Schraubenkiste daheim, mit dem Kauf eines neuen Paddels, oder den Winter über im Rahmen der üblichen Arbeiten behoben werden.“ Aus den 30 registrierten Mitgliedern in 2011 sind dieses Jahr zweihundert geworden. Dreißig davon segeln regelmäßig. Bootschaft bietet mittlerweile neun Boote von Kiel über Hamburg und Roermond/Holland bis nach Friedrichshafen am Bodensee an. Die Segelstunde kostet von zehn Euro an aufwärts. Das ist spottbillig und lohnt sich für Wiederholungstäter wie Bootseigner. Der Aufwand hält sich für den Bootseigner mit etwa 300 Euro für den GPS Tracker, Batterie und Solarzelle in Grenzen. Zur Segelsaison 2013 stehen eine Jolle auf der Müritz, Jollenkreuzer in Berlin und Kajütboote auf der Ostsee zur Verfügung. Und natürlich suchen die beiden Studenten ständig nach weiteren Bootseignern, die ihre Jolle oder Yacht ab und an nicht nur selbst segeln, sondern auch segeln lassen wollen.

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Unter Drachenseglern

Der Drachen ist ganz und gar von gestern. Das macht ihn heute so begehrt. Es gibt schnellere und praktischere Boote, kaum jedoch ein schöneres. Und auch deren Segler sind bemerkenswert. In unserer abwechslungsreich bunten Warenwelt mit alljährlich vorgestellten Neuheiten und unterschiedlich interessanten Messepremieren ist das demnächst 80 Jahre alte Dreimannkielboot Drachen eine wohltuende Ausnahme. Es wird unbeirrt gesegelt, meist von einflussreichen, neuerdings als „mover“ und „shaker“ bezeichneten Menschen. In der Hansestadt Hamburg beispielsweise schickt es sich, einem der beiden maßgeblichen, an der Alster beheimateten Segelvereine anzugehören. Wichtiger als die bloße, meist an der Heckklappe mit einem kleinen Aufkleber mitgeteilte Clubmitgliedschaft ist es, das richtige Boot mit dem schlichten Klassenzeichen „D“ zu segeln. Obwohl ein regattaklares Boot etwa so viel wie ein Porsche oder Maserati kostet, gilt die Wahl als Ausdruck stilbewussten Understatements. Die flachbordig charmante kleine Yacht mit den aparten Überhängen und der Spritzkappe vor dem schachtähnlich engen Cockpit bleibt äußerlich wie sie ist. Zugleich wird sie, im Detail zum ausgeklügelten Regatta-Nahkampfapparat perfektioniert, Jahrzehnt für Jahrzehnt immer besser. Frode Andersens in den Siebzigerjahren für den unter-Deck-Betrieb erdachte Winschen werden gerade abgeschafft. Die heutigen Gurus bringen das Gefährt winchless, mit synchron beim Anluven und Beschleunigen des Bootes per Flaschenzug dichtgeholter Genua ein Quäntchen besser an den Wind. Das gediegene offene Kielboot gehört zu den Gegenständen des sams- und sonntäglichen Gebrauchs anspruchsvoller Seglerhaushalte, die unbeirrt gesegelt, kultiviert und mit vorausschauend klugen Schlägen durch das gefährliche tiden- und klippenreiche Gewässer des Auf und Ab der Moden gesteuert wird. Es gibt bekanntlich wenige Dinge, wo dies überhaupt versucht wird oder lohnend wäre. Das Objekt muss sich schon durch eine besondere, eine kostbar bleibende Qualität auszeichnen. Der Drachen ist auch im siebten Jahrzehnt ein hinreißend hübsches Boot. Der Regattaklassiker mit dem handbreit um das Cockpit ausgekragten Süllrand, der filigranen Takelage mit Back- und Jumpstagen, der Geometrie von Vor- und Großsegel nebst kugelförmigem Spinnaker, ist ein bezaubernder Anblick. Man kann sich bei Regatten, sollte es einmal nicht so gut laufen, tatsächlich daran trösten. Sogar an Land herumstehend, wo Schiffe meist eine abtörnende Angelegenheit sind, macht das knapp neun Meter lange, 1,95 m breite, 1,7 Tonnen schwere Schiff eine ausgezeichnete Figur. Wir könnten schwärmen für die Eleganz des Bootskörpers mit langem Kiel und dahinter hängendem Ruderblatt, die Finesse der zum traditionell geneigten Heckspiegel geführten Linie. Wir könnten versuchen, die zurückgenommene skandinavische Eleganz zu erklären und riskieren, von der nautisch weniger affizierten Leserschaft für bescheuert gehalten zu werden. Daher überlassen wir es dem Zeitgenossen mit Sinn für schöne Formen, den Drachtentest selbst zu machen. In der Segelsaison steht auf den Seitenstraßen wassernah gehobener Wohnlagen meist einer. Der Drachen ist ganz und gar von gestern. Er segelt naß, schwerfällig und neigt bei auffrischendem Schiebewind unter Spinnaker zum abtauchen. Manches Exemplar wurde gehoben,  einige blieben unten. Erst neuerdings ist der Drachen dank abgeschotteter Plicht unsinkbar. Beim Am Wind Kurs in bewegtem Wasser ist ein Vorschoter der Drachencrew mit dem Abpumpen des hereinschwappenden Naß beinahe so gut beschäftigt, wie seine Mitstreiter mit Steuern, Segeltrimm, der Taktik, Vorbereitung des nächsten Manövers und der Meute andauernd angreifenden Verfolger. Es gibt agilere, schnellere, vielseitigere, irgendwie praktischere  Boote, als den Drachen, wo sich drei erwachsene Menschen gut verstehen sollten, um ein Regattasegelwochenende mit einer vertretbaren Zahl Beulen und psychischen Blessuren in gehabter Freundschaft zu absolvieren. Es gibt vom Chiemo, H-Boot, Twin, über die Soling und hin bis zur Trias verschiedene, zweifellos moderne Kielboote. Man kann sich von einem aktuellen Exemplar vollgleitender Raumschotswunder namens Grand Surprise, Hip 30 oder Max Fun 25 von einem großen, am vorn ausgefahrenen Karbonrüssel befestigten Gennaker über den See zerren lassen. Aber ach, gibt deren marktschreierische Typenbezeichnung nicht bereits kund, dass sie sich kaum mit dem schlechthinnigen Dreimannkielboot messen können? Im Unterschied zu den Modeerscheinungen und Eintagsfliegen wird der Drachen in beeindruckend großen, konstant wachsenden Regattafeldern gesegelt. Über 1.400 Drachen gibt es weltweit, wobei die mit Abstand stärkste Flotte hierzulande mit über 400 Booten unterwegs ist. In Frankreich, Holland und der Schweiz sind jeweils rund hundert Schiffe registriert, in England und den Staaten an die zweihundert. Zur 75-jährigen Jubiläumsregatta der Klasse, sie wurde von der schweizerischen Hanseatic Lloyd AG gesponsort, starteten Oktober 2004 Segler aus 31 Ländern. Sage und schreibe 254 Drachen, Jung und Alt, Bürgerliche und Adelige, Liebhaber und Segelasse versammelten sich an der quer über den Golf von Saint Tropez führenden Startlinie. Die Handhabung des Drachen ist eine Wissenschaft für sich. Sie ist so unergründlich wie die erfolgreiche Ausübung des Golfsports. Man versteht und lernt es wahrscheinlich nie ganz. Ob man es vorübergehend „drauf hat“ erfährt man allenfalls in Relation zur unterschiedlich geschätzten und gemochten Konkurrenz, die dann wiederum tagesformabhängig freundlich im Club grüßt. Drachensegler sind ehrgeizige Menschen, eine kompetitive Spezies, die sich die kostbare Freizeit ungern mit nachrangigen Platzierungen verdirbt. Dieses Malheur lässt sich mit einer guten, harmonierenden Crew, regelmäßig erneuerter Segelgarderobe, gelegentlich einem neuen Boot, Trimmanleitungen und Drachenseminaren vermeiden. Letztere sind für nicht ganz so eingeweihte Kreise leider so ergiebig wie die Teilnahme an Management- oder Motivationskursen. „Don’t look, don’t move“ rät der zweimalige Olympiasieger und von England nach Dänemark umgezogene Engländer Poul Richard Høj-Jensen dem Steuermann eines Drachen. Was so viel heißt wie „Klappe halten, sich nicht ablenken lassen, Kurs halten“. Zu viele Ruderausschläge und Wenden bremsen das bei leichtem Wind untertakelte, bei Seegang von den Wogen übel aufgehaltene Boot. Man muss es in Fahrt halten und sollte eine Regatta mit so viel Gelassenheit und Übersicht beginnen, wie der Dalai Lama sein Leben bestreitet. In der sehens- und lesenswerten Hommage „75 Years of Dragon“ wird das komplexe Thema mit entspannter Mokanz aus der Perspektive eines eher durchschnittlich begabten Seglers wie folgt zusammengefasst: „Das Problem mit dem Segeln einer Einheitsklasse ist, dass der beste Segler im Allgemeinen gewinnt.“ Das war vom 21. bis 24. Juli anlässlich des Hanseatic Lloyd Dragon Grand Prix wieder zu erleben, als 61 Mannschaften aus zehn Nationen vor dem idyllischen Strande an der Kieler Außenförde bei drei Windstärken aus West segelten. Ganze acht Punkte trennten die ersten fünf Teams, ein Beweis für die Leistungsdichte der Klasse. Es gewannen Dänen vor Bayern, Preußen, Ukrainern und Engländern. Die perfekt frisierte Königin Silvia von Schweden, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, der sympathische deutsche Spitzensegler Jochen Schümann, einige B bis D Promis und 200.000 Euro für die World Childhood Foundation kamen zusammen. Schön segeln, abends im Kaisersaal des Kieler Yacht Clubs tafeln und für einen guten Zweck die Brieftasche zücken, das ist eine win-win-win Situation, die zur Klasse der Mover und Shaker und ihrem derzeit engagierten Förderer, dem cleveren Schifffahrtskaufmann Harro Kniffka, passt.

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Dünnschiffe vor Lemkenhafen

Die Schlank und Rank Regatta wird Anfang Juli vor Fehmarn ausgetragen. Die Segler sind dicke Kumpels, die Schiffe schlanke Heringe. Von Erdmann Braschos Neben schwimmenden Untersätzen wie SUPs, Motor-, Ruder-, Tretbooten, Jollen, Jollenkreuzern, Zwei- oder Dreirümpfern sind nach meiner Ansicht unbedingt zwei wichtige Bootstypen zu unterscheiden: Dick- und Dünnschiffe. Dickschiffe sind bekanntlich eine ringsum kommode Sache und haben unschlagbare Vorteile wie Komfort, Stehhöhe, Toilettenräume und so weiter. Gibt‘s bei jeder Bootsmesse, in jedem Hafen, kennen wir alle. Womit wir bei den Dünnschiffen wären. Das prototypische Dünnschiff ist der klassische Schärenkreuzer. 1907 erfunden, wurde er seit 1908 etwa 1.200 Mal gebaut. Es gibt ihn vom 15-Quadratmeter-Einsteigermodell aufwärts als 22er, 30er, 40er, 55er und so weiter bis hin zum 22-m-Geschoss mit 150 Quadratmetern Segelfläche. Zwar hat ein Dünnschiff deutlich weniger Platz, doch wird dabei übersehen, dass wesentliche Dickschiffthemen wie Stehhöhe und Toilettenbesuch seit 115 Jahren überzeugend gelöst sind. Volle Stehhöhe gibt’s bereits beim 15er im Niedergang bei geöffnetem Schiebeluk und in der Plicht. Für dringende Geschäfte bietet das Dünnschiff unter Deck volle Bückhöhe. Da den meisten Menschen in fensterlos engen Räumen unterwegs eh schlecht wird, kürzt der universell genutzte Eimer die Verweildauer unten derart ab, dass der User bald bester Dinge an die frische Luft zurückkehrt. Ab 17 bis 19 m Rumpflänge gibt es beim 75er unter dem Kajütdach bereits genug umbauten Raum für Stehhöhe und irgendwo zwischen den Schottwänden sogar eine permanent eingebaute Toilette. Das ist schön, muss aber wie beschrieben nicht sein. Dass Dünnschiffe hübsch sind und bereits im Stehen fahren, sieht jeder. Was die Bilder dieses Beitrags nicht so recht verraten, ist der Segelspaß. Dünnschiffsegeln ist so rattenscharf wie mit einem motorisierten Go-Kart über den Asphalt zu schrubben. Die Nähe zur Piste macht die zuvor nur leicht schöngeredeten Bordlebensqualitäten derart wett, dass für Dünnschiffer nur Dünnschiffe infrage kommen. Das ist, zugegeben, eine Segler-Weltanschauung. Weltanschauungen kommen durch Prägung zustande. Meine begann Mitte der Siebzigerjahre, als mein Vater mit meinem Bruder und mir mit so einer Feile in der marginal höheren Tourenausführung mit 70 statt 50 cm Bordwand so hurtig von Travemünde via Skagen nach Norwegen segelte, dass da oben in den Fjorden Zeit zum Trollegucken blieb. Ein anderer Ritt führte über Großenbrode und Klintholm in einem Aufwasch durch den Abenteuerspielplatz Ostsee zu den Ålandsinseln, nach Turku und zurück. Von einer halben bis 3 Windstärken war es das seglerische Nirwana. Ab 3 1/2 von vorne wurde es ernst und nass. Täglich informierte Rügen Radio mit dem besten deutschsprachigen Wetterbericht über das, was auf uns zukommt. Zweckmäßiges Signalrot statt 1970er-Orange Anno 1974 holte der Fehmaraner Reetbauer Georg Milz sein erstes Dünnschiff nach Lemkenhafen. Die Siebziger-Trendfarbe Orange wurde durch zweckmäßiges Signalrot ersetzt. Damit wird ein Dünnschiff im üblichen Grau der bewegten Ostsee bei Schietwetter besser gesehen. Für nasse Fronteinsätze wie Vorsegelwechsel hatte Milz mit seinem jüngeren Bruder Hans einen willigen Vorschoter. Ich fand den Wäschewechsel vorn in der Ostsee interessanter als Latein und Mathe. Hans segelt heute einen glänzend im Lack stehenden 15er. Soviel zum Thema Prägung. Georg Milz hat seitdem einige Dünnschiffe, 15er, 22er, einen herrlichen 40er und moderne Varianten gesegelt. Beim hundertjährigen Schärenkreuzer-Jubiläum in Schweden schlug Milz vor, sich im nächsten Sommer mal bei Fehmarn zum Segeln und abends auf ein Bier in Lemkenhafen zu treffen. Daraus wurde 2009 die erste Schlank und Rank Regatta. Bodenständige Segelsause Es pfiff aus Ostnordost, dass die Schafe sich alle im Lee des Deichs auf die Wiesen hockten und die 30 Teilnehmer was erlebten. Die Segelfreunde – darunter ich mit meiner 55er-Tourenschäre – erschienen mit 16 qm Angstlappen und zweimal gerefftem Groß last minute vor dem Start. Es war eine schöne bodenständige Segelsause. Und so ist es all die Jahre auch geblieben. Berliner, Bayern, Lübecker, Hamburger, Kieler und Neustädter kommen mit und ohne Boot zum Dünnschiffern, Gucken und Träumen. Sie segeln zwischen Orth, Heiligenhafen und dem „Kleiderbügel“, wie die Fehmarnsundbrücke liebevoll genannt wird. Auch wenn da mancher frech wie Jimmy Spithill startet, geht es auf der Bahn überwiegend zivil zu. Vielleicht liegt es daran, dass zunehmend Frauen wie die versierte 15er Seglerin Ulla Prötel an der Pinne hocken oder als Vorschoterinnen mit einem Machtwort mäßigend auf ihre kleinen Jungs einwirken. Was da in der Vorstartphase an Bord genau läuft, weiß ich allerdings nicht. Abends wird passabel gegessen, genug getrunken, im idyllischen Hafen bis in die Morgenstunden hinein gefeiert, gequatscht und Dünnschiffe geguckt. Ein weiterer, bislang nicht erwähnter Vorteil der Dünnschiffe ist ihre schmale Plicht. Das macht das Event schön kommunikativ, weil abends keiner freiwillig an Bord bleibt. Alle hocken auf den himmelblauen Bänken an Land oder im Bierzelt des Seglervereins Lemkenhafen. „Der Club wird wie schon in den Jahren zuvor wieder für den Regattazinnober allgemein zugänglich sein“, kündigt die SVLF-Vorsitzende Katja Jensen-Kamph an. So eine Dünnschiff-Meise wird in der Gruppe Gleichgesinnter am besten gepflegt. Es wäre schön, wenn weitere Yngling, Soling, Drachen, 5,5er, H-Boot und Schärenkreuzersegler oder Freunde artverwandter Boote kämen – so wie die Ylva, Molich X, Smaragd oder Tourenschärenkreuzer wie S30 oder Lotus. Das sind alles Dünnschiffe, wenn auch nicht mit dem Längen-Breitenverhältnis der schwedischen Originale und aus Plastik statt Holz. Das wird nicht so eng gesehen. Es geht ums Segeln bei der Schlank und Rank Regatta. Eine Weile kam Jan Budden mit seiner fliegenden Untertasse, einem modernen formverleimten 20er-Jollenkreuzer namens „Glückskind“. 7 3/4 mal 2 1/2 m bei 730 kg sind jetzt nicht direkt schlank und rank, aber bei leichtem Wind schnell. Zwar ist der Budden mit seinem Killerspinnaker und einem Haufen Jungs oder Mädels auf der Kante bis drei Windstärken auf der Regattabahn echt nervig. Trotzdem unterhalten wir uns abends immer freundlich. Samstag, den 8. Juli 23 wird 12 Uhr ein schöner Lauf in den Nachmittag hinein gesegelt. Gestartet wird auf der Orther Reede im Schutz der Landzunge von Krumm Steert. Die Klassiker werden nach dem bewährten KLR System des Freundeskreises Klassischen Yachten gewertet, moderne Boote nach Yardstick. Das sorgt für eine gewisse Gerechtigkeit und gibt mehr Souvenirs/Gläser mit Gravur. Da der Klimawandel im bislang windsicheren Fehmarnsund schon furchtbare Bodenseeflaute mit üblem Herumstehen beschert hat, wäre es schön, wenn jeder Teilnehmer zur Schlank und Rank Regatta etwas Wind mitbrächte.

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Elisabeth Ernst Meyer

Ein Porträt der Klassiker-Enthusiastin, die Ende der Achtzigerjahre mit dem weltweit bewunderten zweiten Stapellauf des einstigen Americas Cup Renners „Endeavour“ von sich reden machte – basierend auf Tatsachen statt üblicher Märchen. Im Alter von vier Monaten wird Elisabeth Ernst Meyer erstmals in einer Trage an Bord eines Bootes gehoben. Als versierte Regattaseglerin möchte Mary Meyer, Ärztin der Epidemiologie, den geliebten Wassersport wie gehabt mit Kind fortsetzen. Vater Eugene Meyer, ein Psychiater, gewinnt Motorboot fahrend und angelnd Abstand von seiner Tätigkeit an Baltimores „Johns Hopkins School of Hygene and Public Health“. So wird Meyer frühzeitig auf dem verzweigten Gewässer der Chesapeake Bay mit Wind und Wasser, Böen und Boot, Pinne und Schot vertraut. Den Sommer verbringt die Familie in Marblehead bei Boston, dem nordamerikanischen Mekka des Segelsports, oder sucht weiter nördlich im urwüchsigen, angenehm kühlen Maine auf dem Wasser Erholung. Das prägt. Die segelbegeisterte Mutter schildert der achtjährigen Tochter den majestätischen Anblick der J-Klasse Yachten anläßlich der prestigeträchtigen Rennen um den Amerika Pokal ‘30, ‘34 und ‘37 draußen vor Newport. Die Vorstellung der niedrigen, hundertdreißig Füße lang über das Wasser ragenden Deckskante unter verschwenderisch großer Segelgarderobe lässt die junge Seglerin nicht mehr los. In der Schule geht sie Freunden mit Fotos, Daten und Anekdoten über die längst von den Regattabahnen verschwundenen Segelsaurier und deren 16 Etagen himmelwärts ragende Takelage auf die Nerven. Bereits während des Studiums der englischen Literatur wird die 21-jährige Eignerin eines 12 Meter langen „Concordia“ Zweimasters. Diese, einst von der norddeutschen Werft Abeking & Rasmussen in 102 Exemplaren exklusiv für amerikanische Kundschaft getischlerten Holzboote genießen entlang der Ostküste der Vereinigten Staaten geradezu kultische Wertschätzung. Das Boot mit dem kleinen blauen Stern am Bug und dem Halbmond am Heck gilt als Quintessenz nautischer Kultur. Als dezentes, europäisches Erzeugnis verkörpert es schwimmendes Understatement. Mit dem Bachelor of Arts in der Tasche jobbt Meyer zunächst bei einem Segelmacher in Annapolis, dann im Zoo ihrer Heimatstadt Baltimore. ‘77 gründet sie mit Freunden „Weatherly Company“, eine Firma zum Entwurf und Bau von Urlaubsdomizilen auf dem neuenglischen Lebenskünstler Eiland Martha’s Vineyard. Rund 40 Häuser entstehen auf der gefragten Insel, darunter große und komplexe Objekte wie die Villa für Jacqueline Kennedy-Onassis. Und weil Geldverdienen allein nicht glücklich macht, veröffentlicht die begeisterte Seglerin ‘79 im Selbstverlag das Buch zu ihrem Schiff: „The Concordia Yawls, 1938-1978: Forty Years Sailing“. ‘84 amüsieren sich Meyer und die halbe weiße, angelsächsische, segelnde und protestantische Bevölkerung der Ostküste mit „Yaahting“, der Parodie einer namhaften New Yorker Wassersportzeitschrift, über den Bullshit der Yachtpresse. Mit „how to walk the dock“, einer komplett durchfotografierten Anleitung zum Beschreiten eines Bootsstegs, nimmt sie den (damals erst in den Kinderschuhen steckenden) Beratungsjournalismus hoch. Im gleichen Jahr führt sie eine Recherche über die kurze Ära der J-Klasse Yachten nach Südengland. Sie interviewt den 97-jährigen Flugzeugfabrikanten, America’s Cup Herausforderer und einstigen „Endeavour“ Eigner Thomas Octave Murdock Sopwith und besucht Frank Murdoch, seinen 81-jährigen früheren Angestellten. Die bis heute erfolgreichste englische Herausfordereryacht des Amerika Pokals (‘34) steckte voller, von Murdoch ausgetüftelten Neuheuten, etwa der ersten elektronischen Windmeßanlage. Viereckige Vorsegel nutzen den Wind besser aus dreieckige. Die sogenannten „Quadrilaterals“, schnodderig „Quads“ genannt, wurden zum Merkmal der Klasse und müssten streng genommen Murdochs heißen. Sogar mit profilierten Wanten, die sich nach jeder Wende automatisch strömungsgünstig in den Wind drehen, soll experimentiert worden sein. Nachdem sich das junge Ehepaar Vivienne und John Amos während fünfjähriger Eigenarbeit mit der Wiederherstellung des „Endeavour“ Rumpfes auf einer Baustelle südlich von Southampton ruiniert hat, entschließt sich die 31-jährige Reporterin an einem verregneten Novembertag ‘84 zur Übernahme des komplett entkernten, 40 Meter langen Eisenrosses. „Es war mir nie in den Sinn gekommen, eine J-Klasse zu kaufen. Ich war zum gucken und dokumentieren einer Yachtsportära gekommen. Aber ihr Anblick warf mich um. Ich nahm die steile Leiter zur Bordwand, kletterte im Stahlskelett wieder runter und stand mitten in der schönsten aller J-Klasse Exemplare. „Endeavour“ war schön wie ein umgedrehtes Kirchenschiff. Da ich die Möglichkeit hatte, sie zu kaufen, blieb mir keine andere Wahl, als es zu tun,“ erinnert sie sich an den folgenschweren Entschluss. Ein Jahr später ist auch die energische, straff arbeitende Amerikanerin am Ende. Meyer überlegt, die Finger von „Endeavour“ zu lassen. Ein Unglück mit dem Auto, ein samt Kriegskasse verschwundener Verlobter und ein Nervenzusammenbruch erinnern Meyer an Sopwiths Warnung: „J-Klasse Yachten waren damals schon monströs. Sie passen weniger denn je in die Zeit. Sie müssen verrückt sein, Frau Meyer.“ Die Wiederherstellung der historischen Segelmaschine mit gigantischen Abmessungen scheint so unmöglich wie das Erklimmen eines bislang nicht bezwungenen Gipfels. Andererseits weiß die drahtige Seglerin: „J-Klasse Schiffe sind die Königinnen des Yachtsports. Sie sind der Stoff, aus dem Geschichte ist.“ Generationen von Seglern haben den Segelsauriern nachgetrauert. Das Erlebnis sie zu segeln, gilt als Droge. Meyer ändert die Strategie. Die 33-jährige schreibt die Verwandlung des Rohbaus in eine luxuriöus ausgestattete Charteryacht bei führenden nordeuropäischen Schiffbauern aus und heuert den Glückstädter Yachtberater Jens Cornelsen für die Bauaufsicht an.1989 schiebt die holländische Royal Huisman Werft, der Betrieb hat sich mit gediegenen Aluminium- und Stahlyachten einen Namen gemacht, nach zweijähriger Arbeit ein mittel- bis dunkelblaues Grandhotel vor die Halle und errichtet einen schornsteindicken 50 Meter Mast darüber. Hinter dem Kirschinterieur über Dielen aus Oregon Fichte haben die Holländer einen begehbaren Kühlraum, Klimaanlage, Motor, Stromerzeuger, Tanks und Seewasserentsalzungsanlagen im schlanken, torpedoförmigen Rumpf versteckt. Ein Kamin und die fragmentarische Heckpartie von Harold S. „Mike“ Vanderbilts „Ranger“ zieren den Salon. Der Umbau wird zur Sensation der Yachtbranche. Zehn Millionen Dollar soll ihre „Endeavour Incorporated“, die Meyersche Firma zum Schiff, in die Yacht gesteckt haben. Im August 89 kommt es zur Begegnung der dunkel- ge­nauer: endeavourblauen Yacht mit der tannengrünen „Shamrock V“ draußen vor Newport, auf historischem Ge­wässer. Publikumswirksam stehen Senator Ted Kennedy und CNN Boß Ted Turner auf Teakbohlen, die jedem Salzbuckel die Welt bedeuten. Die Monstrositäten des Teebarons Sir Thomas Lipton und des Flugzeugfabrikaten T. O. M. Sopwith segeln wieder. Nachdem die prosaischen Yankees sämtliche ihrer sechs J-Klasse Renner verschrotteten, holte ihre segelbesessene Enkelin, die energetische Elisabeth „Endeavour“ Meyer „Darling Jade“ aus Calshot Spit und stellte parallel „Shamrocks“ Herrichtung auf die Beine. Das Spektakel kuriert das seit ‘83 lädierte seglerische Selbstbewußtsein, als die australischen Schotenreißer vor Newport die Herausgabe des Amerika Pokals aus der Trophäensammlung des New York Yacht Club erzwangen. Draußen auf der sanft rollenden Atlantikdünung werden wieder Spinnaker gesetzt, deren Fläche die Immobilienfachfrau Meyer ebenso praktisch wie cool mit Grundstücksformaten umreißt: „Just under half an acre“. Das Budget zum Betrieb des 40 Meter langen Seewas­serspielzeugs in praktisch werftneuem Zustand beziffert Meyer in den Neunzigerjahren bei einer durchschnittlichen Jahressegelleistung von 30 Tausend Seemeilen mit einer Million Dollar. Die wesentlichen Posten sind Gehälter der achtköpfigen Stammbesatzung, laufende Reparaturen, regelmäßiger Ersatz verschlissener Segel durch neue Garderobe, gelegentliches Auffrischen der glänzend lackierten Bordwand, Versicherung und Hafengebühr.  ‘88 hatte Meyer in ihrer Wahlheimat Newport „J-Class Management“ gegründet, ein Büro zur Betreuung der beiden J-Klasse Exemplare „Shamrock V“ und „Endeavour“ sowie Vermietung an eine zahlungskräftige, vom üblichen Bootsprogramm gelangweilte Klientel. Es bietet den einwöchigen Segelurlaub für 70 Tausend Dollar netto, zuzüglich Nebenkosten für Sprit, Hafengebühr und Trinkgelder für die Crew an. Im Herbst ‘99 verkaufte Meyer „Endeavour“ mit 150.000 Meilen unter dem Kiel an einen Eigner aus New Hampshire. Angesichts einer ausgesprochen selbstbewußten Preisvorstellung war das Schiff einige Jahre auf dem Markt. Der Küstenklatsch berichtet, die Geschäftsfrau habe die erwarteten Dollars für „Darling Jade“ bekommen. „Nach 15 Jahren „Endeavour“ möchte ich mich auf etwas neues, IYRS konzentrieren,“ kommentierte Meyer den Verkauf. „J-Class Management“ betreut einstweilen die Generalüberholung von „Shamrock V“ und betreibt „Endeavour“ für ihren neuen Eigner.  Zum Gerücht, sie würde ihre seglerische Passion aus der Erbschaft eines stattlichen Vermögens (Levi Strauss und Washington Post) finanzieren, erklärt die 49-jährige. „Meine Familie hatte oder hat mit Levi Strauss nichts zu schaffen. Katherine Graham, eine Tante väterlicherseits, arbeitete für viele Jahre als Herausgeberin der „Washington Post“. Mein Vater saß dort mal ehrenhalber im Aufsichtsrat. Das ist alles. Niemand in meiner Familie hat großartig geerbt. Jeden in „Endeavour“ gesteckten Dollar habe ich selbst verdient“, erklärt die passionierte Seglerin, offenbar geschickte Geschäftsfrau, die ambitionierte Publizistin und Yachtrestauratorin.

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Zeitmaschine

Die 115 Jahre alte „Coronet“ ist die letzte große, authentisch erhaltene Yacht der viktorianischen Ära des Segelsports, die von 1840 bis 1910 datiert wird. Ihre Geschichte ist bewegt, ihre Substanz und Zustand sind erstaunlich. Jetzt soll sie restauriert werden. Wer es im „goldenen Zeitalter“ der Industrialisierung des nordamerikanischen Kontinents zu vielen Dollars gebracht hatte, steckte einen Teil seines Vermögens in den Bau und Betrieb eines ansehnlichen Zweimasters. Der Schoner-Typ der Neuen Welt hatte sich als schnelles Kaperschiff, agiler Sklaventransporter oder Schmuggler, seetüchtiger Lotsenversetzer und profitables Fischereifahrzeug bewährt. Einer, der sich so einen Schlitten für vergnügliche Zwecke mit links leisten konnte, war Rufus T. Bush. Die „Bush & Denslow, Refiners and Dealers in Oils“ hatte dem Pensionär ein schönes Vermögen beschert. Bush wohnte gediegen auf Columbia Heights in Brooklyn, damals das bevorzugte Wohngebiet, zugleich Erholungsort gut situierter New Yorker auf der besseren Seite des East River. Bush war eine der tragenden Säulen seiner Kirchengemeinde, der Plymouth Church of the Pilgrims – und Mitglied des piekfeinen New York Yacht Club. Bush orderte bei C. & R. Poillon, einer guten Adresse in Brooklyn. Wenige Jahre zuvor hatte die Werft die berühmte „Sappho“, mit 37 Metern Wasserlinien Länge einen der größten und schnellsten zeitgenössischen Schoner nach einem Entwurf ihres Direktors William Townsend auf eigene Rechnung gebaut. Damals, so die Legende, soll Bush das Wasserspielzeug so lapidar geordert haben, wie seine Zeitgenossen einen neuen Anzug beim Schneider bestellten. Bush lebte in Verhältnissen großzügigen Zuschnitts. So sah „Coronet, sein „Krönchen“ auch aus. Bei 40 Metern Deckslänge maß das Schiff zwischen dem Klüverbaum vorn und dem hinteren Ende ihrer Takelage 58 Meter. Sie ging mit bis zu neun Segeln und 772 qm an den Wind. Ihr Großmast erhob sich 41 Meter über das Meer. Die schonergetakelten Arbeitsboote zur Fischerei auf der Neufundlandbank waren in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts mit 25 Metern etwas länger als „Coronet“s waagerecht hinter dem Großmast über das Heck ragende Segelstange, ihr Großbaum. 65.000 US Dollar, das entspricht rund dreieinhalb Millionen Schweizer Franken, war das Flaggschiff des New York Yacht Club ihrem Besteller wert. Der Schmierstoffhändler kleckerte nicht, er klotzte. Wie damals üblich, hatte der Eigner einen eigens angestellten Kapitän mit Bauaufsicht und Schiffsführung beauftragt. Wie Alfred F. Loomis 1936 in „Ocean Racing. The Great Blue-Water Yacht Races 1866-1935“ berichtet, soll Bush mit den Bezeichnungen der Segel seines stattlichen Schoners in keiner Weise vertraut gewesen sein. Für die Kleinigkeit des Betriebs seines Schiffes hatte Bush erfahrene Leute. Kapitän Christopher S. Crosby scheuchte eine 25-köpfige Mannschaft über Deck und in die Masten. Wer wirklich konnte, ließ segeln und zahlte für den Spaß. Der Eigner guckte zu oder schlug bei Langstreckenregatten in der Zeitung nach, wie sich sein Schiff geschlagen hatte. Am 17. August 1885 lief „Coronet“ vom Stapel. Sie war für flotte Reisen über große Distanzen vorgesehen. So führte sie ihre Jungfernfahrt gleich über den Atlantik. Familie Bush verlebte den Sommer in England. In die Staaten zurückgekehrt, steckte Bush nochmals 35.000 Dollar in sein Krönchen. Regatten entstanden damals in „Sweepstake“ Manier, einer Art Pferdetoto, wo ein Schiffseigner behauptete, sein Schiff sei das schnellste. Bush setzte 10.000 Dollar, rund 354.000 Schweizer Franken, auf den Sieg seines Schiffs. Er mußte nicht lange warten. Die Wette wurde von Caldwell H. Colt, Sohn des Revolver Erfinders und Schießeisenfabrikanten Samuel Colt, mit seinem 38 m Schoner „Dauntless“ (zu deutsch: die „Unerschrockene“) angenommen. So kam damals das dritte Atlantikrennen der Segelgeschichte zustande. Den Spaß dachte sich ein kleiner Zirkel abenteuerlustig gestimmter Herrensegler nach dem Dinner daheim, oder vor dem Kamin im Rauchsalon des NYYC mit einer schönen Corona, Montechristo oder Partagas zwischen den Lippen aus. Ihre bezahlten Crews mit der Größe zweier Fußballmannschaften mußten die Sache dann sprichwörtlich zwischen dem amerikanischen Sandy Hook und Kap Lizard im Südwesten Englands ausbaden. Beim ersten Atlantikrennen 1866 – es wurde zwischen „Fleetwing“, „Vesta“ und „Henrietta“ ausgerechnet im Dezember ausgetragen – wurden sechs Mann von Bord gespült. Jeder der zahlungsfähigen Eigner hatte 30.000 Dollar auf den Tisch gelegt. So konnte der Sieger die schöne Summe von 90.000 (3,2 Millionen Franken) einstecken und sich von dem Gewinn ein komplett neues Schiff kaufen. Einen Kajütaufbau trugen „Coronet“s Decksplanken aus dem weichen Holz der Weißtanne nicht, nur zwei raffiniert geschwungen getischlerte Niedergänge. Dazwischen folgten in Mittschiffslinie fünf elegant gerundete Oberlichter aus glänzend lackiertem Mahagoni mit beidseitigen Sitzgelegenheiten im Stil kommoder Parkbänke. Auf dem leicht geneigten Deck konnte man bequem darauf sitzen und in die Sonne blinzeln. Ganz vorn unter der Spritzkappe zwischen Ankerwinde und Fockmast begann oder endete die Schicht der Berufssegler. Auf der Poop am anderen Ende des Schiffes ließen es sich die Segler aus Berufung in Decksstühlen sitzend in Decken eingewickelt wohl sein. Mittschiffs, wo bei den Segelfrachtern und Fischerschonern der Laderaum eingelassen war, befanden sich „Coronet“s Eigner- und Gästekajüten. Eine Marmortreppe führte den Eigner, seine Freunde und den Kapitän in eine mit kubanischem Mahagoni vertäfelte Wohnwelt im Stil eines viktorianischen Grandhotels. Deren Ausstattung ließ das Leben auf See vergessen. Ein Kamin bot behagliche Wärme, das Piano sorgte für Stimmung. Aufwendig geschliffene Spiegel, Türen mit eingesetzten Glasfenstern und farbige Kronleuchter, deren schimmernde Emaillierung im aufwendigen Cloisonné oder Zellschmelzverfahren entstanden war, hingen unter der Kassettendecke. Die Beleuchtung erfolgte mit Kerosin. Eine Flügeltür öffnete zum Speisezimmer, dessen Köstlichkeiten aus der Küche im Vorschiff serviert wurden. Der Flur mittschiffs zu den Eigner- und Gästekabinen sowie Bushs Reisebibliothek führte in einem eleganten Oval um den wuchtigen Sockel des Großmasts herum. Geschnitzte Pflanzenmotive zierten die Mahagoniwände in Schulterhöhe. „Coronets“ Interieur mußte sich hinter der Lobby des Ritz nicht verstecken. Damit des Schmierstoffhändlers Wette auch publik würde, lud Bush einige Reporter zu einer kernigen Dienstreise ein. Keine einzige Gesellschaft in den Staaten war bereit, dem Gesuch der Mitsegler zum Abschluß einer Lebensversicherung zu entsprechen. So empfahl „Coronet“ Schiffer Crosby den Journalisten, vor dem Auslaufen noch rasch ihren eigenen Nachruf zu texten. Schreiben könnten sie doch ganz gut. Damit das transatlantische Schonertoto flott über die Bühne gehen würde, hatten die Herren die Veranstaltung ins windreiche Frühjahr gelegt. Dann brausen die Tiefs so sicher über das Nordmeer, wie das Amen in der Kirche. Am 12. März wurden die Gaffeln hochgehieft, Toppsegel vorgeheisst und die Vorsegel dichtgeholt. Generös ließ „Dauntless“ Schiffer Samuels dem Kollegen Crosby sechshundert Meter Vorsprung. Samuels war sich gewiss, „Coronet“ bereits bei Sandy Hook querab und die Nerven der Mannschaft blank gesegelt zu haben. Am dritten Tag wurde die Wette bei orkanähnlichen Verhältnissen im Nordatlantik fortgesetzt. Crosby erklärte den Reportern in die aschfahlen bis grünen Gesichter, normalerweise würde bei solchen Bedingungen ja beigedreht. Da man sich allerdings in einer Wettfahrt befinde, ginge es mit reduzierter Beseglung weiter. Die 1887 auf „Coronet“ gemachten Aufnahmen gelten als die ersten Fotografien, die je an Bord einer Yacht entstanden. Unterwegs freigelassene Brieftauben sollten an Land über den Verlauf des Schonerduells berichten. Tatsächlich landete ein Vogel etwas zerzaust auf dem Giebel eines Hotels in North Carolina. Vierzehn Tage und neunzehn Stunden seit dem Auspacken der Segel ließ Kapitän Crosby vor dem irischen Cork zufrieden die Ankerkette über die Spillköpfe rasseln. Erleichtert wurden im Salon die Cloisonné Kronleuchter losgebunden. Dreißig Stunden später schleppte sich die havarierte „Dauntless“ im Süden Irlands in den Hafen. Die Logbücher berichten von einer Serie schwerer Stürme auf dem Nordatlantik, einschließlich einer der gefürchteten, abrupten 100 Grad Winddrehungen, die das Meer zum Hexenkessel machen. Colt junior hatte eine Baustelle – die Schmach des zweiten Platzes und mußte auch noch einen zehntausend Dollar Scheck ausstellen. Am 28. März 1887 befasste sich die New York Times auf ihrer gesamten Titelseite mit „Coronets“ Sieg. Das gefiel dem Ölhändler in Columbia Heights mitten im piekfeinen Brooklyn. Er packte die Gelegenheit beim Schopf und bot „Coronet“ prompt für 150.000 Dollar an. Ein Kaufmann wie Bush Geld gab Geld nicht für eine schöne Sache um ihrer selbst willen aus. Allerdings entschied sich niemand zum Kauf des schnellen Schoners. So beschloss Bush, in Begleitung einiger Freunde 88-89 dann noch mal selbst auf Reisen zu gehen. Er schätzte das Abenteuer: mit allem Komfort versteht sich, den ein 40 Meter Renner damals bieten konnte. Einen Motor, geschweige denn Strom gab es an Bord nicht. Dennoch mussten die Herrschaften auf See nicht auf den Komfort fließend warmen Wassers verzichten: Per Wärmetauscher aus einem im Bug von der Mannschaft versorgten Kohlenofen gespeist, floss es passend temperiert aus einem hoch gelegenen Tank in die Waschbecken und Badewannen der Eigner- und Gästekajüten. Die Polster der linken Schiffsseite waren mit rotem Samt, der Backbordfarbe, bezogen, die Kabinen an Steuerbord machten in grüner Ausstattung einen schiffigen Eindruck. So wußte Bush beim Aufwachen augenblicklich, auf welcher Seite er ruhte. Neben dem Genuß, sein Schiff als erster im Hafen anbinden zu lassen, schätzte Bush auch seglerische Premieren wie die erste Umsegelung Kap Horns durch eine Yacht zu einer Zeit, wo sich in solch’ südliche Breiten niemand freiwillig, allenfalls mit der Hoffnung auf große Rendite des riskierten Kapitals und eingesetzten Lebens wagte. Natürlich segelte Bush nicht persönlich um Südamerika auf der problematischen Ost-Westroute herum. Er ließ überführen. Bush buchte einen Pullman nach Kalifornien und wartete im sonnigen San Diego die Ankunft seiner Yacht ab. Als der New Yorker Industrielle einige Monate später in Japan festmachte, ließ sich Kaiser Mutsuhito in seiner Eigenschaft als Meiji, „erleuchteter Regent“, persönlich an Bord blicken. Es soll, so die Legende, das einzige Mal gewesen sein, daß Tenno seinen Palast verließ. Fünf Jahre nach ihrem Stapellauf übernahm Arthur E. Bateman die Yacht für ein Jahr, um sich Europa und das Mittelmeer aus der schönsten Perspektive, von Bord, anzugucken. Ihr vierter Eigner, Kommodore Arthur Curtiss James, lebte im vornehmen Newport des Bundesstaats Rhode Island, damals schon die Goldküste der Vereinigten Staaten. 1894 lud er den Erfinder des Telefons, Alexander Graham Bell zu einem Ausflug zu den Bras D’Or Seen im Norden der kanadischen Halbinsel Nova Scotia ein. Der Gast hatte sich einige Jahre zuvor mit seiner Bell Company im renditeträchtigen Kommunikationsmarkt selbständig gemacht. Dann hatte der Kommodore die Muße, eine Delegation von Wissenschaftlern des Amherst College zu einer Pazifikrundfahrt einzuladen, deren Höhepunkt die Beobachtung und Fotografie einer totalen Sonnenfinsternis sein sollte. Der Panamakanal wurde noch gegraben. Deshalb führte „Coronet“s Kurs wieder ganz unten auf schwierigem Ost-West Kurs um Feuerland herum in den Stillen Ozean. Dummerweise war auf der anderen Seite des Pazifik gerade bedeckt, sodass das Spektakel am 9. August 1896 ungesehen über den Wolken des kleinen nordjapanischen Fischerdorfes Esashi stattfand, wie Mabel Loomis Todd in „Corona and Coronet“ 1899, einer Schilderung der 84.000 Kilometer langen Amhearst Exkursion berichtet. Zum Schutz vor ungebetenem Besuch auf hoher See standen zwei 450 pfündige Kanonen auf dem Achterdeck hinter der Reling aus gedrechseltem Teak. Sichtbar bewaffnet konnte „Coronet“ getrost die Leinen zu einer privaten Karibikkreuzfahrt zum Jahreswechsel 98/99 loswerfen. Private Fernreisen durch das unübersichtliche Archipel der klippen- strömungs- und windreichen Antillen hatten vor hundert Jahren noch Expeditionscharakter. Es war weniger eine Frage, wie erholt, vielmehr, wie geschröpft und ob man überhaupt zurückkam. 1905 endete „Coronet“s abwechslungsreiche 20-jährige Karriere als Regattayacht und Langstreckensegler in privater Hand. Das respektable Logbuch und die solide Bauweise überzeugte eine konfessionslose Missionsgemeinschaft namens „The Kingdom“ 1905 zur Übernahme des Schiffes. Bis 1911 segelte „Coronet“ nochmals um die Welt, jetzt das vierte Mal um Kap Horn. Allerdings nicht mehr als Pläsier begüterter Lustschiffer des New York Yacht Club, sondern zur Verbreitung des Evangeliums. Anfang der 30er Jahre inventarisierte das namhafte Washingtoner Smithsonian Institut das stilistisch und zeitgeschichtlich bedeutende Kulturgut eingehend. Schleichend, doch unübersehbar geriet „Coronet“ seit den 50er Jahren zum immobilen Inventar des Hafens von Gloucester, Massachusetts. „Jeder an der Küste hier wusste von „Coronet“ und hörte gerüchteweise von ihrer großen Vergangenheit,“ erinnert sich Elisabeth Ernst Meyer in ihrer Eigenschaft als Präsidentin der fünf Jahre alten „International Yacht Restoration School“ in Newport. Längst hatten Tom Benson, Leiter des Newportschen Museum of Yachting und Yachtillustrator John Mecray aus dem nahegelegenen Jamestown ein Auge auf die gammelnde Hulk geworfen. Sie verfielen sprichwörtlich der Idee, das morsche Gebälk wieder in den großartigen Schoner vergangener Zeiten zu verwandeln. Nach langwierigen Verhandlungen mit der Missionsgemeinschaft, die Mitglieder von „The Kingdom“ hofften immer noch auf eine großzügige Spende zur Instandsetzung ihres Missionsseglers, bekam die frisch gegründete „International Yacht Restoration School“ (IYRS) „Coronet“ geschenkt. Jetzt liegt das neue Flaggschiff der Yachtrestaurationsschule in beklagenswertem Zustand im Zentrum des nordamerikanischen Seglermekka Newport. Äußerlich ein Wrack, hat „Coronet“ den Charme eines Schrebergartens. Ein unförmiger Holzverschlag steht auf dem Achterdeck. Das Heck hängt durch. Die lecken Decksplanken sind notdürftig mit Plastikplane abgedeckt. Von der schieren Größe und Geschichte des Renn- und späteren Missionsseglers einmal abgesehen, bleibt vom Steg aus unverständlich, warum die rotte Hulk mit den groben, nicht besonders hübschen Linien früher Yachten erhalten werden soll. Dann führt Bootsmann William „Skip“ Babcock zwischen den beiden, ‘47 von der Missionsgemeinschaft in den einstigen Salon gehieften Schiffsdieseln vorbei in das frühere Speisezimmer. Unter Deck ist der alte Schoner eine Sensation: praktisch alles ist wie 1885 in Brooklyn für den Ölhändler getischlert, gehobelt und gebeizt noch da. Spiegel, raffiniert geschliffene gläserne Fensterscheiben, Intarsien, die geschnitzte Vertäfelung der Wände überstanden knochenhart gesegelte Ozeanregatten, zwei Weltumsegelungen und vier Kap Horn Passagen. Mit einem langstieligen Schraubenzieher hebelt Babcock ein Inspektionsluk zur zwei Meter tiefen Bilge hoch und leuchtet in den muffenden Schiffskeller. Die gesamte Bordwand ist mittschiffs vom Kiel bis unter die Bodenbretter mit gußeisernem Innenballast aus vermutlich hunderten, bislang ungezählten Blöcken belegt. Mit ihrem T-förmigen Profil liegen sie Stoß an Stoß auf den wuchtigen 20 x 20 Zentimeter dicken Eichenspanten längs im Schiff. So blieben ein, zwei Handbreit Luft zwischen dem Eisen und der Beplankung. Die Schiffbauer in Brooklyn hatten an „Coronets“ Zukunft gedacht. Auch 115 Jahre seit dem Stapellauf rottet der Poillon Werftbau innen nicht. Übrigens sind die Eisenbarren das einzige Metall im gesamten Bootskörper. Wie ein Fachwerkhaus ist der große Zweimaster aus Hartholznägeln (der Robinie oder anderen wurzelnah feuchten und entsprechend belastbaren Hölzern) zusammengesteckt. Damit die Hartholznägel unterwegs nicht herausrutschen, wurden sie mit zusätzlich eingeschlagenen Keilen aus Eiche gesichert. Der große Gerbsäureanteil der im Schiff stehenden Rippen aus Weißeiche hätte die Korrosion von Eisennägeln oder Metallschrauben beschleunigt und rasch Rostpulver in den Löchern hinterlassen. „Coronet“ wäre bereits nach wenigen Jahren mit schrecklichen Folgen auf See auseinander geraten. Außen auf dem Spantgerippe des Schoners sitzen zehn Zentimeter dicke Planken aus dem Holz der langblättrigen gelben Pitchpine, wie einst im Süden der USA in großen astarmen Längen zu bekommen. Dank seines großen Harzgehalts konserviert es sich selbst. Im besonders beanspruchten Mittschiffsbereich ist „Coronet“ innen nochmals mit 13 Zentimeter dicken Planken des gleichen Holzes in Längsrichtung ausgesteift – und thermoakustisch bestens isoliert. Der Hohlraum zwischen den Spanten wahrte die erforderliche Luftzirkulation im Gebälk. Die Entlüftung erfolgt durch raffiniert mit Kunstschnitzerei vergitterte Öffnungen unter der Decke der Kajüten. Die Hohlräume des Schiffskellers und des Vorschiffs sind mit Teer konserviert. Selbst die Mannschaftskajüte im Vorschiff mit den klappbaren, übereinander an der Bordwand hängenden Kojenrahmen aus gebogenem Rohrmaterial ist weitgehend im Originalzustand von Anno 1885 erhalten. Sie dokumentiert die bewährte, nüchterne Ausstattung der Sammelunterkünfte, wie damals an Bord der Renn- und Fischerschoner der Neufundlandbänke üblich. Abgesehen vom Frevel der artfremden Motorisierung haben die Missionare „Coronet“ neunzig Jahre so gelassen, wie anno 1905 vom letzten privaten Besitzer Louis Bossert übernommen. Keine Abfolge solventer, modernisierungswütiger Eigner samt Ehefrauen oder Freundinnen hätte das geschafft. Wer Geld hat kümmert sich weniger um die historische Substanz seines Besitzes als dessen zeitgemäße, bequeme Nutzung. So wurde das Krönchen des New Yorker Ölhändlers zur Zeitmaschine der Segelgeschichte.

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Sylter Schlagzeilen

Wie auf der beliebten Insel die Auswüchse der modernen Industriegesellschaft deutlich werden. Was erreicht wurde, wer bremste und damit welche Maßnahmen verhindert hat. Bis zum Sommer 1988 war auf Sylt die Welt noch in Ordnung. Die übliche Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Showbusiness gab sich ihr alljährliches Stelldichein. Zwischen Gogärtchen und Ellenbogen tummelten sich Hunderttausende von Badegästen am Strand. Die Bädergemeinschaft der Insel freute sich über gewohnte Zuwachsraten. Dann starben die Robben. Zunächst am Strand der Ostseeinsel Anholt, später an der Nordseeküste. Dann auch auf Sylt. Und in den Schlagzeilen standen nicht mehr die Nackten, Schönen und Reichen, sondern Bilder dahinsiechender Meeresbewohner. Der Erklärungsbedarf war groß, und so kam Sylt zu seinem ersten Umweltbeauftragten. Nun war das Image der Insel angekratzt, denn wen kümmerte es schon, dass das Robbensterben nicht – wie die gängige Erklärung lautete – durch den Schadstoffeintrag in die Nordsee ausgelöst wurde, sondern Ergebnis einer eingeschleppten Viruserkrankung war. Doch es dauerte nicht lange, bis neue Horrormeldungen auftauchten: Algenpest an der Nordseeküste; Kentern einer Bohrinsel; durch die Nordsee driftende Pestizidbeutel. Die Nordsee ist nicht nur ein Urlaubsgebiet für die Industrienationen mit einem der interessantesten und empfindlichsten Ökosysteme der Erde, dem Wattenmeer. Sie ist auch Verkehrsweg, Kloake, Mülldeponie, Endlager. Vor dem Hintergrund hat dieses Meer so etwas wie Glück mit „der Insel“ des Jetset. Der erwartet äußerlich intakte Verhältnisse. Umweltprobleme stören empfindlich. Das Publikum könnte sich abwenden. Das Produkt musste nachgebessert werden. Zwar kündigten die Anrainerstaaten seit Mitte der achtzigerJahre regelmäßig entscheidende Maßnahmen zur Entlastung der Nordsee an, Taten lassen sie freilich selten folgen. Die nächste Nordseeschutzkonferenz kommt bestimmt. Wenn das Image flöten geht, wie kann man der Öffentlichkeit klarmachen, dass das Meerwasser an Sylts Stränden vom Salzgehalt abgesehen stets Trinkwasserqualität hatte? Robbenkadaver und Algenschaum passen nun mal nicht zu Trinkwasserwerten. Gute Meßergebnisse sind dann nicht mehr zu vermitteln. Proteste gegen die Metastasen der Wohlstandsgesellschaft haben auf Sylt Tradition. Schon 1971 wurde Klara Enss, vormals Schaspielerin und Inhaberin einer Künstlerpension in Braderup, durch ihren Widerstand gegen das Atlantis-Projekt weithin bekannt: das Bauherrenmodell für einen 3000-Betten- Komplex gigantischen Ausmaßes blieb Westerland erspart. Die von Klara Enss ins Leben gerufene Bürgerbewegung gegen die touristische Überflutung ihrer Heimat, der „Sylter Ratschlag“, fusionierte 1989 mit Naturschutzgemeinschaften und Heimatverbänden und mündete in das „Integrierte Inselschutzkonzept“. Der Vorschlag stammte vom damaligen schleswig-holsteinischen Umweltminister, Bernd Heydemann. Wer die Aktion „Sylt Dosenfrei“ zu Fall brachte Die von Haus aus gutsituierte Sylter Protestbewegung, eine bemerkenswerte Allianz von Privat- und Geschäftsleuten, sollte als Ideenlieferantin in die kommunale Arbeit eingebunden werden. Das ist gelungen. Doch haben die Mitstreiter gelernt, wie schwer es ist, ihre Ziele durchzusetzen. Klara Enss, die zornige alte Dame des Widerstands auf Sylt, hat zwar nicht resigniert, „aber mit 72 Jahren ist es Zeit, die Verantwortung jüngeren Leuten zu übergeben“, sagt sie. Die großen, nicht allein symbolträchtigen Vorhaben waren nicht durchzusetzen. Die Aktion „Sylt Dosenfrei“ scheiterte zunächst an Aldi, entscheidend an der Handelskette Spar. Auf Föhr hatte die Initiative gegen die Weißblechbehälter Erfolg. Wie beim bundesweit eingeführten Dualen System wird auch auf Sylt der Müll grob vorsortiert in gehabter Manier deponiert. So entsorgten auch die Einheimischen ihr schlechtes Gewissen. Dabei wurde auf der Insel eine viel weitergehende Mülltrennung nachgedacht. Bei jährlich rund 2,8 Millionen Übernachtungen und knapp 22.000 Einwohnern – nicht zu vergessen die Tagesgäste – ist es kein Wunder, dass sich das Problem der Müllbeseitigung auf Sylt zugespitzt hat. Die einzige Deponie in Munkmarsch muss voraussichtlich zwischen 1996 und 1998 geschlossen werden. Insider munkeln auch von 1995. Außerdem wurde versäumt, sie zum Grundwasser hin zu versiegeln. Roland Klokkenhoff, Umweltschützer und Experte für Ver- und Entsorgungsprobleme der Insel meint: „Wenn uns Informationen vorenthalten und Gutachten als Verschlußsache behandelt werden, versanden unsere Bemühungen“. Und wie geht’s nun weiter? Nun, „die Deponie gehört dem Kreis Nordfriesland.“ Vorbildlich ist dagegen die Ausstattung der Insel mit Klärwerken. Derzeit werden die letzten Klärstufen nachgerüstet, zum Beispiel zur Phosphatausfällung. So wird der Nährstoffeintrag (ein Mitverursacher der alljährlichen Algenblüte) ins Wasser reduziert. Hier haben die Sylter Kommunen erreicht, was sich im großen Stil auf dem Festland nicht oder nur schleppend durchsetzt. Die Besiedlung ist großes Problem. Die fortschreitende Bebauung Sylts lässt sich weder aufhalten noch mit Hilfe des „Integrierten Inselschutzkonzeptes“ in geregelte Bahnen lenken. Was vom Umweltminister als Instrument zur Steuerung lokalen Geschehens durch Beteiligung verschiedener Interessengruppen gedacht war, frißt sich auch hier im kommunalen Klüngel fest. Klara Enss: „Wir sind der Sand im Getriebe. Ich habe 25 Jahre gekämpft. Doch der Baumboom geht weiter. Er findet nur anders statt. Es wird verdichtet. Nehmen Sie das Lister Kurhaus. Das soll jetzt mit Apartments aufgefüllt werden. Und für das Kurhaus in Hörnum gibt es auch schon Pläne. Es wird mit Apartments umwickelt.“ 300 Betten sind geplant. Jetzt stehen die 600 Hektar des Flugplatzes (noch im Besitz der Bundesliegen- schaft) zur Debatte. „Die Bau- und Immobilienfirmen geben hier endgültig den Ton an“, berichtet Klara Enss, und Roland Klockenhoff ergänzt: „Wir müssen für unsere Insel und die Natur einen Belastungsstopp erreichen. Die Sylter müssen entscheiden: mehr bauen, höhere Gästezahlen oder die Landschaft schützen, die Umwelt entlasten.“ Zusammen mit dem Heimatverein Söl’ring Foriining fordern sie eine Denkpause. Doch fällt denken schwer, wenn das Geld lockt. Und wie steht’s mit dem Trinkwasser? Die Nitratbelastung liegt zwischen 20 und 30 Milligramm pro Liter; EG-weit sind 50 mg/l erlaubt. Kritische Ärzte warnen für Kindernahrung bei Werten, die zehn mg/l übersteigen. Im Grundwasser unter dem Flugplatz und in einem Wenningstedter Brunnen wurden bereits Pestizide nachgewiesen. Beim Naturschutz kommt es vor allem auf die Sicherung der Dünen an, die entscheidend für den Bestand der Insel sind. Deshalb haben die Aktivisten vom „Integrierten Inselschutzkonzept“ sämtliche Pfade durch die Dünen kartographiert und einen Plan zur landschaftsschonenden Lenkung der Besucherströme von einem Ingenieurbüro entwickeln lassen. Das ist ein Meilenstein für den Naturschutz auf Sylt, im Grunde jedoch eine überfällige Maßnahme, denn die Naturschutzgebiete der Insel zählen zu den ältesten Deutschlands. Die Amrumer Odde ist bereits seit Jahrzehnten abgeriegelt. Skeptiker geben zu bedenken, dass der Natur durch die Ausdehnung der Urlaubssaison weit über die Sommermonate hinaus die nötige Ruhe- und Regenerationsphase fehle. Auch der Autoverkehr müsste eingedämmt werden, da die Abgaswerte in „Spitzenzeiten den Status Westerlands als Nordseeheilbad gefährden“. Das allein wäre Grund genug, dieses Reizthema anzupacken. Ein wirksames Konzept zur Reduzierung war jedoch mit den beiden Monopolisten, der Deutschen Bahn und der Sylter Verkehrsgesellschaft, bislang nicht auf den Weg zu bringen. „Nicht daß wir erfolglos waren“, fasst Klara Enss zusammen, „aber ich sehe keine Wende. Die entscheidenden Dinge kriegen wir nicht durch.“ Das gilt auch für die Entlastung des Meeres. Anläßlich der dritten Internationalen Nordseeschutzkonferenz 1990 vereinbarten die Nordsee Anrainerstaaten in Den Haag, den Stickstoffeintrag in die Nordsee binnen fünf Jahren zu halbieren. Bereits 1993 war klar, dass dieses Ziel keinesfalls erreicht wird. Dennoch gibt es kleine Erfolge. „Nur nutzt es wenig, wenn der Gewässerschutz nur sektoral betrieben wird“, warnt Karsten Reise von der Sylter Niederlassung der Biologischen Anstalt Helgoland in List. „Denn bisher haben Nährstoffeintrag und die Belastung der Nordsee mit Schwermetallen einen bestimmten Level ergeben, auf den sich das Ökosystem eingestellt hat. Es ist schwer, die einander überlagernden, sich gegenseitig maskierenden Effekte zu verstehen und abzusehen, was passiert, wenn der eine oder andere Eintrag in die Nordsee plötzlich zurückgeführt wird.“ Vermutlich würde eine prompte Minderung der Nährstoffzufuhr in die Nordsee bei einem konstanten Zufluß von Schwermetallen zu einer Vergiftung der Meeresbewohner führen, weil sich die eingeleiteten Gifte dann auf weniger Biomasse verteilen. So treiben nicht nur die Algen in der Nordsee, sondern auch die Diskussion um den Gewässerschutz bizarre Blüten Die größten Probleme, die Überdüngung des Meeres und die Luftverschmutzung, wurden durch die Anrainerstaaten überhaupt nicht gelöst oder mit eher symbolischen Maßnahmen (Beispiel: Katalysator) übergangen. Unterdessen verschärft sich der Uberlebenskampf in der Nordsee. 43 Tierarten sind bereits aus ihrem Lebensraum verschwunden. Das große Fressen zu Wasser, zu Land und in der Luft hat begonnen. Die Seeschwalbe ist von der Möwe verdrängt. Noch vor wenigen Jahren zählte die Pfeffermuschel zu den Bewohnern des Watts; jetzt sind ihre Schalen für Muschelsucher ein seltener Fund. Andere Muscheln, Wattwürmer und Krebse weichen der wuchernden Grünalge. Zonen komplett sauerstofffreien, abgestorbenen Meeresgrundes breiten sich aus. „Es gibt zwei Fetische“, sagt Roland Klockenhoff, „die kriegen wir aus unseren Köpfen nicht raus: den Investor und das Wachstum.“ Wie kann sich auf dem europäischen Festland etwas bewegen, wenn es im kleinen, auf einer Insel mit knapp 22000 Einwohnern, derart schleppend vorwärtsgeht? Merian Heft Sylt, Amrum, Föhr

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Yacht Couturier German Frers

Der argentinische Yachtkonstrukteur German Frers gilt als Ästhet der Branche. Ein Blick in die Welt gediegener Cruiser-Racer, aufgeräumter Decks und funktional schlichter Kajütaufbauten. Text Erdmann Braschos Mitten im stilbewussten Mailand gleich neben dem Modeviertel, wo die Kreationen von Armani, Krizia, Valentino oder Versace entstehen, hat der ArgentinierGerman Frers, der Couturier der Yachten seine europäische Niederlassung. Die Namen seiner Auftraggeber lesen sich wie das who is who des Jet- und Sailsets. Agnelli, Prada-Boss Patrizio Bertelli oder Netscape Navigator Jim Clark. Autofabrikanten, Mode- und Immobilienkaufleute, Reeder oder Matadore der IT-Branche, die ihre Zeit auf dem Wasser in seglerisch reizvollen und ansehnlichen Booten verbringen, lassen ihre Segelträume von Frers massschneidern. Die Namen seiner Auftraggeber lesen sich wie das who is who des Jet- und Sailset. Agnelli, Prada-Boss Patrizio Bertelli oder Netscape Navigator Jim Clark. Autofabrikanten, Mode- und Immobilienkaufleute, Reeder oder Matadore der IT-Branche verbringen ihre Zeit auf dem Wasser mit seglerisch reizvollen und ansehnlichen Booten verbringen. Sie lassen ihre Segelträume von Frers maßschneidern. An den Wänden grossformatige Schnappschüsse aus der Welt farbenfrohen Grand-Prix-Segelns. Das leuchtend rote Montedison-Werksboot „Il Moro di Venezia“ oder der silberne Amerika-Pokal-Herausforderer „Luna Rossa“ der Prada Challenge vor Auckland. Gelassen gibt der noble Argentinier Einblick in seine Arbeit. Nebenan rückt der 33-jährigo Sohn die Pixel für die nächste Amerika-Pokal-Herausfordorung auf dem Bildschirm zurecht. Er heisst auch German, wird aber in der Branche „Mani“ gerufen. Soeben hat der Junior mit seinem jüngsten Entwurf, der „Amer Sport Ons“ der finnischen Nautor-Werft bei der ersten Etappe des Meeresmarathons um die Welt – dem Volvo Ocean Race -, seine Visitenkarte mit einem zweiten Platz in Kapstadt abgegeben. German Frers‘ Privatkunden erfinden das Segelboot alle paar Jahre neu. Mancher lässt so regelmässig bei Frers zeichnen, dass es scheint, die Konzeption des Segelspielzeugs bereite soviel Freude wie dessen eigentlicher Gebrauch. Andererseits erfüllt sich des Seglers Nirwana frühestens mit dem nächsten Boot. Es ist dann eine Idee besser auf seglerische Vorlieben und familiäre Verhältnisse zugeschnitten und läuft auf gewissen Kursen schneller. Meistens, aber nicht unbedingt wird die Yacht auch grösser. So ersetzte Agnelli vor einige Jahren seinen dunkelblauen 36-Meter-Einmaster „Extra Beat“ durch eine nachtschwarze 28-Meter-Karbonflunder mit dem martialischen Namen „Stealth“. Drei Viertel ihres Gewichts zieht diese Segelspassmaschine in fünf Metern Tiefe durch das Meer. Den Rest, ganze acht Tonnen, sah Frers für das Boot vor. Solch vorteilhafte Gewichtsanordnung beglückt mit hinreissenden Segeleigenschaften, setzt allerdings eine gewisse Kenntnis der technischen Möglichkeiten voraus. Seine Konstruktionen zeichnen sich durch ein klar an der seglerischen Praxis orientiertes Deckslayout aus. Wegweisend für die Branche wurde dies vor einigen Jahren mit der 24 Meter langen Wally 77 „Genie of the Lamp“ umgesetzt. Jetzt sind seine Entwürfe auch stilistisch von gewöhnungsbedürftiger Novität. Frers zeichnet Glattdecker, die derart netto daherkommen, dass der Betrachter vermutet, es handele sich um einen Prototyp, der mangels üblicher Beschläge (Schienen, Rollen, Segelwinden) noch nicht fertig sei. Prototypisch sind seine Konstruktionen durchaus – mittlerweile für die ganze Branche. Denn was Frers zum „Segelmanagement“ oben weglässt, übernehmen im Schiff untergebrachte Schubgestänge. Eines der interessantesten Frers-Features sind die Kajütaufbauten. Als er 1987 für Agnelli die 36-Meter- Megayacht „Extra-Beat“ entwarf, dachte er erstmals über eine minimalistisch flache Form nach, dessen Dach wie beim Coupe von vier Säulen gehalten wird. Bei der 25 Meter langen „Swan 82 RS“, ging er einen Schritt weiter und stülpte eine Hardtop-artige Hutze im New Beetle oder Audi TT Look über das Deck – zum Entsetzen der traditionell gestimmten Fraktion der pfeiferauchenden Salzbuckel. Die Eleganz der Frers-Boote geniesst einen auszeichneten Ruf unter Seglern. Das ist heute, wo vielfältige, einander eigentlich ausschliessende Bedürfnisse an Ausstattung, begrenztem Tiefgang und Segelleistung die Proportionen moderner Yachten unförmig machen, eine Herausforderung. Soeben zeigte Frers seine Vorstellung eines zeitgemässen Küstenkreuzers im kleinen Format mit dem Einsteigermodell „Swan 45“ der angesehenen, von Modekaufmann Leonardo Ferragamo geführten Nautor-Werft. Einfach zu handhaben, zugleich agil wie ein modernes Regattaboot. Man steht im hinten offenen Cockpit dieses Renners hinter dem recht großen Steuerrad wie in einem um ein Drittel verkleinerten Volvo Ocean Racer. Ein interessantes Gefühl. Von Emotionen verstehen Ferragamo und Frers etwas. Dass dieser keine 14 Meter lange Gefühlsgenerator mit 680.000 Euro das Doppelte bis Fünffache handelsüblicher Boote kostet, betrübt zwar eine Klientel, die handwerklich und seglerisch Premium erwartet, wird jedoch in Kauf genommen. Denn die neue „kleine Swan“ sieht gut aus, segelt bestens und stammt von Nautor & Frers. So bleiben Marke und Nimbus in Einklang. Derzeit hat der sechzigjährige Mister Big Boat sechs Segelyachten von 27 bis 46 Metern im Rechner. Mit Yachten dieser Kategorie wird bei den Regatten von Saint-Tropez erfolgreichen gesegelt oder man lässt bei einer Ausfahrt mit Familie und Freunden vor den Iles d’Hyeres die Seele baumeln. Das Mittelmeer unter die flach auslaufonde Heckpartie eines Frersschen Seewasserspielzeugs schmatzen lassen, und sei es bloss zum Baden in der türkis schillernden Bucht von Pampelonne, auf einen Cappuccino in Porto Cervo oder zum Aperitif in Portofino, diese Variante der Dolce Vita bringt den an Zeit und Geld vermögenden Menschen nobel durch den Sommer. Bordmagazin Crosstalk # 12

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Meereselefanten mit Motoryachtkomfort

Wie der toskanische Maschinenbauer und Erfinder Fabrio Perini mit komfortablen und entsprechend großen Motorseglern einen eigenen Markt schuf. Es ist ein eindimensionaler Gesichtspunkt, Schiffe (und deren Eigner) anhand der Mastlänge einzuschätzen. Doch schweift der Blick des Seglers in Hafennähe immer nach oben, zu den Masten. So sieht er gleich wo die dicken Pötte liegen. In Viareggio, dem toskanischen Badeort nordwestlich von Pisa, künden stets mehrere endlos himmelwärts ragende Takelagen von einer Flotte stattlicher Segler. Denn im Zentrum des italienischen Luxusyachtbaues werden die Perini Navi Segler aufgetakelt, gewartet und repariert. Abends künden Großseglerlaternen, wie sie sonst im Topp der „Gorch Fock“ oder „Sea Cloud“ leuchten, von der Masthöhe. Die Mastlänge ist Ausdruck von Macht und Reichtum, symbolisiert Potenz. Doch von dieser Gigantomanie abgesehen geht es bei Luxusyachten um Platz, Komfort, um Rückzugsmöglichkeiten an und unter Deck. Und damit der voluminöse Meereswohnsitz auch noch passabel segelt, braucht er diese riesige Takelage. So werden einige hundert Tonnen Schiff von vielen hundert Quadratmetern Segelfläche an 40, 50 und neuerdings mehr Metern Mast bewegt. Neulich wurde auf der „Salute“ ein 75 Meter Mast errichtet. Anfang der achtziger Jahre dachte der norditalienische Fabrikant Fabio Perini über eine komfortable Segelyacht nach. Als Spezialist für Papiermaschinen konnte sich Perini nebenher einer neuen Aufgabe zuwenden, der Entwicklung seines Traumschiffs für schöne Stunden vor der italienischen Küste. Komfortabel, also groß genug sollte es sein, um die Familie, Freunde und auch mal Geschäftspartner mitzunehmen. Perini dachte an eine 40 Meter Yacht. Da es die Hardware zum Bedienen derart großer Segel durch eine kleine Besatzung damals nicht gab, gründete er ein Ingenieurbüro, Perini Navi. 1984 lief bei einer venezianischen Werft das Traumschiff des Tüftlers vom Stapel, ein eleganter Zweimaster mit kühn geneigtem Bug und traditionellem Yachtheck. Die windschnittigen Aufbauten erinnerten eher an eine Motor- als Segelyacht. Gezeichnet hatte es der auf Regattabahnen ausgewiesene Amerikaner Dick Carter. Das Boot war ein kühner Crossover als alt und neu, amerikanisch groß und mit italienischer Raffinesse gestaltet. Gesegelt wurde das Gefährt aus einem oben offenen Steuerstand mit dahinter angeordneter Polstergarnitur. So ein „unseglerisch“ komfortables Arrangement kannte man von der Flybridge großer Motoryachten. Und wie bei Motoryachten, in Seglerkreisen als „Ginpaläste“ verspottet, saß man abends im Hafen auf dem windgeschützten Achterdeck mit Blick auf die Promenade. Der Laie staunte und die konservative nordeuropäische Segelszene schüttelte sich. Das  eigentliche Novum aber war der Prototyp einer motorisierten Winde im Schiff, welche das eingeholte Seil einem Baukran um eine Trommel aufwickelt. Mit dieser 350 Kilo schweren, selbst stauenden Winsch im Format einer Kühltruhe war der erste Schritt zur automatisierten Segelyacht mit diskreten Helfern getan. Der Apparat wurde hydraulisch bewegt und pneumatisch gesteuert. Zwar funktionierte die Sache im Prinzip, doch steckte der Teufel im Detail. Denn die selbst stauende Perini Winsch war unregelmäßigem Zug ausgesetzt, von ganz lose, über rucken eines flatternden Segels bis hin zu zerstörerisch großer Last. Sie musste bei verschiedenen Neigungswinkeln des Bootes funktionieren. Auch wurde damals noch mit Drahtschoten gesegelt, einer fingerdicken Ware, wie sie die meisten Segler vom Travellift zum Aus- und Einwassern von Yachten in der Marina kennen. Drittens musste die Perini Winsch fehlbedienungssicher werden. Denn im Unterschied  zum Kranführer drückt der Freizeitsegler spaßeshalber Knöpfe und neigt Joystickhebel in der Annahme, dass alles hält. Bald ersetzte Perini die gefährlichen Drahtschoten durch angenehmeres Tauwerk aus Kevlar und Spectra. Die Sensoren und Überwachungsmechanismen zur Steuerung des Wickelmechanismus und Abschalten bei den gefürchteten Überläufern (sie können eine Yacht im Sturm gefährden), zum automatischen Stopp bei Fehlbedienung und Überlastung entwickelte Perini Navi rasch selbst. Welche dynamischen Lasten an Bord einer großen Yacht in bewegter See entstehen, lernte die Werft anhand eingebauter Segelfahrtenschreiber. Ein Tüftler, der die technisch anspruchsvolle Papierverarbeitung auf schnell laufenden Maschinen beherrscht, bekommt auch das semiautomatische Segelmanagement in den Griff. So wurde aus dem privaten Spleen des Fabrikanten, dem Ingenieurbüro, dem Winschprototypen und „Aleta“ nach Beteiligungen bei verschiedenen Bootsbauadressen in den 80er Jahren schließlich jene Werft in Viareggio, wo die großen Pötte heute geradezu in Serie entstehen. Da der Stratege weiß, dass Millionäre ungern warten, finanziert Perini die Rohbauten und damit ein Drittel des gesamten Schiffes einfach vor. So konnte die Werft die Schiffe quasi auf Vorrat schweißen und hatte immer ein oder zwei Kaskos zur Ansicht und Vereinbarung des individuellen Innenausbaues bis zur nächsten Segelsaison in der Halle. Dieses sonst bei Motoryachten mittlerer Größe übliche Kalkül ging für die Perini Werft die vergangenen Jahrzehnte immer auf. Im Nischenmarkt sehr großer Segelyachten ist es einmalig. 1987 gründete Perini im türkischen Tuzla eine Tochter zur Fertigung der Rohbauten (zunächst in Stahl, neuerdings Aluminium), die bis heute am ligurischen Meer zu den Perini Yachten veredelt werden. Skeptiker, die meinen, die türkischen Metallbauer seien als Billigheimer nur zu kruden Erzeugnissen fähig, sind spätestens seit der viel beachteten „Maltese Falcon“ eines besseren belehrt. Dieser 88 Meter lange, über tausend Tonnen schwere Dreimaster mit 2.400 Quadratmetern Tuch an freistehenden Masten entstand der Größe halber komplett in der Türkei. Das Schiff mit dem konzeptionell interessanten, technisch anspruchsvollen Dynarigg (siehe FAS vom 6.8.06, FAZ vom 15.8.06) ließ die Kritiker verstummen. Denn Skepsis und Spott gegenüber den Perini Navi Yachten war in Seglerkreisen groß. Da berichtete ein namhafter Yachtkonstrukteur Anfang der 90er Jahre erschüttert, die Werft müsste die fertigen Boote in Unkenntnis der Gewichtsverhältnisse erst probehalber in Viareggio zu Wasser lassen werden, damit die Maler wüssten, wo die Wasserlinie anzubringen ist. Ein Kompass Kompensierer verließ einmal in den Staaten Mitte der 90er Jahre erschüttert eine Perini Yacht, weil sie sich angeblich nicht genau geradeaus steuern ließ. Und in der Straße von Gibraltar soll eine schwere Böe einen dieser Panorama-verglasten Meereselefanten mit den Masten fast ganz bis aufs Wasser gedrückt haben, weil die Schotautomaten nicht locker ließen. Sicher ist, dass Fabio Perini, seine Ingenieure und Yachtbauer binnen drei Jahrzehnten einen respektablen Kurs im Superyachtbau zurück gelegt haben. An die 50 Prozent Marktanteil bei den sehr großen Segelyachten weltweit, Kunden die wiederholt Perini Yachten kaufen, prominente Eigner wie der kalifornische Risikokapitalist Thomas Perkins  („Andromeda la Dea“, gefolgt von „Maltese Falcon“), die Medienkaufleute Rupert Murdoch („Rosehearty“) oder Silvio Berlusconi kaufen keine Gurken. Für den Genießer, der gern ohne störende Motorengeräusche und lästige Vibrationen mit allem erdenklichen Komfort durch‘s Mittelmeer pflügt, ist eine Perini Yacht richtig. Heute, wo große Motoryachten mit verschwenderischem Treibstoffkonsum nicht mehr zeitgemäß sind, die Branche fieberhaft über umweltverträgliche Antriebe, Rumpfformen bis hin zu cleveren Nutzungsarten der Schiffe nachdenkt, ist der mit reichlich Pferdestärken ausgestattete Perini Motorsegler als ausgereiftes „Hybrid“boot zur Nutzung des kostenlos vorhandenen Windes ausgereift. Die Maschine und Generatoren werden bei Flaute, für Hafenmanöver und zur Stromversorgung gebraucht. Aus den schwerfälligen, für die üblichen Leichtwindbedingungen im Mittelmeer untertakelten Motorseglern wurden zeitgemäß Ketsch- und neuerdings auch einmastig getakelte Blauwasseryachten. Und wie segelt sich so etwas? Also, es ist ein abstraktes Vergnügen, auf der Flybridge hinter dem Steuerpult mit den Joysticks einige Meter über dem Wasser durch das ligurische Meer zu pflügen. Wie bei der Modelleisenbahn braucht der Besucher eine Weile zum Verständnis, dass hier keinesfalls per Hand einzugreifen, alles per Fernbedienung in die Wege zu leiten ist, und zwar nicht bloß beim Bugstrahlruder, wie es ja heute schon normalgroße Yachten haben. Den gesamte Segeltrimm wird ziemlich weit vorn und oben leise surrend ausgeführt. Eine aktuelle 56 Meter Perini Ketsch ist mit einem Dutzend selbststauender Winschautomaten, fünf herkömmlichen unter Deck versteckten Motorwinschen, zwei an Deck sichtbaren und zwei Winschen zum Vertäuen des Hecks unterwegs. Natürlich ist wie beim veritablen Dampfer mit mehrerer hundert Tonnen unter den Füßen ein gewisser Kümoeffekt nicht kleinzureden. Wer wie gewohnt sportlich segeln und dabei mal nass werden möchte, kann ja ein flottes kleines Wassersportgerät auf dem geräumigen Meereszweitwohnsitz mitnehmen. Oder er steuert die windreiche Costa Smeralda  an. Da ist der Eigner bei der Regatta der Perini Navi Yachten mit einer stattlichen Flotte Meereselefanten unter seinesgleichen und es gibt am späten Nachmittag im Hafen Gelegenheit für diesen zugegeben etwas eindimensionalen Mastlängenvergleich. Da begegnet man auch Fabio Perini, einen leise redenden, gelassenen Selfmademan, der es gewohnt ist, heute die Entscheidungen für Übermorgen zu treffen, weil die für Morgen schon getroffen sind. Neulich ließ die Werft die 50. Perini Yacht in Viareggio vom Stapel. Demnächst werden die endlos langen Masten mit den Großseglerlaternen im Top errichtet.

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Der aparte Anachronismus

1907 in Schweden erfunden, in den Zwanzigerjahren in Deutschland eingeführt, ist der Dreißig Quadratmeter Schärenkreuzer seit den Fünfzigerjahren der Evergreen süddeutscher Seen. Längst gilt das Segelboot als schwimmendes Wochenendhaus, wo man mit daheim vertrauten Annehmlichkeiten an Bord Abstand vom Alltag findet. Bereits auf einem kleinen bis mittelgroßen Touren- und Familienurlaubsboot kann man kochen, essen, duschen und schlafen, neuerdings sogar Fernsehen oder im Internet surfen. Da das moderne Freizeitboot zunehmend unter Komfortgesichtspunkten, also von innen nach außen gedacht und gebaut wird, ist es hochbordig, voluminös und achtern etwas breit. Mit jedem von Modellzyklus zu -zyklus zugefügten Zentimeter Bootsbreite und -höhe schwindet allerdings der Kontakt zum Wasser. In der beinahe vergessenen aristokratischen Ära des Segelns gab es eine klare Teilung zwischen Segeln und Landleben. Anfang des 20. Jahrhunderts waren Segelboote Daysailor, wurden wie das Pferd für den Jagdausflug, wie ein Golf-, Hockey- oder Tennisschläger für die konzentrierte Ausübung des Sports benutzt. Zum Faulenzen oder Feiern gab es das Club- oder Sommerhaus an Land. Für Segler, die wissen, dass ein Boot höchstens zwei der vielfältigen, einander oft ausschließenden Erwartungen erfüllen kann, ist der mittlerweile 99 Jahre alte Schärenkreuzer die erste Wahl. Die heute in Süddeutschland beliebte 30 Quadratmeter Klasse ist etwa so lang, wie ein übliches 40 Fuß Kompaktboot. In der Kajüte stehen, Duschen, zu sechst im Salon zu Abend essen lässt sich zwischen den schnittig schlanken, ganze sechzig Zentimeter hohen Planken jedoch nicht. Mit einem Schärenkreuzer kann man nur richtig segeln und sich abends im Club bei einem Glas Wein am Anblick des filigranen Renners erfreuen. Für Christian Dornier beispielsweise, er segelt ein natur lackiertes Holzboot in modern formverleimter Bauweise Baujahr 1993, den Stuttgarter Architekten Professor Joachim Frowein, er hegt und pflegt ein traditionell geplanktes Abeking & Rasmussen Schiff von 1930, den Schauspieler Horst Janson, er studierte an Bord seiner 1928 in Schweden getischlerten Antiquität auf dem Starnberger See manche unterhaltsame Bühnen- und Fernsehrolle ein, oder den süddeutschen Unternehmer Artur Schwörer, der sich am besten im Schlachtgetümmel der Regattabahnen an Bord seiner 1984 getischlerten „Acrissa“ von der Beanspruchung durch die weltweit tätige Peri Gruppe erholt, kommt kein anderes Schiff an die Boje. Bereits in den in den zwanziger Jahren schwärmte der Bootskonstrukteur und Werftinhaber Henry Rasmussen für den “hohen feinfühligen segelsportlichen Genuß“ des Bootes. Abeking & Rasmussen tischlerte damals 52 Schärenkreuzer. Der Stuttgarter Robert Magirus hat eine ganz einfache Erklärung für den Reiz des Renndreißigers: „Er läuft immer. Bei wenig Wind und wenn es bläst. Sie können ihn auch wunderbar einhand segeln wenn gerade niemand von der Crew Zeit hat“. Die Ästhetik des Bootes ist für Magirus „ein innerer Wert. Man spürt ihn zwischen dem umlaufenden Süllrand, Pinne und dem kleinen Mahagonideckshaus“ fasst der alte Hase der Schärenszene sein Seglerglück zusammen. Es gibt keinen zweiten Bootstyp, der mit seinen filigranen Überhängen schwebt wie ein Schärenkreuzer. Fünf mal segelte Magirus mit Dreißigern die „Centomiglia“. 1952 gewann er die berühmte Gardasee Langstreckenregatta als Vorschoter. An der schlichten Finesse des Bootes, dem sensiblen Segelgenuss kann man sich jahre- oder jahrzehntelang erfreuen. So werden viele Schärenkreuzersegler mit ihrem Boot alt. Es werden ziemlich runde Geburtstage, etwa anlässlich des letztjährigen Classic Cups vor Langenargen, gefeiert. Die 80 Jahre alte „Marama“ ist einer der ältesten hiesigen Schärenkreuzer. 190 Exemplare zählt die „Internationale Vereinigung der 30er qm Schärenkreuzer Klasse“ allein hierzulande, in Österreich und der Schweiz, wobei der Schwerpunkt mit 151 registrierten Schiffen in Deutschland liegt. Weitere Flotten existieren übrigens seit den Dreißiger Jahren in Ungarn, Südafrika, in den USA, England und natürlich in Schweden. Seit einer Weile ist die ursprünglich schwedische Konstruktionsklasse in unseren Gewässern de facto eine Eintypklasse. Bei aller ästhetischer Extravaganz und seglerischer Rasanz sollen präzise Bauvorschriften fairen Wassersport sichern. Regatten mit 17 Booten vor Friedrichshafen, 22 und 31 Teilnehmern vor Lindau und Bregenz und 45 Bewerber um die Jahreswertung des Reimers Pokals in vergangenen Jahr künden vom sportlichen Wert. Derzeit entsteht am Bodensee das nächste formverleimte Holzschiff. Neulich hat die Rechner gesteuerte Fünfachsfräse der Hamburgischen Schiffbau Versuchsanstalt eine Form zur günstigen Serienfertigung hergestellt, in der Kunststoffrümpfe in zeitgemäß aufgeheizter und hochwertiger Epoxydharz Bauweise entstehen. Die Geschichte des charmanten Klassikers geht weiter. Dank seiner Breite von 2,18 Metern und dem geringen Gewicht von etwa 2,7 Tonnen lässt sich das Boot problemlos mit einem der heute beliebten SUV oder Geländewagen trailern. In der kommenden Saison werden die schlanken Planken ab 12. Mai vor Friedrichshafen anlässlich der Pokalregatta des Württembergischen Yachtclubs um die Bojen gescheucht. Zu den Höhepunkten zählt die Bodensee Langstrecke „Rund Um“ im Juni, der vor Lindau ausgetragene Peri Cup Mitte September, wo abends ungefähr so gediegen getafelt wie tagsüber gesegelt wird, und die Voiles de Saint Tropez genannte Segelwoche Anfang Oktober. Zu diesem gediegenen Saisonabschluss bringt mancher süddeutsche Segler seinen Klassiker mit und takelt zur fête de la mer noch mal in nobler Gesellschaft auf. Beim alle zwei Jahre abwechselnd in der Heimat der Bootsklasse, den ostschwedischen Schäreninseln und der zweiten Heimat, dem Bodensee, ausgetragenen Europapokal, fochten im August vergangenen Jahres 31 deutsche, englische, französische, österreichische, schwedische und schweizerische Mannschaften vor Bregenz ihre Meisterschaft aus. Zum Leidwesen der Lokalmatadoren mit langjährig verinnerlichten Beziehungen zu den örtlichen Windverhältnissen am Dreiländereck zu Füßen des Pfänder wurden sie ausgerechnet von einem Franzosen an Bord eines brutalstmöglich in Australien laminierten Plastikbootes namens „Pinchgut“ geschlagen. Der Skandal schreit nach seglerischer Satisfaktion, welche die Bayern und Schwaben bestens präpariert in Schweden während des 2008 gefeierten hundertjährigen Geburtstags der Klasse im Heimatland der Schärenkreuzer wahrnehmen werden. Übrigens wurden mehr als 1.200 Schärenkreuzer verschiedener Größen, von der 15 Quadratmeter Klasse bis zum 150er, gebaut. Der populäre 30er ist ein mindestens an Deck, idealerweise komplett aus edlen Hölzern getischlertes Kultobjekt aus glänzend lackiertem Mahagoni mit Teakdeck und kleiner Schlupfkajüte. Wem 100 Tausend Euro für einen Neubau zu teuer sind, gönnt sich eines der acht Gebrauchtboote, welche in der Website der Klassenvereinigung für 20 bis 45 Tausend Euro inseriert sind. Seine Eleganz mit gestreckter, über dem Wasser schwebender Bug- und Heckpartie verdankt das Boot der 1907 in Stockholm verabredeten Schärenkreuzerregel, deren rasante Entwicklung in den zwanziger Jahren mit präzis formulierten Bauvorschriften eingefroren wurde. Hugo Stinnes, Prinz Eitel Friedrich von Preußen oder der Reeder Erich Laeisz machten Schwedens charmanten Beitrag zum Segelsport damals in Deutschland und den Staaten bekannt. Sie setzten in den  zwanziger Jahren so begeistert auf die fashionable Regattaklasse, wie heutige Protagonisten des Segelsport in der Mumm 36 Klasse, Farr 40 oder Transpac 52 um die Bojen brettern. Solange die Mehrheit der Bootskäufer auf dem multioptionalen Kompaktboot – in den Staaten „average white boat“ genannt –  immer mehr unterbringen möchte, ragt das noble Viermann Kielboot als aparter Anachronismus von Modellwechsel zu Modellwechsel deutlicher aus der üblichen Freizeitflotte heraus.

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Cabriolets für die Welle

Die historischen Modelle der Motorbootmarke Riva sind schön, teuer zu unterhalten und eine Anlage mit steigendem Wert. Erst verkaufte er seine erfolgreiche Druckerei, dann stieg er in die Projektierung von Solaranlagen ein und fand eine Beschäftigung, die ihn noch mehr begeistert: Riva-Boote. Günther Martens* aus Nürnberg ist 45 Jahre alt und sammelt sie. Vier Modelle aus der Manufaktur am oberitalienischen Iseosee besitzt er schon. Wann immer er Zeit findet, kümmert er sich um seine Sammlung. 1998 begann es mit einer „Super Aquarama“ aus dem Jahr 1971, 2007 dann eine „Super Ariston“ aus dem gleichen Jahr, anschließend eine „Super Tritone“ und zuletzt 2009 eine „Tritone“ aus den 60er Jahren, die derzeit vom Hamburger Spezialisten Jürgen Renken restauriert wird. Geduld und Liebe sind nötig, wenn ein Eigner eines der Schiffe mit dem typischen Mahagoni-Holz-Rumpf gebraucht kaufen und hüten will. Eine 130 Schiffe starke Flotte dieser Schätze auf dem Wasser trifft sich derzeit in Sarnico bei Bergamo zu den Riva Days unter dem Motto: „170 – 90 – 50“. Vor 170 Jahren legte Pietro Riva mit der Übersiedlung an den Iseosee den Grundstein für die einmalige Werftgeschichte. Vor 90 Jahren wurde Carlo geboren, jener Riva, der die vier Buchstaben zum Begriff für stilvolle Grandezza auf dem Wasser machte. Und vor 50 Jahren wurde der Prototyp des letzten Mahagoni Wasserstraßenkreuzers vom Typ Aquarama in den meist spiegelglatten Iseosee gehoben. Gefeiert wird auch die zufällig wieder entdeckte erste Tritone mit dem Namen „Perlita Too“. Das Boot wurde 1953 mit einem 350 PS starken 12 Zylinder-Motor an einen Hollywood Filmproduzenten in den USA geliefert, verschwand Mitte der siebziger Jahre und wurde nach 14 Jahren zufällig in einem Container in der Nähe von San Francisco entdeckt, restauriert und in das ursprüngliche Schmuckstück zurückverwandelt. Auch das ehemalige Boot von Verleger Axel Springer 1966, ein Exemplar aus der Tritone-Serie mit der Baunummer 258 hatte die Szene schon abgeschrieben, wurde wiederentdeckt und zu erneuter Blüte aufgemöbelt wird in Sarnico präsentiert. Und die fachkundigen Besucher werfen Blicke auf das Gesicht des 90-jährigen Carlo Riva. Er ist es, der die eleganten Kabriolets zum stilsicheren Must Have vermögender Menschen machte. Sein Lächeln beim Betrachten einer restaurierten Schönheit gilt bei den derzeitigen Riva Days als Absolution für Liebhaber, Restauratoren und Eigner. Die Holzboote sind Klassiker der Wirtschaftswunder-Ära, die durch Schauspieler und Lebenskünstler wie Anita Ekberg, Brigitte Bardot, Ira von Fürstenberg, Sophia Loren, Jean-Paul Belmondo, Roger Vadim oder Gunter Sachs berühmt wurden. Die Begeisterung für die Boote, wie sie im Wesentlichen von 1950 bis 70 am norditalienischen Iseosee entstanden, erschließt sich auf den ersten Blick. Es sind charmante Boote, die einst für das maritime dolce vita getischlert wurden. Etwa die Hälfte der insgesamt rund 4300 Kostbarkeiten, die in Sarnico am Iseosee entstanden, existiert noch. Luxus waren sie schon zur Zeit ihrer Entstehung. 1956 kostete eine einmotorige Ariston 19 500 Mark, eine zweistrahlige Tritone 36 000 Mark. Ein Bentley Continental ist damals für 26 500, ein Mercedes 300 SL für 29 000 Mark zu haben. Ihr Zauber erschließt sich auch Laien rasch. Das intarsien artig zusammengefügte maronenbraune Mahagoni mit den funkelnden Chrombeschlägen schmeichelt dem Auge. Die Finger spüren bei der Berührung des Rumpfs, die Finesse mit der die 17 Lackschichten aufgetragen und abschließend poliert wurden. Serie statt Handwerk Dabei beruht das Geheimnis von Rivas Mythos überraschenderweise auf der Modernisierung des Handwerksbetriebs, die Carlo Riva einführte.     Als der 27-jährige Ingenieur 1950 die elterliche Tischlerei mit fünf Mitarbeitern übernahm, wurden wenige Boote im Jahr gefertigt. Später waren es rund 300 Mitarbeiter die jährlich etwa 200 Rivas fertigten. Gegen den erheblichen Widerstand seines Vaters verdoppelt er erst die Preise und ersetzt zudem das Künstlertum des Handwerks durch Serienfertigung. Er lässt Komponenten vorproduzieren. Er verwendet von eigens in einer Tochterfirma entwickeltes wasserfestes Sperrholz für die Bootsböden. Er verklebt in einer Druckluftpresse, die er gemeinsam mit dem Reifenhersteller Pirelli, entwickelt die vorgeformten beiden karosserieartigen Bordwandseitenteile. So treibt Carlo den eigentlich schon obsoleten Holzbootsbau mit überschaubaren Arbeitszeiten und hervorragender Qualität auf die Spitze. Riva strickt bereits Ende der fünfziger Jahre ein weit gespanntes Servicenetz, das seine Kunden nicht allein lässt. Ein Riva-Eigner lässt sein Boot damals schon warten wie der Autofahrer seinen Wagen in die Werkstatt gibt. 1957 überredet Riva einen seiner Kunden, Fürst Rainer von Monaco, den Grimaldi-Palast für eine Riva-Vertragswerkstatt mit Bootslager zu unterkellern. Wie ein gescheiter Wein müssen die edlen Boote schattig und kühl aufbewahrt werden. Der Lack würde sonst welk, das Holz austrocknen und reißen. Riva bestellt 1952 in den USA sechs Chris-Craft Maschinen. Bald werden jährlich mehrere hundert Achtzylinder in seine zunehmend zweimotorigen Schiffe gehoben. Ende der fünfziger Jahre lassen sich Riva Boote in einem Showroom im New Yorker Rockefeller Center bewundern und kaufen wie ein Auto. Voraussetzung für die gepfefferten Preise ist die vom Inhaber unbeirrt verbesserte Qualität und eine termintreue Arbeit. Das frühzeitig vom selbstbewussten Werftinhaber angestoßene Celebrity-Marketing läuft prima. Showgirls, Playboys, Industrielle oder Potentaten mögen keine Probleme. Die wollen mit mächtig grollenden Motoren ablegen und im erfrischenden 25 bis 40 Knoten Tiefflug auf dem Lago, an der Riviera oder Cote d’Azur unbeschwert bis zur nächsten Bucht das Weite suchen. Sammler mit Tick Günther Martens sucht die Nähe zu seinen Schätzen. Denn zusätzlich zu der Begeisterung für die Boote, haben sich seine historischen Modelle als stabile Investition entpuppt. Der Wert seiner ersten Riva hat sich bislang verdoppelt. Dank des guten Zustands, lackschonender Aufbewahrung in einer schattigen wie sicheren Halle im fernen Spanien, sofortiger Versiegelung unvermeidlicher Macken und etwa 14-tägiger Nutzung jährlich war an diesem Flaggschiff beim Kauf wenig zu machen. Das 8,5 m lange, 2,60 Meter breite, und etwa 3 Tonnen schwere Cabriolet mit zwei 320 PS Motoren kostet ihn im Unterhalt „höchstens 10 Tausend Euro im Jahr einschließlich Sprit.“ Die derzeitige Wertsteigerung fängt die Betriebskosten auf, wenn es einmal verkauft werden sollte. „Auch wenn sich im kommenden Jahrzehnt nur eine 30 bis 50-prozentige Wertsteigerung ergeben sollte, bleibt der Spaß kostenneutral“, hofft Martens. Seit Ende der neunziger Jahre ist der Kreis der Liebhaber der „Sophia Loren“ unter den gleitenden Klassikern gewachsen. Mit erfreulichen Folgen für den Wert der bis zu 88 Stundenkilometer schnellen Spritsäufer, die zumindest für den Transport kaum mehr Mühe als ein Wohnwagen bedeuten. Die kleinen, bis zu 6,80 Meter langen und 1,4 Tonnen schweren Modelle wie die Florida, Junior, Olympic oder Ariston lassen sich problemlos auf dem Anhänger von einem PKW ziehen. Für die großen Modelle, die acht m lange und 2,7 Tonnen schwere Tritone und die etwas größere Aquarama ist entweder ein Spediteur oder ein umgebauter Lastwagen gefragt. Als der heutige Eigner der ehemaligen Axel Springer Yacht, der Berliner Verleger Konrad Börries, die im Jahr 1966 ausgelieferte Last Edition des Modells Tritone (dt. Meergott) übernahm, lagerte das Boot auf einem ehemaligen, zum Bootstransporter umgebauten Magirus-LKW der Post. Der 52-jährige Börries mag das Vergnügen mit seinem grollenden Spielzeuglaster mit kreuz und quer durch Europa zu kurven. Langlebiger Nimbus Rivas sind im Prinzip Liebhaberobjekte, bei denen dem anfangs noch besonnenen Neubesitzer schnell die Vernunft abhandenkommt. Doch dank der aktuellen Anziehungskraft luxuriöser Sachwerte, kann sich der fränkische Sammler Martens seine „Rivamania“ kaufmännisch rechtfertigen. Auch Verleger Börries schaut optimistisch auf die Wertentwicklung seiner „Hermes“, die derzeit bei 300 000 Euro liegt. Und Besitzer einer historischen Riva haben einen Vorteil: So wie damals werden keine Schiffe mehr gebaut. 1970 endet die schillernde Ära Carlo Riva mit dem plötzlichen Verkauf der Werft, die danach und bis heute Boote aus pflegeleichtem Kunststoff baut. Von der Qualität und dem clever erhaltenen Riva-Nimbus zehren die stolzen Eigner der eleganten Sportboote bis heute. So wie die Werft, die im Januar diesen Jahres nach ereignisreichen Jahren als Teil der Ferretti Gruppe an den größten chinesischen Baggerproduzenten, die staatlich geführte „Shandong Heavy Industry Group-Weichai Group“ verkauft wurde. *Name geändert     

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Yachtcharter – ein windiges Geschäft

Ein paar Bootsurlaube, flotte Sprüche und schnelle Aquise – fertig ist der Unternehmer in der Yachtcharterbranche. Fertig ist auch der Bootsurlauber – wenn sich das Urlaubsdomizil vor Ort als Seelenverkäufer entpuppt. Türkisfarbene Buchten, azurblauer Himmel, Salz auf den Lippen und Abenteuer voraus: „Wer sagt, dass man Glück nicht kaufen kann?“ lockt die Werbung für den Yachtcharter. Leider löst die Wirklichkeit selten ein, was die Reklame versprochen hat. Zusammengeschusterte Billigschiffe, schlecht ausgerüstet und mangelhaft gewartet, lassen den Traum vom Skipperglück ins Wasser fallen. Das Überangebot von Agenturen und Yachten führt zu Dumpingpreisen, die einen soliden Charterbetrieb nicht zulassen. Mehr und mehr Urlauber werden, unbeschwert von jeglichem Segelwissen, nach amerikanischem Vorbild auf sogenannte Bare Boats, Selbstfahreryachten, gesteckt, obwohl jede Agentur weiß, dass daraus selten ein erholsamer Urlaub wird. Die Folge: Es geht viel kaputt. Die Geschäftsidee „Yachtcharter“ ist seit Anfang der Achtzigerjahre bei abschreibungsfreudigen Unternehmern beliebt. Die Erfahrung beschränkt sich dabei auf den eigenen Bootsurlaub im sonnigen Süden. Schickes Marketing und verkäuferisches Geschick am Telefon ersetzen den nötigen Background. „Jeder kann nebenberuflich Charterreisen verkaufen“, sagt Hans-Jörg Maug, Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Yachtcharterunternehmen. So tummeln sich im deutschsprachigen Raumtummeln rund 400 Anbieter. Ein Großteil davon betreibt die Dienstleistung Abends und am Wochenende zuhause. Aber so schnell, wie die eine Agentur gegründet wird, so stillschweigend verschwinden andere wieder. Und mit ihnen nicht selten 20 bis 50 Prozent Anzahlung, die Kunden Monate vor Törnbeginn überwiesen haben. Nur etwa ein Dutzend Agenturen, so die Einschätzung von Branchenkennern, arbeitet rentabel und professionell genug, um den angebotenen Service durch regelmäßige Besuche der Charterstützpunkte vor Ort zu prüfen. Das erfährt der Kunde dann, wenn er tagelang in irgendeinem Hotel auf „seine“ Charteryacht warten muss, das gebuchte Schiff nicht segelklar ist. Schlechte Wartung, fertige Schiffe Die Konkurrenz drückt die Qualität im Yachtverleih. „Mit den heutigen Charterpreisen kann niemand eine Flotte kaufen, geschweige denn warten oder einen guten Service garantieren“, sagt der Hamburger Vercharterer Knut Hamann. So versuchen Agenturen zunehmend neue Yachten als segelnde Renditeobjekte mit Freizeitwert oder in Form von Timesharing-Modellen an den Eigner zu bringen. Bei den bunten Bildern und den coolen Sprüchen setzt schnell der Verstand aus. Basis der Kalkulation ist, dass die Yacht nach vier Jahren zu wenigstens 50 Prozent des Neupreises verkauft wird. Doch „nur ein Doofer“, so zwei Insider, die selbst Time-sharing-Verträge anbieten, „kauft noch so eine Yacht. Diese Schiffe sind fertig“. Sicher ist nur die Verkaufsprovision des Vermittlers. „Viele große Anbieter“, so Hamann, „gaukeln ihren Kunden Steuerersparnisse und Chartererlöse vor, die sie in den wenigsten Fällen bekommen. Dann haben die Leute aber das Schiff und die Kosten am Bein und nehmen lieber 2.500 Mark pro Woche als nichts.“ Der Unterschied zwischen Auto und Yacht 90 Prozent des Umsatzes machen die Agenturen mit dem Verleih von Selbstfahreryachten, die der Kunde nach Vorkasse und Hinterlegung einer Kaution (zwei- bis viertausend Mark) für eine, zwei oder drei Wochen leiht. Nur sind Yachten nicht so ausgereift wie etwa ein Auto oder ein Wohnmobil. Das liegt an den geringen Stückzahlen. Trotz vieler Verbesserungen und praktischer Ausstattungsdetails, die den Urlaub auf einer modernen Kunststoffyacht gegenüber den ersten GfK-Erzeugnissen der Sechzigerjahre vereinfachen, gibt es störanfällige, nässe- und seewasserempfindliche Technik an Bord. Urlauber oder Bootsklempner? Auf Nummer sicher gehen wollte deshalb Dieter Kempf, Geschäftsführer eines Computerunternehmens in Karlsruhe. Nach einer Enttäuschung mit einer abgesegelten Yacht an der Cote d’Azur (Toiletten defekt, unter den Bodenbrettern schwappende Fäkalien) buchte er eine werftneue Serienyacht vom Typ „Sun Magic 44“. Charterpreis für zwei Wochen: 9300 Mark. Doch anstelle des Sektkübels stand die Werkzeugkiste an Deck. Statt Bacardi machten Maulschlüssel, Sicaflextube, Schlauchschellen und ein Eimer mit öligen Feudeln die Runde. Wie der stinkende Cocktail aus Brackwasser, Gas und Diesel im Schiffskeller zustande kam, blieb Kempf und seiner Crew bis ans Ende der Reise unklar. Ausgiebige Erfahrungen als Schiftsklempner durfte auch der Geschäftsführer der Münchner Holzimportfirma Interholz, Michael Berghofer, machen. „Meine gebuchte Beneteau war fünf Jahre alt, weich, das Deck undicht, die Schotten verzogen, und der ganze Rumpf verwand sich. Unterwegs verabschiedete sich die Propellerwelle, in der Kajüte stand das Wasser knöchelhoch.“ Berghofers Fazit nach zahlreichen Chartertouren im Mittelmeer, in Norwegen und in der Karibik: „Wenn überhaupt noch mal, dann nur mit professionellem Skipper, der die Verantwortung für das Schiff hat, es in Stand hält und sich im Revier auskennt. Da mach‘ ich dann Urlaub.“ Problem Selbstfahreryacht Das Handling eines bare boats verlangt die Beherrschung des nautischen Handwerks. Da das Potential erfahrener Segler für die Anbieter von Charterreisen jedoch ausgeschöpft ist, werden zehn Tonnen schwere Yachten Anfängern anvertraut. „Heute geben wir jedem Hansel, der 300 Meilen für einen Segelschein irgendwie hinter sich gebracht hat, ein Schiff. So gut kann man Yachten gar nicht bauen, wie die kaputtgesegelt werden“, sagt Knut Hamann. Seiner Ansicht nach hängt die Qualität nicht allein von der Güte der Yacht und der Wartung ab, sondern auch davon, dass die Kundschaft die Schiffe nicht zusammenfährt. Dieses „größte Problem der Branche“, so Hamann, sei allabendlich in jedem Hafen des Mittelmeeres zu beobachten, wenn Charterboote mit dem Bug oder Heck gegen Kaimauern krachen, weil das Einparken der Yacht unter Motor bei Seitenwind eine schwierige und selten beherrschte Übung ist. In der Marina der südtürkischen Charterbasis Marmaris, einem Stützpunkt Hunderten von bare boats, erkundigte sich im Frühjahr ein besorgter Familienvater und Skipper einer neun Meter langen Bavaria, „wie man vor der türkischen Küste ankert“. Eine Frage, die für einen Segler etwa so frappierend ist, wie die, ob man auf der Autobahn wenden darf. Gefürchtet sind auch erfahrene Segler. Oft schinden sie die Mietyachten derart, dass die Schiffe nach zweijährigem Chartereinsatz älter aussehen als manche Privatyacht mit 15 Jahren unter dem Kiel. „Ich habe Kunden, die gehen bei Sturm aus dem Hafen raus und segeln bei acht Windstärken gegenan“, weiß Knut Hamann. „Ist doch klar, dass da was kauptt geht.“ Der rasant gestiegene Bedarf an Selbstfahreryachten hat den Bootsbau verändert. Allein von der Sun Magic 44, einem der zur Zeit beliebtesten bare boats, setzte die französische Werft Jeanneau innerhalb von vier Jahren 800 Stück ab. Eine im Yachtbau mittlerer Grösse sensationelle Stückzahl. Statt der aufwändig im Auftrag eines kundigen Eigners gefertigten Yacht lassen die Werften jetzt flott zusammengeschusterte, konfektionierte schwimmende Bettenburgen in Großserie für die Abrufaufträge der Vercharterer vom Stapel: trendig gestylt, mit windschlüpfrigen Decks, Streifen an den Seiten, mal eckigen, mal ovalen Fenstern, doppelten Steuerrädern, grossen Badeplattformen und Instrumententafeln. Auch den Targabügel, ein Zubehör von Sportwagen oder Motorbooten, gibt es neuerdings auf Segelyachten. Dafür werden die Yachten so billig gebaut, dass ihre Rümpfe sich in den Wellen verwinden, das Interieur im Seegang quietscht, sich Türen und Luken verziehen und sich im Hafen nach einem Sturmtag nicht mehr schließen lassen. Durch die Fenster und Decksluken teurer Leihyachten gelangt das Salzwasser tassenweise in Gepäck und Polster. Es sind „Modeartikel, Produkte für die Wegwerfgesellschaft“, meint Ruth Müller von der Charterhanse Hamburg, seit 23 Jahren im Geschäft. Mit einem guten Schiff, beispielsweise einer Baltic oder Swan mittlerer Grösse für 800.000 Mark, „fährt kein Vercharterer die Kosten rein“. Geschickt haben sich Werften wie Jeanneau, Beneteau (Frankreich), Moody (England), X-Yachts, Mön und Bianca (Dänemark) oder Elan (Jugoslawien) auf die Nachfrage des Chartermarkts eingestellt. Dem bequemen Bordleben zuliebe haben vor allem die Franzosen die Gestaltung der Yacht konsequent zum pflegeleichten Gebrauchsgegenstand vorangetrieben. So zeigten sie dem traditionellen skandinavischen Bootsbau, wie eine perfekt gestaltete, dem Sanitärraum im Flugzeug nachempfundene Naßzelle aussieht. Statt Stückwerk aus angeleimten Holzbrettchen und Blenden mit unzähligen Schmutzecken bauen sie Wasch- und Toilettenraum aus einem Guss. Der handwerklich Standard soliden Bootsbaus geht dabei leichtfertig und kostensparend über Bord: Kleine, wie Haifischflossen unter dem Rumpf hängende Kiele zeigen schon nach zwei Jahren ringsum Haarrisse. Bei einer üblichen Grundberührung nehmen sie Schaden, haben ein Knacks. Schon nach einer dreiwöchigen Reise mit dem Passatwind von Gibraltar zur Charterdestination Karibik ist der Steuermechanismus im Heck der meisten Konfektionsyachten so ausgeleiert, dass er überholt werden muss, berichtet Agenturinhaber und Hochseesegler Thomas Stürzebecher vom „Törnclub“ in Horb/ Neckar. Die Ausrüstung der Yachten mit verschleissträchtigen, tropfenden und riechenden Pumptoiletten, festgebackenen Seeventilen, Frischwasser- und Fäkalientanks, mit salz- und nässeempfindlichen motorisierten Ankerwinden, Generatoren und Dieselaggregaten und immer mehr Elektronik samt leger verlegten Kabeln und Schläuchen geht im rauhen Alltag an Bord schneller kaputt, als ein handwerklich geschickter Segler reparieren kann. Ankerwinden mit integrierten eisernen Fahrradnaben (Standard des namhaften englischen Herstellers Simpson Lawrence) rosten von innen nach außen unter der glänzend verchromten Oberfläche und quittieren eher früh als spät ihren Dienst. Die meisten Kettenbremsen der im Charterbetrieb täglich gebrauchten Ankerwinden sind bereits beim ersten Törn erledigt: wenn die Bremsen ein paarmal lässig per Fußtritt betätigt wurden. Die Achillesferse der modernen Charteryacht ist die sanitäre Ausstattung. Jedes moderne Bordklo mit Gummimembranen und allerlei Hebeln kapituliert vor seinem unbedarften Benutzer. Nur mit sorfältiger Wartung, bei der die Schiffe regelmäßig komplett durchgecheckt und Verschleißteile im Sechs- oder Zwölfmonats-Rhythmus vorsorglich ausgewechselt werden, sind die konstruktiven Mängel der billig gebauten Konfektionsyacht wettzumachen. Wer sich mit seinem Schiff in rauhen Gewässern bewegt, wird ohnehin andere Booktypen wählen. Die Hochsee Yachtschule Bremen beispielsweise fährt im Frühjahr und Herbst mit ihren Schiffen zum Sturmtraining auf die Nordsee hinaus, eines der anspruchsvollsten Reviere der Welt. Die Teilnehmer erleben in einer Woche mehr als mancher in seinem ganzen Seglerleben. Gesegelt wird mit Swan-Yachten aus Finnland, die in der Anschaffung leicht das Doppelte einer Konfektionsyacht kosten. Firmenchef Logemann: „Alles andere bricht uns bei diesen extremen Wetterbedingungen nach kurzer Zeit auseinander.“ Kein Wunder, denn kaum eines der konfektionierten bare boats ist wenigstens mit einer Sturmfock aus kräftigem Tuch ausgerüstet. Das ist ungefähr so unverantwortlich, wie jemanden ohne Haken und Leine in die Alpen zu schicken. So zog es der Skipper einer 15 Meter langen Oceanis bei neun Windstärken vor, durch die Felsenklippen zum südtürkischen Städtchen Kas zu dieseln. Seine Antwort auf die Frage, warum er die 16 Tonnen schwere Segelyacht bei diesem Wetter mit Motorhilfe bewege: „Eine Sturmfock haben wir nicht. Das Großsegel können wir nicht setzen, weil Latten zur Versteifung des Tuchs fehlen. Das Segel wäre nach einer halben Stunde Flattern im Sturm zerrissen.“ Ein Stottern oder Aussetzen des Motors vor den Klippen hätte das Abenteuer Yachtcharter für die zwölfköpfige Crew aus Pforzheim schnell und vielleicht glimpflich beendet. Die Yacht wäre von der Brandung auf den Felsen zerstört worden. So wird aus der Verheißung eines Segeltörns motorisiertes Seewassercamping. Mit 3000 U/min. auf dem Tourenzähler geht es schnurstracks zum nächsten Hafen.

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Maskuliner Egotrip

Mal zeigen, wo der Hammer hängt: Die Shogun 50 ist eine Art segelnder Aventador. Von Erdmann Braschos Der Blick in Messehallen und Marinas zeigt den unübersehbaren Hang zum Bequemen. Bereits mittelgroße Freizeitboote sind schwimmende Wochenendhäuser mit Küchenzeile, fließend Warmwasser, Geschirrspüler, Waschmaschine, Flachbildschirm und mindestens um das Fußende herum zugänglichem Queensize-Bett. Ab etwa 15 Metern Länge wiederholt es den Komfort, wie ihn vermögende Leute anscheinend zuhause haben. Shogun 50 Die Branche weiß, dass die Familienerweiterung um ein schwimmendes Spielzeug allenfalls ohne Veto der Frau zustande kommt. Entsprechend wird es in Dezimeter-Schritten von Modellzyklus zu Weltneuheit aufgebläht. Fachjournalisten gehen mit Zollstöcken durch die Kajüten und vergleichen Kojenmaße. Wie der Kofferraum im Auto werden allen Ernstes Stauräume in Schapps, Schränken und Backskisten an Bord „ausgelitert“. Ob moderne Wobos (Wohnboote) segeln, läßt sich am Messestand nicht beurteilen, scheint aber angesichts des maßgeblichen Platzgesichtspunkts ohnehin nachrangig. Da ist die „Shogun 50“ als maskuliner Egotrip eines schwedischen Seglers erfrischend anders. Anstelle des senkrechten oder vorwärts geneigten Buges fängt er mit einem rückwärts eingezogenen Vorsteven an, der den Zug des Vorstags ohne zusätzlichen Unterbau aufnimmt. Der sogenannte „Schlachtschiffbug“ erhielt zusätzlich drei eigenwillige Rippen. Das sieht nochmals anders aus und weist das Spritzwasser bei schneller Fahrt ab. Zwar ist diese Bugpartie im Schärengarten einfach nur unpraktisch, weil damit weder, wie in Skandinavien üblich, vorwärts an einer Insel angelegt werden kann, noch das Boot im Hafen über den Bug zu verlassen oder zu betreten ist. Aber herkömmlich praktische Bugformen gibt es seit Jahrzehnten schon. Bootseigner Mats Bergryd ist, so dürfen wir die Verhältnisse zusammenfassen, finanziell aus dem Gröbsten raus und in einem Alter, wo Männer nochmal richtig Gas geben. So war er vor einigen Jahren reif für eine „Club Swan 50“. Abgesehen vom saftigen Preis hat dieses Boot der angesehenen finnischen Nautor Werft viele Vorzüge. Mit seinem rückwärts geneigten Zerstörerbug und martialischen Look fährt es bereits im Stehen. Es hat den Sexappeal eines anders gefalzten Lamborghini Aventador nebst passender Begleitung. Noch besser ist, dass es nicht bloß elend im Wind herumsteht wie üblich uncoole, von Warmduscher-Kompromissen domestizierte Hafendatschen. Man kann sich damit bei den einschlägigen Veranstaltungen, wo es landseitig unter anderem auch markante Sportwagen gibt, blicken lassen. Sie heißen Nations Trophy und finden statt, wo es Sonne, Wind, Geld und abends beim Galaempfang aparte Begleitung gibt. Vor Palma de Mallorca, Saint Tropez, Monaco oder Porto Cervo. Nun machte der Schwede aber die betrübliche Erfahrung, dass sein neues Boot jenseits des mediterranen Club Swan-Paralleluniversums auf Dauer doch gravierende Nachteile hat. Er mußte jedes Mal telefonisch ein paar Freunde zusammenbetteln, die mit ihm Segeln gehen. Zweitens hat die Club Swan mit ihrem 3 ½ m Kiel zu viel Tiefgang für die Gewässer rings um Stockholm. Schöne Ankerbuchten und Passagen zwischen den Inseln blieben ihm verwehrt. Also ließ er Håkan Södergren und seinen Sohn Oskar ein neues Boot entwickeln, das mit angehobenem Kiel ganze 2 m tief geht. Bergryd wollte ein Dual Purpose-Boot, um den entsetzlich geschundenen Begriff des sogenannten Cruiser-Racers zu vermeiden, eines, das in der leichten Brise zwischen den Birken und Kiefern der geschützten Stockholmer Schären fährt und mit dem er bei der Gotland Runt Langstreckenregatta zeigt, wo der Hammer hängt. Auf mehreren hundert Meilen draußen auf dem offenen Meer geht es deftig zu. Es sollte sich alleine bewegen lassen, oder mit einer halben Fußballmannschaft sportlich segeln. Der hinter dem Kiel stehende Mast entlastet das Vorschiff und bietet Platz für vier handhabbare Vorsegel. Die sogenannte Segeltragezahl verrechnet in einer speziellen Formel das Gewicht des Bootes mit seiner Segelfläche. Sie ergibt den Agilitätsfaktor. Dank konsequenter Karbonbauweise bis hin zur Kielflosse, die das 3,6 t schwere Bleitorpedo um 1 1/2 m automatisch anhebt, gelang es trotz Kielkasten und -hydraulik das Nettogewicht des Bootes mit 7,9 t unter dem der Swan zu halten. Die Segeltragezahl von annähernd 6 mit Großsegel und Fock ist wie bei der Swan ein kerniger Regattabootwert. Mit dem Am Wind-tauglichen Code-Zero, wie das heute übliche sehr große Vorsegel genannt wird, geht der Agilitätsfaktor mit 7,4 durch die Decke. Damit segelt die „Shogun 50“ wie ein Aventador mit 700 PS Mittelmotor fährt. Der schwedische Bootsbau ist bisher überwiegend für gemächliche und yachtbaulich altbackene Tourenboote bekannt. Für diese Sonderanfertigung nun schlägt die seit 1886 bestehende Rosättra-Werft in Norrtälje neben ihrer Linjett-Range hübscher Tourenboote ein neues Kapitel auf. Unter der Projektleitung von Daniel Gustafsson, einem der drei Brüder, die die Rosättra-Geschichte gerade mit yachtbaulich interessanten Leuchtturmprojekten wie diesem fortschreiben, entstand die „Shogun 50“ aus Epoxidharz verklebten Karbon-Gelegen und Eichenfurnier über Dinvycell Schäumen unterschiedlicher Dichte. Marström Composite, mit Hightech-Komponenten für Grandprix-Boote schon eine Weile im Thema, trug mit der leichten Doppelruderanlage, dem Kiel und Rigg bei. Die Kielflosse aus Karbon anstelle eines Stahlprofils sparte gut 300 Kilo, die als Bleiballast ganz unten besser untergebracht wurden als darüber. Weitere ortsansässige Spezialisten halfen den Gustaffsons, das yachtbauliche Level ins 21. Jahrhundert zu heben. Für 1,7 Millionen Euro (inkl. Mehrwertsteuer) bauen die Schweden die „Shogun 50“ nochmal – mit Rippen am Bug, sechs Kojen, einem Toilettenraum und farblich hoffentlich anderen Postern. Man bekäme dafür ein SeBo, ein Segelboot. Wie sich es im Vergleich zur „Club Swan 50“ macht, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob die spezielle Form auch in einigen Jahren noch gefällt.

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Eine Frage der Kultur

Ein Besuch der Cantiere dell’ Argentario in Porto Santo Stefano. Von Erdmann Braschos Zeig mir Dein Büro, und ich sag Dir, wer Du bist. Wir kennen Sachbearbeiterzimmer mit Behördencharme und Hydrokultur, funktionale Denkzellen, wo kreativ mit „c“ geschrieben wird, mausgraues Schreibtischeinerlei mit aktueller Prozessorleistung, oder „chief executive“ Ausstattungen mit Sitzgarnitur und Glastisch. Der argentinische Yachtarchitekt Germán Frers hält seine mailändische Niederlassung aufgeräumt wie einen Prada Showroom. Einige Bilder vom America’s Cup, ein glänzend schwarzer Tisch mit Block und Stift. Ein süddeutscher Bootsbauer beschäftigt seinen Besuch mit maritimem Nippes von der Neufundlandbank auf Möbeln von USM Haller. Die geschichtsreiche Yachtbauadresse Abeking & Rasmussen empfängt in der germanenschweren Patina des Eiche-getäfelten Besprechungszimmers aus Henry „Jimmy“ Rasmussens Zeiten. Wir erinnern den berstend mit Zeichnungen und alten Schwarten gefüllten Kokon von Harry Spencer über dem Medina River im südenglischen Cowes. Dort reproduzierte der Traditionalist und Takler mit Bleistift und Transparentpapier den Stand der Technik von Horatio Nelsons Schlacht von Trafalgar bis zur vorletzten Jahrhundertwende. Das Büro von Federico Nardi in Porto Santo Stefano ist irgendwo zwischen Spencers Klause und einem Jugendzimmer der antiautoritären Ära anzusiedeln, oder im mittelbaren Einflussbereich eines anthroposophischen Haushalts, das dem Jäger, Sammler und Selbstverwirklicher grenzenlose Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Nardis Refugium in der ersten Etage der Cantiere dell’ Argentario wird so 20 Quadratmeter haben, gefühlt sind’s eher zehn. Wir staunen über das Fassungsvermögen des Raums und darüber, dass er sich betreten lässt. Auf und unter den Tischen Winschen, Blöcke, Fallscheiben, Schotschienen, Relingsfüße und -stützen. Das alles in mehreren Generationen und in verschiedenen Provenienzen, australischer, amerikanischer und großbritannischer Ausführung. Zöllig natürlich, in grünspänig patinierte Marinebronze und ziemlich krude. Die meisten Winschen in Nardis Kollektion werden über eine seitlich versetzte vierkantige Kurbel angetrieben. Sie stammen aus der Zeit, als noch mit Zwischengas Auto gefahren wurde. Auf der geneigten, einst als Zeichenbrett benutzten Fläche, die absedimentierten Projekte. Auf den rings umlaufenden Bücherborden einige Jahrgänge des einst maßgeblichen Periodikums Rudder, des Lloyd’s Register of Yachts, vergilbte Kataloge der Bootsausrüster und weitere substanzielle Literatur einer beinahe vergessenen Segelära. Darunter, in der bewährten Hängetechnik von Schwalbennestern, Zeichnungsrollen. Der Endfünfziger ist ein von mancher Seemeile gegerbter Beau mit weiß-blond langem Haar und gewinnend freundlichem Wesen. Einer, der auf dem Tennisplatz, im Hafen oder an der Bar den ersten und letzten Blick kriegt. Am winterlich kühlen Morgen unserer Begegnung trägt Nardi eine dunkelblaue Windjacke über einem hellbraunen Pulli zur marineblauen Hose. Die geschmackssicher legere Kleidung des Italieners. Die Wildlederstiefel sind mit fröhlich bunter Hightech Leine, wie sie ansonsten auf Rennjollen zum Einsatz kommen, geschnürt. Abgesehen von seinem regelmäßig läutenden Handy scheinen die Schnürsenkel die einzigen modernen Zutaten zu Nardis Leben zu sein. Wir sind zu einem vertieften Gespräch über Boote gekommen. „Es ist eine Frage der Kultur“ wie Yachten heute restauriert werden“ meint Nardi resigniert. „Die meisten machen die Boote irgendwie zurecht, weil es gerade „in“ und ein Geschäft ist. Doch man sollte das Metier schon mögen. Denn schauen Sie, zu einem Schiff eines bestimmten Jahrgangs gehören eben auch die passenden Beschläge. Da schraubt man nicht irgendwas an Deck.“ Deshalb shoppt Nardi die Seglerhardware im großen Stil bei Ebay. Sie wird irgendwann und -wo mal eingebaut. Das ist natürlich nicht die ganze Wahrheit. Ein großer Junge, Sammler, Segler und Jäger wie Nardi hat solche Sachen gern um sich. Er lebt in seiner Nautiquitäten Klause, in den ausgerechnet jetzt die Putzfrau eindringen möchte, um mal den zwischen Tischen, Kartons und Stühlen verbliebenen Gang zu feudeln. Na, dann winden wir uns halt aus dem Nautiquitätenkabinett und gucken uns den Laden an. Die Cantiere Navale dell’ Argentario ist Museum, rund laufender Betrieb für die üblichen Drecksarbeiten unter Muschel bewachsenen Rümpfen und eine richtige Werft mit beachtlicher Fertigungstiefe, also ein Gemischtwarenladen für nahezu jedes Problem, das schwimmt und segelt. Es gibt eine Schlosserei mit Drehbänken, Schweißapparaten und Standbohrmaschinen, Lackiererei, eine elektrische Werkstatt und eine Tischlerei mit Mastbauabteilung für traditionelle Holztakelagen. Im Schatten der großen grauen Halle hinter dem Kreisverkehr am Ortseingang stehen Kostbarkeiten wie die berühmten Sparkman & Stephens Zwölfer „Nyala“ oder „Vim“ aus den 30er Jahren, im eigenwillig lindgrün oder weiß glänzenden Lack. Die aparten Achterschiffe ragen über unsere Köpfe, wie das lange Ende eines Flugzeugs. Es ist die gefährlichste Perspektive unter ein Schiff, eine, die Nackenstarre, Bewunderung und den Impuls des Habenwollens auslöst, ganz gleich, ob die Yacht zum Verkauf steht und das Segelspielzeug auch nur entfernt zu den Vermögensverhältnissen passen würde. Bei diesem Blickwinkel neigen eigentlich erwachsene Männer dazu, ihr Leben irgendwie zur kühnen Skulptur mit dem sensationellen Achterschiff passend zu machen. Richtige Männer kennen diesen Implus auch in anderen Lebenslagen. Die Übernahme eines Flugzeugs oder seltenen Sportwagens, wäre ähnlich sinnvoll und notwendig, allerdings kaum so interessant. „Nyala“ und „Vim“ sind die eher nebenher besessenen als passioniert genutzten Spielzeuge des Modekaufmanns Patrizio Bertelli und des mailändischen Verlegers Alberto Rusconi.      Asservate amerikanischen Yachtsports, Rennyachten, die in den Dreißiger Jahren die Dominanz auf den heimischen America‘s Regattabahnen bereits bis Ende der Fünfziger einleiteten. „Nyala“ gelangte als Mitgift von Lucy Bedford in die Ehe mit dem legendären Autorennfahrer und Segeltalent Briggs Cunningham. Mit „Vim“ kalibrierte Harold Vanderbilt im letzten Sommer vor dem Krieg im englischen Heimatgewässer des Yachtsports das Niveau auf den Regattabahnen.      1995 übernahm der italienische Modekaufmann Patrizio Bertelli das Schiff. Er ließ Nardi und den Bootsbauern in Porto Santo Stefano freie Hand. Nardi genießt das Vertrauen des salotto buono. Er kennt Bertelli seit Jahrzehnten. „Wir haben schon zusammen oder gegeneinander Regatta gesegelt, als er noch nicht so bekannt war“ berichtet Nardi, der sich damals auch um Bertellis Green Marine Werftbau „Ulysse“, ein 32 Meter langes Karbon Sommerurlaubsboot der südenglischen Werft Green Marine kümmerte und dem legendär cholerischen Modekaufmann, der seine Ehefrau Miuccia als Beklagter anlässlich eines Plagiatsprozesses kennenlernte, nur ganz smarte Burschen wandeln eine derart missliche Lage in eine so genannte win-win Situation, und während seiner gefürchteten Gefühlsausbrüche einer echten und vertrauenwürdigen Insiderin zufolge nicht bloß mit Handys, sondern mit ganzen Laptops wirft, vor einigen Jahren gemeinsam mit Yachtkonstrukteur Frers die Luna Rossa/Prada America’s Cup Herausforderung soufflierte. Diese Vertrauensstellung ist „Nyala“, sie ist neben „Vim“ der bestrestaurierte Mittelmeer Zwölfer, anzusehen. Eine carte blanche Bootssanierung, die den technischen Stand der Dreißiger Jahre wiederholt, mit nobler Schlichtheit überzeugt und von der Bootsbauer und Segler träumen. Das Deck ist mit 27 Millimeter Spruce statt Teak belegt. Die Bauvorschriften verlangen diese Wandstärke und so wurde Spruce als das leichtere Holz genommen. Zu den kleinen Zugeständnissen an die Handhabung und Gegenwart in engen Yachthäfen gehört ein Yanmar Einbaudiesel unter den Bodenbrettern. Als die Werft 2004 für den Medienkaufmann Alberto Rusconi Harold Vanderbilts einstigen Zwölfer „Vim“ fertig aus der Halle schiebt, hängt eines der Platz sparenden und in den Dreißiger Jahren üblichen Klapp-Handwaschbecken im Waschraum. Ein I-Tüpfelchen und Geschenk Nardis an einen Geschäftsmann, der neben zwei großen Motoryachten noch den Zwölfer „Tomahawk“ zum privaten Pläsier Hobby bereedert und solche Geschenke nicht nötig hat. „Gefreut hat er sich trotzdem“ berichtet Nardi. Im Klassikerhangar der Cantiere Navale dell’ Argentario, er befindet sich ausgerechnet neben einer Bank, steht außer „Nyala“, „Vim“ und weiteren Kostbarkeiten die etwas kleinere „Cotton Blossom II“, eine Johan Anker Konstruktion der Q-Klasse gemäß amerikanischer Universal Rule von 1924. Damit brachte sich das einstige America’s Cup Segelass Dennis Conner neulich noch mal ins Gespräch. Nardi äußert sich zurückhaltend zu diesem Umbau mit deutlich, für die leichte Mittelmeerbrise vergrößerter Takelage. Niemand, außer ein übergewichtiger Kalifornischer Teppichhändler, würde mit einem modernen Motor in einem historischen Ferrari einen Konvent historischer Sportwagen ansteuern. Genau das hat Conner neulich in der maritimen Szene der Cote d’ Azur und italienischen Riviera versucht, und dann verkauft. Weil der Segelsport und Erhalt klassischer Yachten eine Frage von Stil und Kultur ist, bekommt der hübsche dunkelblaue Renner jetzt wieder mit dem passenden, ursprünglichen Rigg seine angemessene Motorisierung. Nardi weiß, wie man ein verbautes Objekt in eine stimmige, den seinerzeitigen Bauvorschriften entsprechende Yacht zurück verwandelt. Anlässlich der Restaurierung der Sparkman & Stephens Zwölfer wurde daher die bei der America Pokal Verteidigerin „Ranger“ 1937 bereits ausprobierte Winschtechnologie mit den historischen, von Rod und Olin Stephens gemeinsam mit der New Yorker Nevins Werft entwickelten Kaffeemühlen für die Zwölfer reproduziert. Die klobigen 24 Zentimeter Aluminiumgehäuse der so genannten Grinder beherbergen ein Getriebe, das Nardi von einem Spezialisten im südschwedischen Malmö nachbauen ließ. Längst gibt es solche Modelle in aktueller Ausführung mit separaten Kurbeln bei namhaften Herstellern. In der Welt des verfeinerten maritimen Geschmacks ist eine gleichermaßen krude wie schöne Konsequenz, die Vorsegel mit reproduzierter Mechanik nach dem technischen Stand der Dreißiger Jahre dichtzuholen. Die nötigen Muckis und Wartungseinheiten für die antiquierte Mechanik bringt die Crew schon mit. Der Segler, Sammler und Liebhaber Nardi ist ein Projektleiter, der seine Kunden zu solch schöner, leider seltenen Konsequenz ermutigt. „Ich verstehe nicht, was ihr Deutschen und vor allem die Dänen mit den Booten macht. 2006 habe ich mit Doug Peterson bei der Weltmeisterschaft der Sechser die alte Olin Stephens Konstruktion „Bob Kat“ gesegelt. Da waren Boote mit high tech Segeln und dem halben Harken Katalog aktueller Bootsbeschläge dabei. Da kann ich doch gleich ein modernes Boot kaufen!“ Beeindruckend ist auch das große Holzlager. Es gibt ganz wenige Werften, die heute noch Kapital für die Lagerung und weitere kontrollierte Lüftung des entscheidenden Rohstoffs für ihre Arbeit binden. Meist wird es recht spät und Ofen getrocknet im Holzhandel gekauft. „Das Holz macht etwa zehn Prozent der Restaurierungskosten aus“ erklärt  Nardi. „Ja, sollen wir denn daran sparen?“ fragt er und räumt bei der Gelegenheit mit einer gern in der Branche gepflegten Behauptung auf.  „Wenn man eine Weile Boote restauriert, kann je nach der damaligen Werft, den verarbeiteten Hölzern und Bauweise einschätzen, wie weit ein altes Schiff auseinander genommen werden muss. Viele Werften ködern den Eigner mit einem niedrigen, unverbindlichen Angebot und behaupten nachher, sie hätten nicht gewusst, wie viel tatsächlich zu tun ist. Wir nennen einen Festpreis bis zum strukturell gesunden, schwimmfähigen Schiff und überlassen es dem Eigner, uns nachher auch den Innenausbau machen zu lassen.“ Draußen neben den Gleisen der Slipbahn, wo die alltägliche Arbeit an den Sommerurlaubsbooten für das Buchtenbummeln durch die toskanische Inselwelt erledigt wird, schwimmtt „Gretel“, die erste australische America’s Cup Herausfordererin von 1962 im  kreischend hellen Sonnenlicht des Mittelmeeres. Eine morsche Legende, für die sich bislang kein Eigner gefunden hat. „Die hat mein Freund Doug Peterson gekauft. Höchste Eisenbahn, dass wir die mal zurecht machen.“ Die Zeit für dieses Boot wird kommen, so wie für die legendären Sparkman & Stephens Hochsee Rennyachten „Dorade“ und „Stormy Weather“. Die Instandsetzung der Dorade-Nachfolgerin wurde der Werft vorab bezahlt. Eigner Giuseppe Gazzoni Frascara, ein Unternehmer aus Bologna übernahm bei Übernahme des Schiffes jene mehrkosten, auf denen die Werft vertragsgemäß durchaus hätte sitzen bleiben können. Solche Geschäftsbeziehungen gibt es auch heute noch, in der scheinbar smarten, budget- und vertragstreuen „Ich bin doch nicht blöd“ Welt. Solches gegenseitige Vertrauen ist Voraussetzung für jene Exzellenz im Handwerks und Arbeitsleben, die heute weithin vermisst wird.     So sind wir nach den aparten Flugzeughecks der Yachten, der Besessenheit reproduzierter Kaffeemühlen, umsichtiger Holzlagerung und der Fron herkömmlichen Bootsbaus beim wichtigsten Thema, dem Geld angekommen. Denn ohne gediegenes Wealth Management, wie sich die beinah bodenlose Liquidität zum Betrieb solchen Spielzeugs heute modern deutsch nennt, keine Cantiere Navale, kein verfeinerter maritimer Geschmack, keine richtigen Boote im ausreichend tiefen Wasser rings um Monte Argentario, jene Halbinsel, um deren naturbelassene Schönheit sich unter anderen Giovanni Agnellis Schwester Susanna als Bürgermeisterin gegen die verwüstende Bauspekulation verdient machte. „Schauen sie, ich bin kein Rassist, aber die Römer zahlen noch schlechter, als Neapolitaner. Der Römer kommt am Tag, wenn das Boot wirklich ins Wasser muss, weil wir auf dem Hof keinen Platz mehr haben, noch mal mit einer sagenhaften Geschichte. Deshalb erwarten wir vom Römer immer Vorauskasse. Lieber drei Neapolitaner, als einen Römer“ fasst Nardi die Zahlungsmoral zusammen. Deutsche Eigner sind Nardi in dieser Hinsicht Welten lieber, obwohl der Deutsche dazu neigt, es genau zu nehmen. Sicher liegt es an Nardis Herkunft, dass er mit internationaler Kundschaft ganz gut kann. Seit Großvater eröffnete in Siena das erste Hotel mit fließend warmem und kaltem Wasser. Nardi ist der Sproß einer norddeutschen Mutter und eines nach dem Krieg in Pommern inhaftierten italienischen Admirals, der das Beste aus seinem Gefängnisaufenthalt machte. Italiener sind halt auch in beschränkten Verhältnissen noch verblüffend Aquisitionsstark. Nardi wird in La Spezia groß, wo die Mutter dem Jugendlichen anlässlich seines etwas extravaganten Freizeitwunsches die deutsche Tugend beibringt. Erst die Arbeit, dann, vielleicht, etwas Vergnügen: „Wenn Du segeln möchtest, dann arbeite dafür.“ Nardi repariert in einem Segelverein die Boote und hockt bald in einem der beiden Baglietto 5.5er Rennyachten des Vereins, wo er derart interessante Kontakte knüpft, dass er das später in Florenz begonnene Architekturstudium als Profi auf modernen Renn- und traditionellen Charteryachten fortsetzt. Nach einer Weile skippert er nicht bloß die dicken Schlitten. Der Ästhet hat mit dem ansehnlichen 32 Meter Zweimaster vom Reißbrett des amerikanischen Konstrukteurs John Alden auch ein ansehnliches Schiff. Es gibt sträflichere Lebensformen als die an Bord gediegener Planken an der italienischen Riviera, der ligurischen und toskanischen Küste. Ende der 80er Jahre beendet der Sonnyboy das maritime Zigeunerleben. In Porto Santo Stefano, wo er bei der Cantiere Navale dell’ Argentario seit Jahren für die üblichen Arbeiten mit seinem großen Holzschiff anlegt, geht Nardi an Land. „Der Betrieb gehörte damals einem Römer, der ihn hauptsächlich für sein eigenes Boot nutzte und sich ums Geschäft kaum kümmerte.“ Dabei war die Werft, die Ende des zweiten Weltkriegs von den Alliierten als Torpedofabrik in Schutt und Asche gelegt wurde, seit den 50er Jahren bei gut situierten, auf Odysseus Spuren kreuzenden Engländern eine geschätzte Adresse. Auch vermögende Italiener ließen ihre Yachten über den 400 Tonnen Slip aus dem Mittelmeer ziehen. Die stattliche Rennyacht „Candida“ oder der Fahrtenschoner „Puritan“ wurden schon in Porto Santo Stefano zurecht gemacht. Gemeinsam mit dem Tischler Piero Landini, dem Mechaniker Umberto Berti, Betriebsleiter Carlo Terramoccia und Buchhalter Stefano Busonero kauft Nardi die traditionsreiche Adresse. Formal ist Nardi so was wie ein Produktmanager, eigentlich ist er entspannter Kommunikator, Galeonsfigur, laufendes Yachtbaulexikon und Protagonist der internationalen Klassikerszene, Jäger, Sammler und Liebhaber. Wenn wieder mal ein ungern Auto fahrender Kunde anlässlich des Stapellaufs seiner Nautiquität unbedingt mit dem Hubschrauber im beschaulichen Fischer- und Fährhafen landen möchte, findet Nardi die geeigneten Worte, dem Eigner die nicht ganz zu den Umständen vor Ort passende Landung auszureden. „Du brauchst Freunde in der ganzen Welt und musst das Metier wirklich mögen, dann kommen auch die Kunden“ meint Nardi. 32 Leute beschäftigt die Werft, „die meisten kommen als Lehrlinge und gehen mit weißen Haaren.“ Auch diese selten gewordene Beständigkeit ist in der vermeintlich smarten Ära des Ex und Hopp mit clever gemeinter Prozessoptimierung Voraussetzung für ein bemerkenswertes Handwerk. Sie ist wie die Ausrüstung eines Bootes mit den passenden Beschlägen „eine Frage der Kultur“.

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Erbseninseln

Wenn der Wind das Meer vor den kleinen Felsen der „Ertholmene“, den Erbseninseln, wieder einmal derart heftig toben läßt, dass der Nord- oder Südhafen unpassierbar ist, öffnet sich die filigrane Schwenkbrücke zwischen Christiansö und Frederiksö und gibt die 30 Meter breite Durchfahrt zwischen den Inseln für ein Schiff frei. Vorsichtig manövriert es durch das vom Wind und Wogen bewegte Hafenbecken, in dem sich die schutzsuchenden Fischkutter und Yachten drängen, tuckert durch das leewärtige Hafenbecken, schiebt den Bug an den Molenköpfen vorbei in die tobende See und stemmt sich dann unter einem wolkenverhangenen Himmel gegen das unermüdlich anrennende, schiefergraue Meer Richtung Bornholm. Vogelinsel Græsholm In einem weiten Bogen umfährt das Schiff Græsholm, die umbrandete Vogelinsel gleich vor Frederiskö. Weiß ist sie, von Mövenschiß und -leibern. Seitdem ein Student 1924 auf Græsholm einen dem Pinguin ähnlichen Alk und die in Dänemark bis dahin unbekannte Silbermöve entdeckte, steht das Eiland unter Naturschutz. Wer sich der wenige hundert Meter großen Insel nähert, um die Silber-, Herings- oder Sturmmöven, den Tordalk, die Trottellumme, den Mittelsäger oder die Eiderente mal aus der Nähe zu sehen, wird schnell von dem ohrenbetäubenden Geschrei der Vögel und dem herabregnenden ätzenden Vogeldreck vertrieben. Die Eiderente wird auf den Erbseninseln, den „Ertholmene“, wie die Dänen sie liebevoll nennen, übrigens Åbo genannt. Der Vogel bedeutete einst für den Kommandanten der Inseln mitten in der Ostsee ein beträchtliches Kapital. Denn die Daunen, so das Gesetz, standen dem Kommandanten zu und der verkaufte sie nach Bornholm oder ans Festland. Das im Wind schwankende Ende der filigranen Drehbrücke landet wieder auf Frederiksö. Die wenigen Dutzend Besucher, die vorhin auf den Erbseninseln abgesetzt wurden, wenden sich ihrem Ausflugsziel zu, verteilen sich über das kleine, kuriose Eiland. Da und dort tauchen die bunten Wind- und Öljacken der Sommerfrischler zwischen den den Wacholderbüschen auf. Nach Christiansö verirren sich ohnehin nur wenige Individualisten. Vom „Store Tärn“, einem massiven Steinturm mit stattlichem, weithin sichtbaren Durchmesser, geht es die einzige Straße der Insel entlang. Das holprige Pflaster zwischen den langgestreckten zweistöckigen und grob verputzten Häuserzeilen nennt sich natürlich „Christiansögade“: das monotone, finstere Tür an Tür der ehemaligen Kasernenstraße erinnert an die militärische Bedeutung der Erbseninseln seit dem 17. Jahrhundert. Christian V. ließ auf der größten der Erbseninseln 1684 eine Festung auf der größten der Erbseninseln bauen und siedelte mehr als 100 Menschen sommers wie winters an: Offiziere, Beamte, einige Handwerker und Soldaten. Zuvor waren es lediglich Fischer aus Bornholm gewesen, die für die Sommermonate alljährlich auf die Erbseninseln kamen. Vom befestigten Christiansö aus sollten die Flottenbewegungen der feindlichen Schweden ausgespäht werden. Aber nicht nur Soldaten wurden zu den Erbseninseln geschickt, auch Sträflinge in Ketten, Sklaven und Menschen, die als geisteskrank angesehen wurden, mussten ihr Dasein auf den Klippen in der Ostsee fristen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts dann kamen die Künstler – etwa der Dichter und Maler Holger Drachmann, Edvard Weie und sein schwedischer Malerkollege Karl Isakson als einer der Vertreter der sogenannten „Bornholmer Schule“. In einer guten halben Stunde läuft man entlang der Befestigungsmauern von Christiansö um die Insel, verweilt da und dort in den herrlich nach Kräutern duftenden Niederungen, kehrt zur kleinen Schwenkbrücke unter dem Store Tärn zurück. Christiansö, die kleine Felseninsel in Sichtweite von Bornholm verweist den Besucher auf sich selbst: Sie ist kein Ort zur Flucht vor sich selbst. So wird mancher mehr Kurzweil suchende Gast froh sein, das Eiland wieder mit dem nächsten Schiff verlassen zu können. Wer Frieden mit sich selbst sucht, wird den Tag auf den kleinen Erbseninseln irgendwo weit draußen in der Ostsee, genießen und gern erinnern.

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Schön von gestern

Die Hamburger Lütje Werft besinnt sich mit der „Elbe 33“ auf die Tradition heimischer Barkassen. Mit amorph geschwungenen, rund gelutschten oder betont markanten Formen sind Motorboote mittlerweile etwas gesichtslos geworden. Der rechnergestützte Entwurf und die Visulisierung vorab in Renderings, auch der Computer gesteuerte Formenbau per CNC-Fräse macht es heute möglich, rasch auf Trends einzugehen. Angesichts solcher gestalterischen Beliebigkeit besinnt man sich gern auf bewährte Formen von früher, als Boote Ergebnis einer langen, aus der Praxis geronnenen Entwicklung waren. Das erklärt die seit zwei Jahrzehnten anhaltende Retrowelle im Bootsbau. Man hätte gern ein schönes, ein richtiges und unverwechselbares Boot, träumt von einer Yacht, die ein wenig von gestern sein kann. Das Gefährt soll eine Geschichte erzählen und auch in einigen Jahren noch gefallen. Seit sich Günther Lütje 1956 am ehemaligen Hamburger Holzhafen mit einem Betrieb zum Bau von Motorbooten selbständig machte ist die Werft mit Kleinserien oder Sonderanfertigungen im Thema. In den Neunziger Jahren, als die Retrowelle mit amerikanischen Lobsterbooten aus den Staaten zu uns schwappte, baute sein Sohn Thomas mit einigem Erfolg den sogenannten „Classic Coaster“. Ein Boot mit Übernachtungsoption für schöne Stunden auf dem Wasser. Lütjes dunkelblaue, dunkelgrüne oder schwarze Rümpfe der von den Fischerbooten der amerikanischen Ostküste inspirierten Classic Coaster mit kühn ausgekragter Vorschiffspartie und ansehnlich zum Deck hin gerundeten Hecks unter dem Maronenbraun der Mahagoniaufbauten waren und sind Hingucker. Maritimer Gruß aus der Hansestadt Doch wozu der Tradition der fernen Küste Neuenglands hinterher tischlern, wenn es hierzulande und in Skandinavien eine ansehnliche und beinahe vergessene Geschichte heimischer Barkassen und Pinassen gibt? Diese einst in jedem Hafen nordischer Gewässer, und natürlich auch in den weit verzweigten Elbarmen, Fleeten und Kanälen der Hansestadt üblichen Wassertaxis und -busse, waren ringsum praktisch: Mit ihrer hohen Bugpartie (im Fachjargon Back genannt) warfen sie bei unwirtlichen Bedingungen vorne das kabbelige Hafenwasser beiseite. Auch boten sie den seinerzeit klobigen und schweren Motoren viel Platz. Die hatten damals das Format eines Heizkessels für ein Einfamilienhaus und mussten jederzeit ringsum vom Fachmann mit einem Ölkännchen oder Werkzeug zugänglich sein. „Mein Vater hatte mal so eine Barkasse und ich erinnere, wie der Motor das gesamte Vorschiff einnahm“ erinnert Lütje. Die angehobene Bugpartie des sogenannten Backdeckers ging in einen ringsum geschützten Steuerstand mit überdachtem Fahrgastraum für die Passagiere über. Die Deckskante war mit einem charmanten Schwung nach achtern hinab geführt. Die Barkassen waren robuste Allrounder, erreichten als Verdränger aber bald ihre Endgeschwindigkeit. Auch neigten ihre langen Rümpfe mit unten herum rundem Querschnitt bei Wellen quer zur Fahrtrichtung entsetzlich zum schaukeln. So ein Boot haben Thomas Lütje, sein Nachfolger Jan Hendrik Böhm und ihre Kollegen auch gebaut, mit einigen Verbesserungen natürlich. Der Motor, ein kompakter Volvo Fünfzylinder, ist achtern untergebracht. Da bleibt das gesamte Vorschiff für die Kajüte mit einem WC-Raum steuerbord, einem Doppelbett in der Bugspitze und einer Küchenzeile an der linken, der backbord Seite. Der 200 PS Diesel bringt das Boot mit 12 bis 16 Knoten Reisetempo zum Gleiten, und bei Vollgas mit 24 Knoten (gut 44 km/h) flott voran. Mit hochgeklapptem Z-Trieb lässt sich der ohnehin geringe Tiefgang vom 80 Zentimeter nochmals reduzieren. So bleiben idyllische und geschützte Liegeplätze zugänglich. Auch am Rumpf hat sich viel getan: Der kantige anstelle des einst üblichen abgerundeten Übergangs von der Bordwandseite zum Bootsboden hebt das Boot früher auf die Bugwelle. Zugleich lässt die Kante das Boot Welten weniger schaukeln. Denn so schön die Nostalgie ist: praktisch und angenehm zu fahren muss sie heute sein. Gezeichnet wurde die „Elbe 33“ vom angesehenen Bremerhavener Yachtkonstruktionsbüro Judel/Vrolijk & Co. Diese Adresse ist für schnelle Regatta Segelyachten bekannt, macht aber zunehmend mit Motorbooten von sich reden. Bereits die „Classic Coaster“ waren Judel/Vrolijk-Entwürfe. Wenn man die „Elbe 33“ auf dem Gewässer der Hansestadt, etwa zwischen den roten Ziegeln in einem Fleet der Speicherstadt oder auf der immer bewegten Wasserfläche der Elbe vor den Landungsbrücken sieht, meint man, das schlichte weiße Boot wäre aus dem Sepia der Zwanziger Jahre in die Gegenwart getuckert. Dabei wurde es erst im Herbst fertig und auf den Bootsmessen in Hamburg und Düsseldorf gezeigt. Die Ausstattung des Bootes mit maronenbraunem Mahagoni, naturbelassenem Teak und silbernen Beschlägen, die Farbwahl des Wasserpasses, die zur roten Gösch an der Bugspitze mit dem Wappen der Hansestadt passt, macht den Neubau zu einem stilsicheren maritimen Gruß aus der Hansestadt. Passend zur nostalgischen Note ist das Boot mit weißer Verkleidung und glänzend lackiertem Mahagoni ausgebaut. Die Lederpolster sind farblich auf das nach und nach ergrauende Teakdeck abgestimmt. Die Beschläge aus glänzend poliertem Niro passen zur dezenten Instrumentierung des Steuerstands. Die kleinen LED Positionslaternen bemerkt man erst, wenn sie eingeschaltet sind. Ebenso funktional sind die Lampen von Cantalupi unter Deck und die Armaturen von Dornbracht. Man muss eine Weile im Thema sein um ein Boot so stilsicher auszustatten wie diese noble Barkasse für die kleine Flucht ins Wochenende oder ausgedehnte Flussfahrten zu zweit. Demnächst soll mit der „Elbe 28“ eine kleine Schwester folgen.

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Supremely practical

Manche Boote ereilt das Schicksal der Eintagsfliege. „Outlaw“, Trendsetter der Segelsaison 1963, Admirals’s-Cup-Sieger von eigenwilligen Form, hat es dennoch zum Klassiker gebracht. Von Erdmann Braschos Der Status des avantgardistischen ist wie das Leben eine flüchtige Geschichte. Was bleibt über die Sensation des Neuen hinaus, der verblüffenden Überlegenheit, des unerwartet Andersartigen? Was ist seine Substanz und wie rasch verschwindet er im Schattenreich des Vergessens? Was heute auf der Regattabahn zwischen Start- und Ziellinie die entscheidende Idee schneller ist, kann morgen durch geändertes Reglement obsolet, von der Konkurrenz begriffen, besser nachgemacht, überholt sein. Deshalb wird bei Rennyachten von Eintagsfliegen geredet. Seit Generationen fasziniert das Metier den Typus des Tatmenschen, der auch in seiner Freizeit sich, Freunden und Anderen auf dem Wasser etwas beweisen möchte. Sir Max Aitkens Cupper Als der englische Verleger Sir Max Aitken seine konservative „Drumbeat“ Ostern 1963 durch ein ringsum andersartiges Boot ersetzt, hat er mit „Outlaw“ einen passenden Bootsnamen gewählt. John Illingworth und Angus Primrose zeichneten ein auf die seinerzeit maßgebliche Vermessung des Royal Ocean Racing Club (RORC) abgestimmtes 15 Meter Boot, dessen vier Meter Breite im Vor- und Achterschiff rasant und günstig vermessend eingeschnürt sind. Der Rumpf ist als im Prinzip selbst tragende Konstruktion aus acht Schichten kreuzweise verklebtem drei Millimeter Mahagonifurnier gebaut. Die Souters Werft in Cowes fertigte das damals größte Form verleimte Bauteil. Doch traut man dem Wagnis der geklebten Schale anstelle der herkömmlichen Massivholz Bauweise über Spanten, Schotten und weitere Aussteifungen nicht. In den handfesten Stürmen, denen britische Segler im englischen Kanal und bei der Fastnet Regatta, der Eigner Nordwand des Segelsports, trotzen, ist ein Quantum gefühlter Sicherheit beruhigend. Deshalb bauen die Tischler der Souters Werft noch einige Rahmenspanten ein, wovon die Outlaw, sie segelt seit 1989 in Südfrankreich, als regelmäßige Teilnehmerin der Panerai Classic Yacht Challenge bis heute profitiert. Zwei Eingänge nebeneinander Wie zur Londoner Subway führen bei „Outlaw“ zwei Eingänge ins Tiefpaterre, allerdings weniger, um dem Andrang zur Rush Hour, beim Wach- oder Segelwechsel, Herr zu werden. Die Variante bietet der Crew einen trockenen und sicheren Weg über die angehobene Luvseite des Bootes nach unten. Natürlich ist das Schiff auch „down below supremely practical“. Wer nach mehrstündigem Aufenthalt an Deck durchfroren, notdürftig, müde, hungrig und durstig nach unten kommt, möchte gleich die „Oilies“ und „Wellies“ loswerden, um im Toilettenraum zu verschwinden. Die Vertrautheit des Briten zu Ölzeug und den Wellingtons genannten Gummistiefeln drückt sich bereits in den Kosenamen für die alltäglich gebrauchten Utensilien aus. Dann braucht der segelnde Angelsachse zur Wiederherstellung der Lebensgeister und für den weiteren Rennverlauf nötigen Optimismus eine warme Suppe oder mindestens einen Tee. Der lässt sich im breiten und ruhigen Mittschiffsbereich der schaukelnden und stampfenden Hochseeyacht am ehesten zubereiten. Bekanntlich findet ein waschechter Brite auch bei katastrophalen „cats and dogs“ Verhältnissen, bei denen kein normaler Mensch oder zivilisierter Mitteleuropäer für unzählige Pfund Sterling seine kostbare Freizeit auf dem Meer vergeuden würde, beim Tee zu seiner trockenen, tröstlichen, auch zivilisierte Mitteleuropäer unterhaltenden Lakonie zurück. Anfang der 60er Jahre wurde – heute kaum mehr vorstellbar – ohne GPS, Kartenplotter und Farbbildschirm „pretty basic“ von Hand, mit Erfahrung, Geduld und Glück navigiert. Im beinahe vergessenen Zeitalter der herkömmlichen Papierseekarte, als die Fathoms und Feet in meistens funktionierenden, Vogelhaus großen, nylongrauen Kisten vom Typ Hecta oder Homer, die Knoten und Seemeilen durch die Hermes Serie von Brookes & Gatehouse mitgeteilt wurden und man mit Sicht- und Funkpeilung, routiniertem Guesswork und gekoppelten Kursen irgendwie zum Ziel kam, brauchte es einen versierten Navigator. Dessen Arbeitsplatz brachte Illingworth unmittelbar vor dem Steuerstand an der Kajütrückwand unter, wo üblicherweise der Niedergang ist. Durch die seitlich neben dem Steuerrad geöffneten Klappfenster gelangte selten Spritzwasser ins Schiff, bekam der Steuermann die zu steuernde Gradzahl und seinen Tee. Erfolgreicher Admirals Cupper Bootseigner Aitken, der sich im zweiten Weltkrieg als Pilot für das Kingdom eingesetzt hatte, macht seiner Nation und sich während der Segelsaison 1963 mit diesem speziellen Schiff auf den Regattabahnen einige Ehre. Im Dreibootteam mit „Noreyma III“ und „Clarion of Wight“ gewinnt die radikale Segelsonderanfertigung die vierte Ausgabe des Admirals Cup vor den USA, Schweden und drei weiteren Nationen. Der Admirals Cup, nicht zu verwechseln mit dem küstennah ausgefochtenen America’s Cup, ist die inoffizielle Weltmeisterschaft im Hochseesegeln. Im Herbst ‘63 ist die Novität dann anlässlich der London Boat Show am Earls Court vom breiteren Publikum zu besichtigen. Die Bootsmesse hatte der Verleger selbst initiiert. Negativer Deckssprung Schockierend ist die von der Schiffsmitte zum Bug und Heck hin abgesenkte statt herkömmlich elegant nach oben geschwungene Deckskante. Den eigenwillig abgerundeten Kajütaufbau aus formverleimtem Mahagoni hat man so auch noch nicht gesehen. Der Steuermann sitzt vor seiner Crew, die in der Sitzkuhle hinter seinem Rücken den Segeltrimm mit einem eigenartig gewölbten Großschotwagen und geneigten, an der Zugrichtung der Leinen ausgerichtete Winschen besorgt. Auch das ist anders. Die in blaue Blazer gewandeten Schiffermützenträger gehen Kopf Schüttelnd weiter. Aus irgendeinem unaussprechlichen Leim geklebte Boote mit negativem Deckssprung, allerlei Gadgets und einem auch noch an Deck stehenden Mast mögen ja schnell sein, gelten aber als „not seaworthy“. Für die Regatta- und Zahlenfüchse ist „Outlaw“ aus einem anderen Grund erledigt. Die Erkenntnis der Saison ist, dass sich ein so genanntes Leichtdeplacement, das aus weniger Boot mehr Knoten macht und bei günstigen Bedingungen surft oder gleitet, mit der halben Bordwandstärke der „Outlaw“ bauen läßt. In den siebziger Jahren ist die Eintagsfliege in der Fahrten- und Bummelsegelei, darunter zwei Atlantiküberquerungen, unterwegs. Dann wird „Outlaw“ auf der Isle of Wight in Cowes auf dem Gelände der Shepards Wharf stillgelegt. 1983 verguckt sich der junge englische Lederhändler Michael „Mike“ Horsley in die vorübergehend berühmte Admirals Cup Eintagsfliege und spuckt für eine umfassende wie stilsichere Sanierung des Regattaklassikers in die Hände. Sein Vater verdingt sich im sonnigen Antibes als Yachtmakler, die Familie ist also vom Fach. Wie jede glückende und gute Beziehung ist auch die Horsleys zu seinem Schiff eine Lebensaufgabe, dessen Pflichten regelmäßig ernst- und wahrgenommen werden. Zwar ist bislang das meiste gemacht, doch dauert das Instandsetzungsprogramm bis heute an. ´95 bekommt Outlaw eine neue Takelage aus gold eloxiertem Aluminium. Stolz, aber auch grinsend berichtet der Lockenkopf von der letztmöglichen Lieferung eines einst angesagten Alufinish, dessen gewollt wertige Anmutung etwas aus der Mode gekommen ist. Obwohl der Erhalt des Originalzustands klassischer Yachten mehr denn je angestrebt wird, trennt sich Horsley schweren Herzens von den einst an Deck installierten Winschen vom Typ Lewmar 65. Wie von Trimmhilfen der 60er Jahre oder historischen Porsche Modellen leidlich bekannt, wurde damals zugunsten der schieren Funktion ein erschütternder Aufwand für laufende Wartungsarbeiten in Gestalt der komplett ausgebauten Winsch oder des Motors in Kauf genommen. Seit Ende der 80er Jahre segelt Horsley den betagten Cupper an der Cote d’ Azur. Da muss nicht so oft auf die Seekarte geguckt werden, wird bequemer als bei stündlichen wechselnden Strömungen durch Untiefen gespickte, von Nordatlantischen Tiefdrucksysteme heimgesuchte Gewässer geschippert. Außerdem regnet es in Südfrankreich in der Segelsaison weniger als an einem Segelwochenende auf dem Solent. Die Sache mit den Bohnen Bei den Klassikerkonvents des Mittelmeeres ist Horsley wie der alte Aitken direkt hinter dem rasant abgerundeten Deckshaus am formverleimten Steuerrad zu sehen. Lange darf er es nicht loslassen, sonst biegt das semimoderne Schiff, dessen Ruderblatt im Stil der 60er Jahre an einem halblangen Kiel hängt, kurzerhand ab. Zur artgerechten Fortbewegung auf der Regattabahn turnt eine quasi Fußballmannschaft große Crew an Bord herum. Die 80 Quadratmeter des Genua Vorsegels und das 55 qm Groß sind kein Pappenstil, die Handhabung schwarz-weißen Spinnakers mit den beiden goldenen Spinnakerbäumen auch nicht. Wir begegnen Outlaw in Imperia, wo Horsley mit verschmitztem Stolz das merkwürdige, heute noch ungewöhnliche Schiff mit dezent in das kleine Heck geschnitztem Bootsnamen zeigt. Den Lederhandel hat er mittlerweile aufgegeben. Nach Übernahme und Verkauf des väterlichen Geschäfts makelt er in Antibes bei Edmiston & Company mit klassischen Yachten. Die Polster sind mittlerweile grün statt rot. Beim Öffnen der natürlich auch Form verleimten Küchenschubladen freut sich der hagere Endvierziger, dass der Resorzinol Kleber bis heute nicht nur diese mehrschichtig verleimten Bauteile zusammen hält. Ehefrau Ros, eine sportlich blonde Britin, erklärt „only my mother called me Rosalind“ und kocht gerade Beans. Echte Engländer bringen nicht nur ihre Schiffe zur sonnen verwöhnten Beletage des Lebens. Auch ihre sonstigen Gewohnheiten, etwa den Verzehr weißer Bohnen, ein Brauch, der nicht von allen Europäern als Quintessenz gehobener Esskultur erlebt wird, werden tradiert.

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Zwischen den Welten

Zwei lange wie mutige Törns und die Bücher darüber machten Bernard Moitessier vor einem halben Jahrhundert zum Guru des Blauwassersegelns. Mit seinem einnehmenden, den Leser zu seinen Reisen mitnehmenden Ton, wunderbaren Schilderungen der facettenreichen Meereswelt, gedanklichem Tiefgang faszinieren „Der verschenkte Sieg“ bis heute. Sein Schiff, die „Joshua“, wurde zur prototypischen Langfahrtyacht. Die 2015 auf deutsch erschienene Autobiografie „Tamata“ weitet den Blick nun nochmals erfreulich über das Seglerische hinaus. Jeder Segler kennt „Der logische Weg“, die Schilderung der kühnen Kap Hoorn Umsegelung von Françoise und Bernard Moitessier 1966. Bekannter noch ist seine legendäre zweite Reise, die allein absolvierte eineinhalbfache Weltumsegelung, in der deutschen Ausgabe unter dem sensationsheischenden Titel „Der verschenkte Sieg“ beschrieben. Seit dieser zehnmonatigen Reise, dem Buch darüber und seinem Rückzug nach Polynesien wird Moitessier als segelnder Minimalist, Philosoph, Hippie und Weltverbesserer mit seltsamen Ansichten wahrgenommen. Was er seit getan und nicht nur proklamiert hat, war dagegen kaum bekannt. Moitessiers Reisen waren vor einem halben Jahrhundert noch eine Sensation. Nautisch sind sie inzwischen überboten. Der Regattakurs von und nach Europa wird heute mit modernen Booten in einem Viertel der Zeit absolviert. Der Australier Jon Sanders segelte dreimal nonstop um die Erde, 71 Tausend Seemeilen am Stück. Der Amerikaner Reid Stowe verbrachte mehr als drei Jahre ununterbrochen auf See, zwei davon ohne Landsicht. Sind solche Abenteuer unter dem Strich mehr als Ausdruck einer fragwürdigen, zahlenfixierten Rekordbesessenheit? Oder sind da noch neue Erkenntnisse zu gewinnen? Ende der Sechzigerjahre war die Herausforderung der Golden Globe Regatta, nonstop und einhand um die Welt zu segeln, etwas Neues. Der einzige Teilnehmer der Regatta, dem seit der Kap Hoorn-Umsegelung wusste, was ihn im Südmeer erwartet, war Bernard Moitessier. Alleinsegeln war damals Allein-sein. Es bedeutete, für Monate komplett auf sich gestellt auf den Weltmeeren zu verschwinden. Ein psychisches Wagnis. Kein Vergleich mit der 2020/21 ausgesegelten Vendée Globe, die mit modernen Booten und zuverlässigen Kommunikationsmöglichkeiten ein vergleichsweise geselliges und sicheres Event darstellt. Was unterscheidet Moitessiers zehnmonatige Reise damals? Was ist an der Beschäftigung mit seiner Reise und seinem Leben heute noch interessant? Es ist die Perspektive seiner Sozialisation, seine Herkunft und seine Entwicklung unterwegs. Es sind seine Gründe, aus der Regatta auszusteigen, der Rückzug aus der westlichen Welt. Dank seiner in „Tamata“ veröffentlichten Erinnerungen erfahren wir, wie er diese Entscheidung in den folgenden Jahren gemeistert hat. Andere Blogs, Artikel und Bücher über Moitessier erweitern den Blick. Sie zeigen auch, wo, warum und wie er später gescheitert ist. Es ist bereichernd, Moitessier nochmal und anders zu lesen, sich auf seine wunderbaren Schilderungen des Meeres einzulassen. Die Schönheit der Meereswelt war sein Ausgangspunkt und blieb sein Thema. «Ein Kamm, höher als alle anderen, verwandelt sich manchmal in eine flüssige Mauer, deren transparenten Scheitel die Sonne durchdringt und ihn blau­grün aufleuchten lässt. Man möchte dann meinen, die See wünsche ihr Kleid zu wechseln. Aber der Rest verharrt in einem tiefdunklen Blau, dessen Abstufungen in andere Tönungen von Blau verfließen. Und das in unendlich vielen Blautönungen schimmernde Weiß rieselt den Wellenhang herab, wo auch das Grün in kurzen Spiegelungen durchscheint. Hin und wieder löst sich ein Teilchen der Mauer vom Gipfel, kippt nach vorn und ergießt sich unter gewaltigem Tosen wie ein Wasserfall.» Diese Zeitraffer-Ansicht der schaurig schönen Wasserwelt stammt von einem Reisenden, der sich von den Landlebensängsten befreit, den Verstrickungen, den Fährten und Verlockungen des komfortablen Lebens freigesegelt hat. Moitessier geißelt die zerstörerischen Ideale und Ziele so pauschal wie deutlich als „falsche Götter des Westens“. Kann er ihnen entkommen? «Ich komme aus einer anderen Zivilisation» Als er im Februar 1968 das zweite Mal Kap Hoorn ansteuert, ist Moitessier ein halbes Jahr unterwegs. Allein, nicht einsam segelt er, beschäftigt mit Erinnerungen an seine Kindheit in französisch Indochina, seinen persönlichen Verstrickungen, seinen Dämonen. Wie er später in „Tamata“ erzählt, war er während des Guerillakriegs in Indochina knapp dem Tod entkommen. Plötzlich waren die Spielkameraden seiner Kindheit Feinde. Nach der Erschießung eines Viet Minh-Anhängers hat sein Bruder sich das Leben genommen. Moitessier verließ das Land seine Kindheit mit einem selbst zurechtgemachten Segelboot. Gewiß ist die fortgesetzte Flucht aufs Meer, sein Alleinsein ein Versuch, das Drama und Schicksal seiner in den Krieg geratenen Familie hinter sich zu lassen. Der Rückzug in die überschaubare Welt des Bordlebens ist ein ursprüngliches, verständliches Motiv, segeln zu gehen. „Wind, See, Schiff und Segel bilden eine zusammengehörige, lose gefügte Einheit, ohne Anfang noch Ende, Teil und Ganzes des Universums, meines eigenen, nur mir gehörigen Universums“ schreibt Moitessier. An Bord sucht er Orientierung, einen Kurs für sein weiteres Leben. Die Ablösung von der europäischen Welt, in die er wenige Jahre zuvor hinein schnupperte, hat begonnen. Nach seinem Schiffbruch in der Karibik ist er als Berufsseemann an Bord eines Tankers via Hamburg nach Paris gekommen. Ermutigt von Jean-Michael Barrault hat er 1958 ein vielbeachtetes Buch über seine früheren Segelreisen geschrieben. Er hat sich als Außendienstler mit dem Verkauf von Autopolitur durchgeschlagen, den Entwurf seiner „Joshua“ umsonst, den Bau zum günstigen Materialkostenpreis bekommen. Er hat geheiratet. 1964 – 66 segelten seine Frau Françoise und er von Marokko, via Karibik nach Tahiti und um Kap Hoorn zurück – ihre Hochzeitsreise. Moitessier zeigt ihr sein einfaches, naturnahes Leben, das zum Glück so wenig braucht. Einen robusten Langkieler, aufgetakelt mit gebrauchten Telegrafenmasten, ansonsten wahrlich sparsam ausgestattet. Eine Taucherbrille, Geschick beim Fischfang, etwas Frischwasser und Nähe zur Natur reichen. Sechs Wochen verbringt das Paar vor Anker in einer Bucht der Barrington Insel auf den Galapagos. Beschäftigt mit den Pflichten der Bootspflege, Tauchen, Fischfang, Staunen, dem Honeymoon und unbekümmerten Leben in „einer Welt, die die Furcht noch nicht kennt.“ Doch sind die paradiesischen Tage für das Paar gezählt. Die Ehe ist nach Moitessiers zehnmonatigem Törn in Tahiti zuende. Die Beziehung zu Francoise, für die er in seinem zweiten Buch so liebevolle und rührende Worte gefunden hat, das Projekt gemeinsamen Glücks, gemeinsam erneut angesteuerter Paradiese, Geschichte. Nun ist er seit August 1968 wieder unterwegs. Auf die von vielen Törns unterbrochene Landlebens-Episode zurückblickend, erscheinen seine Jahre in Frankreich als Stippvisite. Moitessier ist damals bereits bekannt, gilt seit der kühnen Kap Hoorn Umsegelung als prominenter Hochseesegler. Der Architekt und Immobilienentwickler François Spoerry hat Moitessier ein Haus im damals à la Venedig gebauten Retortenhafen Port Grimaud angeboten. Keiner außer Moitessier hätte dieses Geschenk abgelehnt. Der Meeresvagabund vom Mekongdelta eignete sich nicht zur Galeonsfigur einer schicken Cote d‘ Azur-Touristik. Auch war Moitessier noch nicht bereit, an Land sesshaft zu werden. Die Heimat des maßgeblich asiatisch, teils europäisch geprägten Seglers, den als Kind bereits die Welt der Dschunken und ihrer Schiffer angezogen hatte, blieb das Meer. Die erschwingliche, einfache, instinktiv betriebene Nautik war seine Welt, blieb für ihn die einzig richtige Daseinsform. Moitessier hatte einem Fischer seiner Heimat einmal einen Kompass gegeben, der sich das Instrument gründlich ansah. Am nächsten Tag erhielt Moitessier den Kompass mit folgender Erklärung zurück: „Du brauchst Licht, um ihn nachts zu sehen und das blendet Dich. Segelst Du stattdessen nach den Sternen oder der Windrichtung segelst Du ungestört vom Licht. Du sieht immer wo du hinfährst und Deine Ohren hören, was das Meer ihnen sagt.“ Moitessier ging es um Kontrolle, um Freiheit, die der Mensch gegenüber Technik hat, behält oder verliert. Eine interessante, auch in unseren Lebenszusammenhängen orientierende Überlegung. Moitessier wird als „segelnder Minimalist“ gesehen. Die Rubrizierung von Menschen oder Ideen ist eine clevere, aber auch durchschaubare Strategie, um sich nicht auf sie und ihre Überlegungen einzulassen. Sein selbstgewähltes Alleinsein, die bewusst getroffene Entscheidung gegen ein von den Regatta-Veranstaltern angebotenes Funkgerät ist Voraussetzung für die Gelassenheit und den Frieden, den er unterwegs findet. Von gelegentlichen Nachrichten im Radio abgesehen erfährt er von draußen nichts. Seine Kommunikation ist nur in einer Richtung möglich. Er hat sich für das Senden per Flaschenpost mit Nachrichten in unterwegs ausgesetzten Modellbooten oder bei gelegentlichen Begegnungen mit anderen Schiffen per Steinschleuder entschieden. Seit seiner Kindheit ist er mit der Zwille, bestehend aus Astgabel und Gummiband vertraut. Damit schießt er seine Nachrichten und die Filme seiner Fotos treffsicher an Bord anderer Schiffe.  Sein Solistentum ist Voraussetzung, den Augenblick eines brechenden Wellenkamms im Zeitraffer zu beschreiben wie den Abgang einer Lawine. Sein selbstgewähltes Alleinsein, die bewusst getroffene Entscheidung gegen ein von den Regatta-Veranstaltern angebotenes Funkgerät ist Voraussetzung für die Gelassenheit und den Frieden, den er unterwegs findet. Von gelegentlichen Nachrichten im Radio abgesehen erfährt er von draußen nichts. Seine Kommunikation ist nur in einer Richtung möglich. Er hat sich für das Senden per Flaschenpost mit Nachrichten in unterwegs ausgesetzten Modellbooten oder bei gelegentlichen Begegnungen mit anderen Schiffen per Steinschleuder entschieden. Seit seiner Kindheit ist er mit der Zwille, bestehend aus Astgabel und Gummiband vertraut. Damit schießt er seine Nachrichten und die Filme seiner Fotos treffsicher an Bord anderer Schiffe. Sein Solistentum ist Voraussetzung, den Augenblick eines brechenden Wellenkamms im Zeitraffer zu beschreiben wie den Abgang einer Lawine. Nach seiner Entscheidung, vom Regattakurs abzubiegen und seine Reise mit neuem Ziel fortzusetzen, wurde über Moitessiers geistigen Zustand spekuliert und darüber, ob ihm die lange Einsamkeit veränderte habe. Steigert die Gefahr und Intensität des Segelns in den hohen Breitengraden das Bordleben des Solisten zur persönlichkeitsverändernden Droge? Einhandsegler haben wiederholt von Erscheinungen unterwegs berichtet. In Moitessiers „Verschenktem Sieg“ ist dokumentiert, wie euphorisch er während seiner langen Reise lebte. Auch diese Entgrenzungserfahrung, die gefährliche Lust, seinem Schiff von außen, vorne aus dem Bugkorb beim Segeln zuzuschauen oder es aus guten Gründen zu lassen, hat er geschildert. Moitessier hat die erste Einhand-Regatta um die Welt als teils willkommenen, teils abgelehnten Anlass genommen, wieder segeln zu gehen. Er ist Reisender, kein Regattasegler. „Von Plymouth ablegen und nach Plymouth zurückkehren erscheint mir (…) als von nirgendwo nach nirgendwo zu segeln“ erkennt er. Der Teilnehmer einer Regatta segelt nicht nur geografisch gesehen, auch gedanklich im Kreis, kehrt zurück, wo er hergekommen ist: in den Heimathafen, auf das Parkett des Clubs. Über den Genuss intensiv gelebter Stunden, Tage oder Wochen an Bord hinaus gilt das eigentliche Interesse des Regattaseglers der Anerkennung, Bestätigung, der Befriedigung im Wettkampf gut abzuschneiden. Moitessier interessiert das nicht. “Regattasegeln ist wie Pokern“ erklärte er seinem Pariser Seglerfreund und Förderer Jean-Michael Barrault bereits 1960 nach der Teilnahme an der Giraglia-Regatta. Moitessier kam von draußen. Er blieb draußen. Diese Haltung ist für den Leser eine Chance. “Ein Boot ist Freiheit, kein Transportmittel» Als er mit „Joshua“ Kap Hoorn ansteuert ist er Anfang Vierzig. Hinter ihm liegt die bestandene Prüfung der Kap Hoorn Umsegelung mit seiner Frau, wo das Ehepaar lernt, das Boot ungebremst durch die Wasserwüste des gefährlichen Südpazifiks zu bringen. Moitessier hat es in „Der logische Weg“ beschrieben. Er hat seine Ängste hinter sich gelassen wie die damals zum Bremsen des Bootes geschleppten, im Südpazifik abgeschnittenen Trossen. Im Bücherbord hat er ein Buch über „Sport & Yoga“ entdeckt. Die Übungen geben ihm Konzentration, Mitte, Kraft und Anschluss an seine in Indochina erlebte Kindheit. Bei einem Interview erklärte er Anfang der Achtzigerjahre scheu lächelnd an Bord von „Joshua“ in San Francisco: „Wir sind ein Haufen Affen, mich eingeschlossen. Schauen Sie, was wir machen? Wir bekämpfen einander, es gibt überall Kriege. Ich erkenne darin nichts Menschliches. Wir kämpfen um Geld, wir verschwenden. Menschen hungern. Es interessiert uns nicht. Wir sind alle Affen, aber wir können uns entscheiden ob wir weiter Affen bleiben wollen oder uns weiterentwickeln.“ Diesen Schritt zu gehen, ihn vorzuleben war seit dem Ausstieg in Polynesien sein Thema. Segeln ist für Moitessier eine Chance zur eigenen Weiterentwicklung, ein Weg auf seiner Suche nach der vierten Dimension. Moitessier hatte sein zweites Buch „Der Logische Weg“ 1966 rasch, den zweiten Teil spürbar lustlos geschrieben. Als nacherzähltes Logbuch hob es sich kaum vom Genre der üblichen bunten Abenteuer-, Langfahrt- und Weltumseglerbücher ab. „Der Logische Weg“ war für ihn unter Par. Seitdem hatte der sich schreibend selbstvergewissernde Segler eine Rechnung offen. Er wollte zu einem noch zu erkundenden Kern vordringen. «Ich habe gelernt, mich mit dem Wesentlichen zu befassen» Moitessiers Drama: Als er am 21. Juni 69 nach seiner langen Reise in Tahiti anlegt, ist das „Monster“ der westlichen Welt schon da. Die Betonmischer stehen zur Modernisierung von Papeete, jenes Hafens, den er drei Jahre zuvor mit seiner Frau als Idyll kennengelernt hatte, bereit. Sein Freund Jean-Michael Barrault hat als jahrzehntelanger Begleiter, Sympathisant und Weggefährte in „Moitessier, A Sailing Legend“ das Problem des in Tahiti angekommenen Seglers so gütig wie klar geschildert: die Drückebergerei vor der selbstgesteckten, noch nicht klar umrissenen, großen Aufgabe. Praktisch jeder, der sich selbstständig einer handwerklichen, kreativen oder abstrakten Aufgabe stellt, kennt diese Hürde. Als Moitessier Anfang der Siebzigerjahre, gefördert von seiner zweiten Lebensgefährtin Iléana Draghici auf Tahiti nach hartem Kampf „La Longue Route“ getippt, über die Schilderung seiner langen Segelreise hinaus die großen persönlichen Fragen und den Irrsinn von Kriege, Umweltzerstörung und besinnungsloser Modernisierung formuliert hat, ist er müde, rutscht in Apathie. Die falschen Werte des Westens „Meiner Ansicht nach ist die Botschaft Christi das, was uns seit Anbeginn der Welt als das Großartigste und Schönste anvertraut wurde. Ich griff somit nicht die Religion (oder die Religionen) an, sondern die falschen Werte des Westens. Ich wollte eine klare Antwort auf folgende Frage: Sind wir ein Haufen von Schweinen und Schmutzfinken, oder nicht? Sind volle Teller und der Komfort um jeden Preis unser vorrangiges Ziel, oder nicht? Wer ehrlich genug ist, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken, kann darauf nur eine Antwort geben. Eine zweite wesentliche Frage ergab sich aus der ersten: Sind wir gezwungen, Schweine und Schmutzfinken zu bleiben? Oder wollen wir zu Menschen werden? Im Tausch gegen die materielle Sicherheit, der ich den Rücken kehrte, wollte ich einfach eine Antwort auf diese beiden Fragen zum Sinn des Lebens. Und ich wollte, dass die Debatte in der Öffentlichkeit stattfand.“ So fasste er es später einmal zusammen. Es sind unangenehme, das in Arbeit und Freizeit kalibrierte Leben störende Fragen, große Fragen. Barrault zufolge ist Moitesser oft abgerutscht. „Bernard ist sehr kompliziert. Er braucht Bestätigung/Beruhigung. Er ist eher instinkt- als vernunftgeleitet und unberechenbar“, sagte eine seiner Partnerinnen über ihn. In den Tropen aufgewachsen war es für ihn undenkbar, ohne oder gegen die freigiebige Natur zu leben. Während einer Fahrradtour durch Frankreich war er enttäuscht, so wenige Obstbäume an den Straßen zu sehen. Wie vieles, was er aus seiner Kindheit in Saigon erinnerte, waren Bäume als Elixier des Lebens für ihn unverzichtbar. Es war sein mit Briefen und PR-Aktivitäten proklamiertes, auf dem Ahe-Atoll im Tuamotu-Archipel gelebtes Rezept zur Rettung der Welt. „Bäume pflanzen würde das Bewusstsein der Menschen auf ganz einfache Weise ändern. Erst pflanzt, dann gießt Du die Pflanze. Du bekommst einen Baum, er trägt Früchte. Das verbindet die Erde mit dem Himmel – es würde der Garten Eden. Wenn wir wollen, können wir diesen Garten Eden überall schaffen.“ Das ist schlicht und typisch Moitessier im großen Zusammenhang gedacht. Und es ist machbar. So lässt sich „Der verschenkte Sieg“ auf verschiedenen Ebenen lesen. 2015 erschien im Aequator Verlag die Autobiografie mit dem deutschen Titel „Tamata. Erinnerungen eines Seglers“. Die 1993 erschienene Originalausgabe „Tamata et l’alliance“ ist von vornherein deutlicher betitelt. Bei „Alliance“ geht es um Moitessiers großes Thema, die Verbundenheit mit dem Universum, die spirituelle Seite des Lebens, die sich auch über das Segeln spüren und (wieder)entdecken lässt: während einer Nachtfahrt unter einem klaren Sternenhimmel oder durch südliche, phosphoreszierende Gewässer. Tamata heißt in der Maori Sprache „Versuch es“. Machen, wollen, versuchen war Moitessiers Motto, als er sich nach Jahren der Agonie und des Lamentierens, mit Iléana Draghici und Sohn Stephan Oktober 1975 bis August 1978 als Entwicklungshelfer versuchte. Tamata war sein Spitzname bei den Einheimischen. So nannte er auch sein letztes Boot. Moitessier gelang es, den widrigen Lebensbedingungen auf dem schmalen, niedrigen, sonnendurchglühten Korallenkranz des Atolls eine Existenz als Selbstversorger mit einem Gemüsegarten und Fischfang abzutrotzen. Es war in Ansätzen möglich, die Gewohnheit der Insulaner, gerade so viel zu tun, wie zum bisherigen, allerdings in zunehmender Abhängigkeit von Importen geführten und automatisch verteuerten Leben nötig ist, zu ändern. Solche Abhängigkeit von Konsumgütern, Lebensmitteln oder Saatgut zunächst einmal weltweit zu installieren und sodann dauerhaft teuer zu verkaufen, also die Schaffung und Lösung des Problems gleichermaßen, ist eine perfide Strategie westlich geprägten Wirtschaftens. ?? Seine Ideen zum Pflanzen und Schützen weiterer Kokospalmen, sein Versuch mit Trinkwasserproblemen, Malaria, den allgegenwärtigen Ratten fertig zu werden, wurden skeptisch beobachtet. Sie wurden zögernd angenommen und wieder vergessen, als Moitessier sich mit Frau und Kind neuen Zielen zuwandte. Ist er also gescheitert? Ich meine nein, denn „Monsieur Tamata“ hat es versucht. «Bernard war halb Fisch, halb Affe, was auf See praktisch ist» Moitessiers Lebensgefährtin Véronique Lerebours Pigeonnaière Die Übersiedlung nach Kalifornien, von der sich Moitessier neben dringend benötigtem Geld auch bessere äußere Umstände und die richtige innere Verfassung zum Schreiben seiner Biografie versprach, endete mit der Strandung seines Schiffes in Mexiko im Desaster. Er hatte den gleichaltrigen Klaus Kinski als zahlenden Gast an Bord genommen. Die gemeinsame Zeit von Moitessier und „Joshua“ begann mit der Segelausbildung, im Grunde der Weitergabe des Segelvirus an Menschen, die das ehrlich schlichte Segelhandwerk lernen wollen. So hörte sie auch auf. Kinski plante ein eigenes Boot. In einem Interview erklärte er wörtlich, er wolle damit „aus der Zivilisation verschwinden.“ Wenn auch unter anderen Voraussetzungen und Vorzeichen war Kinskis Projekt das, was Moitessier, seit dem Ablegen in Plymouth am 22. August 1968 versucht hatte. Über den Verlust von Joshua gibt es zwei unterschiedliche Geschichten. Die von Moitessier erzählte und eine, die das Langfahrtseglerpaar Lin und Larry Pardey erkundeten und eine Weile taktvoll unterdrückt haben. Es ist verständlich und unverständlich zugleich, dass Moitessier sein Schiff nach dem Sturm am Strand verschenkt hat, obwohl „Joshua“ zu retten war. Verständlich, weil er müde und möglicherweise auch mental ausgezehrt war. Vielleicht sah er, dass sein Kapitel mit „Joshua“ zu Ende war und das Boot in andere Obhut kommen musste, damit es bleibt. Unverständlich erscheint es, weil er nach etwa zwanzigjähriger Symbiose ein Schiff aufgab, das er in seinen Büchern beschworen, ihm Eigenschaften eines Lebewesens zugemessen hatte. Ein Jahr später hat Moitessier ein neues Boot. Wieder hat er es quasi geschenkt bekommen. Das ist von einem Europäer, einem nach Erwerbs- und Besitzgesichtspunkten lebenden Deutschen nicht ohne weiteres zu verstehen. Moitessier lebte in anderen Zusammenhängen, mit Göttern und Dämonen. Er hat auf andere Weise gegeben und bekommen.

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Zweite Chance

Englands Segelheld Sir Francis Chichester jagt 1967 seine „Gipsy Moth IV“ in Rekordzeit um die Welt. Danach verkümmert das Schiff im Museum. Jetzt ist es zurück in seinem Element. Porträt eines großen Mannes und seiner Yacht. Segeln tut gut. Segeln verlängert das Leben. Welche andere Freizeitbeschäftigung und Lebensform gibt es, der diese Vorzüge nicht bloß nachgesagt werden, wo sie sogar bewiesen sind? Das größter Beispiel dafür ist die englische Hochseesegellegende Sir Francis Chichester (1901-1972). Mit der berühmten 16 Meter Ketsch „Gipsy Moth IV“ segelte der Mittsechziger auf der Route der Wollklipper in Rekordzeit um die Welt. 36 Jahre stand sie als Museumsschiff neben der „Cutty Sark“ in Greenwich, von Millionen besichtigt. Mit panoramaverglastem Deckshaus, den dicken runden Radiatoren der Bordheizung, kardanischem Sessel, den Kressetöpfen, der Zapfstelle für das Whitbread Bier, der klobigen Kestrel Marconi Funkanlage und den musealen Brookes & Gatehouse Hecta, Harrier, Hengist und Horsa Instrumenten mit analogen Anzeigen über der backbordseitigen Lotsenkoje. Britannia ruled the waves. Chichester war genau der Richtige für das bröckelnde Selbstbewusstsein des Commonwealth. Es brauchte einen Helden a la Chichester. Der notorische Abenteuer wiederum genoss mehr noch als den ersegelten Adelstitel die Anerkennung – und die Möglichkeit, bis zu seinem Lebensende zu Segeln. Jahrzehnte dem Besucheransturm, Wind und Wetter ausgesetzt, wurde das formverleimte Holzboot morsch. Die muffig riechende, heruntergekommene „Gipsy Moth IV“ war kein würdiges Ausstellungsstück mehr. Schiffe, die zu lange sachfremd an Land herumstehen, gehen kaputt. Abwracken war keine Lösung, ihre Rettung schon eher. So wechselte sie November 2004 für den symbolischen Preis von einem Pfund und einem Gin-Tonic den Besitzer und ist nach siebenmonatiger Instandsetzung als Ausbildungsschiff der United Kingdom Sailing Academy (UKSA) wieder in ihrem Element. Mit ihrem weißen Rumpf, dem vorn ausgekragten Vorsteven, den Mahagoniluken und neuen Segeln ist sie vermutlich schöner als bei ihrem ersten Stapellauf. Nun segelt sie zum zweiten Mal um die Welt. Allerdings mit mehrköpfiger Crew der United Kingdom Sailing Academy (UKSA) und auf sonnig-komfortabler Route. Als Chichester 1960 beim Finale der ersten Einhand-Atlantik Regatta New York ansteuert, notiert er: „Jetzt verstehe ich, warum Menschen damals wie heute Zuflucht auf dem Meer suchen. Nach einem Monat allein mit sich und dem Meer ist man geläutert und versteht die echten Werte des Lebens.“ Einhand Langstreckenregattasegeln ist damals neues Terrain, ein Wagnis mit ungewissem Ausgang, für Chichester auch Meditation, reinigend wie ein Saunagang. Nach 40 Tagen, 12 Stunden und 30 Minuten quert er als erster die Ziellinie. Zwei Jahre zuvor wurde dem Londoner Kartenverleger Francis Chichester Lungenkrebs diagnostiziert, er darüber aufgeklärt, dass er aus ärztlicher Sicht allenfalls weitere sechs Monate Leben würde und zu einer Operation geraten. Chichesters Frau Sheila lehnt den Eingriff ab. Sie nimmt ihren Mann aus dem Krankenhaus wieder mit nach Hause und pflegt ihn. Der waghalsige Flugpionier, Regattasegler und Tatmensch erholt sich in Südfrankreich mit der Planung eines neuen Projekts. Er träumt von Hochseeabenteuern jenseits des Ärmelkanals, Trips, die keiner zuvor so wagte. Bereits im Juni ’59 segelt als Navigator das Fastnet Rennen und setzt die Therapie mit seinem zweiten, eigentlichen Leben als Blauwassersegler fort, gewinnt ‘60 das erste Observer Singlehanded Transatlantic Race (Ostar) Rennen. Die Zeit bis zur nächsten Regatta vertreibt er sich mit einer flotten Solopassage in die Staaten. 1964 erreicht Chichester anlässlich der zweiten Ostar Regatta sein persönliches Ziel, den Atlantik von Ost nach West in weniger als 30 Tagen zu queren. Er wird zweiter, nach Eric Tabarly. Der athletische 32-jährige Leutnant der französischen Marine ist halb so alt wie Chichester. „Pen Duick II“, das Boot des Franzosen ist eine federleichte 13,60 m Sperrholzketsch, gegenüber Chichesters klassisch eleganter 12 Meter Slup ein unerschrocken moderner Bootstyp. Dass ein bis dato unbekannter Gallier Chichester auf und davon segelt, macht das zweite Ostar Rennen für die Briten zum Debakel und für die Franzosen zur segelsportlichen Revanche der Grande Nation für die Anno 1805 verlorene Schlacht von Trafalgar. Chichester segelt auf eigenem Kiel zurück, wie gewohnt begleitet von Ehefrau Sheila und Sohn Giles. Sechs Mal hat der rüstige Hochseesegler jetzt den Atlantik auf eigenem Kiel bezwungen. Obwohl die vom Golfstrom und deftigen Tiefs bewegte atlantische Wasserwüste nicht gerade so überschaubar und sicher ist wie der von Chichester gern besuchte Teich des Kensington Park, wo er Modellsegelboote und deren Selbststeueranlagen beobachtet, kennt Chichester doch das Gewässer und dessen Herausforderung. Es wird Zeit für etwas neues, die Umsegelung Kap Hoorns. Sein Kartenverlag daheim geht eher schlecht als recht und frische Seeluft ist für den lungenkranken Senior allemal gesünder, als der Smog Londons. Außerdem möchte der Abenteurer seinen großen Traum auf dem Wasser verwirklichen, der dem passionierten Flieger in der Luft nicht möglich war, die Umrundung der Erde. Das Bedürfnis nach Anerkennung durch weithin wahrgenommene Heldentaten und Erstleistungen ist dem 1901 geborenen Chichester in die Wiege gelegt. Er wächst in einem gleichgültig-desinteressierten Elternhaus auf, macht als Einzelgänger von sich reden und verlässt England bei der erstbesten Gelegenheit mit 18 Pfund in der Tasche. Chichester entscheidet sich für die Jagd nach jener Anerkennung, die ihm zuhause nicht gegönnt war, das Abenteuer. In seinem Elternhaus sind drei Lebenswege für ihn vorgesehen, entweder in der Armee, bei der Marine oder in der Kirche. Er schwört, frühestens mit Ersparnissen von 20.000 Pfund zurück zu kehren. Das ist damals eine stolze Summe. Die ersten neun Pfund verdient er sich im Kohlenbunker der „Bremen“ bereits während der Passage zum neuseeländischen Wellington. Chichester jobbt im Tagebau, als Goldsucher, Schafzüchter, Holzfäller, Zeitschriften- und Autoverkäufer oder Immobilienmakler. 1929, nach zehn Jahren hat er es so weit gebracht, dass er sich mal daheim in der englischen Grafschaft Devon blicken lassen kann. Der 28-jährige lernt fliegen, kauft sich ein Flugzeug vom Typ De Haviland Gypsy Moth und dreht mal eine kesse Runde mit seiner Schwester, die sich am meisten darüber freut, wieder lebend aus dem Gefährt zu steigen. Zwei Jahre nach Charles Lindberghs berühmtem Atlantikflug guckt sich Chichester Europa von oben an. Dann knattert der frisch gebackene Pilot allein zum Outback zurück, das andere Ende des Commonwealth. Chichesters Alleinflug nach Australien ist eine kühne Tat, leider nur der zweite in der Geschichte. Es wird langsam mal Zeit für eine chichestersche Erstleistung. So startet er 1931 mit Schwimmern unter seinem einmotorigen Doppeldecker zur riskanten 2.000 km Passage von Ost nach West über die wetterwendische Tasmansee. Eine große Herausforderung dabei ist die Sextant Navigation, um die Lord Howe Inseln zur Zwischenlandung zu finden, bevor der Sprit ausgeht. Flinke und präzise Standortbestimmungen werden ihm später über die Weltmeere helfen. Die Passage von Neuseeland nach Sydney ermutigt Chichester, allein um die Welt zu fliegen. Das hat auch noch keiner gemacht. Die Reise endet in Japan, wo er in eine Telefonleitung gelangt und östlich von Tokio in den Hafen von Katsuura stürzt. Chichester kommt mit 13 Brüchen davon und geht eine Weile fischen. In Ermangelung eines eigenen Flugzeugs überredet einen vermögenden Schafzüchter, mit ihm 1936 nach England zu fliegen. Dort macht er während einer Zugfahrt seiner zukünftigen Frau Sheila Craven einen Heiratsantrag mit der offenherzigen Erklärung, er hätte „hundert Pfund in der Tasche, 14.000 Pfund Schulden und ein Paar Bäume in Neuseeland.“ Offenbar überzeugte eher sein Charme als seine Vermögensverhältnisse. Den zweiten Weltkrieg möchte der passionierte Flieger natürlich nicht am Boden bestreiten, sondern Großbritannien als Pilot verteidigen. Im Unterschied zu seinem ähnlich vom Fliegen besessenen französischen Kollegen Antoine de Saint-Exupéry, wird Chichester aus Altersgründen nicht genommen. Nach dem Krieg gründet er in London den heute noch bestehenden Kartenverlag, die Francis Chichster Ltd und lernt segeln. 1952 kauft er sein erstes Boot, eine gebrauchte 8 Tonnen Slup, die er in Erinnerung an seinen weit gereisten Doppeldecker „Gipsy Moth II“ tauft. Chichesters Begeisterung und Ehrgeiz führen ihn rasch auf namhafte Regattaboote. Bald lässt er vom seinerzeit angesehenen Yachtarchitekten Robert Clark (Favona, Jocasta, Ortac) „Gipsy Moth III“ zeichnen, eine schlanke, langkielige Slup mit V-förmigen Spantschnitten, jenes Schiff, mit dem er 59-jährige die erste Ostar-Regatta gewinnt und den Nordatlantik erkundet. Für die Umschiffung Kap Hoorns wählt Chichester die Route der berühmten Wollklipper, die Neuseeland und von Westen her ansteuerten. Nachdem ihm der Alleinflug um die Welt nicht glückte und es schon die eine oder andere Weltumseglung gab, plant Chichester die schnellstmögliche Reise mit gerade mal einem Zwischenstopp, so schnell wie die ungleich größeren, vielbemannten Clipper. Er möchte es in hundert Tagen von Plymouth bis Sydney schaffen, und nach weiteren hundert Tagen wieder in Plymouth festmachen. Das geht mit „Gipsy Moth III“ nicht. Für dieses kühne Vorhaben braucht er eine eigens entwickelte Rennmaschine, deren gestreckte Wasserlinie eine größere Durchschnittsgeschwindigkeit bietet. Lediglich die einzelnen Segelgrößen und die Verdrängung begrenzt der Mittsechziger. Segelrollanlagen und selbstholende Winschen sind damals noch nicht erfunden. In den 60er Jahren wird noch von Hand und mit Stagreitern gesegelt. Mehr als neun Tonnen darf das neue Schiff folglich nicht wiegen. Die bewährte Einrichtung soll von seinem zweiten Schiff übernommen werden. Das Boot entsteht in Zusammenarbeit von Angus Primrose und der englischen Hochseesegelkapazität John Illingworth, einem Segler vieler RORC Regatten und Erfinder des Sydney-Hobart Rennens. Die angesehene Werft Camper & Nicholsons fertigt in der noch recht neuen formverleimten Bauweise aus fünf Lagen Honduras Mahagoni. Neue wasserbeständige Leime machen es möglich. Eine große Yachtsporttradition, große Namen stehen hinter dem Projekt. Das Ergebnis ist ernüchternd. „Gipsy Moth IV is perhaps one of the worst racing yachts ever built“, eine der wahrscheinlich schlechtesten Rennyachten, die je gebaut wurden, meint ein Kenner. Sie wird Monate später fertig als geplant. Sie ist mit 11,5 Tonnen deutlich schwerer geworden als geplant, mit 35.000 Pfund zugleich wesentlich teurer als veranschlagt. Immerhin lässt sich dieses Problem lösen. Chichesters Vetter Tony Dulverton hat Geld, er finanziert das Abenteuer. Gravierender ist, dass das Verhältnis von Segelfläche zur Verdrängung nicht stimmt. Gipsy Moth IV geht mit einer Segeltragezahl von nicht einmal 4 an den Wind, einem aus heutiger Sicht mäßigen Fahrtenbootwert. „Gipsy Moth IV“ läuft bei leichten Winden nicht und fordert dem Einhandsegler ständige Segelwechsel ab. Der Ballastanteil liegt, bezogen auf 11,5 Tonnen, bei mageren 33 Prozent, verdammt wenig für ein schlankes, auf das Blei im Kiel angewiesenes Schiff. Das Boot ist rank und rollt wie der Teufel. Nach ersten Probeschlägen bessert die Werft nach, packt eine halbe Tonne Blei zusätzlich unters Schiff. Chichester schafft die Reise annähernd so schnell wie die berühmten Wollklipper. 226 Tage verbringt er allein auf See. Der zähe Senior ringt dem unausgewogenen, untertakelten, nicht gerade kursstabilen Schiff eine Durchschnittsgeschwindigkeit von sechs Koten ab. Das Boot ist undicht, Haslers Selbststeueranlage nicht ausgereift. Chichesters Skizzen von der bewährten Kajüteinrichtung seines Vorgängerschiffs wurden nicht umgesetzt. Konstrukteur Primrose hat die Zeichnungen verschlampt. Die hölzernen Schubladen quellen und klemmen oder leeren ihren Inhalt auf die Bodenbretter. In Sydney kommt das Schiff in die Werft, Kursstabilität und mangelhafte Steifigkeit werden mit einem modifizierten Kiel verbessert. Die Fachwelt, Freunde und Verwandte raten dem von den Strapazen der Reise entkräfteten Chichester von der Fortsetzung der Reise ab. Der Southern Ocean gilt damals mehr als heute als No Go Area, eine Wasserwüste, die niemand freiwillig ansteuert. Doch Chichester segelt weiter. Bereits in der Tasmansee, jenem Gewässer, das er einst mit seinem Doppeldecker überflog, kentert er durch. Vor Kap Hoorn entsteht dann jene Aufnahme, die zur Ikone des Yachtsports geworden ist. Sie zeigt die Ketsch in schwerer See, angetrieben von einem handfesten Sturm unter blanken Masten und dem kleinen Dreieck der Sturmfock. Chichester ist unter Deck und meldet sich via Kestrel Marconi Radio: „This is Gipsy Moth IV calling London …“ Die halbe Welt verfolgt seine Reise anhand Chichesters regelmäßigen Meldungen. Die englische Marine empfängt den Segelhelden vor Kap Hoorn mit einem im Süden stationierten Patrullienschiff, Reporter kreisen in einem Flugzeug über dem Einhandsegler. Seit diesem kalten grauen Montagmorgen, dem 20. März 1967 vor Kap Hoorn ist das Ozeansegeln ein medial aufbereitetes Spektakel, dem zwei Jahre später die erste Einhandregatta um die Welt, Anfang der 70er dann das erste Whitbread Round the World Rennen, Vorläufer des heutigen Volvo Ocean Race, folgt. Chichester schafft die Reise nicht dank, sondern trotz seines Schiffes und fasst seine Motive zu dieser Reise in Plymouth mit dem entwaffnend ehrlichen Satz zusammen: „ich segele, weil es mein Leben intensiver macht“. Für sein Schiff findet er nach dem triumphalen Empfang in England nüchterne Worte: „Ich hänge nicht an Gipsy Moth IV. Außerdem gehört mir bloß das Achterschiff, meinem Vetter gehören zwei Drittel. Ich hätte kein Problem, das Achterschiff abzusägen. Das Boot war eh zu lang.“ Eine erstaunlich kalte Bemerkung nach einer alles in allem geglückten Reise, die ihm Ruhm und weltweite Bewunderung brachte. Seit der Überführung nach London segelt Chichester „Gipsy Moth IV“ nicht mehr, ruht sich allerdings auch nicht im Lehnstuhl aus. Mit knapp 70 Jahren segelt er mit seinem neuen, diesmal schonergetakelten Renner „Gipsy Moth V“ von Robert Clarks Reißbrett weitere Rekorde auf dem Atlantik. Sir Francis lebt die Droge der seglerischen Lebensintensivierung geradezu besessen, bis er 1972 seinem Krebsleiden erliegt. Die „Yacht“ würdigt ihn damals als „Wahnsinns-Typ.“ Sir Francis Chichesters Abenteuer mit dem einmotorigen Doppeldecker, seine Rekordjagden mit unterschiedlich geeigneten Schiffen bleiben ein „Triumph über den Anpassungsdruck und die Durchschnittlichkeit modernen Lebens“ wie eine Zeitung in Sydney meint. Um 14 ereignisreich glückliche Jahre hat der notorische Abenteurer sein Leben unter Segeln verlängert.

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Dann eben mit der Kreissäge

Der Wechsel vom Berufsleben in den Ruhestand ist keine einfache Sache. Der Schritt mag nach jahrzehntelanger Arbeit lange ersehnt sein. Schwupp, ist man verabschiedet, nicht mehr gefragt. Plötzlich gibt es endlos Zeit. Und nun? Also, der Rentner kann morgens die Zeitung und die Wecken holen, der Frau ein paar Takte vorlesen. Er kann ihr mit längst bekannten Ansichten und Anekdoten auf den Geist gehen, noch mal Kaffee nachschenken. Er kann zum Einkaufen mitkommen und so tun, als ob es ihm bei dieser Art des Zeitvertreibs blendend ginge. Der Tatendrang von Deflef Huss Das wäre für den siebenundsechzigjährigen Schweriner Detlef Huss kaum die Kür des Pensionärslebens. Dazu ist er zu aktiv und auch mitteilsam. „Ich habe in der DDR damals eine Ausbildung zum Elektromotorenbauer gemacht und war als Fertigungstechnologe Mädchen für alles, habe eine Weile in der Drahtherstellung gearbeitet, konnte mit Kupfer und Aluminium umgehen und war in der Spritzgießerei tätig“, berichtet Huss. „Ich konnte mich handwerklich aber selbst nie verwirklichen.“ Die Wiedervereinigung schuf mit direkt erhältlichen, international üblichen Bootsbauprodukten und den überall errichteten Baumärkten einen Teil der Voraussetzungen. Jetzt musste Huss nur noch Zeit zum Ausschöpfen seines handwerklichen Potentials finden. Die kam 2006 mit seiner Pensionierung. Zwar holte Huss morgens auch mal die Zeitung und die Wecken, doch sein eigentliches Projekt war die „Dufte Wanne“. So hieß der sechs Meter lange Jollenkreuzer, den er im Dezember auf einem Anhänger zuhause vors Garagentor schob. Mit gezielten Axthieben und geschickt angesetzter Säge füllte Huss seinen Bootsbauer-Ruhestand. Sein Projekt: die Verwandlung der eigentlich ganz hübschen, aber frevelhaft zur segelnden Wasserdatsche umgebauten Schweriner Einheitsjolle von anno 1922. „Meine Sportsfreunde im Segelclub waren entsetzt. Alle fanden die formschön gerundete Kajüte gelungen. Viele Jollen sind ja damals bei uns im Osten zu solchen Familienkutschen umgebaut worden.“ Aber Huss wollte zurück zu den Ursprüngen, das Boot zu einem seltenen Exemplar jener heimattypischen Jolle zurückbauen, wie 1921 von Konstrukteur Reinhard Drewitz im Auftrag des Schweriner Segler-Vereins als Boot für kleine Leute entworfen. „Als ich mit der kleinen Stichsäge nicht vorankam, habe ich mit der Kreissäge und einem Videablatt weitergemacht. Das kann Nägel oder Schrauben ab.“ Der Unruheständler entfernte das Deck, erneuerte die Decksbalken nebst Winkeln (Knien) zur Bordwand und „schliff die gesamte Glasfaserbeschichtung bis auf das blanke Holz vom Rumpf herunter, was bei einem stufigen Rumpf in Klinkerbauweise keine leichte Sache ist. Da hatte ich zwischendurch mal die Schnauze voll.“ Immerhin musste Huss in den Pausen daheim nicht mit Wecken, Zeitung und Kaffee herumsitzen. Er hatte sich nämlich einige Jahre zuvor mit der „Sindbad“ schon mal den gleichen Bootstyp zugelegt. Auch die war unten herum „überplastiziert“, wie die Ostdeutschen die Glasfaserbeschichtung nennen, aber oben herum offen geblieben. Dieses Boot segelte Huss einfach weiter, und diese Freizeitbeschäftigung hält die Mundwinkel oben. Der Tausch der Nieten zur Verbindung von Planken und Spanten, die Sanierung des Stevens und die Erneuerung einiger Planken im Bereich der Wasserlinie, wo ein Holzboot am meisten durch Wellen und Fäulnis beansprucht ist, machte als traditionelles Bootsbauerhandwerk wieder Spaß. Was immer er selbst machen konnte, richtete Huss selbst. Bei kniffeligen Sachen fragte er Profis. Mast, Baum und die Gaffel beispielsweise tischlerte ein ehemaliger Kollege, der Treppenbauer Thomas Fahrenson aus Parchim, aus Kiefer. Als Muster diente die Takelage der „Sindbad“. Auch die Eiche für die Decksbalken und die Bodenbretter, das Mahagoni für den obersten Plankengang und das Deck wurden von Fahrenson so passend getischlert, „dass ich die Teile rasch montieren konnte“. Und weil bei der Instandsetzung einer segelnden Antiquität halbe Sachen auf Dauer betrüblich sind, wurde sogar mancher Beschlag der „Sindbad“ nachgegossen. Dafür gewann Huss den Wismarer Kirchenrestaurator und Gelbgießer Ralf Freese. „Das Schöne an so einem Projekt ist ja nicht nur die Werkelei. Man bekommt neben Zuspruch auch wunderbare Unterstützung aus ganz unerwarteten Ecken. Da wurde bei den Stunden auch mal ein Auge zugedrückt.“ Schildermacher Gunske aus Parchim half mit den Bronzestreifen als Unterlagen für die Beschläge. Die Bleche verhindern, dass das Deck verkratzt. Huss berichtet von einer Hilfsbereitschaft, ohne die einst in DDR-Zeiten nichts lief, ohne die der Segelsport als gelebte Freiheit vom verordneten Sozialismus nicht denkbar war. Beim heißersehnten Probeschlag im Herbst vorigen Jahres hielt Huss die oben vom Baum kommende Großschot in einer unbequemen und seit Jahrzehnten unüblichen Haltung in der Hand. Es gibt weder eine Umlenkrolle im Plichtboden noch eine Belegemöglichkeit. Vorschoter Peter Pfeifer, ein Bootsbauer, der beim Plankenwechsel half, hielt die Fockschot in der Hand. „Da hat sich Bootskonstrukteur Drewitz natürlich damals was bei gedacht. Wer die Schoten in der Hand hält, lässt sie rechtzeitig los und kentert nicht.“ Um die vier Windstärken wehen aus Ost. Ein paar Zirren schmücken den blauen Himmel. Die knuffige Jolle schiebt von der Schwanen-Halbinsel am Großen Stein vorbei nach Kaninchenwerder durch den Schweriner See. Das Plätschern des geklinkerten Rumpfs erinnert an den Folkeboot-Sound. Mit seinen fülligen Linien ist das sechs Meter lange, 1,90 Meter breite Boot eigentlich ein kleines Dickschiff. Die leer 600 Kilo schwere Jolle ist ein behäbig-solider Gefährte. Die fülligen Linien bieten nicht nur Zusteige- und Zulademöglichkeiten für ein Segelwochenende oder den Sommerurlaub auf dem See. Drewitz hatte der 20-Quadratmeter-Wanderjolle reichlich Formstabilität mitgegeben. Da war das Ausreiten auf der hohen Kante nicht so entscheidend. Wichtiger beim Wasserwandern waren Bequemlichkeit und Sicherheit. Überhaupt wird Komfort bei dieser Wanderjolle groß geschrieben. „Die kleinen Bänke achtern neben der Pinne, den Klappsitz weiter vorn und die beidseitig neben dem Schwertkasten einzusetzenden Duchten habe ich natürlich nachgebaut“, sagt Huss stolz. Auch der ursprüngliche Bootsname „Libelle“ kehrte zurück, ergänzt um den Vornamen von Enkelin Juna, die sich hoffentlich eines Tages für die Jolle vom Opa begeistert. Man kann wirklich für die „Libelle-Juna“ schwärmen, die köstlich krude Umständlichkeit des klobigen, verzinkten Großschotführungsbügels über der wünschelrutenförmigen Gabelpinne über die einzigen beiden Klampen zum Belegen der Backstagen bis hin zu den Holepunktösen für die Fock. Den ganzen in den siebziger Jahren entwickelten Klöterkram effizienten Jollensegelns gibt es auf „Libelle-Juna“ nicht. Der eigentliche Clou aber sind die Segel aus Mako. Dieses nicht eben profiltreue, schwere und zu Stockflecken neigende Tuch wurde in den sechziger Jahren durch zweckmäßigeres Polyester ersetzt. Ägyptische Baumwolle brachte der Baseler Fabrikant, Autosammler, Häuserrestaurator und Gründer der englischen Werft Fairlie Restorations, Albert Obrist, Ende der achtziger Jahre aus Anlass der Generalüberholung des Schoners „Altaïr“ ins Gespräch. Mühsam wurde dem Nostalgiker diese unhandliche Ware ausgeredet. Es wurde stattdessen ein eigens an den Farbton leicht gealterten Makos angepasstes Polyestertuch genommen. Der Look hieß zunächst „Altaïr-Cream“ und wird heute zur Freude der Klassikerszene von mehreren Tuchherstellern und Segelmachern angeboten. Für Baumwollsegel für „Altaïr“ fehlte damals das Tuch, geeignete Webstühle zur Herstellung von Mako standen allenfalls im Museum. Das war in den neuen Bundesländern anders. Nach Gesprächen mit mehreren Segelmachern wurde Huss schließlich bei Adolf Zenk in Grambin bei Ueckermünde fündig. Zenk hat als eingesessener Segelmacher die Tücher manchen Zeesboots angefertigt. So konsequent, bis hin zum mit Leder bekleideten Mast und dieser nostalgischen Segelgarnitur treibt es praktisch kein Bootsrestaurateur. An der persönlichen Hingabe des Schweriners und der Detailtreue von „Libelle-Juna“ kann sich mancher Protagonist der Klassikerszene ein paar Scheiben abschneiden. Denn viele Boote werden heute eher gefühllos brutal modernisiert als restauriert, mit erschütternd unpassenden Geräteträgern aus Edelstahl beispielsweise. Übrigens darf Huss die empfindlichen Makotücher nach einem feuchten Segeltag zuhause auf zwei Böcken im Wohnzimmer zum Trocknen ausbreiten. Ehefrau Christel sieht ein, dass Stockflecken unschön sind. Muss gut gehen, die Ehe. Das liegt auch daran, dass Huss seinen Rentnerblues nicht daheim am Küchentisch mit bekannten Döntjes, Wecken und Zeitungholen bearbeitet, sondern einem charmanten Boot, jeder Menge Werkzeug und „Sportsfreunden“, die den köstlichen Knall des gelernten Elektromotorenbauers mit Rat und Tat fördern.

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Die Arche Palma

Luca Bassani, der Quer- und Vordenker des Yachtbaus, kommt auf verblüffende Ideen. Viele seiner Entwürfe werden tatsächlich verwirklicht. Vielleicht sogar sein neuester Streich, der Luxus-Tanker als private Arche „Wally Island“. Gletscher und Polkappen schmelzen, die Pinguine gehen bei steigenden Temperaturen immer öfter baden, die größte dänische Insel Grönland ist ein einziger Golfplatz. Die Skiausrüstung werden wir nicht mal bei Ebay los. In mancher Gegend regnet es häufiger als bislang von Lüdenscheid, dem Kieler Stadtteil Düsternbrook oder dem schottischen Oban bekannt. Nokia stellt wieder Gummistiefel her. Zwischen Flensburg und Kreuzlingen gilt flächendeckend Tempo 30. Sylt, das Gogärtchen und noch schönere Paradiese sind Watt. Da kann man nur noch die Arche entern, mit der Familie und echten Freunden, Vorräte und Sprit bunkern, etwas Spielzeug einpacken und ablegen. „Wally Island“ hat sich der fünfzigjährige monegassische Yachtentwickler Luca Bassani ausgedacht, den wir Anfang der neunziger Jahre an einer Bootsbaustelle kennenlernten. Damals hielten wir den Junior einer italienischen Industriellenfamilie, wie er von Lugano kommend mit seinem dunkelgrünen Hubschrauber in der Nähe von Brescia landete, für einen jener vermögenden Spinner, die mit grenzenlosem Selbstbewusstsein und starken Sprüchen mal eben die Branche umkrempeln wollen, eine Menge Geld verbrennen und bald sang- und klanglos die Segel streichen. Man kennt das auch aus dem übrigen Wirtschaftsleben. Da geht eigentlich nur noch eine Arche Bis heute stellt der Chef von Wally Yachts alle zwei Jahre ein abgefahrenes bis erschütterndes Rendering vor, das meistens auch gebaut wird. Denn Bassani weiß aus eigener Anschauung, was Leute, die bereits alles haben, demnächst brauchen. In den vergangenen fünfzehn Jahren hat er eine Flotte verblüffend zweckmäßiger, konzeptionell bemerkenswerter und notorisch andersartiger Segel- und Motorboote vom Stapel gelassen und der Branche bis ungefähr 2020 Arbeit zum asiatischen Blaupausen-Engineering, in schlichtem Deutsch Nachmachen genannt, gegeben. Die von kleiner Crew handhabbare Segelspaßmaschine gibt es von der 18,50 Meter langen „Wallyño“ bis zur 44 Meter großen „Esense“ in mittlerweile 31 Exemplaren. Die Motoryacht hat er die vergangenen Jahre 52 Mal als rauhwassertaugliches Batmanboot dekliniert, vom zehn Meter langen „Wallydinghy“ bis zur 36 Meter langen „Wallypower“. Was kann einer, der in kurzer Zeit einen Namen der amerikanischen Hanna-Barbera-Zeichentrickfilme zum Begriff für stilsicher italienische und smarte Bedürfnisbefriedigung auf dem Wasser gemacht hat, noch vom Stapel lassen? Eben – da geht eigentlich nur noch eine Arche. Private Kreuzfahrt ohne Gedränge am Buffet Bassani nennt sie „Wally Island“, was etwas irreführend ist, weil die Arche sich nach dem bewährten archimedischen Prinzip auch bei Weltuntergängen und sintflutartigen Regenfällen automatisch dem Wasserstand anpasst, was Inseln bekanntlich nicht so gut können. Das ist in Zeiten praktisch, wo wenig bleibt, wie es angeblich immer war. Auf 99 Meter Länge und 18 Meter Bootsbreite entsteht dabei durchaus die Illusion einer Insel, wenn man beispielsweise in der aparten Gartenlaube zwischen Palmen und Rhododendren die Zeitung aufschüttelt, das Notebook aufklappt und mal nachguckt, was sich derzeit auf dem Festland so abspielt, wo es, wie Hans Magnus Enzensberger bereits im vergangenen Jahrtausend prophezeite, angesichts Überbevölkerung auf schrumpfenden Landmassen bald nur noch Stehplätze gibt. Wir erinnern uns von Opernbesuchen aus unserer Schul- und Studienzeit, wie unbequem das sein kann und wie beschränkt die Sicht. Wie befreiend ist es dagegen auf der Arche: ringsum nichts als das tiefe Blau des Horizonts. Weit und breit niemand, der blöde Blätter liest, mit Banalitäten über die Talkshow von gestern Abend nervt, ein Fachgespräch über Fuß-, ersatzweise Handball anzetteln möchte. Während wir darüber nachdenken, ob die Erde nicht doch eine Scheibe ist, und der Steward noch mal Tee einschenkt, atmen wir die aromatisch frische Seeluft. Eine private Kreuzfahrt ohne Gedränge am Buffet. Im Schiffsbauch, diesmal aus Stahl und nicht aus Kohlefaser, lagern 750 Tonnen Sprit, was nicht ganz zum Abwettern der Sintflut langt, jedoch für fünf Jahre mittelmeer- oder karibiküblicher Nutzung, etwas tuckern und viel ankern, durchaus. 40 Millionen Euro, einschließlich Palmen Wenn der Schwiegermutter das Reizklima auf hoher See und an Bord nicht mehr bekommt, es zu viel wird mit der ganzen Wellness, den Palmen und dem Rhododendron, wenn die Frauen mal dringend zum Powershoppen an Land müssen, brummen sie mit einem der strahlgetriebenen Beiboote nach Portofino, Monaco oder Antibes. In den Boutiquen wird sich schon was finden. Platz für die Beute gibt es in den begehbaren Kleiderschränken der 200 Quadratmeter großen Eignerwohnung, den Gästesuiten und Appartements auch. Wir vergnügen uns derweil mit einem der Segelboote, die in der Spielzeugabteilung des Achterschiffs bereitstehen. Manchmal braucht die Besatzung einer Arche im Format eines Frachtschiffs etwas Abstand voneinander. „Im Schutz der Brücke ist Platz für einen herkömmlichen giardinetto, wo der Eigner und sein Koch Gemüse und Kräuter züchten können.“ Bassani hat einfach an alles gedacht. 40 Millionen Euro soll das insulare Glück kosten, einschließlich Palmen.

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Mastbau Rechnungsprüfung

Der Alptraum jedes Seglers geschah aus heiterem Himmel bei Bedingungen, wo eigentlich kein Mast bricht. Die 42 Meter Röhre der eleganten Mahagoniketsch „Hetairos“ knickte unmittelbar über dem Deck. Dann landete die Takelage neben dem Schiff im Pazifik. Das Boot hatte die angesehene Werft Abeking & Rasmussen, eine führende Adresse für Yachtsonderanfertigungen für einen in der Schweiz ansässigen Eigner gebaut. Bezüglich der Masten hatte sich dessen Yachtberater Jens Cornelsen mit Vehemenz für ein Fabrikat eines kalifornischen Spezialisten stark gemacht. Und das lag nun im Wasser. Damals war der „Hetairos“ Mast einer der ersten großen in Karbon. Die Gewichtsersparnis von überschlägig einem Drittel gegenüber Aluminium erschien derart interessant, dass mit solch einem Prototypen gern ein neues Kapitel Takeltechnologie aufgeschlagen wurde. Große Yachten werden damit in luftiger Höhe um einige hundert Kilo, oft eine bis mehrere Tonnen entlastet. Damit liegt das Boot Welten ruhiger im Wasser. Es segelt aufrechter, was nicht nur den Segelleistungen, auch dem Komfort auf See zugute kommt. Die Gewichtsersparnis oben in der Takelage lässt sich auch zur Entnahme von Ballast unten im Kiel nutzen. Nach einer gängigen Faustformel kann etwa das Zehnfache jedes im Rigg eingesparten Kilos beim Bleiballast entfallen. So führt das neue Mastbaumaterial zu einem spürbar leichteren, agileren Schiff. Lassen sich bei der Takelage einer großen Yacht beispielsweise 1 ½ Tonnen einsparen, entspricht das 15 Tonnen Blei. So wird das Boot bei gleicher Steifigkeit zunächst einmal 16 ½ t leichter. Doch damit nicht genug: entsprechend leichter können die Beschläge, Segel, Schoten, sogar das Ankergeschirr und die Maschine ausfallen, was die Gewichtsbilanz nochmals günstiger ausfallen lässt. So wurde der Hetairos Mast ein Karbonprototyp, der für hundert Tonnen Stauchdruck ausgelegt war. Er hatte mehrere tausend Meilen gehalten, doch plötzlich nicht mehr. Eine Katastrophe auch für die Versicherung, in diesem Fall Pantaenius. Damals sah der seinerzeitige Geschäftsführer und versierte Segler Harald Baum ein großes Problem. Wenn sich der Mast eines namhaften, in der Luftfahrt angesehenen Herstellers aus heiterem Himmel verabschiedet, der Trend zum fortschrittlichen Karbonmastbau aber unumkehrbar ist, wer soll dieses Risiko dann versichern? Normalerweise halten Masten gleich welcher Bauart bei Tourenyachten so lange wie das Schiff, also mindestens ein Seglerleben. Baum wandte sich an die ebenfalls in Hamburg ansässige Klassifikationsgesellschaft, den Germanischen Lloyd. Dieser Schiffs-TÜV entwickelt seit jeher Richtlinien für den betriebssicheren Bau von Schiffen und überprüft deren Zustand. Ein Standard zur Konstruktion und Bauweise von Karbonmasten der hält was Ingenieurbüros und Laminierbetriebe versprechen, musste her. Es große Kommission untersuchte den Mastbruch, der auch der 31-jährige Schiffbauingenieur Hasso Hoffmeister vom Germanischen Lloyd angehörte. „Man hat damals noch zu sehr in Metall gedacht und die Stärken und Schwächen des Materials erst in Ansätzen verstanden“ fasst Hoffmeister den seinerzeitigen Stand der Technik zusammen. Im Unterschied zu Metall ist Karbon kein isotropes Material. Es kann folglich nicht in alle Richtungen gleich belastet werden.“ Man muss die Beanspruchung eines Bauteils folglich genau kennen, um die erforderliche Fasermenge einschließlich der gebotenen Sicherheitsmargen in der nötigen Last-Zugrichtung unterzubringen. „Die Finite Elemente Modellierung zur Darstellung der Belastung von Bauteilen steckte damals im Mastbau noch in den Kinderschuhen“ berichtet der heutige Mastenspezialist der GL Special Craft Abteilung. Sie befasst sich mit Binnenschiffen, Fähren und Yachten. „Hinzu kam, dass das Boot einen Rollmast hatte, dessen Profil mit dem Stauchdruck und der Torsion gerade im unteren Bereich nicht so gut zurecht kommt, wie ein übliches, ringsum geschlossenes, von Haus aus steiferes Mastprofil. Der neue „Hetairos“ Mast war komplett vom Germanischen Lloyd nachgerechnet und die Takelage GL klassifiziert. 1996 veröffentlichte das Institut erstmals seine „Guidelines for Design and Construction of Large Modern Yacht Rigs.“ Sie wurden 2002 und nochmals 2009 überarbeitet. Dank dieser Richtlinie, des technischen Fortschritts und der Nachfrage, es gibt mittlerweile mehrere auf den Mastbau spezialisierte Ingenieurbüros, sind Karbonmasten mittlerweile halt- und versicherbar, obwohl gelegentlich was auf Regattabooten, meist infolge von Fehlbedienung oder crewseitigen Modifikationen, passiert. Doch letztlich hat die Initiative Harald Baums und die GL Richtlinie die Takelagen sicherer gemacht. Der 62 Meter Mast des 52 Meter langen Seglers „Tiara“, der 53 m Hauptmast der „Salperton“ bis hin zur 88 Meter himmelwärts ragende Takelage des 75 m Einmasters „Mirabella“ beispielsweise profitieren vom GL Testat. Neben der bekannten statischen Beanspruchung solcher Masten gab es zu den dynamischen Lasten bei schweren Touren- und Luxusyachten anfangs vergleichsweise grobe Schätzungen. Sie wurden die vergangenen Jahrzehnte mit Sensoren, Fahrtenschreibern und zeitgemäßer Datenübertragung erfasst. Rasant ging die Entwicklung bei den Haltedrähten, den sogenannten Wanten und Stagen, weiter. Denn eigentlich wiegt die leere Röhre eines Karbonmastes ohne übliche Beschläge, Wanten und Stagen gerade mal die Hälfte eines Aluminiummastes. Die Ausrüstung mit herkömmlicher, überwiegend metallischer Hardware, den Haltedrähten aus Stahl, reduziert die Gewichtsersparnis auf das eingangs genannte Drittel. Bereits in den 80er Jahren wurden schon Faserkabel für wissenschaftliche oder militärische Zwecke entwickelt, wo große Entfernungen zu überbrücken sind und bereits das Eigengewicht des Materials eine Rolle spielt. Von der Verankerung von Bohrinseln auf großen Wassertiefen, beim Betrieb von Unterwasserkameras, vom Brückenbau und der Sicherung von Radiomasten beispielsweise wurde das Know How übernommen. Würde man beispielsweise den heute im Serienbootsbau üblichen 1×19 Draht von einer Spule abwickeln und hängen lassen, risse das Material durch sein Eigengewicht bei 17 Kilometern ab. Mit Aramid gelänge das Experiment bis 46 Kilometern. Die Zylon oder PBO genannte Faser des japanischen Herstellers Toyobo ließe sich 77 Kilometer abspulen. Das Karbonrigg eines neulich gebauten 40 Meter Einmasters wiegt mit Zubehör 5,5 Tonnen, wobei die Wanten und Stangen in herkömmlicher Metallausführung 1,3 Tonnen schwer sind. In Zylon bleiben 75 Prozent davon, also eine Tonne an Land. Damit kommen die Vorzüge des Materialwechsels von Alu zu Karbon voll zur Geltung. Leider sind die neuen Fasern mit bärenstarken Eigenschaften ab Werk an Bord kaum geeignet. Denn im Unterschied zu 1×19 Edelstahldraht oder Strangware sind sie Feuchtigkeits-, Licht- und Schlagempfindlich. Einige Fasern neigen zum tückischen Kriechen. Gibt ein Want bei erheblicher Zugbeanspruchung eine Idee nach und verharrt im verlängerten Zustand, ist der Mastbruch vorprogrammiert. Auch die Verbindung der Fasern mit Endbeschlägen war und ist eine Wissenschaft für sich. Teils werden sie in einer Art Konus eingespannt, teil werden sie wie die Taue historischer Rahsegler um Führungen mit materialgerechten Radien (Kauschen) gewickelt. Die Frage, bei welchen Voraussetzungen das Zeug lange hält, beantwortet die „Type Approval of Carbon Strand and PBO Cable Rigging“ vom März 2008. Detaillierte Hinweise zur Verarbeitung, zur Beschlagsanbindung und Schutz vor Nässe, UV-Licht wie Abrieb und ein Ermüdungs- und abschließender Zerreißtest beseitigen etwaige Zweifel. „Rigorose Ermüdungstests mit 100.000 Hüben zwischen lose und der maximalen Arbeitslast, gefolgt von einem abschließenden Zerreißen“ geben Auskunft über die tatsächliche Bruchlast solcher Kabel nach intensivem Gebrauch. Der letzte Schrei sind sich astförmig an den Salingsenden in Ober- und Zwischenwanten gabelnde, fertig konfektionierte Faserstränge. Wenn alles richtig gemacht wird, hat diese Machart viele Vorteile. Der Takelagen Berechnungsprüfer Hasso Hoffmeister und seine Kollegen aus der Special Craft Abteilung haben in der Hamburger Hafencity also weiterhin viel zu tun. Die Geschichte des Schiffs-TÜV Im 18. Jahrhundert treffen sich Reeder, Schifffahrtskaufleute und Versicherer im Cafe von Edward Lloyd in der Londoner Innenstadt zum Informationsaustausch. Es geht um das Fassungsvermögen, Bauweise, Eignung und Zustand der Schiffe, denen wertvolle Ladung anvertraut wird. Mit der Veröffentlichung des sogenannten „Green Book“ wird 1760 aus den Kaffeestunden die erste Klassifikationsgesellschaft, das britische Lloyd’s Register of Shipping. Dem Beispiel folgend entstehen von 1828 bis Ende des 19. Jahrhunderts 15 andere Schiffsklassifikationsgesellschaften in verschiedenen Ländern, darunter 1867 der Germanische Lloyd. Aus den knapp 300 registrierten Schiffen im Gründungsjahr werden 1878 über zwei Tausend. 1890 wird Friedrich Ludwig Middendorf technischer Leiter. Er treibt im Interesse der Sicherheit eigene Untersuchungen voran oder spezifiziert beispielsweise den Ausbau der Rümpfe mit wasserdichten Trennwänden, den sogenannten Schotten. Sein 400-seitiges Handbuch zur „Bemastung und Takelung der Schiffe“ ist ein Beispiel für die wegweisende Arbeit des Instituts und eine bis heute von Sachverständigen und segelgeschichtlich Interessierten genutzte Dokumentation zum Stand der Segeltechnologie zur Jahrhundertwende. Der 1903 erstmals erschienene “Middendorf“ wurde wiederholt, teils als sehenswerter Reprint der Originalausgabe, zuletzt 2009 wieder aufgelegt. Ein Nachschlagewerk ersten Ranges zur Rahseglerära. Es ist derzeit bei Amazon für 45 € zu bekommen. Seit den 60er Jahren kümmert sich der GL nicht allein um schiffbauliche Belange. Es werden auch Richtlinien zum sicheren Betrieb von Ölbohrplattformen oder Windkraftanlangen entwickelt.             Ende 2006 besteht die Aktiengesellschaft eine ihrer größten, wenn auch nichttechnischen Herausforderungen. Der Tchibo-Erbe Günter Herz verhindert mit dem Kauf von 90 Prozent der GL-Anteile eine feindliche Übernahme durch den französischen Konkurrenten Bureau Veritas. Der neuerdings in der Hamburger Hafencity angesiedelte GL beschäftigt in 80 Ländern an 212 Standorten knapp 7.000 Mitarbeiter. Derzeit sind über 7.000 Schiffe GL klassifiziert. Jüngst wurden die Standbeine Öl- und Gasgewinnung nebst Raffinerietechnik, zugleich das Windkraftanlagen-Know How ausgebaut.

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Congern mit Ulli Libor

Gutmütig und haltbar – die Conger-Jolle ist ein Kind der Wirtschaftswunderzeit, fröhlich bunt, entfernt verwandt sogar mit dem Schlachtschiff „Bismarck“. Gehen wir mal segeln, mit Ulli Libor, dem Urheber des Evergreens. Es ist an dieser Stelle meist vom Außerordentlichen, Gediegenen, dem konzeptionell Bemerkenswerten, der Neuheit die Rede. Das liegt daran, dass es reizvoller und einfacher ist, über die auffällige, geschichtsreiche und exklusive Yacht zu berichten. Die Novität erscheint interessanter als eine gewöhnliche Jolle, die seit vier Jahrzehnten von jedermann auf irgendeinem Baggersee oder einer Talsperre in fast viertausend Exemplaren gesegelt wird. Die es für kleines Geld im Segelverein, einem Winterlager oder bei Ebay zu schießen gibt und für das Budget eines günstigen Kleinstwagen neu zu kaufen. Es soll bei einer Bootstaufe eines Conger vorgekommen sein, dass der weihevolle Akt der Namensgebung mit der herablassenden Erkundigung nach den Hähnen für warmes und kaltes Wasser ins Lächerliche gezogen wurde. Tja, so geringschätzig, so gemein kann der zum besseren Boot promovierte Angeber sein. Man kennt dieses Benehmen von Kindern. Kaum aus dem Gröbsten raus, wird schon über die Kleinen gelästert. Dabei hat der Angeber wahrscheinlich seine ersten tastenden Versuche im Umgang mit Schot und Pinne an Bord dieser Jolle mit dem stilisierten roten „C“ im Großsegel gemacht. Farben der ausklingender Sechzigerjahre Die gut fünf Meter lange Jolle mit dem verschließbaren Unterschlupf gibt es in selten gesehenem Perlweiß. Eigentlich kennt man sie aber in bunten Farben. Beispielsweise in türkisgrün und rubinrot, in adriablau, korallrot, smaragdgrün und aquamarinblau, wie der Prospekt „Sieben Conger-Träume“ damals die Pigmentierung der Gelcoat Deckschicht anpries. Wie seinerzeit in Kantinen, Saunen oder Badezimmerausstattungen wurde auch beim Conger verwegen kombiniert. Grün und orange etwa galten lange als hip. Der aufmerksamkeitsstarke Kontrast von kräftigem rot zu leuchtendem blau wurde auch gern genommen. Sitzmulde wie im Whirlpool Sie ist mit körpergerecht geformter Sitzkuhle, dessen stufiges Arrangement mit rutschsicheren Flächen an das Blubberbecken einer Therme erinnert, ein Erzeugnis des Wirtschaftswunders. Sogar zwei Abflüsse gibt es, nur die allernötigsten Leinen, eine Badeleiter, sogar eine Halterung für den Außenbordmotor. Abgesehen vom vierkantigen Teakgriff der Pinne und dem Paddel für den Heimweg ist das Boot komplett holzfrei, also ringsum pflegeleicht und abwaschbar. Mit den beiden zu Griffen geformten Klüsen lässt sich der Conger Sonntagabend oder am Ende der Segelsaison mit energischem Schwung auf den Anhänger zerren. Charakteristisch ist die ovale Dichtmanschette an der Mastdurchführung in die Spitzkappe, sind die allernötigsten Klemmen, hinten noch mal zwei Festmachgelegenheiten und eine umlaufende Scheuerleiste als Rammschutz für die üblichen kleinen Rempeleien eines Seglerlebens. Was immer ein Boot theoretisch und bei geschicktem Einsatz sogar praktisch schneller, aber eben auch komplizierter macht, gibt’s beim Conger nicht. Die Jolle ist also sehr modern und für den „just do it“ Typen einfach richtig. Warum Helmut Schmidt Conger segelte Der Conger war, ist und bleibt je nach Perspektive erfrischend bis erschütternd einfach. Ein Boot für Leute, die mit ihrem eigentlichen Privat- und Arbeitsleben, vielleicht auch einem weiteren Hobby ausgelastet sind. Deshalb segelte der einstige Bundeskanzler Helmut Schmidt, ein Freund klarer Präferenzen, Conger. Um den Erfolg des Evergreen und seine Geschichte zu verstehen, eignet sich eine Verabredung mit Ullrich Libor am nördlichen Zipfel von Hamburgs Außenalster. Die Straßen hier heißen Bellevue oder Fernsicht. Eine zentral gute Gegend mit Blick über den ringsum begrünten See hinüber zur Innenstadt mit markanten Hochhäusern, Kirchtürmen und den aktuellen Baustellen. Hamburg ist hier auf eine entspannt noble Art schön, ein wenig, aber nicht zu englisch. Wer hier lebt, segelt entweder das klassische Dreimannkielboot Drachen im obligatorischen Verein nebenan, eine Klasse mit besonderem Nimbus. Oder er hat eine Yacht am Meer. Dennoch gibt es am Bootssteg Bobby Reich so viele Conger Jollen wie sonst kein zweites Mal. Hier haben Segelvereine ihre Jugendboote liegen, Betriebssportgruppen ihren Firmenconger und natürlich ist die Jolle hier auch für ein Stündchen oder zwei zu mieten. Der Conger wurde an der Elbe ausgedacht und bis Ende 1971 zunächst bei Blohm & Voß gebaut. Vorübergehend laminierte eine andere Werft, seit ‘78 die Firma Fiberglas Technik im Süden Hamburgs. Dem ehemaligen Silber- und Bronzemedaillensegler im Flying Dutchman (in 1968 Acapulco und ‘72 Kiel) und langjährigen Geschäftsführer des Deutschen Golf Verbands sind die 70 Jahre kaum anzusehen. Seit seiner Pensionierung ist Libor wieder oft auf dem Wasser, segelt seit drei Jahren erfolgreich Drachen. In dieser segeltechnisch ausgereizten und taktisch anspruchsvollen Klasse mit hochkarätiger internationaler Konkurrenz wurde er 2007 Vizeweltmeister. Es ist lange her, dass Libor mit dem Conger abgelegt hat. Entsprechend amüsiert geht er auf den Vorschlag ein, mal zusammen eine Runde mit maßgeblich seiner Kreation von anno 1964 zu segeln. Vor uns liegt ein fertig aufgetakeltes Exemplar mit adriablauer Plicht über weißem Rumpf. Eine für den Bootstyp dezente, hanseatische Farbkombination. Es ist ein kleiner Schritt vom niedrigen Steg in die ergonomisch geformte Conger Plicht, dennoch einer in eine andere Welt, in dieses Wirtschaftswundererzeugnis, den Optimismus der 60er Jahre. Flott ist das Boot abgestoßen, treibt bei der Alstertypisch unregelmäßigen Brise erstmal eine verblüffende Portion seitwärts. Oh Mann, wir haben wohl das Schwert vergessen. Ist das denn wirklich unten? „Keine Sorge, das wird schon, wir brauchen erst mal ein bisschen Fahrt“ beruhigt der alte Segelfuchs. Tatsächlich, nach einer Weile wird die Abdrift erträglich. So congern wir in gemächlichem Tempo über den Haussee der Hansestadt. Libor erzählt von damals. „Anfang der 60er Jahre arbeitete ich als Repräsentant von Elvström Segeln auf einer Messe“  erinnert Libor. „Nebenan stellte Blohm & Voß eine Kunststoffjolle, den „Hawk“ (Habicht) aus. Die Werft wollte mit der Lizenzfertigung des amerikanischen Bootes damals Erfahrungen mit Glasfaser verstärktem Kunststoff als neuem Bootsbaumaterial sammeln. Leider war der Hawk aber nicht gelungen. Das Boot hatte so wenig Anfangsstabilität, dass es sich nicht gefahrlos von der Seite betreten ließ.“ Auf diese und andere Nachteile machte Ulli Libor den seinerzeitigen Werftchef Joseph H. Van Rieth aufmerksam, der daraufhin vom viermaligen Jugendmeister in der Piratenjolle, Europameister im Snipe und deutschen Meister im FD eine bessere, familientaugliche Wanderjolle mit Regattaoption entwickeln und von Bootskonstrukteur Karl Feltz in Finkenwerder zeichnen ließ. Ein Boot, dessen füllige Linien den Bauch bei zunehmender Geschwindigkeit über das Wasser in die rasante Gleitfahrt hebt. Einen Allrounder mit trockenem Platz für den Fresskorb und reichlich Zulademöglichkeit für‘s Wochenende. Sie bietet eine Übernachtungsoption für zwei 1,80 m große Erwachsene unter der Spitzkappe und in der riesigen Sitzmulde Sitzplätze für sechs. Eine multioptionale Familienkutsche für Einsteiger und Fortgeschrittene mit Genuavorsegel statt Fock und Trapez für die sportlichere Gangart. Gestalterisch und vom pflegeleichten Bootsbaumaterial her war der Conger fortschrittlich. Üblich waren damals altbackene Knickspanter aus Holz. Einmal gekentert oder vollgeschlagen blieben die Boote ohne eingebaute Auftriebskörper auf Tauchstation. Sie waren nur mit Mühe wieder in Fahrt zu bringen. Je nach Alter und Vernachlässigung waren die Holzboote Dauerbaustellen. Sie waren von gestern, etwas für Traditionalisten. Der unsinkbare Conger hatte reichlich eingebauten Auftrieb. Mit clever eingefädelter Publicity wurde der Conger bekannt gemacht. Die Bildzeitung, Spiegel und Stern berichteten über die neue Jolle. Die damals 4.985 Mark teure Wanderjolle war problemlos hinter einen VW Käfer zu hängen. Der gelernte Maschinenbauer und Schiffahrtskaufmann Libor kümmerte sich ab 1965 fünf Jahre um den Vertrieb. Bald war der am steilen Elbhang nach Blankenese kapitulierende R4 durch einen komfortablen Ford Taunus Kombi ersetzt. Da passten die Segelsachen hinten rein und Platz für Libors Familie gab es auch. Im ersten Jahr brachte Libor 165 Conger an den Mann. „Später waren es so drei bis sechshundert Schiffe jährlich.“ Es wurde sogar eine Lizenz an Kawasaki nach Japan vergeben. Und warum ist das Boot so schwer geworden? „Na, es gab damals die Direktive: Macht es gleich richtig, es dürfen keine Reklamationen kommen“ erinnert Libor, gibt aber zu: „Natürlich könnte man das Boot heute 60 bis 80 Kilo leichter bauen und ihm, wie manch’ anderen Bootsklasse auch, etwas mehr Segelfläche mitgeben. Doch dann wäre der Conger nicht mehr so haltbar und gutmütig.“ So ist der Jolle beim schwachwindigen Probeschlag auf der Alster auch mit dem Segelfuchs Libor an Schot und Pinne anzumerken, dass er aus der Großschiffswerft stammt, wo unter anderem das Schlachtschiff „Bismarck“, die „Cap Arcona“ oder das Segelschulschiff „Gorch Fock“ vom Stapel liefen. Das Boot ist für die Ewigkeit gebaut. Ein paar Windstriche schubsen uns wieder zurück an den Bootssteg. Schmunzelnd schweift Ullrich Libors Blick hinüber zur Bellevue. „Als der Conger damals weg ging wie warme Semmeln,  hieß es garstig: Mensch Ulli, Du kleisterst uns hier den ganzen See mit Deinen bunten Dingern zu.“ Wenn ein Boot seit 45 Jahren einfach so, nämlich häufig u d gern, auch aktiv Regatta gesegelt wird, dann perlen die ätzenden Kommentare ab wie Spritzwasser auf frisch poliertem, fröhlich buntem Kunststoff.

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Das Schnäppchen aus Turin

Dies ist die Geschichte von einigen Bayern, ihrem segelnden Schnäppchen und den Abenteuern auf dem Mittelmeer. Wir versprechen ein Happy End. Es ist eine bekannte, leider immer wieder unterschätzte Tatsache, dass Männer Spielzeuge brauchen. Der Münchener Hotelier Markus Daniel und sein Spezi Christoph Schmidt haben auf ihrem Weg zu erwachsenen Jungs verschiedene Sachen ausprobiert. Sie sind im Sommer mit dem FD auf dem Starnberger See, im Winter im DN Eissegelschlitten über gefrorene Gewässer gebrettert und haben mal ein offenes Kielboot namens „Toy for the boy“ flott gemacht. Sie waren also im Thema. Leider sind Ehefrauen hinsichtlich Spielintensität und Kosten schlimme Spaßbremsen. Erschütternd früh wird der große Junge mit einem üblen Ultimatum etwa folgenden Wortlauts vor die Wahl gestellt: „Das Boot oder ich.“ Schweren Herzens schwor Daniel also dem Segelspielzeug ab. Es wurde ein Hund angeschafft und Daniel beschäftigte sich des häuslichen Friedens halber mit Autos. So schob der Segler stattdessen artig mit einem alten Bentley samt Gattin und „Zamperl“ (hartdeutsch Hund genannt) durch das bayerische Voralpenland. Spatzl, I’ hob grod a Schifferl g’kauft Nun ist Straßenoldtimer fahren nicht halb so interessant, wie auf einem dicken Schlitten die Winschen surren lassen oder messerscharfe Segelscharmützel mit anderen Jungs ausfechten. So erklärte Daniel seiner Frau eines Tages nach artig durchlittener Abstinenz: „Du Spatzl, I’ hob grod a Schifferl g’kauft. Goahns gühnstig.“ Das Schnäppchen stand mitten in Turin als Ausstellungsstück. Es gibt wenige Schiffe, die man auf der Piazza Vittorio Veneto zeigen kann. Eine dieser abgefahrenen Wally Yachten vielleicht oder einen Zwölfer der letzten Generation. Mit Flügelkiel, Trimmklappe, separatem Ruder und weiteren Schikanen. Jeder Segler, der um so eine aufgebockte Last Edition herumgeht, wird vom Habenwollen-Impuls bemächtigt, einer bohrenden Mangelerscheinung, wie seit der Kindheit vom Besuch eines Spielzeuggeschäfts erinnert. Oben ragten ein paar Kurbeln über das Deck, wie man sie aus jeder Muckibude kennt. Das beste: Es hatte zwei mal drei, also insgesamt – boah! – sechs Steuerräder. Daniel kaufte „innerhalb zwei Stunden.“ Die Einzelheiten des ehelichen Disputs über das Schnäppchen, haben wir nicht erfragt. Jeder Segler kennt solche Debatten über „warum und wozu,“ wenn er nicht gerade Ellen McArthur oder eine olympisch gestählte Segelamazone geheiratet hat. Abgesehen davon, dass Spielzeug da sein muss und Spaß machen, lässt es sich nicht rechtfertigen. Wer darüber daheim zu diskutieren anfängt, ist in Teufels Küche. Natürlich hatte Daniel zwischendurch den Gebrauchtbootmarkt im Internet abgescannt. Irgendwas Sinnvolles außer arbeiten muss ein vom Segeln suspendierter Hundegassigänger und Oldtimerfahrer ja machen. „Die „Italia 7“ war in Southampton zu haben, wurde aber während der Kaufanbahnung immer teurer und schließlich kaltherzig vom Markt genommen. So machte ihn der Münchener Segelfreund Franz Höflinger auf „French Kiss“ aufmerksam. Echte Freunde verstehen es, ein Leid mit hilfreicher Information zu beenden. „Wir sind dann gleich runter gefahren. München – Turin ist ja nicht weit“ erinnert Daniel. Rasch wurde das Turiner Ausstellungsstück zur Marina di Carrara verfrachtet. Dort gibt es Kranmöglichkeiten für schwere Steine aus den Marmorbrüchen oder sackschwere Grand Prix Zwölfer, die sich vermögende Italiener an der toskanischen Küste halten wie andere eine kapriziöse Hunderasse. Nach diesem furchtbaren Entzug hatte der angefressene Bayer die „Panerai 12 Metre World Championship“, ausgetragen Mitte September vom Yacht Club de Cannes, als Regattadebüt ausgeguckt. Als er daheim das Schnäppchen gebeichtet hatte, war es bereits August. Das ist bekanntlich ein Monat, wo in Italien außer dolce vita, schwitzen und Touristen ausplündern wenig geht. Das Innenleben eines Zwölfers der letzten Generation ist so umfangreich wie das einer mechanischen Uhr. Zum Glück kannte sich Christoph Schmidt aus seinem früheren Erwerbsleben recht gut mit der Reparatur von Druckmaschinen aus. Dieses Know How hatte er bereits in der seglerischen Kleinspielzeugphase ins Bootsfach übertragen. Schmidt nahm eine Auszeit vom Riederinger Haus und Hof und brummte mit Daniel im dunkelgrünen Sprinter durch die Alpen zur Bootsbaustelle in der fernen Toskana. Hinten drin die mobile Werkstatt mit breit gefächertem Werkzeug- und Schraubensortiment und – wichtiger – eine Espressomaschine und zwei Fässer trinkbares bayerisches Bier. Natürlich war es gewagt, in Italien als Deutscher den Einheimischen Kaffee anzubieten, aber guter Wille wird im Ausland immer honoriert und dann gab es ja noch das Löwenbräu. Damit wurde im fernen Bootslager- und -reparaturbiotop ein günstiges  Klima hergestellt, Skepsis in Hilfsbereitschaft, die Eurozeichen in den Pupillen der Ortsansässigen in Sympathie verwandelt. Flink wurden die Winschtrommeln im Autofelgenformat abgehoben, Sperrklinken und Federn gereinigt, gefettet, wieder zusammengebaut, die Grinder, Kardanwellen, Gangschaltungen, Getriebe und die umfangreiche Hydraulik zumindest angeschaut und das Schiff ins Hafenbecken gehoben. Richtige Kerle putzen halt was weg, besonders wenn es sich um eine interessante Aufgabe handelt, die ohne lästige weibliche Supervision erledigt werden kann. Der 27 m Mast wurde über das Boot gehoben, die seitlichen Haltedrähte aus zugfester Edelstahlstrangware mit den Wantenspannern im Format Kawasakidicker Auspüffe handwarm angezogen und die nötige Riggspannung zwischen Boot und Mastfuß mit der Hydraulikpresse hergestellt. Dann zogen die Bayern einen kühnen Strich auf der Seekarte quer über den Golf von Genua. 128 Meilen bis Cannes. Daniel, Schmidt und Segelmacher Jörg Mößnang überführten das ihnen anfänglich kaum bekannte Schiff zu dritt, obwohl man dafür eigentlich eine Fußballmannschaft-große Crew braucht. Der 85 PS Turbodiesel schob die Segellokomotive auf das erfreulich windarme und entsprechend ruhige ligurische Meer hinaus, bis er irgendwo draußen das dieseln einstellte. Bei erträglichen Windverhältnissen – ein gepflegter Tramontana oder Mistral hätte dem „French Kiss“ Überführungs- und Probeschlag übel mitgespielt – segelten die Bayern weiter. Bordmechaniker Schmidt sah unten in der bullenheißen Tropfsteinhöhle des stickigen Aluminiumschiffes nach dem rechten. Männer müssen sinnvoll beschäftigt werden, am besten mit etwas zu großen Aufgaben. Also waren die drei mitten auf dem ligurischen Meer „grad sauglücklich.“ Wie bei älteren Booten üblich, hatte die Jobliste des soeben in Betrieb genommenen Schnäppchens zu- statt abgenommen. Also holte Schmidt erst mal sein fahrendes Basislager aus Carrara her und stellte den Sprinter am Quai Saint-Pierre in Cannes gegenüber vom Casino ab. Da, wo Prada Handtaschen und sündteurer Gucci Kram an der Promenade rings ums Hafenbecken hergezeigt werden. Das ist zwar nett anzusehen, aber nicht mal halb so interessant wie eine Last Edition mit America’s Cup Aroma. Als verblüffendes Ergebnis eines echt italienischen Mix aus günstigen und weniger günstigen Umständen war das Ersatzteil von Lombardini „supperschnell“ da, es war ja bereits September. Zu vorgerückter Stunde, wo nur Deutsche und von der Hardware beanspruchte Segler arbeiten, statt sich entspannt in aparter Begleitung mit der örtlichen Weinkarte zu befassen, wurde das Turboteil montiert. Dann weihte Marc Pajot, mit Medaillen und Silberbechern prämierter Segelprofi, die Bayern in die Finessen ihrer Segelmaschine ein. Der Franzose hatte „French Kiss“ in den achziger Jahren vor Fremantle schon gesteuert. Anlässlich der Übungswettfahrt vor dem eigentlichen Rennen machte Pajot die aus Bayern und Franzosen verschiedener Provenienzen gemischte Crew mit dreißig hintereinander absolvierten Halsen warm. „Jo, an goahns a cooler Hund“ meinten die Bayern einstimmig „und: echt suppernett.“ Dabei kennen wir Pajot mit Wohnsitz Saint Tropez einfach als Schnösel der soigniert südfranzösischen Sorte, alles andere als allürenfrei. Nach der Verständigung an Bord haben wir nicht gefragt, ob die in Bayrisch, bayrischem Englisch oder ein paar Brocken rudimentär vorhandenem Versuchsfranzösisch erfolgte. An Bord verstehen Jungs sich immer. Trotz straffer Heranführung ans Thema wurde beim Regattadebüt natürlich nichts gerissen. Das lag unter anderem daran, dass die meisten 12er Eigner das Renngeschehen von Profis erledigen lassen. An Bord der brasilianischen „Wright on White“ ließen die Gebrüder Torben und Lars Grael nichts anbrennen, Patrizio Bertellis „Kookaburra II“ steuerte James Spithill und Bill Kochs „Kiwi Magic“ wurde von Paul Cayard um die Bojen gescheucht. Segler dieser Kampfklasse stellen die Hackordnung bereits in der Vorstartphase mit ein paar Kringeln her. Der Texaner Bill Koch, der mit 1992 mit „America3“ den America’s Cup vor San Diego verteidigte, würdigte immerhin „die Tatsache, dass die Bayern überhaupt mit „French Kiss“ hier sind, als great.“ Zwei Segelsommer später ist „French Kiss“ mit einem neuen, vom süddeutschen Spezialisten Andy Steiner laminierten Mast unterwegs. Dem alten, aus besonders hartem und unschweißbarem Flugzeugaluminium traute Daniel nicht, zumal zwischendurch bereits der Großbaum zerlegt wurde. Wenn „sonst was kaputt geht“, wirft Daniel einen gründlichen Blick in den Ersatzteilcontainer, wo „praktisch das ganze Harken-Sortiment der 80er Jahre noch original verpackt liegt“ berichtet der 40-jährige Eigner mit leuchtenden Augen. Und wenn es mal eine Getriebebox in der Frischluft Muckibude zerlegt, die einzig mit einem zölligen Helicoil zu retten ist, dann „schauen wir bei der örtlichen Caterpillar Vertretung rein. Solche Gewindebuchsen werden bei der Reparatur der amerikanischen Maschinen in den Marmorbrüchen von Carrara wie bei uns ab und zu mal gebraucht“ weiss Daniel. Wie im Landleben auch ist die Software so wichtig wie die Hardware. So wird die „French Kiss“ mittlerweile von einer bayrisch-italienischen Mannschaft bewegt. Rinaldi Ronaldo war schon auf der „Italia 7“ dabei, Giulio Pino gibt den Bugmann und Dario Gallino beispielsweise ist als hauptberuflicher Segellehrer auch im Thema. Der 66-jährige Schmidt ist neben pikanten mechanischen Problemen für den Großsegeltrimm und die Backstagen zuständig. Er gilt altershalber als „Bordmethusalem“. Profis beschäftigt Daniel aus guten Gründen nicht. Als langjähriger FD Segler, eine Weile recht erfolgreich mit Markus Wieser, steckt der Eigner selbst genug im Metier, allerdings, ohne es mit Segler typischer Starkschwätzerei groß kund zu tun. Trainiert wird vor dem endlos bis Viareggio reichenden Strand von Carrara. Zum Bummelsegeln geht es ins toskanische Archipel. In der gefürchteten Passage zwischen Korsika und Sardinien kriegte der frisch „schanghaite“ Bordelektriker Georg „Schorchi“ Vordermaier, der noch nie zuvor segelte, letztes Jahr bei acht Windstärken seine Feuertaufe. „Aber eins muss man dem Schorschi scho’ lassen. Er ist der einzige, der bei Stress immer mit den komplizierten Dreigangwinschen klarkommt.“ Die entsetzlich segelfreie Zeit von November bis März wird mit einem monatlichen Stammtisch im Schwabinger Hotel Vitalis ertragen. „Da gucken wir uns immer einen Film aus alten America’s Cupperzeiten an, gibt’s an g’scheiten Schweinebraten und ein paar Biere dazu.“ Und wie teuer ist der ganze Spaß? Also, wenn wir zum Segeln zum Mittelmeer fahren, mieten wir immer ein Haus oder ein, zwei Ferienwohnungen. Wir segeln, wohnen, brutzeln und essen grundsätzlich zusammen. Das hält die Kosten im vertretbaren Rahmen.“ Tja, was könnte praktisch jede Seglerfrau davon lernen, falls sie diesen Artikel bis hierher gelesen hat? Na, ist doch sonnenklar: Ist der Bursche mit dem richtigen Segelspielzeug voll beschäftigt, am besten einem mit 2 x 3 Steuerrädern und jeder Menge Winschen, geht die Ehe „supper“.

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Idyll an der Elbe

Wie Kopenhagen, London oder Oslo besinnt sich Hamburg auf den Charme wassernahen Arbeitens und Lebens. Die neue Besiedlung der Speicherstadt als Hafencity und des Harburger Hafens, auch der Wilhelmsburger Inselpark locken mit Charakter, Freizeitwert und der Geschichte elbnahen Lebens. Dennoch gibt es nach wie vor manche brachliegende Fläche, aus der sich mit dem richtigen Ansatz etwas machen lässt. Zum Beispiel ein beinahe vergessenes Grundstück am Ende des Peuter Elbdeichs in Sichtweite der vielbefahrenen Elbbrücken. Jeder Hamburg-Reisende lässt, die Norderelbe mit dem Auto oder Zug querend, den Blick durch die geschwungenen Spannbögen der markanten Brücke auf den Fluß schweifen. Vorne die glänzenden Schornsteine und Silos der Barry Callebaut Schokoladenfabrik, dahinter ein bewaldetes Ufer. Hier liegt versteckt hinter hohen Pappeln, zwischem dem Schutenhafen der Peute und der Norderelbe eine idyllische Halbinsel. Binnenschiffe schieben mit rauschender Bugwelle vorbei. Enten und Schwäne sind hier zuhause – und neuerdings auch der Bootsbauer Jürgen Renken und sein junger Kollege Alexander Mühle. Wobei die Berufsbezeichnung Bootsbauer es nicht ganz trifft. Einfach weil kein klardenkender Mensch das Konzertflügelfinish, wie die beiden es nach endlosem Schleifen und Lackieren als veredeltes Mahagoni aus der Halle schieben, noch als Boot bezeichnen würde. Die Finesse, in der die Planken zusammengefügt sind, erinnert eher an Intarsien oder ein Musikinstrument. Bei den aufwändig restaurierten Spritsäufern der Marke Riva ist der Fetischierungsgrad abgefahren. Der wird nur mit konzentrierter Arbeit erreicht. Eine einzige Unachtsamkeit eines abgerutschten Werkzeugs und alles wäre futsch. Renken restauriert seit 1999 Rivas in einem Hinterhof in Bahrenfeld. Gemeinsam mit seinem Kollegen Mühle wollte er seit Jahren schon an die Elbe. So suchte und fand er in etwa mit jener Beharrlichkeit, mit der die Beiden sich über eine Nautiquität beugen, die Peute 1. Und weil ihre neue Bleibe Anfang 15 nicht mehr war als ein Wendehammer-artiges, von Unkraut überwuchertes Grundstück, legten sie für ein Jahr Hammer und Stechbeitel beiseite. Sie räumten auf, planierten das Gelände und bauten sich aus gebrauchten, geschickt gestapelten Containern erst mal ihre eigene Werft. Der Betrieb ist ein 11 x 12 m großes, sieben Meter hohes U aus üblichen, innen aufgeschnittenen Containern. Sie bauten ein Dach drauf und setzten eine Front davor. Hier gibt es Platz genug für ein, zwei Rivas, die Werkstatt, Werkbänke, ein Lager und eine Spritzkabine. „Es war schon immer mein Traum die Boote am Wasser zu restaurieren.“ Renken hatte als Innenarchitekt und Planer eine Weile ein Büro in einem Tiefpaterre am Nicolaifleet – bis er sich dann ganz dem still ausgeübten Handwerk der Rivamania zuwandte. Mittlerweile werden ihm die Kostbarkeiten aus ganz Europa in Pflege oder zur Wiederherstellung gegeben. Sogar andernorts bei namhaften Adressen verbastelte Objekte, wo vielleicht auf den ersten Blick noch alles stimmt, der zweite und vor allem der nächste hinter die Verkleidungen dann leider schmerzt. „Früher gab es in Hamburg unzählige Bootsbauer und Werften. Fast alle haben irgendwann aufgehört. Da dachte ich, die Peute 1 wäre als Gewerbehof fürs Maritime mit Alexander und mir als Bootsrestauratoren ein Neubeginn.“ Die ersten Mieter auf dem zweitausend Quadratmeter Gelände gibt es schon. Weitere sollen hinzukommen. Denen bauen die Beiden von der Peute 1 dann ihren Betrieb aus ebenfalls gebrauchten, aufgeschnittenen und geschickt zusammengestellten Containern. Die Module sind in 10, 20 oder 40 Fuß mit der üblichen Breite zu haben. Es gibt auch sogenannte High Cubes mit 2,75 statt 2,60 m Höhe. Das Angebot gerade in Hamburg ist groß. Wenn es gut läuft kann die Fläche des Gewerbehofs sogar erweitert werden. Inspiriert wurde Renken von einem Containerdorf im Londoner Stadtteil Brixton. „Mit den Modulen kann man sich an den Tidenhub des Geschäfts anpassen. Brummt es, bauen wir an. Stagniert es, bauen wir ab.“ Eigentlich ist die zur Veddel gehörende Peute keine Traumlage. Das lag maßgeblich an der Kupferverarbeitung der heute als Aurubis bekannten Norddeutschen Affinerie. Elisabeth Essen erinnert, wie es in den damals noch vorhandenen Kleingärten „ab Juni/Juli keine Blätter mehr an den Bäumen gab, weil die Luft so schlecht war. Aber sonst“, so erinnert Frau Essen, die lange mit ihrem Mann am Peuter Elbdeich eine Tischlerei betrieb, „war es ganz schön hier. Die Werftarbeiter kamen alle zu Fuß von der Veddel. Sie gingen durch den sogenannten Grund, eine heute geflutete Senke hinter dem Schutenhafen, die bis zur verheerenden Sturmflut im Februar 1962 von Schrebergärten und Behelfsheimen seit dem Krieg besiedelt war.“ Auf dem Gelände der Peute 1 befand sich bis 1965 die andernorts bereits 1884 gegründete Wilhelm Neumann Werft. Sie baute und reparierte Binnenschiffe und Schuten (offene Kähne). Später wurden hier von der Firma Seacat Schmeding Ankerketten gefertigt. Nicht nur Hamburger, auch viele Besucher der Stadt kennen den sturen Yachtausrüster Schmeding, der sich jahrzehntelang weigerte, seine kleine Butze an der Ecke Stubbenhuk/Vorsetzen an den Verlagsriesen Gruner & Jahr zu verkaufen. Die Leute von der Peute halten Kurs. Neulich schaute ein ehemaliger Schiffbauer der Neumann Werft vorbei. Er erzählte mit leuchtenden Augen von seinen Lehrjahren hier, obwohl die Arbeit damals kein Zuckerschlecken war. Auch die Augen der Riva Kunden leuchten, wenn sie sich das Grundstück ansehen. Das liegt an der schönen Arbeit, die hier in meditativer Stille ausgeübt wird. Das flimmernde Grün der Pappeln, das Rauschen der Bäume im Wind und der aromatische Brackwasserduft der Norderelbe tragen dazu bei. Und wenn der Besucher mal muss, dann sucht er ein liebevoll restauriertes und zur Toilette umfunktioniertes stilles Örtchen auf. Er nimmt in der Kommandobrücke eines Binnenschiffs aus den Zwanzigerjahren Platz. Das stille Örtchen passt zum Idyll an der Norderelbe.

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Die Papiersegler

Die Bücher und der Blog der Franzosen François Chevalier und Jacques Taglang sind ein Beispiel dafür, was Boote und das Metier der Yachtkonstuktion mit geschichtlich und kulturell interessierten Menschen machen. Von Erdmann Braschos Die Linien von Regattabooten sind das bestgehütete Geheimnis der Konstrukteure. Aus guten Gründen lässt sich da keiner in die Karten gucken. Denn das sogenannte Blaupausen-Engineering, auf Deutsch als Nachmachen bekannt, ist leider schon lange üblich. Wenn überhaupt, werden die Pläne bedeutender Boote im Nachhinein, sofern ihre Form sprichwörtlich überholt und veraltet ist, gezeigt. Doch selbst dann geben Yachtarchitekten ungern Einblick. Die Modellbauszene, die sich meist vergeblich um die Linien bemüht, weiß ein Lied davon zu singen. Als Fachjournalist werde ich gelegentlich um Hilfe gebeten. Trotz langjährig bestehender Kontakte bleibt es bei einem freundlichen wie unmissverständlichen Nein. Leuchttum im Meer des Seichten Die Zeit, da Boote mit Seitenansichten, Decks- und Einrichtungsplänen oder Segelrissen präsentiert werden, ist lange vorbei. In unserer marketingorientierten Zeit werden Neuheiten oder Regattaboote mit farbenfrohen Renderings, Fotos oder Filmen präsentiert. Abgesehen davon, dass der Interessent das Boot kaufen und nicht analysieren soll, hat das mehrere Vorteile. Die Linien werden nicht Preis gegeben. Das Vorhaben – meist ist es ja noch ein Projekt –  läßt sich aus einer vorteilhaften Perspektive zeigen. Nicht zuletzt kann sich der Betrachter das Boot anhand solcher Visualisierungen besser vorstellen. Aus dem richtigen Blickwinkel lässt sich das Prinzip einer Konstruktion anhand eines Rendering ohnehin besser begreifen als anhand von Linien, die eine dreidimensionale Form auf zwei Dimensionen reduziert. Die Zeichnung muss ja wieder im Kopf in eine Form zurück verwandelt werden. Das Lesen von Linien ist ein Thema für sich, etwas für Fachleute und versierte Betrachter. Welcher Konstrukteur im Detail was gemacht hat versteht man vielleicht, wenn man sich Zeit nimmt und die Pläne nebeneinander liegen hat oder – besser noch – mit verschiedenfarbigen Linien übereinander legt. Doch selbst dann ist es schwer. Denn die Risse sind maßstäblich verkleinert. Die Unterschiede bewegen sich im Millimeterbereich. Auf dem Bildschirm eines Rechners mit entsprechender Zoomfunktion sähe das natürlich anders aus. Doch wenn die Linien digital vorhanden sind ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Rendering. All das hat die beiden Franzosen François Chevalier und Jacques Taglang nicht beeirrt. Unbeeindruckt von solchen Hindernissen dokumentieren bei beiden Freunde seit den achtziger Jahren, was sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts, genauer seit den Vorbereitungen zu einer Regatta anlässlich der Londoner Weltausstellung von 1851 um die Isle of Wight in New York und England auf den Reißbrettern getan hat. Wenn es die Linien längst vergessener, im Sepia der Geschichte verschwundenen Yachten nicht mehr zu geben scheint, suchen die beiden in beharrlicher Arbeit Quellen und Beschreibungen. Chevalier beugt sich über’s Reißbrett. Taglang recherchiert und schreibt die Geschichte dazu. Die Besessenheit der beiden ist ein Beispiel dafür, was Boote und das ihnen assoziierte Metier der Yachtkonstuktion samt der Korona der darin steckenden Voraussetzungen, Überlegungen, Tradition, sprich der Kultur mit Menschen machen. Im Herbst 1987 machte mich der damalige „Yacht“ – Chefredakteur Jörg Neupert während einer Recherche zum America’s Cup auf das soeben erschienene Buch der beiden aufmerksam. Damals wollten Norddeutsche Segler mit einem Zwölfer bei der Segelschlacht um die bodenlose Kanne mitmischen. Der Pokal war damals von Newport an die australische Westküste nach Fremantle gegangen. Dort hatte ausgerechnet Dennis Conner, der Verlierer vor Newport, ihn wieder in die Staaten zurückgeholt. Seine Strategie: Conner hatte beim Training im Starkwindrevier vor Hawaii bei absehbar ähnlichen Bedingungen wie vor Fremantle erkannt, wie nachteilig die großen Flügel des damals fetischisierten Flügelkiels bei den großen Hüben im Auf und Ab erheblichen Seegangs sind. Vor Fremantle führte er die Konkurrenz in die Irre, indem er zunächst wie alle anderen auch mit großen Flügeln segelte. Erst in den Pokal-entscheidenden Regatten vor der australischen Küste zog Conner mit kleinen Flügeln sein Ass. So hat es mir der Schweizer Mathematiker, Vermesser und Meterklassen-Spezialist Oskar Weber einmal erzählt. Damals schien es sicher, dass weiterhin im bewährten und mit endloser Finesse weiterentwickelten Zwölfer um den Amerika Pokal gesegelt würde. Das Buch hieß „America’s Cup Yacht Designs 1851 – 1986“ und war eine Liebeserklärung der beiden Franzosen an 135 Jahre Yachtkonstruktion. Es wog acht Kilo, ließ sich nur auf einem großen Tisch absetzen und vorsichtig aufschlagen. Als sogenanntes Landscape Format zog es über das Thema und die Materialfülle hinaus in Bann. Man kennt den Effekt vom Kinobesuch oder dem heute üblichen Flachbildschirm. François Chevalier hatte jeden jemals anlässlich der Pokalregatten als Verteidiger oder Herausforderer entworfenen Cupper im einheitlichen und somit vergleichbaren Maßstab gezeichnet – soweit dessen Linien zugänglich waren. Und Taglang war als Außendienstler gleichermaßen vertrauenswürdig, freundlich, charmant, beharrlich und entsprechend erfolgreich. Er bekam fast alle Pläne, soweit sie damals bekannt waren. Sogar den von „Mariner“ des Schlepptank-optimierten Britton Chance Zwölfers, der angeblich rückwärts besser als vorwärs gefahren sein soll. Taglang hatte die Geschichte ihrer Konstrukteure, die Umstände des Baues und die Ereignisse auf den Regattabahnen minutiös dokumentiert. Von der „America“ und sieben ihrer Rivalinnen bis zum Jean Groberty Entwurf für den Zwölfer „Swissmade“ 1987. Das 684 seitige Buch dokumentierte 117 America’s Cupper in jeweils drei Rissen und einem Segelplan. Dazu französische und englische Texte, die den Verlauf der Regatten detailliert wie einen Krimi festhalten. Der Foliant war 6 Zentimeter dick und kostete so viel wie eine gescheite Winsch oder ein Gebrauchtwagen. Die letzten der etwa 2 ½ Tausend Exemplare wurden neulich für tausend Euro verkauft. Doch es tauchen immer wieder Antiquarisch erhältliche Exemplare auf. Die beiden hatten das sorgfältig recherchierte und mit aufwändigen Zeichnungen illustrierte Werk in vierjähriger Arbeit zusammengetragen und auf eigene Kosten gedruckt. Der Verkauf und somit die Finanzierung dieser Herkulesarbeit sollte dann fast drei Jahrzehnte dauern. Die Beiden bewiesen einen sprichwörtlich langen Atmen als das Wort Nachhaltigkeit – man kann es heute kaum mehr hören – noch nicht erfunden war. Kein Verlag mit der normalkurz angelegten Buchhalterdenke von Lagerkosten, Kapitalbindung oder Return on Investment-Gesichtspunkten hätte die Ausdauer und den Mut dazu gehabt. Das Werk zweier Überzeugungstäter, die begannen und durchzogen, was sie machen mußten – ein Buch für die Yachtwelt, den Bootsnerd und für sich. Publizistik gleich welcher Art bewegt sich im Spannungsfeld von Geist und Kommerz, von Entbehrung oder Porsche. Hier geht es um Geist und Hingabe. Geist und Hingabe finanzieren sich im Idealfall – wenn nicht zu viele parasitäre Kostenstellen dazwischen hängen – eines Tages selbst. Der Foliant bietet Schwarzbrot für Insider und Leser, die etwas dazulernen wollen. Man kann in den Linien schwelgen, in der Geschichte einer der verrücktesten, dekadentesten und zugleich stilvollsten Beschäftigung der Menschheit, der Entwicklung und dem Bau von Regattabooten, die sich in einer Serie von vier oder sieben Amerika Pokal-Wettfahrten bewähren mußten, versinken. Seitdem Jörg Neupert mir das Buch Ende der Achtziger für einige Tage lieh, träumte ich von einem Exemplar. Im Herbst 2006 begegnete ich Jacques Taglang in Straßburg. Anläßlich seines Wechsels vom Arbeitsleben als Krankenhausmanager in den Ruhestand und Umzug nach La Rochelle bekam ich ein Konvolut loser Blätter. Ich ließ sie später in Hamburg zum erträumten Buch mit den gleichen Lettern auf dem Leineneinband binden. Taglang ist ein gelassener, liebenswürdiger Mann mit im besten Sinne bourgeoisem Umgang. Ein Mensch, der zu leben und zu speisen weiß. Ich erinnere das mehrgängige Mittagessen mit Wein als eine Art feiertägliches Sabbatical. Es fand an einem Wochentag statt. Taglang lebt weder von noch gedanklich in der Medienbranche. Entsprechend angenehm und uneitel war die Begegnung, so tiefgängig und freundlich das Gespräch. Damals erzählte er von einem Projekt, einem Buch über die Ursprünge des Impressonismus in Frankreich, die nicht zufällig den Anfängen des Segelsports an der Seine entsprächen. Malerei, die hingerissene, verzauberte Betrachtung der Natur und die Bootspartie vor der Metropole als zwei Seiten der gleichen Medaille. Ein wunderbarer Gedanke. Das Buch wird 2021 erscheinen. Das kultivierte Duo recherchiert und publiziert einfach, was es für interessant und wichtig hält. Die Arbeit der beiden ist ein Leuchtturm im Meer des Seichten, Immergleichen, des Fad erzählten, alt bekannten, des hastig neu aufgewärmten, wie wir es in bunten Seglerpostillen, Verlagsprogrammen, Webseiten und den Distributionskanälen der sogenannten Social Media als Publizistik von Anfängern für Anfänger ertragen müssen. Zuhause wuchtete ich den gebundenen Folianten mit den seitenfüllenden, liebevoll neu und der Vergleichbarkeit halber im einheitlichen Maßstaß reproduzierten Plänen gelegentlich auf den Eßtisch. Welche dokumentarische Leistung. Welche Opulenz. Und dennoch kein Coffeetable Buch. Ein Werk, auf das man sich einlassen muß. Legendäre Schiffe wie „America“ und ihre amerikanische Rivalin „Maria“, eine landestypisch flache und formstabile 97 Fuß Gaffelslup mit einem riesigen Schwert sind darin zu finden. Und natürlich das englische Aufgebot wie den schmalen plank on edge-Kutter „Alarm“, „Volante“, „Arrow“ oder der Schoner „Titania“. Staunend entdeckt der Betrachter auf den nächsten Seiten „Sverige“ von 1852, eine Nachahmung der berühmtem „America“, ein Schoner, der dem Debüt der Amerikaner zur Verwechseln ähnlich sah. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Amerika Pokal Yachten – die rasante technische Entwicklung repräsentierend – maßlos übertakelte Schmetterlinge wie die amerikanische „Defender“ und ihre Herausfordererin „Valkyrie III“ (1895) oder weitere für die Pokal Regatten gebaute Segelmaschinen. Eine monströse Entwicklung, die mit dem Duell zwischen „Reliance“ und der dritten „Shamrock“ endete, als der Hauptübeltäter, der amerikanische Konstrukteur und Werftchef Nathanael Greene Herreshoff mit der Formulierung der Universal Rule den Segelwettstreit mit der sogenannten J-Class in ein vergleichsweise vernünftiges Fahrwasser lenkte. Es ist faszinierend zu sehen, welche unterschiedlichen Wege die Konstrukteure damals beschritten. Viele J-Klasse Yachten gingen mit einem zusätzlich ausgeklappten Schwert an den Wind. 1930 dann der Wechsel vom Gaffelgroß unter einem Topsegel zur am Wind leistungsfähigeren Bermuda- oder Marconitakelage. Chevalier hat jede Yacht der Vergleichbarkeit halber im einheitlichen Maßstab für die Nachwelt festgehalten. Pläne, die im analogen Zeitalter des ausklingenden 20. Jahrhunderts nur bei einem Besuch in den Archiven zugänglich waren. Taglang liefert dazu die Geschichte der jeweiligen Herausforderungen, die Regeländerungen, die yachtbaulichen und takeltechnischen Finessen und dokumentiert den Verlauf der Regatten. Richtig spannend wird es, als 1958 mit den Pokalregatten ein neues Kapitel vor Newport im Zwölfer aufgeschlagen wird. Es wird mit zehn Herausforderungen im Lauf von drei Jahrzehnten außerordentlich produktiv für die Yachtkonstruktion. Sie wird den Yacht- und Mastbau, die Takeltechnologie und Tuchherstellung vorantreiben, weil sich alle Beteiligten innerhalb des rigiden Korsetts der dritten Version der International Rule für das nächst schnellere Exemplar der 12 mR-Yacht etwas einfallen lassen: Vom Profilstag wie dem Hoodschen Gemini-Stag, es erlaubt den Vorsegelwechsel an zwei nebeneinander angeordneten Nuten, profiltreue Segeltuche, den Nylonspinnaker, moderne Decksbeschläge wie zunehmend leistungsfähigere und vielseitigere Winschen, Schotwagen und Traveller bis hin zu Trimmklappen und schließlich den Flügelkiel. Der Betrachter entdeckt nach den schönen Zwölfern mit vertrauten Linien radikale Entwürfe wie Olin Stephens „Vailant“ mit abgesägtem Heck oder das Britton Chance Boot „Mariner“, als Überlegungen zum Wasserwiderstand und Schlepptankuntersuchungen die Entwicklung der Boote prägten. Das Buch gibt einen ausgezeichneten Überblick zur Entwicklung der Yachtkonstruktion vom langkieligen Schoner „America“, dessen vom Heck zum Vorschiff hin ansteigende Kielsohle zunächst einmal die Neigung der Helling, auf der Arbeitsschiffe damals entstanden,  ausgleichen sollte, bis hin zum 12er Projekt „Swissmade“ mit tiefstmöglich angeordnetem Ballast in einem upside down Kiel. Die Entwicklung endete 1988 mit Michael Fays Herausforderung mit einem 37 m Einrümfer gemäß den Regularien der Stiftungsurkunde, den Dennis Conner mit einem Flügelsegel-Katamaran – ebenfalls gemäß der Deef of Gift, parierte. Weil sie eh im Thema sind veröffentlichen die Beiden 1990 und 91 zwei weitere Bände im gleichen Stil und Format: „American and British Yacht Designs 1880 – 1887“. Obgleich nur ganze sieben Jahre umspannend zeigt es die Entwicklung des formstabil breiten amerikanischen Schwertbootes und ihres Kontrapunkts, der schlanken, schweren und tief im Wasser liegenden britischen plank on edge-Typen. Abgesehen davon, das die unterschiedlichen Typen schwammen und segelten, hatten sie wahrlich wenig gemeinsam. Der zweite Band zeigt wunderbare Blauwasser-Motorsegler und herrliche Dampfyachten. Das Vorwort dazu schrieb die französische Segellegende Eric Tabarly. In Paris geboren und lebend lernt François Chevalier (Jahrgang 1945) in der Seine schwimmen und segeln. Dem Abschluß an der Ecole des Beaux-Arts als Architekt folgt ein Studium der Yachtkonstruktion an der Westlawn School of Yacht Design in den USA. 1978 entwirft er den BOC und OSTAR Teilnehmer „Ratso“, gemeinsam mit Daniel Andrieu den Halbtonner „EJP“ und 1981 das zweimastige Serienboot Sea-Land 46. Chevalier arbeitet seit 1982 als Journalist, Illustrator und Kartograf, lehrte 12 Jahre als Dozent Yachtkonstruktion und betreibt gemeinsam mit Taglang einen sehenswerten Blog, der den modernen Yachtbau im Stil ihrer Bücher dokumentiert. Sehr anschaulich ist beispielsweise der Vergleich der großen Yachten für das Sydney-Hobart Race. Es verdeutlicht, wie unterschiedllich der schmale Maxi „Wild Oats“ von 2005 und die formstabil breite „Comanche“ von 2014 sind. Zu seinen Entwürfen der vergangenen Jahre gehört eine Wallycento und ein Scowartiger Maxi für den Raumschots Ritt von Kalifornien nach Hawaii. Mit Bootsmonografien, etwa über den französischen Schoner „Velox“ von 1875, die Begleitung und Dokumentation der Restrauration von Gustave Caillebottes „Lézard“ von 1891, der „Nan“ von William Fife jr. aus dem Jahr 1897, eines Charles Nicholson Achters von 1924, von „Eileen“ (Fife 1935) und „Runa IV“ (Yawl von 1918) und „Runa VI“ von 1927, gezeichnet von Gerhard Rønne setzte Chevalier die Papiersegelei in den vergangenen Jahren fort. Jacques Taglang stammt aus dem Elsaß, lernte auf dem Rhein segeln, jobbte in einer Bibliothek, als Detektiv und Kommissar bis er seinen eigentlichen Beruf eines Krankenhausmanagers ergriff, den er bis zu seiner Pensionierung 2006 ausübte. Seiner Berufung – die Beschäftigung mit der Geschichte des Segelsports und historischen Yachten – ging er nebenher nachts nach, wenn seine Frau und die drei Kinder schliefen. Die Ergebnisse seiner Papiersegelei, seine Manuskripte, werden von seiner Frau Luce seit dem ersten Buch Korrektur gelesen. Richtig und bei Licht gesegelt ist Taglang übrigens auch: auf der Nordsee, im Mittelmeer, von La Rchella nach Schottland, 2015 die Atlantik Regatta für Klassiker an Bord von „The Blue Peter“, einer 20 m Alfred Mylne Slup von 1930. Nach einer Odyssee durch Frankreich mit Wohnorten in La Rochelle und in der Nähe von Bordeaux ist Taglang mit seiner Bibliothek von 7.500 Titeln, einer umfänglichen Sammlung von Mississippi und Chicago Bues Platten und einer Kollektion trinkbarer Bordeaux, elsässischer und Rheinweine in Turckheim bei Colmar seßhaft geworden. Im vergangenen Jahr erschien das Jahrbuch anläßlich des 150. Geburtstags des Yacht Club de France, zugleich eine Geschichte des französischen Segelsports, geschrieben von Taglang, Chevalier, und den Kollegen Delaive, Pillon, Sézérat, Gabirault. Derzeit entstehen Bootsmonografien über den 20 m Doppelender „Serenade“ von 1938 und „Sumurun“, eine William Fife Ketsch von 1914. Die Bücher werden Ende dieses und des nächsten Jahres im Auftrag des Eigners beider Schönheiten, des französischen Kunsthändlers Alain Moatti erscheinen. Die beiden Papiersegler halten Kurs – für Leser, Eigner, Liebhaber, denen die Herkunft der schwimmenden Kostbarkeiten, die Geschichte und Kultur so viel bedeutet wie das Vergnügen, sie zu besitzen, zu pflegen und segeln. Tja und in dreieinhalb Jahren wird „The Impressionists and Yachting on the river Seine“ erscheinen. Jenes Buch, von dem Jacques Taglang mit wunderbarer Gelassenheit bei unserem Bacchanal damals in Straßburg erzählte. Es wird dann zwar 15 Jahre gedauert haben, denn es schoben sich immer weitere Projekte dazwischen. Hauptsache wir stauenden Leser werden eines Tages eingeführt in diese wunderbare Parallelwelt, diese vermeintlich ferne, uns im Grunde doch vertraute Welt des Kontemplativen, des Hinsehens, Beobachtens und Staunens. Außerdem lernte François dort, wo „alles“ begann, schwimmen und segeln. Das ist außer lesen, dazu lernen, weiterfragen und es aufschreiben und neu zeichnen eine schöne und wichtige Beschäftigung. Bis dahin empfehle ich eines der letzten Exemplare von „American & British Yacht Designs 1870–1887”. Es ist über die Webseite der beiden erhältlich. Oder „America’s Cup Yacht Designs, 1851-1986. Gibt’s bei Amazon secondhand derzeit für 830,87 Dollar. Das ist natürlich Geld. Aber selbst ein knauseriger Kaufmann wird die Stunden und Tage, die er im Lauf der Jahre, vielleicht Jahrzehnte mit dieser dokumentarischen Liebeserklärung an 135 Jahre Yachtkonstruktion verbringen wird, ins Verhältnis zu setzen wissen. Bücher

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Seen und gesehen werden

Seit hundert Jahren liefert Boesch gediegenes Spielzeug für den ansehnlichen Bootsausflug. Und neuerdings trifft der Charme der Sechziger auf moderne Elektromotoren. Ein Motorboot fährt sich fast so unbeschwert wie ein Sportwagen. Einsteigen, Zündschlüssel rein, Leinen los und einkuppeln. Mit blubberndem Motor schieben sich die Planken aus dem Hafen. Sonor brummend befreit uns das Triebwerk im Rücken bald aus der Enge des Landlebens. Von allen denkbaren schwimmenden Untersätzen duldet die nicht ganz so bootsaffine Partnerin das Motorboot am ehesten. Es verlangt nur kleine Zugeständnisse an die Geheimwissenschaft der sogenannten Nautik. Sehr schön, wenn es aus maronenbraunem Mahagoni statt Allerweltsplastik ist. Ein hübsches Boot wandelt die zögernde Duldung der Partnerin in lächelnde Sympathie. Der lombardische Bootsbauer Carlo Riva fasste das Thema einmal mit drastischem Snobismus so zusammen: seine Kunden würden grundsätzlich nur auf einer Toilettenbrille aus Holz Platz nehmen. Plastik käme nicht in Frage. Der glänzende Bootslack über den maronenbauen Planken, die funkelnden Beschläge entzücken. Auch lässt das Mahagoniboot die prosaische Kosten-Nutzen Abwägung nonchalant achteraus. Es beglückt wie der seltene Sportwagen bereits mit seiner bloßen Existenz und lässt den Blick auf das Pekuniäre kleinlich erscheinen. Auf dieses Detail kommen wir noch zu sprechen. Wie oft das Boot genutzt wird, ob drei-, fünfmal oder öfter, entscheiden das Wetter und übliche Landlebens-Verpflichtungen wie Einladungen, Familienfeste oder der Garten. Im Grunde langt es, wenn es ein Boesch gibt, wenn man nach dem Tagwerk abends mal ans Wasser geht und es sich einfach anschaut. Fahren ist schön, aber gegenüber dem Haben nachrangig. Von Ausnahmen abgesehen zeichnen sich alpenländische Gewässer durch phänomenalen Windmangel aus. Friedlich spiegelt das Wasser die Kuh- oder Obstwiesen und Weinberge der Gegend. Selten bis nie schuppt eine Brise den See. Weit gereiste Engländer begriffen das beim Besuch der Schweiz sofort. Sie kümmerten sich deshalb um die Berge. Ortsansässige Handwerker wie Jacob Boesch machen seit hundert Jahren auf ihre Weise mit Kähnen zum Rudern und Motorbooten das Beste draus. In Kilchberg am Zürisee kultivierte Sohn Walter Boesch in den Vierzigerjahren dann die annähernd waagerechte Gleitfahrt der flotten Spritsäufer. Mitte der Fünfziger schob er das erste in Serie gebaute Boesch Motorboot ans Wasser. Wer ein sogenanntes Runabout, einen generös motorisierten, mühelos gleitenden Sportflitzer steuert, hat es aus der angestrengten Verdränger- zur lässigen Gleitfahrt des Lebens gebracht. Wesentliche wirtschaftliche Fragen des Lebens sind gelöst. Wer sonst würde heute das üblicherweise einer Eigentumswohnung oder dem Haus in ordentlicher Lage gewidmete Budget für ein apartes Boot versenken? Für einen 7 ½ m Mahagonigleiter vom Typ Boesch 750 Portofino De Luxe wird derzeit mit zwei 320 PS Benzinern und unverzichtbarem Zubehör 480.000 € einschließlich Mehrwertsteuer ausgegeben, für die stärkere E-Motor Variante 725.000. Mit einem knapp 10 m langen Boesch 970 St. Tropez wird mit zwei 8,2 l Benzinern und jeweils 370 PS für annähernd 800 Tausend € abgelegt. Auf hundert Jahre Bootsbau und eine stattliche Flotte gediegener Motorboote blickt die Schweizer Boesch Werft dieses Jahr zurück. Wirtschaftskrisen, den Zweiten Weltkrieg, die Ausbreitung beliebiger Plastikboote an unseren Ufern, vom starken Schweizer Franken erschwerte Exportmöglichkeiten und strenge Vorschriften für den Gewässer- und Umweltschutz hat der über mehrere Generationen geführte Familienbetrieb mit interessanten Finessen gemeistert. Die Vorzüge des Mittelmotorbootes Abgesehen von schneller Fahrt durch raues, von Wellen aufgewühltes Wasser gibt es für ein Motorboot keinen härteren Test als den Wasserski-Einsatz. Lastwechsel, große Leistung und enge Kurven verlangen dem Antriebsstrang allerhand ab. Das geht am besten, wenn er einfach gehalten ist, die Kraft vom Motor über eine starre Welle direkt mit der Schraube ins Wasser kommt. Eine durchzugsstarke Maschine hilft, hat aber den Nachteil schwer zu sein, weshalb sie als Mittelmotor und nicht wie heute üblich im Heck vor einem Z-Trieb untergebracht ist. In den großen doppelschraubigen Boesch Booten wirken zwei schwere Achtzylinder. In den Fünfzigerjahren, als in der Hinterlassenschaft des deutschen Reiches noch der Schutt zusammengekehrt wurde, waren Boesch Boote bereits zum Wasserskifahren auf dem Genfer See gefragt. Diese Spezialität festigte den Nimbus der Boote als zuverlässiges wie edles Süßwasserspielzeug. Die Propellerwelle bringt die Kraft 15 Grad aus der Horizontalen geneigt ins Wasser. Der Winkel hebt das Heck an und macht bremsende Trimmklappen entbehrlich. Die unter statt hinter dem Rumpf wirkende Schraube schließt Verletzungen und versehentliches Aufwickeln des Wasserski-Schleppseils weitgehend aus. Durchdacht und anders ist auch das sogenannte Beulenruder zum Steuern des Bootes. Es hat von oben gesehen den keilförmigen Querschnitt einer Axt. Der Blick von hinten verrät die geschwungene statt gerade Form. Sie gleicht den Drall des Schraubenwassers aus. Man kann das Lenkrad ohne lästigen Gegendruck loslassen. Das Boesch hält Kurs. Die amerikanische Marine hat es von Urs Boesch mitten in Europa, 406 Meter über dem Meeresspiegel übernommen. So einen Ritterschlag vergeben sonst eigentlich nur Chinesen. Schiffbauingenieur Klaus Boesch und sein Bruder Urs, er ist Maschinenbauingenieur, leiteten die Werft viele Jahre, bis Junior Markus den Betrieb vor einer Weile übernahm. Weitere Finessen werden durch den anstehenden Generationswechsel vom Verbrennungs- zum Elektromotor demnächst obsolet. Diese technikgeschichtlich grausame Entwicklung ist unvermeidlich. Weil beim klassischen Mahagoni-Gleiter der domestizierte Sound der herkömmlichen Verbrennungsmotoren so wichtig ist wie der Fahrt selbst, entwickelten die Schweizer für ihre Boote eine spezielle Schalldämmung. Sie trennt hinter der Maschine die schnell entweichenden Abgase vom langsam abfließenden Kühlwasser, führt sie separat durch das Boot zum Heck, wo sie in einer speziellen Mischkammer außenbords direkt über der Wasserlinie wieder zusammenkommen. Eine Kamm-ähnliche Vorrichtung an der Abrisskante des Hecks füllt das kleine Gehäuse mit einem dämmenden Wasser-Schaumgemisch. Mit der sogenannten Kaskadendämpfung bleibt Lärm des Achtzylindermotors im erträglichen Rahmen. Da bemüht der Nachbar vom Wassergrundstück keinen Anwalt. Ein generös motorisierter Gleiter mit Verbrennungsmaschine ist von Haus aus ein Krachmacher. Liebhaber solcher Boote raunen nach dem ersten Glas Wein gerne von der sogenannten Fuel to Sound-Transmission. Wir hielten das für nerdig-maskulinen Quatsch – bis wir mal das erste Anlassen der Triebwerke und weitere Krachmacherei bei höheren Drehzahlen draußen in der freien Wildbahn des Wassers erlebten. Eine richtige Kleine-Jungs-Geschichte. Nun steht und fällt die Zukunft der Mahagonigleiter mit der Motorisierung. Auf dem Ammer-, dem Chiem- und dem Starnbergersee, dem Wörther- oder Wolfgangsee haben einzig neue Boote mit Elektroantrieb eine Chance. Markus Boesch erinnert, dass sein Uropa Jakob bereits von der Vorgängerwerft Treichler ein 20 kW Boot namens „Elektra“ Baujahr 1895 kannte. Mit 4 Tonnen Batterien an Bord war es leider noch eine dröge Geschichte. „1996 haben wir nochmal angefangen, mit 20 Bleisäureakkus und Dieselgeneratoren. Seit 2005 ermöglichten Hochleistungsakkus Antriebe mit 50 kW, ab 2010 dann 100 kW. Mit den leistungsstarken Motoren haben wir etwa 100 Boote gebaut, ganz wenige auch in Doppelmotorisierung.“ Auch wenn deutlich leichtere Lithium-Ionen-Polymer-Batterien anstelle der Bleiakkus den Elektroantrieb für schnelle Gleiter erst sinnvoll machen, bleibt noch eine deutliche Lücke zur Reichweite der Verbrennungsmotoren. Der von 198 Ah Lithium Akkus angetriebene Piktronik 80 kW Synchronmotor bietet laut Werftangaben im 360 Volt Betrieb bei 40 km/h (knapp 22 Knoten) Geschwindigkeit im Boesch 710 eine Reichweite von 47 km (25 Seemeilen). Mit einem 125 kW Motor und 432 Volt Betriebsspannung ist bei gleicher Geschwindigkeit eine Reichweite von immerhin 76 km (41 sm) drin. Mit der herkömmlich Achtzylindrigen 5,7 l Maschine und 175 l Tank wird zum gedankenlos gefahrenen Wochenende abgelegt, einschließlich 38 Knoten Vollgas-Spurts. So wird die Fuel to Sound Transmission, die delikate Koexistenz eines heißen Achtzylinders im Resonanzkörper aus fugenlos zusammengefügtem Mahagoni, in absehbarer Zeit durch den zunehmend interessanten Elektromotor obsolet. Es ist reizvoll, nahezu lautlos mit einem ansehnlichen Boot aus der Enge des Landlebens auszubüchsen. Das wusste auch der den wichtigen Gesichtspunkten der Erdenbürgerschaft zugewandte Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler. Er hatte ein kleines Boeschli, wie die Schweizer ihr Seespielzeug schon mal nennen. Als bodenständiger Mann natürlich eins zum Rudern. Das macht keinen Krach, keine Wellen und es riecht nicht.

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Die Sache mit der Zwölf

Die beinahe vergessene Klasse der 12 mR-Rennyachten hat sich wieder zum exquisiten Parkett alljährlicher Segelfestspiele entwickelt. Mit einer Note Gemauschel. Ein Blick hinter die Kulissen von Erdmann Braschos. Der Zwölfer ist der Platzhirsch der Regattabahnen. Eine ansehnliche wie fordernde Rennyacht. Seit auf diesen Planken die Segelschlachten des America’s Cups vor Newport und Fremantle ausgefochten wurden, eine Yacht mit speziellem Nimbus. Hinreißend elegant, endlos auf die Seite zu legen, tierisch gut am Wind. Das ultimative Männerspielzeug für ein Dutzend Buddies, die mit Augenmaß, Bizeps, Hirn und Puste knapp 30 Tonnen Edelholz der Vintage-Exemplare aus den Dreißigerjahren um die Bojen scheuchen. Sehenswerter, arbeitsteiliger, intensiver als auf einem Zwölfer lässt sich das Wochenende auf dem Wasser kaum verbringen. Nach jahrzehntelanger Agonie, in der es hierzulande wenige segelfähige Exemplare gab, wächst die Ostseeflotte seit einer Weile beeindruckend. Josef Martin holte „Anitra“ aus den Staaten und möbelte sie in Radolfzell auf. Der Flensburger Tafelsilber-Fabrikant Oliver Berking gründete nach der Wiederinbetriebnahme von „Sphinx“ eine Werft, in der bisher mit „Nini Anker“ und „Jenetta“ zwei Neubauten nach alten Vorlagen entstanden. Deutsche und dänische Protagonisten wie beispielsweise Wilfried Beeck oder Patrick Howaldt pushen das Retro-Segelfestspiel mit Klassikern der Dreißigerjahre. Im Vergleich zu „Anita“, „Anitra“ „Evaine“, „Jenetta“, „Flica II“, „Nini Anker“, „Nyala“, „Trivia“, „Vanity V“ oder „Vim“ sind andere Regattayachten rasch vergessene Durchlauferhitzer. Der Aufwand, mit dem die Schiffe erhalten, restauriert oder nach alten Plänen neu gebaut werden, ist groß. Das Ego der Eigner, die sich das Jahr für Jahr gönnen, auch. Die jährlichen Betriebskosten ehrgeiziger Besitzer liegen beim Neupreis eines 5er- oder 8er-BMW. So kam es, dass einige Spezialisten in aller Stille an der Zwölf feilten. Wie das geht, obwohl es eigentlich nicht geht, zeigt dieser Artikel. Die zwei wesentlichen Gesichtspunkte einer Rennyacht Die Zwölf ist Ergebnis einer 1908 erstmals zum internationalen Regatta­segeln vereinbarten, 1933 zuletzt als „Third Rule“ überarbeiteten Formel, dem jedes Exemplar dieser Klasse zu entsprechen hat. Die Zwölf steht für den sogenannten Rennwert. Er darf kleiner oder gleich zwölf sein, keinesfalls mehr. Neben anderen Werten verrechnet die Formel die beiden wesentlichen Gesichtspunkte einer Yacht: den Antrieb in Gestalt der Segelfläche und ihr Geschwindigkeitspotential anhand der Länge. Das Längenmaß wird beim Zwölfer 18 Zentimeter über der Wasserlinie abgenommen. Bei der Vermessung wird sogar zwischen Salz- und Süßwasser unterschieden, weil das Schiff entsprechend tiefer oder höher im Wasser liegt. Es geht um jeden Zentimeter Länge und davon abhängig jeden Quadratmeter Tuch. Das machte den Zwölfer immer schon vorab, damals am Reißbrett, heute am Computer, interessant. Man hat ein eher kurzes, dafür größer besegeltes Leichtwindschiff oder ein längeres, das entsprechend kleiner besegelt und bei mehr Wind dann schneller ist. Nun liegt es in der Natur der Sache, dass die Holzplanken Wasser aufnehmen und ein betagtes, zum Tourensegeln genutztes Schiff durch Um- und Einbauten im Lauf der Jahrzehnte schwerer wurde. Die tiefere Schwimmlage infolge des Gewichts und damit das größere Längenmaß würde wie gezeigt eine kleinere Besegelung verlangen. Um das zu vermeiden, vereinbarte die Klasse anlässlich des 150. America’s-Cup-Jubiläums 2001 im Seglermekka Cowes eine kluge, lebensnahe Ausnahme. Zu schwere alte Exemplare mit Einbaumaschine, Tanks und weiteren Zugeständnissen an die Fahrtentauglichkeit erhielten einen Bonus, damit sie mit unveränderten und entsprechend leichteren Schiffen vergleichbar Regattasegeln können, den sogenannte „Age/Design Correction Factor” (ADCF), festgehalten in der Anlage „E“ der Klassenbestimmungen. Er erlaubte die Teilnahme schwerer Schiffe ohne unnötige teure Umbauten für diese eine Regatta. Wie „Jenetta“ gebaut ist Wie in anderen Lebensbereichen auch bleiben jedoch einmal gemachte Zugeständnisse in der Welt. So kommt es, dass der als Restaurierung deklarierte Neubau „Jenetta“ 2019 dank ADCF mit 19 Quadratmetern mehr vermessener Segelfläche aufgetakelt wurde als das Original. Obwohl es bei diesem Schiff – in Epoxidharz gekapselte Holzbauweise – keine Wasseraufnahme gibt. Außerdem ist „Jenetta“ unter Deck leer. Wie bei anderen Bootsklassen liegt die tatsächliche Am-Wind-Besegelung mit Groß- und Genuavorsegel deutlich über der vermessenen. Bei Jenetta sind es 246,50 Quadratmeter. Das sind etwa acht Prozent mehr Am-Wind-Besegelung. Tatsächlich ist „Jenetta“ ein 12,111er. „Jenetta“ segelte die ersten drei Sommer mit einem angeblich vorläufigen, bis zur 12er-Weltmeisterschaft August 2021 in Helsinki unbestätigten wie unveröffentlichten, also de facto ohne Messbrief. Kay-Enno Brink, der den Neubau des Boots in der Werft Robbe & Berking Classics technisch begleitete und das Boot vermessen hat, blieb nach beharrlichem Fragen zu dem Thema einsilbig. Wie sich später herausstellte, wurde der ADCF-Bonus von 0,9626 „auf Anweisung des Eigners festgelegt“. Die Mitnahme der Gutschrift für Vintage-Boote drückt den Rennwert soeben auf die 12. Mit dem gleichen Kniff wurde „Nini Anker“ (ex „Siesta“), ein Holz-Epoxidharz-Neubau nach alten Plänen Baujahr 2015 vermessen. Auch hier konnte sich der Eigner die Gutschrift abweichend von den Klassenvorschriften selbst aussuchen. In Anlage E der Klassenbestimmungen ist allerdings vom tatsächlichen Baujahr die Rede, nicht vom Jahr des Entwurfs. Wie die Segelfläche vergrößert wurde Die Blaupause für dieses Gemauschel lieferte die dänische Eignergemeinschaft von „Wings“. Sie nutzte den Vintage- und Gewichtsbonus konsequent. Die ursprünglich 13,93 Meter lange Wasserlinie von 1937 wurde 20 Zentimeter länger. Zugleich wurden aus 179 Quadratmeter nomineller Segelfläche 190. Das entspricht etwa 261 Quadratmeter am Wind mit Groß und Genua 1. Als Segler zweier Zwölfer und für die nordeuropäische Flotte zuständiger Klassenvize setzt sich Patrick Howaldt seit Jahren mit endloser G eduld und vielen Gesprächen dafür ein, dass die Segelflächen nicht mit Nutzung des ADCF per Umbau der Schiffe vergrößert werden. „Wir haben anlässlich der Vermessung von ,Wings‘, wo alle Lücken konsequent genutzt wurden, damals leider nicht aufgepasst“, fasst Howaldt zusammen. Angeregt durch beharrliche Recherchen zu diesem Artikel, wollten die Zwölfersegler die missbräuchliche Nutzung des Vintage-Bonus beenden. Eine aus Yachtvermessern bestehende Kommission sollte die Willkür der Zwölfereigner eindämmen und die Rennwerte in Ordnung bringen. Es ist ihnen nicht gelungen. Die Eigner von „Northern Light“, „Jenetta“, „Sphinx“ und „Wings“ beharren auf den ihrerseits geschaffenen Tatsachen. Mit tollen Booten und America’s-Cup-Nimbus Regatten segeln und dabei wie beschrieben mogeln passt nicht zusammen.

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Endlich mal ein leeres Boot

Klappkojen statt Edelholz: Die „Firefly“ ist keines dieser protzigen Boote, deren Aufgabe sich darin erschöpft, den üblichen Landlebenskomfort auf dem Wasser zu duplizieren. Wir leben in einer seltsamen Welt. Während die Mehrheit derer, die von ihrer Arbeit leben, von Krise zu Krise schlechter dasteht, gibt es eine wachsende pekuniäre Oberschicht. Die weiß nicht, wie sie das Geld ausgeben soll. Ihr bietet die Luxusartikelindustrie, zu deren schillernder Abteilung der Yachtbau zählt, zunehmend ausgefalleneres Spielzeug an, große Motor- und Segelyachten. Mit einem durchzugsstarken Spritsäufer durchschnittlicher, in Südfrankreich kaum zur Kenntnis genommener Größe ist schon mit wenigen hochsommerlichen Fahrten vom Yachthafen zum Badestrand die Jahresheizölrechnung eines Einfamilienhauses verfeuert. Dabei wird man an dieser Küste erst mit einem 60 Meter langen oder bei passenden Bedingungen 60 Knoten schnellen Schlitten zur Kenntnis genommen. Spezialität von André Hoek Einer, der sich in dieser Branche auf den Stil und Charme von Segelyachten vergangener Zeiten spezialisiert hat, ist André Hoek. Mitte der achtziger Jahre stieg der clevere Holländer auf die gerade erst losschwappende Retrowelle. Sie hält bis heute an. Mittlerweile surft er sie mit seinen „nieuwe klassiekers“ so variantenreich und geschickt, dass der Eindruck entstehen kann, Hoek verkörpere sie. Sein 17 Personen starkes Konstruktionsbüro entwirft meist Segelyachten mit antiquiertem Löffelbug und einer ansehnlich geschwungenen Deckskante. Sie wird von einem oder zwei niedrigen Aufbauten überragt, die so anachronistisch wie ein viktorianischer Eisenbahnwaggon verglast sind. Wie in der seglerisch guten alten Zeit enden Hoeks Yachten mit einem apart aus dem Wasser gehobenen Heck. Unter dem Schiffsbauch gibt es allerdings keinen herkömmlich langen Kiel, wie die sichtbaren Proportionen des Rumpfs vermuten lassen, sondern eine zeitgemäß kurze Kielflosse und ein separates Ruder. Bislang hat Hoek eine ganze Flotte in dieser Manier entworfen, von elf bis hin zu 80 Meter Länge. Als prototypisch klassische Yacht gilt die sogenannte J-Class. In dieser etwa 40 Meter langen, rund 150 Tonnen schweren Bootsklasse wurde in den dreißiger Jahren um den America’s Cup gesegelt. Die längst ausgestorbenen Dinosaurier der Regattabahnen gelten als Quintessenz der klassischen Yacht. Abgesehen von einer kleinen Eignerkabine mit Tagestoilette waren sie unter Deck ziemlich leer. Die magere Ausstattung hielt den bei schmalen Yachten entscheidenden Ballastanteil hoch. Aus funktionalen Gründen trugen die Glattdecker kein Deckshaus, allenfalls eine spitzkappenartige Behausung für das Schiebeluk über der steilen Stiege ins Schiff. Als Elisabeth Meyer die einstige Sopwith-Yacht „Endeavour“ des englischen Flugzeugfabrikanten und Pokalherausforderers Ende der achtziger Jahre in eine zum Blauwassersegeln und für Chartertörns mit allem erdenklichen Komfort versehenen Luxusschlitten verwandelte, begann eine bis heute andauernde Fehlentwicklung. Unter Deck wurde die damals vielbewunderte Yacht vollständig mit vertäfelten Kajüten ausgebaut und unter den Bodenbrettern der Kabinen mit moderner Technik wie Hilfsmotor, Stromerzeuger, Meerwasserentsalzer und Klimaanlage, Kühlkompressoren für die Eisboxen, Tanks, Batteriebänken, Wandlern und Hydraulikpumpen vollgestopft. Die heutige J-Class ist leider ein Fake Trotz der Entnahme von zehn Tonnen Blei aus dem einst 80 Tonnen schweren Kiel geriet die umgebaute „Endeavour“ 23 Tonnen schwerer. Wie bei jeder anderen J-Class, ganz gleich ob es sich um ein modernisiertes Original oder einen Neubau handelt, stimmt die Wasserlinie nicht mehr. Die heutige J-Class ist ein Fake. Schon Mitte der neunziger Jahre monierte der Werftinhaber, Kunst- und Ferrari-Sammler Albert Obrist diese Entwicklung. Nach Ansicht des Baseler Fabrikanten sollten die Eigner einer historischen Amerca’s-Cup-Yacht sie so erhalten und segeln, wie sie damals war. Obrists Ansicht mochte damals als rigoros, realitätsfremd und dekadent erscheinen. Allein: Die J-Class ist dekadent. Sie ist die verschwenderischste, konsequenteste Yacht überhaupt – und halt die schönste. André Hoek, neben seinem Landsmann Gerard Dykstra als Yachtkonstrukteur sowie den Eignern und Beratern einer der Hauptantreiber dieser Fehlentwicklung, hat nun mit einem neuen, etwas kleineren Lookalike Abhilfe geschaffen. Er hat sie „F-Class“ genannt. Der im Mai in Holland aufgetakelte Prototyp namens „Firefly“ machte die vergangene Saison im Mittelmeer bei den üblichen Events in Palma de Mallorca, an der Costa Smeralda und an der Côte eine gute Figur. Außer dem Mast, der traditionellen Fuß- und Griffleiste, der geduckten Lukgarage, den Winschen und einigen Lüfterhutzen ragt wenig über das ziemlich glatte Deck. Schöner segeln wie Vanderbilt, Morgan und Co. mit einer abgeräumten Retro-Rennmaschine. Die J-Class reloaded. Auch sonst ist das Schiff überzeugend netto. Hoek hat von den überschlägig 150 bis 180 Tonnen der J-Class mehr als 100 an Land gelassen, indem er den messerscharfen Vorsteven am Schiffsbauch in einen modernen U-Spant übergehen ließ. Anstelle des langen Kiels mit viel wasserbenetzter Fläche des Vorbilds, die amerikanische Universal Rule schrieb einen langen Kiel mit angehängtem Ruder vor, ließ Hoek einen modernen T-förmigen 28-Tonnen-Kiel unter den Bootsboden flanschen. Solche Kielkonstruktionen sind bei heutigen Regattabooten üblich. Beinahe ebenbürtig Übrigens ist die F-Class mit annähernd 600 Quadratmeter Segelfläche am Wind einer J-Class beinahe ebenbürtig betucht. So kommt das 62-Tonnen-Boot bei den lauen Lüftchen, wie sie an der Côte d’Azur oder in der Bahia de Palma oft wehen, eher in Fahrt. Hat die mediterrane Thermik dann von Mittag an eine passabel erfrischende Brise installiert, hält das wirksam tief angebrachte Blei das Boot aufrecht. So viel zur Segelphysik. Höchste Zeit, sich mit dem interessantesten Aspekt, der Dekadenz, zu beschäftigen. Also, diesen 35-Meter-Daysailer kann man wie die Platzhirsche der America’s-Cup-Regattabahnen eigentlich nur segeln. Natürlich lässt sich damit auch ankern und baden gehen. Man wird mit fünf Meter Tiefgang etwas weiter draußen in der Badebucht „parken“ oder die Liftkieloption mit drei bis fünf Meter Tiefgang ordern. Übrigens lässt sich in der L-förmigen Pantry gleich links neben dem achtstufigen Niedergang ohne Malheur die Mittagsmelone aufschneiden. Beim Blick unter die unverkleidete Decke sind allerdings sichtbare Schrauben und das Gerippe der Aluminiumunterzüge zu ertragen. Es ist immerhin weiß gestrichen. Tagesausflüge und Segelregatten Weil das elegante Tagesausflugssegelboot mit schieren 35 Metern Deckslänge mit Motorwinschen und diskret angebrachten Knöpfen versehen ist, kann es von einem erfahrenen Segler auch mit wirklich kleiner Crew bewegt werden. Die acht bis zwölf Mann starke Besatzung muss lediglich zur Regatta zusammentelefoniert werden. Natürlich gibt es unter dem Boden der knietief ins Deck eingelassenen Plicht das allernötigste wie beispielsweise einen Maschinenraum mit einem Steyr-Sechszylinder, der die 60 Tonnen vom Liegeplatz vor die Hafenmole zum Segelsetzen schiebt. Sogar einen Toilettenraum mit Duschmöglichkeit bietet die „Firefly“. Für das Nachmittagsnickerchen bieten sich die beiden Sitzbänke mittschiffs an. Richtig übernachten kann man auf dem Boot übrigens auch, auf einer der zehn Rohrkojen, die neben den stilsicher verlegten Wegerungsleisten im Vorschiff hängen. Herrlich konsequent aufs Segeln zugeschnitte Ein komfortables Bett hat jedes Mitglied der pekuniären Oberschicht eh zu Hause, in einem seiner Lofts, Penthouses und Ferienhäuser. So ist die „Firefly“ ist keines dieser erwartbar protzigen Boote, deren wesentliche Aufgabe sich darin erschöpft, den üblichen Landlebenskomfort auf dem Wasser zu duplizieren. Sie ist eindeutig auf die Hauptsache, das Thema schön segeln, fokussiert, Prototyp einer neuen Bootsklasse, deren Klassenvereinigung den einheitlichen wie preiswerten Bau mit Aluminiumrumpf und weiteren Einzelheiten überwachen soll. So apart sich der rabenschwarz lackierte Renommierschlitten durch die Wogen des Mittelmeers schiebt: Es ist zu bezweifeln, dass sich die „F-Class“ durchsetzen wird. Der Eigner dieses Bootsformats mit entsprechend großem Ego ist eher Bauherr als Segler mit der Bereitschaft, in eine fertige Einheitsklasse einzusteigen. Das wurde vor gut einem Jahrzehnt schon mal mit der sogenannten W-Class in Amerika versucht, die sich als hübscher Ladenhüter erwies. Doch haben wir uns dieses köstlich dekadente Segelspielzeug gern angesehen. So was traut sich sonst keiner: ein konzeptionell klares, unverbautes und mal richtig leeres Boot mit zehn Klappkojen statt Edelholzklasse. Übrigens kostet dieser stilvoll-spartanische Retroluxus mit knapp fünf Millionen Euro ein Drittel des Einstiegspreises für eine neue, überladene J-Class. Zählten wir zur pekuniären Oberschicht, die nicht so recht weiß, wohin mit dem Schotter, wir würden ihn stilvoll für eine F-Class versenken. Bezüglich der Lackierung, ob dieses John-Pierpont-Morgan-Rabenschwarz oder aktuelles Chromsilbermetallic, sind wir einstweilen unentschlossen. Bis zur Klärung dieser Frage begnügen wir uns einfach mit einem kleineren Boot.

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Variationen der schlanken Linie

Knud Hjelmberg Reimers‘ rhetorisches Geschick, Talent und Glück machten den gebürtigen Dänen zum führenden Yachtkonstrukteur Schwedens. Ein Porträt des prominentesten Vertreters der schlanken skandinavischen Linie. Anfang der fünfziger Jahre überführt Reimers den 25-Meter-Zweimaster „Agneta“ für den italienischen Industriellen Giovanni Agnelli von Stockholm zur Werft Camper & Nicholson nach Gosport. Die letzten Meilen im Solent gönnt sich der Konstrukteur einen besonderen Spaß. Unter gutgefülltem Tuch durch eine Flotte anderer Segeljachten preschend, verlässt Reimers das Steuerrad und geht mit seinen Söhnen zum Bug. Als sei der Autopilot eingeschaltet, jagen die schlanken, rotbraun schimmernden Mahagoniplanken schnurstracks durch das Wasser. So eine Show haben die applaudierenden einheimischen Segler noch nicht gesehen. „Als Jugendlicher segelte ich ab und zu mit Knud in den Stockholmer Schären“, erinnert sich der schwedische Starclippers-Reeder Mikael Krafft in Monaco. „Es spielte keine Rolle, wie lange wir bereits unterwegs waren, wie spät und wie kühl es wurde, ob jemand Hunger hatte oder durstig war. Knud genoss es in vollen Zügen, auf dem Wasser zu sein. Die Rückkehr an Land musste unter einem Vorwand erzwungen werden, und es wurde oft Mitternacht, was bei den langen Sommertagen im Norden natürlich kein Problem war, jedenfalls nicht für Knud.“ In den siebziger Jahren entdecken auf den Stockholmer Außenschären bei Sturm eingewehte Segler eine Jacht, die das gut belegte Becken des Schutzhafens allen Ernstes unter Segeln ansteuert. In der Mittelplicht hockt ein Ehepaar fortgeschrittenen Alters, stoppt mit versiert gegen den Wind gedrücktem Vorsegel und lässt die Tücher an Deck gleiten, während das Boot durch das Becken treibt. Es sind Effi und Knud Reimers mit ihrem S30-Tourenschärenkreuzer. Kopfschüttelnd nehmen die Beobachter des heiklen Manövers die Leinen entgegen und stellen den Schiffer zur Rede. „Wieso? Ihr habt doch gesehen, dass es geht. Ihr müsst bloß das richtige Schiff segeln und ein bisschen üben“, meint der kühne Senior. Ausgewogene Konstruktionen Mögen die gestreckten Linien seiner schnittigen Boote für sich sprechen. Ihre seglerischen Vorzüge führt der prominente Vertreter skandinavischen Jachtentwurfs rasend gern vor. Seine Konstruktionen sind so ausgewogen, dass sie allein Kurs halten, sie drehen auch bei voller Fahrt in einem engen Hafenbecken praktisch auf dem Teller. Reimers ist ein selbstbewusster, redegewandter Schalk, meist für einen Jux oder würzigen Kommentar zu haben. Bei einem Besuch der Werft Beck & Söhne auf der Insel Reichenau am Bodensee, wo Bootsbauer Friedrich Winterhalter mit einer Serie des Reimersschen „Bijou“- Typs die bis heute anhaltende Renaissance des 30-Quadratmeter-Schärenkreuzers einleitet, steht der alte Ästhet erschüttert vor einem Raumwunder aus der Großserienfertigung. Es bringt auf acht Metern so viel Stehhöhe und Kojen unter wie Reimers mit Ach und Krach auf 16. „Eher bricht mir der Stift ab, als dass ich so ein scheußliches Boot zeichne“, meint Reimers. Was würde er wohl bei den aktuellen Volumenmodellen sagen? Geld verdient er mit der Konstruktion von Tourensegelbooten, Motorjachten und Frachtschiffen. Mit dem Entwurf der schlanken, schnellen Schärenkreuzer, der Kür seines Lebens, belohnt er sich und die Jachtwelt. Sie haben wenig Freibord. Die Reimersschen Deckskanten sind unmerklich und spannungsreich geschwungen. Nie kommen sie mit einem wohlfeil übertriebenen Sprung manches heute üblichen Retrodesigns daher. Mit der Rundung ihres Löffelbugs und der gestreckt über dem Wasser schwebenden Heckpartie segeln sie ästhetisch aus einer anderen Welt in unsere Tage. Größte Variante des Themas „Schön schlank“ Von ihrer Länge abgesehen, der einzigen Extravaganz vieler seiner Boote, wirken seine Entwürfe mit hintergründigem Reiz. Dies erklärt, warum „Agneta“, seine größte Variante des Themas „Schön schlank“, in den Häfen der Côte d‘ Azur, Liguriens oder des toskanischen Archipels allenfalls Liebhabern auffällt. Es ist die zurückgenommen schlichte Eleganz, welche die Reimersschen Entwürfe zum Beispiel skandinavischer Formgebung macht. Merkmal seiner Fahrtenjachten wie etwa des 10-Meter-Kajütkreuzers „Bacchant IV“ oder des S30-Tourenschärenkreuzers ist das stufige Deckshaus mit dem giebelförmigen, einander zugewandten Fensterpaar. Der stufige Aufbau bietet im Eingangsbereich der Kajüte, wo zum Abstreifen des Ölzeugs, am Herd und Navigationsplatz Stehhöhe gefragt ist, die nötige Kopffreiheit. Der Spaßvogel nannte die hintere Stufe „Groghytte“, weil man nach einem haarsträubenden Anlegemanöver da in Ruhe einen Kurzen kippen kann. Neben dem Talent zum Entwurf ansehnlicher Boote gründet die Karriere des Dänen auf seiner Eloquenz. 1906 im dänischen Århus geboren, wächst Reimers in bescheidenen Verhältnissen auf. Die Mutter stirbt früh. Der Vater findet bei der örtlichen Zeitung als Setzer ein Auskommen. Als sich Reimers um eine Seemannsausbildung an Bord des fünfmastigen Schulschiffs „København“ bewirbt, wird er wegen Kurzsichtigkeit nicht genommen. Auf der nächsten Reise verschwindet der Rahsegler mit Mann und Maus im Südatlantik. Es hat wenige, manchmal entscheidende Vorzüge, Brillenträger zu sein. Doppelter Stundenlohn für Schmuddeljob 1926 beginnt er eine Lehre bei der Friedrich Krupp-Germaniawerft AG. Der starke Dollar gegenüber der Reichsmark macht die Kieler Werft damals zum gefragten Lieferanten großer Jachten. Dann lernt er in der Konstruktionsabteilung von Abeking & Rasmussen unter der Anleitung seines Landsmanns, des gebürtigen Dänen Henry Rasmussen, Boote zeichnen. Die späten zwanziger Jahre sind die große Ära des Holzjachtbaus in Lemwerder. Hier wird für einheimische wie amerikanische Rechnung gebaut. Damals lassen Prinz Heinrich, der Reeder Erich Laeisz oder der Industriellensohn Hugo Stinnes R-Jachten und Schärenkreuzer der 30-m2-Klasse am linken Weserufer zeichnen und tischlern. Für diese Klientel braucht Reimers ein ordentliches weißes Hemd. Weil sich die kostspielige, für das berufliche Fortkommen unerlässliche Anschaffung aus dem knappen Salär von 55 Reichsmark nicht bestreiten lässt, schrubbt der Däne nebenher die Waggons der Reichsbahn. Von unten, weil dieser Schmuddeljob den doppelten Stundenlohn bringt. Zügig absolviert er an Bremens Technischer Hochschule ein Studium zum Schiffbauingenieur. Im August 1930 beginnt Reimers als Zeichner beim angesehenen Regattasegler und Jachtkonstrukteur Gustav A. Estlander in Stockholm. Der plötzliche Tod Estlanders in Dezember des gleichen Jahres macht Reimers zum Nachfolger des gefragten Konstrukteurs. Mitte Januar 1931 übernimmt der Vierundzwanzigjährige das Büro. Die Kronen zum Erwerb der Estlanderschen Firma samt ansehnlichem Kundenstamm leihen ihm Mitglieder des Königlich Dänischen Jachtclubs. Nun muss sich der gewitzte Däne nicht mehr mit heimlich aus Bremens Gemüsegärten gerupften Rüben durchschlagen oder dem Schrubben von Eisenbahnwaggons. Jetzt entwirft er für Eric Lundberg, den erfolgreichsten Segler Schwedens, Regattaboote. Bei Lundbergs „Valiant“ stellt Reimers den Mast erstmals auf Deck, statt ihn durchzustecken, eine damals unübliche, dafür platzsparende, trockene Lösung. Den Stauchdruck der Takelage verteilt er großflächig über eine Mastbrücke mittschiffs. Der Ingenieur wird sie im Lauf der nächsten Jahrzehnte beibehalten. Für Lundbergs „Korybant“ experimentiert Reimers schon in den dreißiger Jahren mit einem drehbaren Profilmast. Linien in leicht geänderter Form 1937 zeichnet er für Lundberg die berühmte „Bacchant 11“. Der 19,40 Meter lange, keine drei Meter breite 75-m2-Schärenkreuzer machte Ende des 20. Jahrhunderts als seglerisch ernstzunehmende Veteranin bei Regatten auf dem Lake Michigan von sich reden und liegt heute tipptopp gepflegt im Milwaukee Jachtclub. Der längste 75er Schärenkreuzer seiner Klasse ist Vorläufer des modernen Tourenschärenkreuzers, wie Reimers ihn in den Klassen 22, 30, 40 und 55 Quadratmeter vier Jahrzehnte später entwirft. Zu Lundbergs nächstem Vorhaben, einem Atlantikrekord an Bord einer 25 Meter langen 150-Quadratmeter- Schäre, kommt es nicht mehr. Aber die Linien sind in leicht geänderter Form beim Seekreuzer „Agneta“ erhalten. 1948 zeichnet Reimers diese Yawl für den schwedischen Dampfturbinenerfinder Oskar Wiberg. Seit seiner Ausbildung an Henry Rasmussens Zeichenbrettern Ende der zwanziger Jahre bleibt Reimers beim Schärenkreuzer, variiert die schöne schlanke Linie im Lauf der folgenden Jahrzehnte. So avanciert er zum international bekanntesten Konstrukteur des ursprünglich schwedischen Bootstyps. 1938 werden in 24 verschiedenen Ländern 124 von Reimers entworfene Boote gebaut. Wie Rasmussen, dessen Kontakte in die Staaten die Existenz in schwierigen Zeiten sicherte, verlässt sich Reimers nie auf den heimischen Markt. Er sucht und findet sein Glück überall in der Welt, wo es Geschmack und Geld für den Bau und Betrieb ansehnlicher Boote gibt. In Amerika wird die Finesse der Reimersschen Planken mit der kühlen Eleganz der schwedischen Filmschauspielerin Greta Garbo verglichen. Ein Meisterstück des Bootsbauers Fredi Winterhalter am Bodensee Nach dem Krieg entwirft Reimers manches Boot für schweizerische Rechnung. 1959 hilft er seinem dänischen Landsmann Sven Hansen an Bord der Sparkman & Stephens-Konstruktion „Anitra“ bei der siegreich absolvierten Fastnet Regatta. 1960 zeichnet er mit der 8,30 Meter langen „Fin-Gal“ den ersten GfK-Seekreuzer Skandinaviens. 1967 leitet der Reimers-Riss „Bijou“, ein Meisterstück des Bootsbauers Fredi Winterhalter am Bodensee, die Renaissance des klassischen 30-Quadratmeter-Schärenkreuzers ein. Sie hält bis heute an, mit einer neuen Form zur preiswerten Serienfertigung und dem alljährlich am Bodensee ausgesegelten Reimers-Pokal. In den siebziger und achtziger Jahren bringt Reimers mit den familientauglichen Tourenschärenkreuzern vom Typ S30 (12,50 m, nominell 30 m2 am Wind), S40 (14,40 m, 40 m2) und Swede 55 (16 m, 55 m2) gestiegene Erwartungen an Bordleben und Komfort mit der Eleganz traditioneller Linien in Einklang. Heute, da viele Serienboote in hektischen Produktionszyklen und gelöst von der seglerischen Tradition fast ausschließlich unter Komfort- und Vertriebsgesichtspunkten von innen nach außen entwickelt werden, erinnert das Werk des 1987 gestorbenen Reimers an den Vorzug ästhetischer wie seglerischer Gesichtspunkte. Deshalb haben seine Boote überall in der Welt ihre Liebhaber, sei es als gesegelte Antiquitäten (auch der frühen GfK-Ära) oder als Neubauten bei Thomas Bergner in Schleswig-Holstein oder der Bodenseewerft Beck & Söhne. Der Nachlass des tüchtigen Dänen, die Korrespondenz, Akten und 5000 Zeichnungen, ist im Sjöhistoriska Museet in Stockholm zugänglich. Legendär: Der kleine und der große Tümmler Angelsächsische Segler kennen Knud Reimers meist als Konstrukteur des „Tümmler“, eines 8,30-Meter-Spitzgatters, den er 1934 als 20-Quadratmeter-Version, 1937 als 9,80 Meter lange Variante mit zehn Quadratmeter mehr Tuch als „Albatross“ zeichnete. Gefragt war ein seetüchtiges, leicht zu handhabendes Boot. So entstand der leichte schlanke Spitzgatter mit wenig Segelfläche. Reimers ließ sich vom Bootstyp der windreichen Kosterinseln am Skagerrak inspirieren. Bemerkenswert ist die kleine, dank gestreckter Profile wirksame Besegelung. „Ein Leichtdeplacement dieser Art zu handhaben ist die reine Freude“, fasste der englische Hochseesegler und Publizist Adlard Coles seine Erfahrungen mit seinem Tümmler „Zara“ zusammen. 1946 kaufte er mit „Cohoe“ einen leicht modifizierten Albatross und nutzte die große Tümmler-Variante intensiv für Wettfahrten. 1950 gewann Coles damit die Meisterschaft des Royal Ocean Racing Club bei ruppigen Bedingungen. Mit der Teilnahme am Newport-Bermuda-Rennen wollte er beweisen, dass kleine und leichte Seekreuzer blauwassertauglich sind. Mit der berühmten, über den Vorsteven gestülpten Nase entsprach Coles der vom ausrichtenden Cruising Club of America vorgeschriebenen Mindestlänge von 35 Fuß. Im selben Jahr gewann „Cohoe“ die erste nach dem Krieg von West nach Ost gesegelte Atlantik-Regatta. In „Schwerwettersegeln“ (Delius-Klasing-Verlag) hat Coles seine Erfahrungen mit beiden Tümmler-Typen beschrieben. Seine Feuertaufe bestand der kleine Tümmler bei einer 1969 vom südaustralischen Melbourne gestarteten Regatta. Orkanböen mit 74 Knoten Wind sorgten dafür, dass von 100 Startern nur 14 in Geelong ankamen, darunter drei Tümmler. Schätzungen zufolge wurden beide Typen zusammen mehr als 300 Mal gebaut. Im Leichtwindrevier der Schweiz ist der Tümmler mit 28 Quadratmeter als sogenannter „Hocco“ unterwegs.

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Im Ersatzkanzleramt

Ein Besuch des Domizils von Konrad Adenauer in gut isolierter Lage oberhalb von Cadenabbia am Comer See. Von Erdmann Braschos Nirgendwo ist der Comer See derart prima bacino wie zwischen Menaggio und Lenno. Die wenigen Kilometer dieses südwestlichen, vollends der Sonne zugewandten Uferabschnitts sind die Riviera des Gewässers. Ein bota­nischer Garten, aus dessen grüner Pracht historische Villen und traditionsreiche Hotels hervor lugen. Seit jeher urlaubt der lombardische Geldadel hier. Auch der Klerus genoß die angenehm von der Breva ventilierte Sommerfrische am Lago und schlug mit manchem Bacchanal über die Stränge, statt gottesfürchtig im stickigen Mailand zu schwitzen. Bereits im März melden sich die Magnolien mit weißen und rosafarbenen Blüten, die Mimosenbäume leuchten gelb. Auch im April dauert es eine Weile, bis sich Nebelschwaden oder Dunst in der Sonne über dem Wasser verflüchtigen. In den Morgenstunden erscheint die pastellfarbene Häuserfront der gegenüber liegenden Ortschaft Bellagio unwirklich wie ein Kurort des 19. Jahrhunderts. Sacht nippt der See am Kies, das Wasser gluckst unter den Steinmolen. „Alles ist vornehm und sanft“ meinte Marie Henri Beyle alias Stendhal über die Gegend. Auch zwei Jahrhunderte später trifft die Beschreibung der Verhältnisse noch weitgehend zu, jedenfalls in der Vor- und Nachsaison. Die Straße schlängelt sich zwischen Lago und dem tre­mazziner Hügelland das Ufer entlang. „Und jetzt vier Wochen Urlaub in Tremazzo“ begeisterte sich Greta Garbo im Finale eines Films. Mit der kühlen Greta nach Tremazzo. Das Publikum war hin. Im Garten der Villa Carlotta liegen sich die marmornen Armor und Pysche anmutig wie delikat in den Armen. Ein mailändischer Marchese leistete sich das stattliche klassizistische Sommerdomizil. Nebenan in Cadenabbia, einer Partnerstadt des rhein­ländischen Bad Honnef, geht es beim Britannia Hotel den Hang hinauf. Zwei Serpentinen, in der nächsten Kehre ein schmiedeeisernes Tor. „Attenti al cani“ warnt ein Schild von den Hunden. Das Zyklopenauge einer Videokamera mustert den Besucher. Er kommt angemeldet. Mit leisem Klacken entriegelt das Tor. Die Zufahrt durch den 27.000 qm großen Park ist picobello geteert. Zunächst kein Mensch weit und breit, nur subtropische Botanik und oben zwei schwarze, federnden Schritts nahende Boxer. „Die tun nichts“ ruft Antonia Sanchez, die Leiterin der „Internationalen Begegnungsstätte Villa La Collina“. Das behaupten Hundebefehlshaber immer, bis sie eines Tages von ihren Vierbeinern eines schlechteren belehrt werden, weil Hunde gelegentlich eine eigene Meinung haben. Nachdem Dana und Don Alfonso genug geschnüffelt haben, trollen sie sich. Erleichtert folgt der Besucher dem Kiesweg zur Villa auf dem Hügel. Azaleen, Rhododendren, Camelien – hier wächst alles, soweit Gärtner es zulassen. Diese haben präzise und entsprechend exekutierte Vorstellungen einer auf’s Übersichtliche domestizierten Wildnis. Geordnete Verhältnisse unter subtropischen Bedingungen. Da fühlt sich der Besucher aus Deutschland wie zuhause. Oben ein türkis gekachelter, nierenförmiger Pool. An der Leiter ein Rettungsring. Hier guckt der Badende zum rusti­kalen Gemäuer der Villa Serbelloni hinüber, wo sich der Lago in den rechtsschaffenen östlichen Arm Richtung Lecco und den mondänen, westlichen, gen Mailand gerichteten teilt, wo sich Armor und Psyche ein Schäferstündchen gönnen. Bellagio, bi-lacus, Ort am doppelten See. Darüber die schneebedeckten Gipfel der Bergamasker Alpen. Am Hang einige Gewächshäuser, der Park ist bereit zum frühjährlichen Blütenfeuerwerk. Wenige Laute dringen von der Uferstraße hinauf. „Die Gegend am Comer See ist keine alltägliche Gegend“ meinte die Frankfurter Allgemeine Zeitung bereits 1963 unbeholfen und auch zutreffend. Stille. Keine schnaufenden Boxer, keine Frau Sanchez, keine Erläuterungen. Der Lago glitzert. Wir verstehen, wie sehr Adenauer die „vollständig isolierte Lage“ mochte. Der Hausarzt hatte dem greisen Kanzler zum Aufenthalt in südlichen, warmen Gefilden geraten. Er folgt ihm gern. Im Frühjahr ‘57 weilt Adenauer das erste Mal in Cadenabbia. Er wohnt mitten im Ort und entdeckt das Boccia-Spiel. Die Bundestagswahl 1957 wird bald mit absoluter Mehrheit gewonnen, der 81-jährige befindet sich im Zenit seiner Karriere. Da steht ihm das Pepitahütchen, ein Geschenk aus den Staaten, gut. Mit dem kessen Hütchen ist der Kanzler ausnahmsweise mal nicht im Dienst. Ludwig Erhard und andere Ehrgeizlinge der jungen Republik hat der Alte noch unter dem Knüttel. Was der Patriarch will, wird gemacht. Unpassende Fragen werden nicht oder in unmißverständlicher Mundart beantwortet. Wer die richtigen Fragen stellt, bekommt Audienz in Cadenabbia. Spaziergänge, Bootspartien, Hintergrundgespräche am Kamin, ohne Tonband, versteht sich. Der Regelkreis der Macht. Die Gegend am Comer See ist keine alltägliche Gegend, der dienstliche Ausflug zum Kanzler am Lago eine Auszeichnung. Hier gedeihen Zitronen, wird nicht wieder aufgebaut, hier ist das meiste geblieben, wie es immer war. Eine entspannte Situation, Gegenheit, alles nochmal aus der Ferne zu betrachten, Weltlage und Bonner Verhältnisse zu durchdenken. Hier werden die Strippen gezogen, Weichen für die junge Bundesrepublik gestellt. Vier Jahre regiert die CDU/CSU, das heißt eigentlich Konrad Adenauer allein. Die Opposition redet, stört jedoch kaum. Wohlstand für alle, die Rentenreform, Westorientie­rung. Auf Empfehlung des Bürgermeisters von Cadenabbia mietet Adenauer seit Herbst ‘59 die abgeschieden gelegene Villa Collina. Der Kanzler kommt fortan mehrmals jährlich, im Frühjahr einen Monat und im September einige Wochen. Zwischendurch, soweit es paßt. Abflug Wahn, Ankunft Malpensa, damals noch ein Militärflughafen. Die Villa La Collina wird zum Ersatzkanzleramt. Hier regiert Adenauer fernab vom politischen Tagesgeschäft telefonisch. „Jeem se mir mal den Globke“. Der Fernschreiber hält ihn auf dem Laufenden. Fräulein Poppinga, die Sekretärin tippt Adenauers „Erinnerungen“, stenographiert das politische Vermächtnis. Die Rhöndorfer Manuskripte reifen. Tochter Libeth Werhahn „unternimmt, begleitet von Herrn Ministeri­aldirigent Dr. Selbach eine sechsstündige Gipfelwanderung“. Zwei mal täglich lange Spazier­gänge durchs tremazziner Hügelland, zum Verschnaufen reichen die Sicherheitsbeamten ein Sitzkissen. Zwischen­durch eine Partie Boccia. „Grün wirft“ erklärt „der gebürtige Südtiroler und Dorfpolizist Kofler“ und der „Löwe vom Rhein“ geht leicht in die Knie. Im Jahr nach Adenauers erstem Cadenabbia Urlaub exportiert Italien 32.000 Bocciakugeln in die Bundesrepublik. Abends „lustiges Beisammensein“, frivol herablassende Bemerkungen über „die langen Unterhosen der armen Frau Pappritz“. Die Carabinieri hocken mit Trillerpfeife – einem Vorläufer des Mobiltelefons – im Gebüsch und sichern den Staatsmann, Bedeutendes und weniger Wichtiges im Ersatzkanzleramt. Golo Mann kommt „telegraphisch avisiert“ aus Lugano. Das Gespräch verläuft günstig. Mann bleibt über Nacht beim Großwesir, bedankt sich auf seine Weise: „Die Augen über und hinter schwer hängenden Säcken; eher klein, blaß und in die Ferne blickend. Eine ganz leichte Ähnlichkeit mit der letzten Photographie Metternichs …“ Die Gegend um den Comer See ist keine alltägliche Gegend. Montag, 2. September 1963: „11 Uhr Frühstück mit Herrn Springer und Herrn Weber“, später „kurze Fotoreportage“ für die „neue Il­lustrierte“. Hilmar Pabel nimmt für den Stern „an einer Bootsfahrt“ teil. Die Illustrierte „Quick“ berichtet direkt aus der Lombardei, die „Wochenschau“ filmt. Später „Beleuchtung der Insel Comacina für den Herrn Bundeskanzler“. Anno ‘66 porträtiert der österreichische Maler Oskar Kokoschka den alten Mann in seiner Wahlheimat. Verwischte Farben. Blau dominiert, das Gesicht schemenhaft zu erkennen. War er noch da, oder bereits in seiner historischen Bedeutung aufgegangen? Beim Sonntagsgottesdienst singt „der Barbier von Ca­denabbia“ für den „Löwen vom Rhein“, wie die Einheimi­schen den deutschen Kanzler respektvoll nennen. Auch der Italiener liebt Autorität, die klare Ansage, Stärke. Führung erspart die Last des Denkens. Eigentlich hatte Renzo Toscani keine Haare schneiden, sondern sein Leben ganz dem Gesang widmen wollen. Doch hatte das weitblickende Familienoberhaupt dem Sohn diesen Weg mit Blick auf das tägliche Einkommen und die Nachfolgeregelung des orts­ansässigen Friseursalons verwehrt. Jetzt, wo der Senior mit Adenauer Boccia spielt, ist die Stunde gekommen, Adenauer eine besondere Freude zu machen. Der „Barbier von Cadenabbia“ trägt beim Gottesdienst das „Agnus Dei“, das „Largo“ von Händel und ein „Ave Maria“ vor. Der Katholik lächelt und „schaut wieder auf seine gefalteten Hände“. Der Vater ist stolz, Renzo Toscani für einen Augenblick berühmt. Ein Jahrzehnt nach Adenauers Tod übernimmt die Konrad Adenauer Stiftung den fabelhaften Garten mit der nüchternen Villa. Ein ockerfarbener, dreistöckiger Bau mit dem Charme eines in die Jahre gekommenen Hotels. Die schmiedeeisernen Gitter der ersten Etage ruhen auf efeu­umrankten Rundbögen, braune Fensterläden schützen während der Sommermonate vor der gleißenden Sonne. Im Treppenhaus eine Büste des ersten Kanzlers der Bun­desrepublik. Gardinen, Spitzendeckchen, im Kamin- und Wohnzimmer sichtlich gebrauchte Sessel (Eiche), ein Flügel. Das Air der frühen Sechziger. Bonn Bad Godesberg, Rhöndorf leicht patiniert. Der Mief eines Seniorenhaushalts. Vier Jahrzehnte museal konservierten Stillstands. Schleiflack vergilbt. Der Bücherschrank ein modernes Antiquariat des kalten Krieges. John Barron: Der KGB. Arbeit und Organisation des sowjetischen Geheimdienstes mit einem Beitrag von Alexander Solschenyzin, Scherz Verlag 1974. An den Wänden Fotos vom Alten, wie er einheimischen Kindern die Hände schüttelt. Der Patriarch zum Anfassen. Der Unnahbare in der Menge. Der Visionär unter „einfachen Leuten“. Das von der Situation geforderte abwesende Lächeln. Daneben Protagonisten der Bimbes- und Bundesre­publik. Dr. ehrhalber Helmut Kohl und Theo Waigel. Wegabschnittsgefährten zu vorgerückter, fröhlicher Stunde. Man hat zusammen gegessen, getrunken, gelacht – und voneinander Maß genommen. An der südlichen, der kühlenden Breva zugewandten Seite des Hauses eine schattenspendende Pergola. Das rustikale Schnitzwerk eines Schildes bezeichnet das Ge­wölbe als „Bundesratsstube“. Nicht jedes Konterfei an der Wand ist a jour. Musterschüler Roland Koch blickt leutselig mit geneigtem Kopf in die Kamera. Daneben das Porträt eines blonden Jünglings aus Tagen, er noch Faktotum und Taschenträger des verdienten Landesvaters Franz Josef Strauß war. Wer dem Herrn beharrlich und tapfer dient, wird wie Edmund Stoiber eines Tages selbst einer. Abschließend ein Blick ins Gästebuch. Eintrag 27. August 2000: „Möge der GEIST dieses Hauses und das Erbe Dr. Konrad Adenauers endlich wieder Früchte hoher Moralität und Glaubwürdigkeit in der Politik und im vereinten Europa schaffen“. Die Gegend am Comer See ist keine alltägliche Gegend. Wir folgen dem schmalen Kiesweg den Hügel hinab. Dana und Don Alsono genießen die wärmende Aprilsonne und machen keine Anstalten sich zu erheben. Gähnend räkeln sie in der Sonne. Frau Sanchez hat nochmal Lippenstift nachgezogen. Das Tor öffnet elektrisch und schließt mit leisem Klacken.

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Solarzellendieter

Unwirklich wie Gletscher schimmern die Marmorbrüche der Apuanischen Alpen durch den Dunst des Mittelmeeres. Es ist heiß am träge dem Ligurischen Meer entgegen gleitenden Magra Fluss, der die Toskana von Ligurien trennt. Gelegentlich schuppt ein Windstrich das langsam kreisende Wasser, lässt das Schilf wogen, wuschelt durch das Laub der hohen Buchen und bringt für einen Augenblick willkommene Kühlung. Zwei Kilometer Fluss aufwärts am Orteingang von Améglia zwischen Schilf und Bäumen ein kleiner Hafen, randvoll mit den schwimmenden Untersätzen der Einheimischen belegt. Hunde streunen über den Kies des Bootslagerplatzes, dessen Tor meistens offen ist. Ein Mittsechziger werkelt an einem von armdicken Pfosten abgestützten Gefährt, das mit seinen Solarpaneelen und eigenartigen Trichter um den Propeller eher wie ein Technologiezentrum denn Freizeitboot anmutet. Der Bastler ist im toskanischen Archipel als „Solarzellen Dieter“ bekannt. Der pagodenartigen, etwas groß geratenen Solarpaneelen Halterung verdankt sein Zuhause den Spitznamen „Onkels Toms Hütte.“ Ein sportlicher Senior, dessen letzter Friseurbesuch die eine oder andere Mondphase zurück liegt, im universell getragenen Polohemd, Shorts und Schlappen. Feiner Kerl, hilfsbereit bis zum Abwinken, einer, durch den die Welt besser wird. Die Sache mit der Potentialdrallwirbelphysik Anno ‘72 träumt der süddeutsche Radio- und Fernsehtechniker vom Schippern im sonnigen Süden. Doch möchte Dieter Gebhardt auch seiner damaligen Lebensgefährtin zuliebe nicht auf Annehmlichkeiten wie ausreichend Frischwasser verzichten. So plant der Tüftler sein Boot als eine von 220 Volt Steckdosen, Tankstellen und Häfen unabhängige Nautilus. Mitte der Neunziger befestigt Gebhardt ein Solarmodul nach dem anderen auf seiner „Mira“, wuchtet Batterien ins Boot, verlegt Kabel und Regler. So schnurrt die schwäbische Nautilus bei Flaute lautlos mit einem Elektromotor durch die Adria. Den Saft gibt es photovoltaisch und gratis von oben. Der Traum des Ingenieurs von der Beherrschung seiner Welt. Jetzt könnte Solarzellen Dieter eigentlich ferne Küsten, wie die griechische Inselwelt entdecken. Doch füllt einen deutschen Tüftler Souflaki essen und Sirtaki tanzen nicht aus. Überzeugungstäter wie Solarzellen Dieter haben immer was auf dem Zettel, stets einige Lüsterklemmen, Widerstände und Regler auf dem Tisch. Während seiner Bastelstunden bemerkt Gebhardt, „dass es außer Sonnenenergie ein noch unerschöpflicheres Potential gibt, die Raumstrahlung.“ Diese anzapfend möchte er „der Menschheit die erste freie Energiemaschine schenken.“ Ende der Neunziger umschifft Onkel Toms Hütte den italienischen Stiefel. Solarzellen Dieter bindet seine „Mira“ zunächst am Ufer des Arno bei Pisa an, dann landet er auf dem Magra. Gebhardt schlägt Wurzeln, fällt irgendwo in den Bergen Bäume, sägt Schweiß gebadet im Mückenwald von Hand Pfosten und Bretter und schafft sich ein neues Zuhause. Da geht ein klassischer Jungentraum in Erfüllung. Ungelöst ist mal wieder die Stromfrage. Ein Kühlschrank für ein schön kühles Moretti in der Dämmerung wäre ja nicht schlecht. Eine Dusche mit fließend Warmwasser in der „Villa Spirito Galilei“, wie er sein Refugium Augen zwinkernd nennt, wäre für die Wintermonaten auch nicht übel. Der Strom dazu soll umsonst, von Draußen als Raumenergie kommen, sobald Dieters „freie Energiemaschine“ läuft. Ein paar Batterien und Schaltungen sind ihm oben in den Bergen natürlich schon hoch gegangen, doch gehört Lehrgeld ja zum richtigen Weg. Als ich Solarzellen Dieter an einem hochsommerlichen Abend in einer großen, zum Abendessen unter den Bäumen von Carlos Werft versammelten Clique begegne und das Gespräch nach einigem Geplänkel über woher und wohin Gebhardts Zielgerade Batterien und Solarzellen nimmt, packen alle um den Tisch versammelten ihre Sachen und räumen mit Hinweis auf die vorgerückte Stunde das Feld. Dieter und ich bleiben. Im Unterschied zu manchem, den Sonnenseiten des Lebens komplett hingegebenen Aussteiger hat Gebhardt etwas zu sagen. Es wird ein galaktischer Abend, was auch am Wein, dem raschelnden Laub über Carlos Werft, meinen rudimentären Physikkenntnissen, dem universalen, das Okkulte nicht scheuenden Interesse, schließlich dem Sendungsbewusstsein des Radio- und Fernsehtechnikers liegt: „Unser Sonnensystem schwimmt in einem Meer von Energie und ich sehe immer mehr Möglichkeiten, es anzuzapfen.“ Laienhaft verkürzt und bestimmt irgendwo falsch zusammengefasst (Besserwisser lesen das Dossier 1/03 vom „Spektrum der Wissenschaft“): Wenn man den Ladevorgang einer Autobatterie beginnt und sofort wieder abbricht, ist mehr Saft in der Batterie, als vorher, weil die Ionen im Elektrolyt nicht genug Zeit für ihren Weg auf die andere Seite hatten. Die Eigenspannung jagt die Ionen zurück, wenn findige Burschen wie Solarzellen Dieter den Ladevorgang Milli- bis Nanosekundenschnell gestoppt haben. Physiker kennen das als Nullpunkt- oder Neutronenenergie. Wiederholt Dieter seine Schaltung ziemlich oft, ist der Akku irgendwann voll. Bisher plagte er sich mit abgebrutzelten Boots- und ausgemergelten Autobatterien herum: „Wenn ich mit sechs bis zehn Megawatt reinkomme, profitiere ich erst richtig von der Raumstrahlung und kriege jedes Mal einen kleinen Schubs gratis dazu.“ Diese Raumstrahlungs-Gratifikation ergäbe dann Dieters freie Energiemaschine, eine Art Selbstläufer. Welche Perspektiven: Die Wüstensöhne werden auf ihrem Öl sitzen bleiben und wieder bescheiden daheim Kamel reiten statt im Cayenne durch Genf kurven. Die Kraftwerke gingen offline. Die weltweite Energiemafia müsste die Krawatte ablegen und umschulen auf Minijobs. Irgendwo in Améglia kläffen Hunde, ein Käuzchen meldet sich. Mond und Sterne zeigen sich programmgemäß, bloß der Wein ist alle. Wer trinkt schon lauwarmes Moretti? „Das ganze ist unvorstellbar phantastisch und wirklich realisierbar. Ich habe mehrere gelungene Experimente mit bis zu 20 Batterien hinter mir“ berichtet Dieter. „Natürlich gibt es noch einige elektronische und mechanische Kleinigkeiten zu lösen, die für mich überwiegend finanzieller Art sind. Ein paar moderne, leider teure Hochleistungsfeldeffekt-Transistoren“ nach reiflicher Überlegung richtig geschaltet und die Ionen in Dieters Akkumulatoren würden mit Hilfe der Raumstrahlung erst richtig tanzen, Kühlschrank und Warmwasserboiler in der Villa Spirito Galilei für lau, ach was für nichts laufen lassen. Nach dem ersten kühlen Moretti auf unendlicher Raumstrahlungs- statt begrenzt fossiler Basis wird Dieter der Menschheit die freie Energiemaschine umsonst zur Verfügung stellen. Denkbar sind eine Bastelanleitung im Internet oder freie Energiemaschinenkraftwerke. Abgesehen von technischen Petitessen und fehlenden Euro hindern die den 66-jährigen Sohn mit einigem Geschick beanspruchende Mutter in Germatingen, ein gescheiterter Campingurlaub der Tochter, Arbeiten an der „Mira“, alltägliche Kleinigkeiten in Hafenbiotop von Améglia, die Vollendung der Hütte oder die Potentialdrallwirbelphysik, welche den Propeller seines Bootes in einem speziellen Trichter quasi von selbst mit zwei- bis dreihundert U/min rotieren lassen wird, den Tüftler an der endgültigen Inbetriebnahme der freien Energiemaschine. Dieter macht sich Sorgen, denn „wenn so ein Potentialdrallwirbel unter seinem Boot erst mal in Gang gekommen ist, ist er“ wie Gebhardts innovativer Overkill, „kaum zu bremsen.“ Die Sache ist so gut wie fertig. Fehlt bloß noch ein kleiner Schubs.

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Ein Tag im Schmidtuniversum

Michael Schmidt ist der Mann auf der Kommandobrücke der Hanse-Yachts AG. Vor allem ist er ein Typ. Gehen wir mit ihm segeln. Ein Anruf bei Hanse Yachts. Herr Schmidt, wollen wir nicht mal ne Homestory machen? „Nö, Homestories finde ich sch… Da muss ich wie Vicky Leandros mit Tochter und Köter am Kamin sitzen, stürzt dann ein Fotograf da rein und knipst alles. So’n Mist guck ich mir nicht mal in der Wartezeit vor dem Haareschneiden an.“ Sie haben doch einen alten Zweimaster aus Amerika. Damit können wir doch ne runde Segeln und ein bisschen über Boote quatschen. „Okay, kommen Sie nächsten Freitag nach Greifswald, da zeig ich Ihnen den Laden und wir legen ab.“ Der passionierte Segler Michael „Schmiddl“ Schmidt hat als bunter Hund der Bootswelt schon einiges gemacht, in Kiel kanadische Serienboote gebaut, Admirals Cupper wie die „Düsselboot“, „Pinta“, „Rubin“, „Outsider“ oder „Tina“ für die inoffizielle Hochseesegel Weltmeisterschaft vor Cowes vom Stapel gelassen, in den 80ern beinah das erste deutsche America’s Cup Syndikat mit auf die Beine gestellt, oder mit „Michael Schmidt & Partner“ einen bis heute florierenden Gebrauchtboothandel gegründet. Wie unschwer am langen Haupthaar zu erkennen, ist er selten beim Friseur, wo diese unsäglichen Postillen ausliegen, die bekanntlich keiner liest, deren Inhalt wir dennoch alle kennen. Schmidt trägt das Haar noch länger als Hasso Plattner, was für Vielsegler nicht gerade praktisch ist. Es hinterlässt rasch einen ungekämmten Eindruck, kündet aber von einer Neigung zur unzeitgemäßen Individualität, die viele simulieren, wenige sich wirklich leisten. Freunde der langen Matte fahren entweder Taxi oder Porsche. Der Gründer und Vorstandsvorsitzende der Hanse Yachts AG hat einen dunkelblauen. Anfang der 90er packt der Regattasegler und High Tech Bootsbauer zum Entsetzen seiner Familie, Verwandtschaft und Freunde in Wedel an der Elbe seine Sachen zusammen, um in Mecklenburg-Vorpommern noch mal neu anzufangen. „Ich hatte in Wedel drei Jahre auf die Genehmigung eines Bootssteges von der Hafenbaubehörde gewartet. Drei Jahre, verstehen Sie, nicht drei Wochen oder Monate. Ich war diese saturierte Wessiwelt, die Döntjes in der Regattasegelszene müde. Alle hielten mich für bescheuert.“ Von der Volkswerft Stralsund zur Hanse Group In Greifswald übernimmt Schmidt mit der „Volkswerft Stralsund“ einen stotternden Betrieb zur Reparatur von Fischkuttern. Interessanter als die 135 Leute auf der Gehaltsliste findet Schmidt die zwanzig Tausend Quadratmeter mit Wasseranschluss zum Bodden. „Für dreißig von Euch habe ich Arbeit“ erklärt Schmidt der Belegschaft frank und frei. Das war natürlich ein Spitzeneinstieg für den Wessi mit der rauhen Schale und dem weichen Kern. Zur Hanseboot ‘93 stellt Schmidt die „Hanse 291“ unter einem unübersehbaren Preishammer aus. Das Verkaufstalent bietet 8,90 m und 2,6 Tonnen Segelboot mit fünf Kojen und 43 Quadratmetern Segelfläche für ganze 44.444,44 deutsche Mark an. Da staunt der Laie. Die Fachwelt wundert sich. Schmidt kehrt mit dreißig Aufträgen nach Greifswald zurück. „Das war der Hanse-Urknall“ meint Schmidt. Dabei ist er das eigentlich selbst. „Bis heute haben wir rund 500 Boote des damaligen Einsteigermodells gebaut. Das war für eine abgeschriebene Form nicht übel.“ Heute, 22 Hanse Yacht Modelle und einige Tausend Boote später ist aus Schmidts ostdeutschem Werftabenteuer eine rasant wachsende, Börsen notierte Aktiengesellschaft geworden. Sie macht gerade die englische Tourenseglermarke „Moody“ und die norwegische Motorbootlinie „Fjord“ mit frischen Ideen flott. „Nach Benetau und Bavaria sind wir bei den Segelbooten die Nr. 3.“ Aus der 30-köpfigen Belegschaft der stotternden Fischkutterwerft sind mittlerweile über tausend geworden, von denen gut die Hälfte bei Hanse angestellt, sonst als Lieferanten in der Gegend beschäftigt sind und mit 850 Booten im letzten Geschäftsjahr 105 Millionen Euro Umsatz machten. Neulich wurde nochmals in die Produktion investiert. Hanse lässt zur Hälfte im nahe gelegenen Polen, 50 Prozent in deutschen Hallen laminieren. Unterstützt von Porsche Consulting werden die Abläufe bei Hanse weiter optimiert. Nach dem Einstieg in den ertragreichen und vergleichsweise kontinuierlichen Motorbootbau mit pfiffig eingefädeltem Fjord Relaunch stellen die Greifswalder demnächst in England mit der Moody 45 DS einen 14 Meter Motorsegler mit überraschend kleinem Gähnfaktor vor. Sechs bereits vom Papier weg verkaufte Boote zeugen vom Vertrauen in Konzept und Bauausführung. Der Individualist mit der langen Matte und der klaren Ansage ist zu einer Art Vorzeigeunternehmer und -wessi geworden, den mancher Politiker vor allem im Sommer, wenn in Greifswald die Sonne scheint und alles schön grün ist, gern besucht. Stolz zeigt der Selfmademan und Wahlossi die neue Fünfachsfräse, eine Art Computer gesteuerten großen Zahnarztbohrer, der einen Schaumblock wieselflink in die Form des nächsten Hanse, Moody oder Fjord Modells verwandelt.  Am Schwimmsteg vor der Werft liegt Schmidts Amischlitten, die „Bounty of Mobile“ mit stilisiertem Adler auf dem Rotweinglas förmigen Heck, bronzener Schiffsglocke, hölzernen Umlenkrollen und umständlichen Flaschenzügen. Ein richtiges Schiff und etwa so umständlich wie die „Pamir“. Eine Antiquität mit charmant geschwungener Deckskante und kastenförmiger Kajüte, dessen Dach wie in der guten alten Zeit mit weiß lackiertem Leinen bezogen ist. Kühn ragt der Klüverbaum über den Klipperbug. Die „Bounty“ ist 18 Meter Charme, der Soft Spot des Gemüts- und Genussmenschen Schmidt. Der Hanse-Urknall Es gibt Schiffermützenträger, die könnten ein mächtiges Seemannsgarn über Francis Herreshoffs Entwurf von Anno 1931, ach was, die ganze amerikanische Bootsbauerdynastie, zu der es Archive, Bildbände, Devotionalien und ein eigenes Museum in Rhode Island gibt, die legendäre „Ticonderoga“, in deren Kielwasser auch die „Bounty“ segelt, spinnen. Schmidt interessiert das wenig. „Ich habe sie gekauft, als mich das Regattasegeln nicht mehr reizte. Ich mag den Böckel einfach“ meint er und erzählt stattdessen die Geschichte eines Vorbesitzers, der sich eines Tages zwischen seinem Schiff und seiner Frau entscheiden musste. Es ist eine ziemlich virile, Schmidt-typische Geschichte, dessen Einzelheiten wir anstandshalber weglassen. Natürlich behielt der echte Seemann damals seine hinreißende Ketsch. Später pflügte die „Bounty“ als segelnder Milchmann durch die Karibik. Wer durch die Relingspforte aus grün angelaufener Marinebronze mit eingelassenem Bootsnamen steigt, hat innerlich schon abgelegt. Wenn „der Scheiß“ nicht anspringt Doch scheint aus unserer Bootspartie auf den Bodden nichts zu werden. Der Anlasser rührt sich nicht, so deftig Schmidt auch schimpft. Noch nie haben noch nie so viele four letter words gehört, wie in diesen Stunden. Zum Glück gibt es ja das Mobiltelefon, eine Errungenschaft der modernen Welt, ohne die der Hanse-Urknall kaum denkbar ist. Wer das Glück oder Pech hat, zum Schmidtuniversum zu gehören, sei es auf gehobener Hierarchieebene in der inneren Umlaufbahn, oder als Trabant einer äußeren, muss zu praktisch jeder Tages- und Nachtzeit mit einem Anruf rechnen. „Ja Schmiddl hier: sach mal, warum geht’n der Scheiss hier nich?“ Nach umgelegtem Batteriehauptschalter geht ein Rütteln durchs Gebälk und „der Scheiß“ geht. Am liebsten trägt er ein fröhlich buntes Hawaiihemd, eher leger so über den Gürtel. Bei semioffiziellen Anlässen, wenn etwa ein Fotograf an Bord ist, nimmt Schmidt ein gebügeltes in dezenteren Farben. Segler und solche mit gesundem Appetit schätzen die alles umhüllende, luftige Kluft nicht nur beim Boot als Über Alles Persenning. Auch die Schuhe, seine Docksides, sie gleichen ramponierten Hafenschleppern, trägt Schmidt offen. Da muss er sich nicht so oft bücken. Die blöden Lederbänder bleiben eh nie zu. Draußen vor dem Wampener Riff dreht Schmidt den Bug seiner Antiquität in den Wind und freut sich über hilfreiche Hände an den Fallen für das Großsegel, Besan und den Klüver. Schmidt lehnt, er liegt eher neben dem gemütlich geschwungenen Holzrand der Sitzmulde und dem Steuerrad im Herrenseglerbänkchen auf dem grünen Polster. Es ist sein Kanapee. Ein diesiger Freitagsfeierabend. Schmidts „Böckel“ nimmt Fahrt durch den Greifswalder Bodden auf. Seit 17 Jahren hat er ihn. Die beiden brauchen einander. Das gut siebzigjährige Gebälk die professionelle Pflege, Schmidt den Frieden auf dem Wasser. „So’n büsch’n die Schoten auf und es rutscht.“ Mit ganzen 1,45 Metern Tiefgang ist der Schmidts „Böckel“ ideal für die pappflachen Boddengewässer. Schmidt macht beiläufig viel richtig. Die gemütliche Brise aus West ist mit unserem Ziel Lauterbach auf Rügen einverstanden. Zeit, ein bisschen über Boote zu reden. „Du musst die Schiffe so bauen, das man die Mittwochsregatta im Club damit gewinnt und Muddi mitkommt“ beantwortet Schmidt die Frage, warum Hanse Yachten so breit und hochbordig sein müssen und wo dieser Trend zur schwimmenden Datsche noch hin führt. Mit „Mutti“ meint er die Mehrheit der Frauen, „die nur mitkommen, wenn es unter Deck Platz gibt. Wie viele Frauen gibt es, die Du heiraten kannst und die gerne segeln?“ Dieses auch dem Hanse-Urknall vertraute Dilemma des Seglers löst er mit immer neuen Ideen. Schmidt denkt eher in Märkten und dem Lebensgefühl seiner Klientel als in Booten. Zum Träumen und loslassen hat er ja seinen „Böckel“. Er entwickelt schwimmenden Komfort für eine sich nach wie vor jung fühlende, älter werdende Klientel. „Heute ist man mit 60 nicht mehr so alt wie früher. Wir leben heute globaler, Design orientierter. Mich interessiert Lebensqualität auf einem Schiff.“ Deshalb gibt es bei der neuen Moody eine Ebene vom Steuerrad bis in die Kajüte. Solchen Komfort und eine Glasschiebetür zwischen draußen und drinnen kannte man bei Motorbooten, die von eingefleischten Seglern herablassend als „Cocktailshaker“ bezeichnet werden. Und wie ist es, in Greifswald zu arbeiten und zu leben? „Es gibt motivierte, tüchtige Leute hier. Wenn Du nicht bescheißt und pünktlich zahlst, kriegst Du gute Arbeit.“ Auch sonst hat die Provinz klare Vorteile. „Wir sitzen hier oft nach der Arbeit beim Italiener zusammen und denken uns neue Sachen aus. Das ginge in Hamburg nicht, da haben alle noch was vor und hauen ab.“ Die Insel Zudar zieht am diesigen Spätsommerabend weit an backbord vorbei. Vor Vilm ist der Augenblick zum Segel bergen gekommen. Diesmal springt „der Scheiß“ unten im Motorraum willig an und Schmidt muss nicht telefonieren. Die letzten Kabellängen nach Lauterbach werden gedieselt. Manchmal, wenn der Selfmademan „in einem Hafen die Leute mit ihren Booten sieht,“ überlegt er: „Mann, wo ham die denn alle schon die Asche her?“ Für die „mit Asche,“ die Mittwochsregatta und „damit Muddi mitkommt“ denkt der Hanse-Urknall von morgens bis abends über Segelboote nach.

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Auf die Spitze getrieben

Eigentlich ist der gebürtige Bochumer Otto Happel ein Segler wie jeder andere. Ganz gleich wie interessant, schön, schnell oder komfortabel die vorhandene Yacht gerade ist. Ein richtiger Segler träumt immer vom nächstbesseren und natürlich größeren Schiff. Bootseigner verfügen über reichlich Phantasie, wie ihre nächste Yacht aussehen könnte. Im Unterscheid zu den meisten Seglern kann Happel seine Träume verwirklichen. Anfang der Neunzigerjahre ließ er bei der Abeking & Rasmussen Werft im Bremen eine ansehnliche Holzyacht tischlern. Entworfen hatte sie der amerikanische Traditionalist Bruce King mit verwegenem Klipperbug, geneigten Masten, antiquiert kastenförmigem Deckshaus, ovaler Sitzmulde und Spielereien wie achteckig verglasten Skylights. Den Vogel schoss der geschwungen zum Deck hin abgerundete Heckspiegel aus klar lackiertem Mahagoni mit umlaufender Goldbordüre ab. Das war nicht bloß retro. Das war King, der das selbstbewusste Kapitel amerikanischer Yachtkonstruktion im Kielwasser Lewis Francis Herreshoffs Ende des 20. Jahrhunderts fortschrieb. Der elegante, als Ketsch getakelte Zweimaster sollte aus emotionalen Gründen komplett aus Holz getischlert sein. Und weil die bremischen Bootsbauer frei nach dem weithin bekannten Toyota Spruch am linken Ufer der Weser auch als unmöglich geltende Sachen machen, tischlerten sie dem cleveren Erben der Gesellschaft für Entstaubungsanlagen (GEA) nach einem einträglichen Börsengang seiner Aktiengesellschaft damals mit 43 Metern Länge die größte Mahagoniyacht der Welt. Schiffe sind Herzensangelegenheiten. Es geht um ein bestimmtes Bordlebensgefühl. Wie wir uns seinerzeit bei einem Besuch der Bootsbaustelle in Lemwerder überzeugen konnten, stellte es sich zwischen den Spänen stehend in der Werfthalle sogar neben einem ernüchternd grauen Boot der Marine ein. Das Holzschiff war damals, als sich nach dem Generationswechsel auf den Regattabahnen die Ablösung von Aluminium durch deutlich leichtere und zugfestere Faserverbundwerkstoffe auch im Luxusyachtbau abzeichnete, ein von manchem Insider belächelter Anachronismus. Die Masten und auch die Maschine wurden auf einer Art stählernem Fahrgestell montiert. Aufwändig ist auch das Rückgrat des Schiffes, ein 14 Meter langer, mit 68 Tonnen Blei gefüllter Kiel aus Marinebronze. Im mittig eingearbeiteten Schlitz sitzt ein 7 ½ Meter langes Klappschwert. Zum Segeln wird es von 3,20 auf 8,70 m abgesenkt. Nach einem erfreulichen Finale anlässlich des Maxi Yacht Rolex Cups im September möchte Happel seine „Hetairos“ nun für knapp 14 Millionen Euro verkaufen. Denn der Seglertraum einer neuen „Hetairos“ schwimmt, er segelt mittlerweile. Er beschäftigte den passionierten Blauwasser- und Vielsegler schon eine ganze Weile. Ein Segeltag an Bord einer ziemlich leichten und leeren Regattayacht aus Karbon, Epoxidharz und Schaum soll dem Wahlschweizer den Rest gegeben haben.  Zehn Jahre nach dem Stapellauf der „Hetairos“ ließ Happel bei führenden Yachtkonstrukteuren einen klassisch gewandeten Ocean Greyhound mit großer Grundgeschwindigkeit, also richtig langer Wasserlinie ausschreiben. Damit die Südsee nicht um das unwirtliche Kap Hoorn oder das Kap der guten Hoffnung herum angesteuert werden muss, sondern auf dem kürzest möglichen Weg durch den Panamakanal erreichbar bleibt, musste das Schiff bei Niedrigwasser soeben noch die 62,5 Meter hohe Bridge of the Americas bei Balboa passieren können. Die Ausschreibung gewann ein Entwurf des Amsterdamer Klassiker- und Großseglerspezialisten Gerard Dykstra. Als versierter Hochseeregatta- und Einhandsegler steht der stille Holländer bei allem Faible für traditionelle Formen für unbedingt zweckmäßige Entwürfe. Der Schonerspezialist zeichnete von Klassikern angeregte Neubauten wie „Borkumriff IV“, „Meteor“, „Windrose of Amsterdam“ oder die viel beachtete 90 Meter langen „Athena“. Man bezeichnet diese Schiffe als „Spirit of Tradition“ Yachten, weil sie traditionell anmuten, aber nach dem heutigen Stand der Technik gebaut und ausgestattet sind. Unterstützt von den kalifornischen Leichtbau und Regattayacht Spezialisten Reichel/Pugh, das Konstruktionsbüro brachte den modernen Rennyachten das Gleiten bei und zeichnete manche wegweisende große Segelyacht, wie beispielsweise den 45 m langen, ganze 105 t schweren Ultraleichtbau „Visione“ für den Walldorfer Software Kaufmann Hasso Plattner, machten sich die finnischen Kompositgurus der Baltic Werft ans Werk. Nach Jahren eines selbst „übliche“ Luxusyachtprojekte toppenden  Geheimhaltungsbrimboriums um das sogenannte „Panamax Projekt“ schob die Werft in Pietarsaari, einer Kleinstadt etwa auf halber Strecke zwischen Helsinki und dem Polarkreis, im Juli einen grünen Bootskörper aus der Halle. In den Gurten zweier Kräne hängend wurde der Rumpf mit dem jollenartig flachen Unterwasserschiff über eine zehn Meter lange Kiel- und sechs Meter lange Ruderflosse gehoben. Dann wurde das Boot mit zwei ziemlich langen Masten bestückt, von denen andernorts nach reiflicher Überlegung vielleicht einer auf einem großen Segelboot errichtet würde. Irreal wie eine Computeranimation schob sich der grüne Renner mit dem markanten Steven bereits mit Groß- und Besansegel durch das kaum vom Wind geschuppte Wasser der Schären von Piertarsaari dem bottnischen Meerbusen entgegen. Von ganz wenigen Ausnahmen wie dem Baltic Werftbau „Visione“ abgesehen sind die meisten großen Yachten seglerisch weniger interessant, weil sich der gefürchtete Kümo- oder Butterdampfereffekt einstellt. Es wird so viel Luxus verwirklicht und derart viel Material verbaut, das auch die Bootsbreite und Deckshöhe der Kontakt zum Wasser und jedes Segelgefühl verloren geht. Große Segelyachten dümpeln bei wenig Wind träge wie Luxusdatschen im Meer. Yachten vergleichbarer Länge wiegen etwa das Dreifache der 230 Tonnen dieses yachtbaulichen Meilensteins. Neben der Brückendurchfahrtshöhe bietet die zweimastige Takelage den Vorteil, die 1.700 Quadratmeter am Wind Besegelung auf mehrere, etwas handlichere Segel aufzuteilen. Man kann damit schneller auf variierende Windverhältnisse reagieren. Am Wind sollen bis zu 16 Knoten drin sein. Bei seitlichen bis Schiebewind, wo die „Hetairos“ bis zu 2.600 qm setzen kann, wird sie mit bis zu 27 Knoten mittelgroßen gleitenden Motoryachten Paroli bieten. Dykstra ist ein Freund der generösen Beseglung. „Einpacken kannst Du bei zunehmendem Wind immer“ meinte er einmal. Weit ausgestellte Achterlieksrundungen projizieren die Segelfläche oben, wo sie besonders wirksam ist. Das Boot wird mit doppelt ausgeführten losen Achterstagen gesegelt. Sie werden bedient wie ansonsten abgeschaffte Backstagen.  Die 50 Meter Wasserlinienlänge, auch der 83 Tonnen schwere Kiel, dessen Tiefgang teleskopisch beim Segeln von 9 ½ auf sechs Meter reduziert werden kann machen es möglich. Ein Beispiel seewassertauglichen Sondermaschinenbaues. Der 15 Tonnen Vorrat an Diesel und Frischwasser lässt sich gezielt auf die windwärtige Seite verlagern. Zusätzlich können 25 t Meerwasser unter die Luvseite der „Hetairos“ gepumpt werden. Wartungsintensive und notorisch störanfällige Wasserballastsysteme sind die vergangenen Jahre ein wenig aus der Mode gekommen. Doch waren das vergleichsweise übliche yachtbauliche Extras. Wie man das Karbon so um den Kielkasten legt, daß er im Fall einer Grundberührung mit angenommenen dreitausend Tonnen punktueller Belastung fertig wird, haben sich die Strukturberechnungsingenieure von SP/Gurit in Südengland gut überlegt. Fortschrittlicher Bootsbau mit minimiertem Epoxidharzanteil dank imprägnierter Karbon Prepregs, meist über Waben als Kernmaterial bei 85 Grad Celsius zu einem ultraleichten Boot „gebacken“, ist eine Spezialität der Baltic Werft. „Herkömmlicher“, einfacher zu reparierender und etwas schwererer Schaum kam nur dort zum Einsatz, wo Beschädigungen des Laminats erwartet werden. Die neunköpfige Stammcrew um den „Mari Cha III“ erprobten Skipper Vincent Fauquenoy, sie soll bei Regatten um eine Fußballmannschaftsgröße Besatzung erweitert werden, wird unterwegs und abends beim Einpacken der Segel gut zu tun haben und fluchen. Etwa sechshundert Quadratmeter dachpappenzähes Großsegel auf einem 15 Meter langen Baum zusammenlegen ist Arbeit. Die praktischen, aber klobig schweren Rollbäume der Vorgängeryacht wurden aus Gewichtsgründen ebenso wie die bei großen Yachten üblichen Ofenrohr-dicken Baumniederholer weggelassen. Der 63-jährige Happel ist vom Sipo- und Khayamahagoni Romantiker zum konsequenten Schnellsegler geworden. Neulich erhielt „Hetairos“ für Regatten den erschütternden Zeitvergütungsfaktor von 2,028. Er liegt deutlich über dem Rennwert derzeit führender Regattayachten. Dabei ist der Spirit of Tradition Segler keine nüchterne Rennmaschine. Die raffinierte Verkleidung der Waben des Hightech Leichtbaues mit Teakplanken oder Mahagonipaneelen und hauchdünnen Furnieren macht die Illusion einer traditionell getischlerten Yacht perfekt. Und wer sich das hinreißend überragende Heck ansieht, entdeckt neben einer vergleichsweise filigranen Goldbordüre rings um den Spiegel aus klar lackiertem Mahagoni einige kühn geneigte Heckbalken, wie sie Mitte des Ende des 19. Jahrhunderts bei den Booten des Royal Yacht Squadrons aus Eiche geschnitzt üblich waren und heute ganz selten, beispielsweise bei „Lulworth“ zu sehen sind. Übrigens wurde die neue Hetairos so schwer wie die alte. Sie ist nur ein wenig länger und mit mehr Ballast in neun statt drei Metern Tiefe und deutlich mehr Garderobe schneller. So weit, mit zeitgemäßer Bootsbautechnologie im antiquierten Gewand, wurde das Thema Spirit of Tradition bislang nicht getrieben.

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Vom Schwimmen zum Fliegen

Die anstehenden Regatten um den America’s Cup treiben die Segeltechnik rasant voran. Jetzt fegen einrümpfige Flugobjekte übers Wasser. Einblicke in eine abgefahrene Seglerwelt von Erdmann Braschos. Ende 2017 präsentierten die Veranstalter des 36. America’s Cup die kühne Idee, die nächste Regattaserie mit einrümpfigen Tragflächenseglern auszutragen. Die Skizzen dazu erschienen irreal. Mittlerweile haben Segler in Amerika, England, Italien und Neuseeland diese Vision mit kühnen Flugversuchen rasant in die Gegenwart vorgespult. Sie lassen den bisherigen Segelsport alt aussehen. Der America’s Cup ist ein nach dem K.-o.-System ausgetragener Segelwettstreit. Der Verteidiger und der erste Herausforderer vereinbaren die Modalitäten des nächsten Wettkampfs miteinander. Meist sind die Regeln mit vergleichbaren Booten einigermaßen reell. Die Änderung der Modalitäten lohnt sich für den Herausforderer, wenn es mit einem ausgereiften Bootstyp kaum Aussicht auf Erfolg gibt. Sie lohnt für beide Seiten, wenn die Rennen ein größeres Publikum interessieren. In den Staaten, wo die Dinge klar beim Namen genannt werden, hieß es einmal, eine America’s-Cup-Regatta mit herkömmlichen Booten anschauen sei so interessant wie Farbe beim Trocknen zu beobachten. Es interessierte allenfalls Insider. Allein handlungsreiche und rasante Rennen sind für die Sponsoren der teuren Boote interessant. Aus dem sogenannten weißen Sport ist längst ein bunter geworden, eine telegene Action, die ein großes Publikum fesselt. Deshalb ließ Oracle-Chef Larry Ellison den 34. America’s Cup 2013 mit 22 × 14 Meter großen Katamaranen segeln. Sie bretterten auf Tragflächen mit 75 km/h über die San Francisco Bay. Das Spektakel war so rasant wie ein Formel-1-Rennen. Hinzu kam die Sensation, dass es den amerikanischen Pokalverteidigern gelang, die Regatten nach dem eigentlich unaufholbaren 1:8-Rückstand gegenüber den Neuseeländern doch noch für sich zu entscheiden. Vier Jahre später gewannen die Neuseeländer dann die nächste Auflage des America’s Cup souverän. Diesmal mit 15 Meter langen, bis zu 92 km/h schnellen Katamaranen. Der technische und seglerische Vorsprung mit fliegenden Zweirümpfern schien für Europäer unaufholbar. Auch vermissten Segler wie Prada-Boss Patrizio Bertelli die seglerische Finesse und Eleganz von Einrumpfbooten. Also wurden die Karten mit einem neuen Bootstyp nochmals neu gemischt. Die neuseeländischen Verteidiger vereinbarten mit dem italienischen Herausforderer für den Cup-Wettbewerb im März ’21 vor Auckland ein- statt zweirümpfige Boote, die auf Tragflächen im Tiefflug übers Wasser jagen, und zwar ohne Kiel als Ausgleich zum Winddruck. Das war bisher allein mit handlichen Jollen möglich, wo die Besatzung das Boot mit ihrem Gewicht aufrecht im Wind hält. Die neue AC75-Klasse ist aber 23 Meter lang, 5 Meter breit, knapp 8 Tonnen schwer und mit 230 bis 340 Quadratmeter Segelfläche unterwegs. Da ist mit Crewgewicht wenig auszurichten. Anstelle eines Bleikiels, wie er bei Segelyachten als Gegengewicht üblich ist, wird das Boot von Tragflächen aufrecht gehalten. Das geschieht mit seitlich unter dem Rumpf beweglichen Armen, an deren Enden Tragflügel mit vier Meter Spannweite angebracht sind. Der Auftrieb der Tragflügel wird wie beim Flugzeug mit Trimmklappen justiert. Auf der windabgewandten Seite erzeugen die Tragflächen bei Fahrt durchs Wasser Auftrieb. Der große Abstand von etwa fünf Metern des überschlägigen Flächenschwerpunkts der Tragfläche zur Mittellinie des Boots bietet einen wirksamen Hebel. Dabei bestimmt die Neigung des Arms neben dem Boot die Flughöhe über dem Wasser. Auf Kursen, auf denen der Wind das Boot seitlich wegdrückt, verhindern schräg angesetzte Tragflächen die Abdrift. Das ersetzt den Kiel oder das Schwert herkömmlicher Segelboote. Tragflächen-Segelknowhow als Blaupause für Einrümpfer Zwei solcher seitwärts beweglicher Arme hat die neue America’s-Cup-Klasse. Der zur windwärtigen Seite hin wird aus dem Wasser gehoben, wo seine 1,4 Tonnen zum Gleichgewicht des Gefährts beitragen. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass in den 62 Seiten starken Bauvorschriften der AC75-Klasse nicht mehr von einem Boot, sondern einer „Plattform“ die Rede ist. Versierte Bootskonstrukteure wie Rolf Vrolijk, 73, der seit den siebziger Jahren erfolgreiche Regattayachten entwickelt, zum Sieg des Schweizer Alinghi-Teams 2003 beitrug und derzeit für das englische Team Ineos arbeitet, sehen Boote im Wesentlichen als Plattform, die der Segelfläche möglichst viel aufrichtendes Moment entgegensetzt. Je kippsicherer, desto schneller. Das ging bisher mit zwei- oder dreirümpfigen Booten am besten, deren große Plattformbreite enorme Geschwindigkeiten ermöglichen. Jetzt wird dieses Tragflächen-Segelknowhow als Blaupause für Einrümpfer genommen. Die AC75-Boote sind Vrolijk zufolge unter Stabilitätsgesichtspunkten „Dreirümpfer, bei denen die seitlichen Schwimmer durch Tragflächen ersetzt wurden“. Der deutsche Tragflächenspezialist Martin Fischer ist als international gefragte Kapazität schon länger im Thema und nach längerer Arbeit für den französischen Rennstall Groupama derzeit für das italienische Team Luna Rossa Prada Pirelli tätig. Wir wollten von Fischer wissen, wie acht Tonnen nur vom Wind bewegt aus dem Wasser kommen. Das war bisher allein mit reichlich motorisierten Spezialschiffen möglich. Fischer rechnet beim Telefonat aus dem Kopf vor, dass ein AC75-Renner dazu ganze 140 PS braucht. Diese 100 kW kommen schon bei drei Windstärken zusammen. Das ist eine mittlere Brise, die normale Freizeitsegler überhaupt als Wind ernstnehmen. Schnelle Reaktion und Routine am Joystick entscheidend Dann jagt die Plattform mit 56 km/h (30 Knoten) im Tiefflug über das Wasser. Im Wesentlichen auf einer etwa 1,5 Quadratmeter großen Tragfläche. Der Auftrieb wird mit hydraulisch justierten Trimmklappen hinter den Tragflächen eingestellt. Die Trimmklappen werden manuell per Joystick bedient. „Es wäre besser und auch sicherer, wenn ein Computer diese permanente Feinjustage übernehmen würde“, sagt Fischer. Aber das ist nicht erlaubt. So werden die schnelle Reaktion und Routine am Joystick entscheidend sein, ebenso wie das Geschick, das Gefährt in einer idealen Flughöhe zu halten. Kommen die Tragflächen der Wasseroberfläche bei zu großer Flughöhe nah, reduziert das von Wellen erzeugte Wasser-Luft-Gemisch den nötigen Auftrieb, das fragile Gleichgewicht von Auftrieb und Geschwindigkeit ist hin, und das Flugboot klatscht aufs Wasser. Eine große Flughöhe mit viel Abstand zwischen Rumpfunterseite und Wasser lässt dagegen den bremsenden Druckausgleich zwischen Luv und Lee zu. Dann entsteht ein beim Segeln und in der Fliegerei gefürchteter bremsender Wirbel. Eine niedrige Flughöhe bietet der Tragfläche dagegen sicheren Auftrieb und verringert den Spalt zwischen Bootsboden und Wasser. Zu tief geflogen, berührt der Rumpf allerdings das Wasser. Wasser ist 800 mal dichter als Luft. Entsprechend abrupt bremst das Gefährt ab. Es sieht also ganz danach aus, als würden die Regatten vom 15. Januar an über die Flughöhe entschieden. Ideal ist Fischer zufolge eine „konstante Flughöhe von plus/minus 20 Zentimetern. Bei Wellen ist das allerdings nicht immer möglich. Gelingt es, den Abstand zwischen Rumpf und Wasseroberfläche zwischen 30 bis 100 Zentimetern zu halten, ist das nicht schlecht.“ Um die Entwicklungs- und Baukosten im Rahmen zu halten, bieten die Bauvorschriften der AC75-Klasse den Teilnehmern wenige Spielräume. Einer davon ist die Gestaltung der Tragflächen. Die neuseeländischen Verteidiger setzen auf große, annähernd ebene Flügel, die das Boot möglichst bald aus dem Wasser heben. Die Italiener montierten stattdessen winklige Tragflächen mit weniger Fläche und etwas späterer Abflugzeit. Mit geringerem Wasserwiderstand bieten sie eine höhere Endgeschwindigkeit. Die Bootsböden sind entweder zugunsten einer möglichst kurzen Startphase optimiert oder hinsichtlich eines geschmeidigen Übergangs vom Schwimmen zum Fliegen. Ebenso wichtig sind die windschnittigen Bugpartien für den Segelflug. Jeder Kabrio- oder Motorradfahrer kennt den Windwiderstand bei 50 km/h. Die neuseeländischen Verteidiger und die italienischen Herausforderer entwickelten die AC75-Klasse gemeinsam, was ihnen gegenüber den anderen Mitstreitern einen deutlichen Zeitvorsprung bot. Auch konnten Neuseeländer und Italiener von Anfang an Computersimulationen nutzen, welche die Neuseeländer für den vorherigen America’s Cup entwickelt hatten. Das ist wichtig, weil Messreihen im Windkanal und Schlepptank nicht erlaubt sind, es wenig Zeit zur Entwicklung und Erprobung des neuen Bootstyps gab und jeder Teilnehmer aus Kostengründen lediglich zwei Boote bauen darf. Zusätzlich reduzierte die Corona-Pandemie kostbare Trainingszeiten auf dem Wasser. Es braucht aber einige Flugstunden, bis die Plattform mit konstanter Flughöhe und hoher Geschwindigkeit über die Regattabahn gebracht wird. Selbst stark bremsende Kursänderungen wie Wenden oder Halsen sollen zuverlässig in der Luft absolviert werden. Anders als bei herkömmlich langsamen Booten sind die Unterschiede zwischen Kursen im spitzen Winkel zum Wind, mit seitlich einfallendem oder Schiebewind marginal. Der Fahrtwind dominiert den Windeinfallswinkel so weit, dass Vrolijk zufolge Unterschiede von ganzen fünf Grad beim sogenannten „scheinbaren Wind“ zustande kommen. Der scheinbare Wind ist der, der an Bord weht. Die tatsächliche Windrichtung spielt nur noch beim Start eine Rolle. Dann verlässt das Boot mit 33 bis 37 km/h (18 bis 20 Knoten) das Wasser. Bei guten Bedingungen erreicht ein AC75-Renner die dreifache Windgeschwindigkeit, bis zu 93 km/h (50 Knoten). Hochgeschwindigkeitssegeln macht sich seinen eigenen Wind, jetzt mit ein- statt mehrrümpfigen Segelplattformen. Die Geschichte der Segelfliegerei Es ist verblüffend, wie lange sich Tüftler schon mit der widerstandsarm schnellen Fahrt auf Tragflächen beschäftigen. Die französischen Segelchronisten François Chevalier und Jacques Taglang haben die fast 160 Jahre währende Entwicklung zusammengetragen. 1861 entdeckt Thomas William Moy beim Schleppen einer Jolle per Pferdegespann die Geschwindigkeitszunahme dank Tragflächen. 1869 meldet Emmanuel Denis Farcot ein Patent für ein Segelboot mit beidseitig am Rumpf sitzenden beweglichen Tragflächen an, die sich geschwindigkeitsabhängig neigen. 1898 entwickelt Enrico Forlanini einen Tragflächenponton, mit dem ihm 1906 auf dem Lago Maggiore mit einem 70-PS-Motor ein 50-km/h-Flug gelingt. 1907 überbietet ihn der Neapolitaner Gaetano Arturo Crocco mit 70 km/h. 1920 reichen die Gebrüder Malcolm und Thomas A. McIntyre ein Patent für ein Tragflächen-Segelboot ein. 1955 gelingt dem Amerikaner J. Gordon Baker nach langjährigen Versuchen mit der einrümpfigen „Monitor“ mit 56 km/h der Durchbruch im besegelten Tragflächenflug. Deren acht Meter langer, 360 Kilo schwerer Rumpf steigt bei fünf Windstärken unter 21 Quadratmeter Segelfläche ab 18 km/h aus dem Wasser. Das Boot ist im Mariners Museum in Newport News, Virginia, zu sehen. Seit den sechziger Jahren wird die Entwicklung mit Tragflächen-Trimaranen vorangetrieben, maßgeblich von französischen Hochseeseglern wie Eric Tabarly mit „Paul Ricard“, später von Alain Thébault mit „Hydroptère“. 1999 revolutionieren die Australier John und Garth Ilett das Jollensegeln mit flugfähigen Moth-Jollen. 2007 entsteht mit dem „Bladerider“ ein Serienboot. 2009 fliegt Thomas Jundt mit einem australischen Tragflügelschiff namens „Mirabaud IX“ über den Genfer See (Sonntagszeitung vom 1. Februar 2009). Damals steigern Kite-Surfer ihren Geschwindigkeitsrausch mit Tragflächen. 2010 wird mit WASZP eine universell flugfähige, in Serie gefertigte Einheits-Moth-Jolle vorgestellt. Weitere Tragflächen-Serienmodelle als Einrümpfer und Katamarane folgen. 2016 prophezeit Martin Fischer die Entwicklung des Tragflächensegelns bei mehr- wie einrümpfigen Booten: „Es wird ozeantaugliche Tragflächen-Mehrrümpfer geben und daraus abgeleitet Lösungen für schnelle Fahrten-Mehrrümpfer, einrümpfige Tragflächensegler auch für schnelles Tourensegeln.“ Heute sind sogar Stand-up-Paddler mit Foils unterwegs.

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Darß ohne Baldiun Bählamm

Es ist üblich, dass Parteien, Lobbies und ihnen assoziierte Journalisten ihre Zielgruppe bedienen. Je konsequenter die Interessen der umworbenen Klientel vertreten werden, sprich je größer die unbeirrt getragenen Scheuklappen gegenüber anderen und übergeordneten Gesichtspunkten sind, desto erfolgreicher ist man in seinem Beritt. So funktioniert auch der Fachjournalismus. Je konsequenter er das macht, desto dümmer ist er leider auch. Der ADAC möchte „freie Fahrt für freie Bürger“. Ostseesegler, ihre Verbände und publizistischen Stimmungsverstärker möchten auf der langen Strecke zwischen Warnemünde und den beiden westlichen Zugängen zum Boddengewässer Rügens einen Hafen. Koste es, was es wolle. Es gibt einen. Der liegt aber in einem Naturschutzgebiet, dessen Zufahrt versandet. Macht nichts. Die kann ja, für den Steuerzahler kostenpflichtig, regelmäßig ausgebaggert werden. Die Alternativen sind teuer und – wie der Durchstich zum Boddengewässer wegen des künstlich geschaffenen Wasseraustauschs – ökologisch fragwürdig. Macht auch nichts. Hauptsache, es gibt Liegeplätze. Segler und Motorbootfahrer möchten am nordwestlichen Zipfel Mecklenburg-Vorpommerns einen Tag und Nacht problemlos anzusteuernden Unterschlupf und hinter den Molenköpfen ein Hafenbecken ohne Schwell bei jeder erdenklichen Windrichtung. Sie erwarten einen Liegeplatz in Hauptwindrichtung mit Schwimmsteg, Strom, Wasser, WLAN. Dazu besuchbare Lokale und morgens frische Brötchen. Die Strecke Warnemünde – Hiddensee mit dem erstbesten Hafen Barhöft ist lang und für Segler kleiner Boote wie ältere Leute ein anstrengender Ritt. Von Hiddensee kommend ist der Törn bis Warnemünde bei üblichem Südwest mit entsprechendem Seegang  auch für große und schnelle Boote eine Herausforderung. Solange der Darßer Hafen mit erheblichem Aufwand für den Seenotrettungskreuzer ausgebaggert wurde, war er ein willkommener Zwischenstopp. Solange ich da mit zwei Metern Tiefgang am späten Nachmittag oder Abends im letzten Büchsenlicht noch reinpüttern konnte, habe ich hier angelegt. Ich ging zu diesem sagenhaft patzigen WWF-ler, hörte mir die Standpauke an und unterschrieb eine vorbereitete Erklärung, wonach das Anlegen im Darßer Nothafen unabdingbar sei. Ich habe also, wie alle anderen Pseudo-Havaristen auch, gelogen und versprochen, am nächsten Vormittag spätestens um 11 wieder draußen zu sein. Es war so sicher wie das „Vorwärts Genossen“ in der einstigen Deutschen Demokratischen Republik, dass das pünktliche Ablegen von diesem wild gestikulierenden Ranger überwacht wurde. Der war garantiert da. Und er war am nächsten Morgen genauso drauf wie den Abend zuvor. Das war seine Auffassung von diesem Job und er erledigte ihn mit germanischer Gründlichkeit. Deshalb erhielt er von mir bald den Spitznamen Balduin Bählamm. Natürlich wäre ein weiterhin ausgebaggerter „Not“hafen am Darß oder eine moderne Marina mit allem erdenklichem Komfort vor dem nahe gelegenen Prerow nett. Notwendig ist das nicht. Um das zu verstehen, genügt ein Blick auf die Karte. Die nördliche Landzunge des Darß bietet bei üblichem Wind aus Südwest bis West, sogar bei West mit ein klein wenig Nord, einwandfreien Schutz. Man ankert hier auf flachem Wasser auf ebenem Sandgrund, mit reichlich Kette oder Leine entsprechend sicher. Hinter dem bewaldeten Darß und der langen Sandbank liegend kann es wehen wie es will. Auch das Schiff der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger kann an einer Boje draußen vor dem versandeten Nothafen stationiert werden. Es müsste ab und zu, für Mannschaftswechsel, zur Ver- und Entsorgung die wenigen Meilen bis Barhöft dieseln. Der Kreuzer würde die meiste Zeit mit kurzen Wegen zur Kadetrinne und dem Gewässer rings um die Darßer Landzunge auf Standby liegen. Das ist für die Mannschaft nicht so angenehm wie der Liegeplatz im Hafen. Doch steht der Aufwand dafür? Bei auffrischendem Wind aus Nord oder Nordost heißt es natürlich für uns Segler Anker bergen und weitersegeln. Ab fünf Windstärken ankert keiner bei auflandigem Wind. Bei dieser Windrichtung ist aber auch die übliche Ochsentour gegen deftig viel und nass aus Südwest nach Warnemünde, Kühlungsborn oder Richtung Fehmarn geschenkt. Bis Hiddensee sind es wenige Meilen. In den Schutz zur Leeseite der Darßer Landzunge dauert es eine halbe Stunde. Für Segler- und Motorbootfahrer, die ihrem Anker nicht trauen, können im Sommer Mooringbojen ausgelegt werden. So ist es in anderen Revieren zum Schutz des Ankergrunds oder bei schlechten Bodenverhältnissen üblich. Die Debatte um den Nothafen Darß und seine Alternativen ist eine Komfortfrage. Nun ist Fahrtensegeln eine Outdoorsportart, wo gelegentliches Ankern dazu gehört.   Die Beteiligten, auch die Kollegen, die dieses Thema in den vergangenen Jahren im Gleichschritt mit der Darß-Prerower Hafenlobby aufgebauscht haben, sollten sich einmal überlegen, was das Gekasper gekostet hat: vom wiederholten Ausbaggern bis hin zu den Gutachten und Planungen für Alternativen. Jeder Notfall in der Gegend wurde zugunsten des Darßer Hafens skandalisiert. Vordergründig ging es um die Stationierung des Rettungskreuzers, tatsächlich um die Liegeplätze für uns Yachties. Wie soll sich denn ein Hafen vor Prerow in diesem entlegenen Winkel rechnen? Gemeinsam mit dem nächsten, mit Ach und Krach ausgelasteten Wellness- und Tagungshotel, von denen es an der Küste schon unzählige gibt? Was hätte mit dem verschwendeten Geld sinnvolles in Mecklenburg-Vorpommern gemacht werden können? Der Skandal um den Darß ist die sisyphusartige Geldverschwendung für einen Hafen, dessen Zufahrt immer wieder neu versandet. Dieser Gesichtspunkt spielte früher, als hier die Wachboote zum Abfischen der Bürger bei der Flucht aus dem schikanösen Polizei- und Überwachungsstaat stationiert waren, keine Rolle. Bei allem Verständnis für die speziellen Bedürfnisse des Bootsurlaubers in Mecklenburg-Vorpommern. Bitte mal die Scheuklappen ablegen. Der einstige Menschenfängerhafen kann ruhig versanden und geschlossen werden, weil draußen geankert werden kann. Es gibt da abends und in der Nacht weniger Mücken. Und es gibt morgens keinen zornigen Vogelwart, der wie Baldiun Bählamm mit dem Zeigefinger auf die Uhr mit entsetzlich deutscher Gründlichkeit zum Aufbruch mahnt.

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Loge am Lago

Warum in Zeiten, wo es keine Geheimtipps mehr gibt, der Norden und das Westufer der Comer See eine Reise wert und eine Entdeckung sind. Von Erdmann Braschos Junge Hunde können sich ja so aufregen. Spitzes, sich zu Heiserkeit und schriller Erschöpfung verausgabendes Kläffen. Keine Ahnung, was die kleinen Kerle in der Dunkelheit rings um das Weingut Casa Rina zweihundert Meter über dem Nordufer des Comer See derart echauffiert. An diesem Abend Ende März ist die Luft noch winterlich herb, gewürzt vom aromatischen Rauch da und dort anheimelnd qualmender Kamine. Drüben, wo sich der See dem Veltliner Tal zuwendet, die gelben Laternen kleiner Ortschaften. Von nachtschwarzen Tannen bestandene Hänge, darüber der schneeig schimmernde Gipfel des mächtigen Legnone, beklemmende Enge. Am Morgen nach der Ankunft gleißendes Licht, befreiende Weite. Die westlich aus dem See steigende Schräge des zwei Kilometer hohen Bregagno. Sanft streicht die Breva von Süden her über den Lago und lässt das geschuppte Wasser noch vom Morgendunst gedämpft in der Sonne funkeln. Letzte Nebelschwaden verdunsten wattig weiß vor dem noch schattigen Ostufer. Der helle Süden verflüchtigt die Teutonentrübsal. Italianità. Im Gegenlicht die Palmen von Musso, dahinter schemenhaft die kleine kaninchenförmige Erhebung von Bellágio. „Überall ist es erträglich. Doch am erträglichsten im Ausland“ meinte der Vielverreiser Walter Serner in der 115. Erkenntnis seines Lebenskunstbreviers „Letzte Lockerung.“ Meist war er in eigenen, inneren Angelegenheiten unterwegs, also vom Fach. In diesem Ausland hier, zwischen Bergamasker Alpen und Schweiz, ist es ziemlich erträglich. Von Domaso weht das Krähen eines Hahns herauf. Gackernd trippeln Hühner um die Rustica, kleine Katzen räkeln wohlig in der Sonne. Der Goldfisch lungert eine Runde durch den Gartenteich. Er weiß, dass Katzen auch heute nicht angeln. Schnüffelnd nach Gelegenheiten zum Kläffen streunen die Hunde durch den Garten. Im Nachbarhaus puscht die Oma mit allerlei Kleinigkeiten beschäftigt durch den Vormittag. Casa Rina, bäuerliches Idyll über dem Lago. Noch sind die Äste der Apfelbäume grau. Doch die Wiese grünt, die Natur ist bereit: Primeln, Narzissen, Krokusse und Forsizien veranstalten ihr Frühjahrsfeuerwerk, der Ginster blüht an den Hängen nebenan leuchtend gelb, unten im Ort betören die ersten Magnolienbäume, auch die Mimosen zeigen ihre Pracht. „Einzigartige Südhanglage,“ die vollmundige Beschreibung der Ferienwohnungsagentur stimmt. Das Weingut über Domaso ist ein Logenplatz am Comer See, im Frühjahr zudem ein paar Grad wärmer als der Ort unten am See. Nebenan sitzt Herr Camata breitbeinig auf den Schindeln seines Häuschens und nestelt am Kupferblech des Schornsteins. Ein gemütlicher Schweizer Ende Fünfzig im karierten Wohlfühlhemd mit erkennbar helvetischem Interesse an gutem Nachtessen und kultiviert gekelterten Rebensäften. Sein Arbeitsleben verbrachte er mit dem einträglichen Entwurf von Motorradhelmen, sein richtiges, erträgliches Leben begann für und mit Casa Rina, selbstredend im Ausland. ’96 begann er mit dem Wiederaufbau des ’85 verlassenen Gehöfts. Der Hauswirt schwärmt von Barbera, Crumello, Sassella und Valpolicella Reben und erzählt Geschichten vom 1945 bis ‘65 über uns in den Bergen florierenden italienisch-schweizerischen Zigarettenschmuggel. Ein neben dem harten Brot der Landwirtschaft gern wahrgenommener steuerfreier Minijob. Hinten plätschert ein kleiner Wasserfall durchs Gebüsch, im Garten wacht eine Madonna über Wohl und Wehe des 280-jährigen Gehöfts. In der Woche ein bisschen illegal bis mittelkriminell, Feiertags kompensiert mit dem rituellen Katholizismus des Kirchenbesuchs. So funktioniert die ganze Welt, auch im Ausland, wo es am erträglichsten ist. Auch im Zeitalter allerorten nachzulesender, so genannter Geheimtipps ist der Comer See eine Enklave. Diese seltene Qualität verdankt er seiner Lage. Im Osten, Norden und Westen alpin umschlossen, ist er nicht so Auto- und Kurzurlaubskompatibel wie der Lago Maggiore oder das von Deutschen und Österreichern furchtbar heimgesuchte Ostufer des Gardasee. Zur Entdeckung des Comer See braucht es eine An-, keine Durchreise. Ein gestrecktes Gewässer, die Ufer im Norden bäuerlich alpin, auf halber Höhe patiniert mondän, der nach Lecco führende Arm von lombardischem Gewerbe und Fleiß geprägt, der fjordartig gewunden vor der hübschen Seidenstadt Como endende Ausläufer ein verträumt subtropisches Idyll mit prächtigen Gärten, die einen Ausflug lohnen. Die Straße schlängelt sich zwischen Lago und tremazziner Hügelland das Ufer entlang. “Und jetzt vier Wochen Urlaub in Tremazzo” begeisterte sich Greta Garbo mal im Finale eines Films. Mit der kühlen Greta nach Tremazzo, das Publikum war hin. Villen-, Garten- und Blumenmenschen erleben hier ihr Nirvana. Der alpin umschlossene Comer See genießt mit zwei Metern mehr als doppelt soviel Niederschlag wie der südöstlich gelegene, direkt in die Poebene übergehende Gardasee mit bereits mediterran trockenem Klima. Eine der regenreichsten Regionen Italiens, dennoch sonnig. Der Mensch will ja alles, Treibhaus und Panorama, er möchte Käffer und das Mondäne, Leben und Übersicht gleichzeitig. So macht der Garten die Villa Carlotta beispielsweise zu einer der berühmtesten Italiens. 1850 schenkt die preußische Prinzessin Albrecht ihrer Tochter Charlotte das Haus anlässlich der Heirat mit dem Erbprinzen Sachsen-Meiningen, dessen Garteninspektor das Grundstück in eine botanische Weltausstellung mit dem effektvollen und entsprechend bewunderten Blütenspektakel der Azaleen und Rhododendren, Kamelien und Rosen, der Myrten, Lorbeer- und Eukalyptusbäume, umgeben von siebzig verschiedenen Nadelhölzern verzaubert. Der Zauber wirkt bis heute. Nirgendwo ist der Comer See derart prima bacino wie zwischen Menaggio und Lenno. Die wenigen Kilometer des südwestlichen, vollends der Sonne zugewandten Uferabschnitts sind die Riviera des Gewässers. Ein botanischer Garten, aus dessen grüner Pracht betagte Häuser wie die Villa d’ Este in Cernobbio hervorlugen, heute als eines der Welt besten Grand Hotels geschätzt (man nächtigt im günstigsten Doppelzimmer für schlappe 350 Euro). Nach Vereinbarung zugänglich sind die Villa del Balbianello, die sich ein Kardinal an der vielleicht schönsten Lage des Comer See in Lenno zwischen die Zypressen stellen ließ, oder die Villa Vigoni in Menaggio. Bereits im März melden sich die Magnolien mit weißen und rosafarbenen Blüten, die Mimosenbäume leuchten gelb. Die pastellfarbene Häuserfront Bellagios erscheint vom Westufer gesehen unwirklich wie ein Kurort des 19. Jahrhunderts. Sacht nippt der See am Kies, das Wasser gluckst unter den Steinmolen. “Alles ist vornehm und sanft” meinte Marie Henri Beyle alias Stendhal über die Gegend. Auch zwei Jahrhunderte später trifft die Beschreibung der Verhältnisse noch weit gehend zu, jedenfalls vor oder nach der Saison. „Wenn Du nichts als ein Herz und ein Hemd besitzt, so verkaufe dein Hemd und stille dein Herz, reise an den See von Como“ auch diese Schwärmerei Stendhals, die als Fremdenverkehrwerbung usurpierte Literatur missverstanden werden könnte, gilt noch. Die mondäne Gelassenheit, die Aura des Gewässers und die melancholische Stille im Niemandsland der Vorvorsaison – wunderbar. „Verkaufe Dein Hemd, reise an den See von Como!“ Man muss das Hemd ja nicht in Bellagio an der Rezeption des Grandhotel Serbelloni in so genannte „Wellness“ tauschen, wo der Lago vollends splendido ist. Ich habe mein Hemd beim gemütlichen Herrn Camata, seinem Goldfisch, den räkelnden Katzen, trippelnden Hühnern und vorlauten Hunden in Seelenfrieden getauscht. Die lombardische Rustica, die Loge über dem Lago behagt mir mehr als das kostenpflichtig servile Lächeln livrierter Kellner und Wellness-Profis. Der Lago di Como im Niemandsland der Vorvorsaison. Eine subtropisch grüne, an 320 Tagen jährlich Sonnen verwöhnte Verschwendung, prima bacino, splendido und lombardisch rustikal. Ein See für verschiedene Temperamente – das ideale Ausland, sehr erträglich.

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We did it

Eine Nation der Seefahrer waren die Schweizer bisher nicht. Wie denn auch, so ganz ohne Häfen und Meeranschluss? Aber neulich gewann die „Alinghi“, eine Schweizer Rennyacht, den America’s Cup. Das hat noch kein europäisches Boot geschafft. Wer das Wunder verstehen will, lernt das smarte Management Ernesto Bertarellis und seiner Mannschaft kennen. Es war am Sonntag, dem 2. März 2003, im Hauraki-Golf vor Auckland. Um 15.17 Uhr kam die schweizerische „Alinghi“ auch nach dem fünften Duell gegen das Team Neuseeland erneut überlegen ins Ziel. Ein historischer Moment in der Geschichte des Segelsports: Niemals in 152 Jahren, seit Queen Victoria den Pokal gestiftet hatte, hatten Europäer gewonnen. Und nun die ausgerechnet die Schweizer. Doch an Bord der „Alinghi“ flippte keiner aus, als der Triumph feststand. Wir sahen es im Fernsehen, in Großaufnahme, in Zeitlupe: Alle grinsten, als hätten sie gewusst, dass sie es schaffen würden. Doch tat jeder bis zum passieren der Ziellinie seinen Job. Dann hissten sie eine kleine Flagge, die den America’s Cup über dem Matterhorn zeigte. Und darunter den Slogan „We did it!“. Was wie ein Echo klang auf den Slogan der Sportartikelmarke Nike: „Just do it – tu‘s doch einfach“. Ein sagenhafter Erfolg, ein Wunder: Wer hatte es nicht alles versucht, bei den 31 Regatten seit 1851! Der Wettkampf wurde zur schwimmenden Weltausstellung: Engländer, Franzosen, Italiener, Spanier, Schweden, sogar die Japaner traten mal an. Ohne Chance. Die Deutschen brachten trotz dreier Anläufe erst gar kein geeignetes Boot zustande. Immer hatten reiche, exzentrische oder ehrgeiziger Amerikaner die Nase vorn. Der Cup ist ein Showdown der Entrepreneuer, die auf dem Wasser zeigen wollen,. wie Erfolg aussieht. Bis 1983, als erstmals Australier den Cup gewannen. Und 1995 sowie 2000 die Neuseeländer. Doch nun war ein Neuling angetreten, der Genfer Unternehmer Ernesto Bertarelli, ein Mann von 37 Jahren. Hatte auf Anhieb gesiegt. Und wie? Mit der gleichen Strategie, mit der er zuvor seine Firma „Serono“ zum drittgrößten Biotech-Konzern der Welt ausgebaut hatte. Um es in eine Faustformel zu fassen: Such dir nicht bloß Koryphäen, sondern zueinander passende Leute, biete gute Arbeitsbedingungen – und lass sie machen. In solch einem Team ist sich jeder seiner Rolle und Bedeutung bewusst. Und muss sie deshalb nicht ständig herauskehren. Nicht mal der Chef, der die meisten der vierzig Rennen vor Auckland bis zum Finale mitfuhr. Natürlich, nicht als Kapitän, obwohl Ernesto Bertarelli ein vorzüglicher Segler ist. Er hatte aber viel Bessere neben sich und war nur einer von 16 an Bord, im gleichen Trikot wie alle anderen, unauffällig im Hintergrund. „Auf dem Boot war ich Navigator, mehr nicht. Alle wussten es, und ich habe mich daran gehalten“, sagt er. Der Boss war schwer auszumachen, im Rennen wie in der Pressekonferenz. War es vielleicht der geniale Taktiker Brad Butterworth, ein Neuseeländer? Gefragt, wie es nach dem Sieg weitergehe, wies er auf seinen Nachbarn: „Fragt Jochen. Der sagt mir schon seit zwei Jahren, wo es langgeht.“ Also Jochen Schümann, der Berliner, der dreimal bei Olympia eine Goldmedaille im Segeln errang und sich hier einen Traum erfüllte? Nein, er sei nur der Sportdirektor, wehrte er ab. Russell Coutts vielleicht, der neuseeländische Skipper, Goldmedaillengewinner auch er, vor allem aber zweimal zuvor für seine Heimat siegreich beim Kampf um den Cup? Er hatte mit der Präzision eines Schweizer Chronographen die „Alinghi“ beim Startschuss jedes Mal auf der richtigen Seite ins Rennen gebracht und die meisten Wettfahrten bereits in der psychologisch wichtigen Eröffnungsphase entschieden. Aber Coutts sprach nur vom Team – weniger weil es schick ist, vielmehr es nur nur so geht. Und Bertarelli, der Mann mit Harvard-Abschluss, der nicht nur Chef von „Serono“ ist, sondern mehr als die Hälfte der Aktien des Unternehmens besitzt? Der Milliardär, der lange zuhört und wenig spricht? Der das Wunder von Auckland organisiert hat? Er klingt, als könnte er auch bei längerem Nachdenken nichts Besonderes daran finden, dass sein Plan aufging. „Concept, construction, implementation“, sagt er, das seien die drei Schritte, auf die es ankomme, sauber angelegt und konsequent abgearbeitet. Er hatte ein Ziel, na klar: Wenn er antrat, wollte er nicht bloß dabei sein, sondern gewinnen. Nur wusste er damals, im Frühjahr 2000, noch nicht wie. Dann rief er seinen Segel- und Kletterfreund Bonnefous an: „Michel, ich habe ein paar Tage Zeit. Kommst du mit nach Auckland, America’s Cup gucken?“ Sie sahen das erste Rennen von „Team New Zealand“ gegen Prada aus Italien. An den Rückweg nach Genf erinnern sich die Freunde unterschiedlich. Bonnefous sagt: „Wir saßen im Flugzeug und waren heiß.“ Bertarelli wiegelt ab: „Als ich das sah, dachte ich: Das da unten ist nicht zu schaffen. Davon lass ich besser die Pfoten. Zu komplex.“ Seinen Grundsatz trug er kürzlich auch amerikanischen Studenten vor: „If you don’t understand something, just don’t do it.“ Doch er zählt sich nicht zu den Ahnungslosen. Sondern trifft zwei Monate später auf dem Genfer Flughafen die neuseeländischen Spitzensegler Russell Coutts und Brad Butterworth. Die haben gezeigt, wie man den America’s Cup gewinnt und souverän/5:0 verteidigt. Und sind die Kämpfe um Geld und Kompetenzen in Neuseeland gründlich leid. Bertarelli sagt: „Russell brachte mich auf den Gedanken, dass es auf die richtige ‚Software‘, also die Menschen ankommt, dann erst aufs Boot.“ Das ist ihm wichtig: Es war Coutts‘ Idee, nicht seine. Und dann fomulierten sie in Ziel: „Wir möchten ein Team, das in der Lage ist, den Cup zu gewinnen und auf das wir stolz sein können.“ Nach anfänglichem Tasten und sondierenden Gesprächen ist der Moment strategischen Vorgehens gekommen: Gemeinsam definieren Bertarelli, Bonnefous, Butterworth und Coutts das Ziel, den Weg dorthin und einen das Betriebsklima hoffentlichen temperierenden Wertekatalog. Bertarelli hat Vorstellungen und als Serono-Boß natürlich etwas in der Schublade. Doch hört Bertarelli erstens ziemlich lange und genau zu, wie Alinghi und Serono Mitarbeiter berichten. Zweitens lassen sich „goal, strategy and values“ keiner noch so jungen Firma oder Organisation einfach überstülpen. (der sicherste Weg zur lebenslänglichen Aversion gegen Pudelmützen ist die Nötigung des Kindes eine tragen zu müssen). Zweitens ist Bertarilli so smart, Strategie und Alinghi-Werte in einem rasch auf zehn-15 Leute erweiterten Kreis führender Mitarbeiter zu entwickeln. Das Projekt gewinnt rasch an Fahrt und dauert fast drei Jahre. Andere Segel-Syndikate verfügen über mehr Sponsorengeld, bringen mehr Manpower mit, haben mächtigere Konzerne als Partner hinter sich, mit Scharen von Ingenieuren und beeindruckender Rechenleistung. Der Schweizer setzt eine Strategie wie aus dem Lehrbuch optimaler Mitarbeiterführung und –motivation dagegen. Er fängt jedoch nicht bloß damit an, er zieht sie durch. Bertarelli weiß nicht alles und schon gar nicht alles besser. Er verlässt sich auf den Rat und das Gespür von Coutts & Co bei der Auswahl einer teamfähigen Crew, die unter extremen Bedingungen miteinander arbeiten und Stress aushalten muss, ohne daran zu zerbrechen. Sie finden Kapazitäten wie Rolf Vrolijk, einen gebürtigen Holländer, der in Hamburg lebt und sich als Bootskonstrukteur durch wiederholte Siege beim Admiral’s Cup einen Namen als Europas führender Naval Architect gemacht hat. Denn sie wollen keinen fertigen Wurf eines Konstruktionsgenie, sondern einen bestimmten Prozeß herbeiführen, eine funktionierende Zusammenarbeit, in der die Segler dem Konstruktionsteam ihre Erwartungen an die Handweare und Beobachtungen mitteilen, der Konstrukteur sein Konzept, seine Prioritäten aus der Gemengelage der Kompromisse kommuniziert, damit die Stärken des Designs überhaupt genutzt werden. Deshalb ist Geheimniskrämerei untereinander tabu. „Eine der härtesten Ideen und mit einem Techniker nur schwer realisierbar war die Vorgabe Bertarellis, dass die Konstruktionsabteilung die Ergebnisse von Messreihen oder Versuchsfahrten offen legte“, erzählt Vrolijk. „Die Segler sollten begreifen, wozu sie stundenlang Messfahrten machen. Nur dann setzen sie sich auch dafür ein. Dann  klappt auch die Zusammenarbeit von Seglern und Technikern.“ Vrolijk erinnert, daß er reichlich Planungsspielraum bekam, muss sich aber an die selbst projizierten/genannten Zeitabläufe halten. „Daiese Konsequenz ist selbst bei professionell aufgezogenen Segelkampagnen ungewöhnlich“ so Vrolijk. Bertarelli lässt den Entwicklern eine lange Leine, hält sie aber dazu an, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren, statt Messreihen bis auf die dritte Stelle hinter dem Komma auszuwerten. Wie bei Serono kommt das Interesse an Forschung und Weiterentwicklung dort an seine Grenze, wo es um seiner selbst betrieben würde. Und er verlässt sich auf Jochen Schümann, den Strategen, der schon mit 21 Jahren seine erste Goldmedaille gewann, damals noch für die DDR. „Für keinen meiner Erfolge gibt es ein Geheimrezept“, sagt er. „Es steckt ganz einfach harte Arbeit dahinter.“ Schümann lässt selten locker: Er weiß, dass sich konsequente Vorbereitung an Land (Fitness) und auf dem Wasser (Vergleichsrennen, Manövertraining, Optimierungsfahrten) später im Wettkampf in mehr Bootsgeschwindigkeit und souveränem Handling auszahlen. Rolf Vrolijk hat nicht vergessen, wie Schümann „allen Ernstes zehn Stunden am Stück testete“. Der erklärt das so: „Wir haben den Sport im Osten damals eher als Wissenschaft denn als Vergnügen gesehen.“ Bertarelli muss er nicht überzeugen. Auch der Chef nennt die Kür, die jetzt viele bestaunen, das Ergebnis harter Arbeit. Bis das Team komplett war und „jeder bei ‚Alinghi‘ begriffen hatte, wie wir arbeiten und miteinander umgehen wollten“, erinnert sich Michel Bonnefous, verging ein halbes Jahr. Für Ego-Trips war es im Boot zu eng, die Zeit zu kostbar, das Risiko zu groß. Die richtige Auswahl war „letztlich eine Frage des Instinkts“, sagt Bertarelli. Er zahlt ordentlich, sorgt dafür, dass jeder hat, was er braucht, um gut zu sein, erkennt die Leistung des Einzelnen an, ohne herablassend zu loben. „Wie oft geschieht es im Arbeitsleben“, meint Bonnefous, „dass die Lösung einer Aufgabe als selbstverständlich genommen,dafür aber das Scheitern thematisiert wird? Das ist die falsche Richtung.“ Als etwa eines der Boote zu  spät fertig wurde, gab es Ärger im Team. Aber „dann haben wir nach der Lösung gesucht. Wir helfen uns gegenseitig, statt einander Fehler vorzuwerfen“. Dabei war das Projekt „Alinghi“ alles andere als eine Idylle. Es gab Fehlschläge, Missverständnisse, Konflikte. Sie wurden ausgetragen. „So eine Truppe von Seglern, Technikern, Bootsbauern, Kommunikations- und Marketingmenschen ist manchmal chaotisch und anstrengend“, sagt Rolf Vrolijk. „Den Zusammenhalt zwischen denen kriegst du nicht mit Spielchen oder Brainwashing hin. Das geht nur, wenn du authentisch bist, als Mensch überzeugst und den Teamgedanken lebst statt simulierst.“ Auf gruppenbildend inszentierte Rituale und formalisierten Fraternisierungszwang wurde aus guten Gründen verzichtet. So gab es in in Auckland keine gemeinsame Unterkunft. Wer den ganzen Tag und die halbe Nacht miteinander arbeitet, will auch mal seine Ruhe haben. Man läßt, gerade wegen der intensiven Arbeit, Raum für Individualität. Wer für sich sein möchte, gilt nicht als Sonderling. Bertarellis Führung ist klug genug, jedem in der Mannschaft Zeit für sein Privatleben zu lassen. Niemand will monatelang auf Familie verzichten. Und vorteilhaft für die optimale Leistung ist es allemal. Manchmal ist es ein richtiger Kampf. Spezialisten, die bereit sind zur Kooperation, aber streng und unerbittlich im Detail, können enorm anstrengend sein. Sie haben klare Regeln – aber auch Ansprüche, die den Einzelnen überfordern und die Mannschaft nerven können. Weil das Pensum und die Anspannung wachsen, die Aufgaben an Bord und an Land ständige Bereitschaft verlangen. „Wenn mir der Spezialist sein Problem nicht in einer allgemein verständlichen Sprache vermitteln kann oder sich hinter Begriffen versteckt, hat er sein Metier nicht im Griff. Er wäre dann nicht der richtige Mitarbeiter“, erläutert Bertarelli ein Prinzip seiner Personalentscheidungen. Zugleich achtet er auf jene, die zwar gute Arbeit machen, in großer Runde aber eher untergehen mit ihren Vorschlägen, weil sie zu schüchtern oder nicht redegewandt sind: „Wir haben uns bei ‚Alinghi‘ angewöhnt, dass jeder zu Wort kommt und helfen gezielt bei der Artikulation.“ Die (Bertarelli-) Kultur genauen Hinhörens. Dass jede Diskussion Grenzen hat und in speziellen Bereichen kontraproduktiv werden kann, daran erinnerte notfalls Jochen Schümann, der mit der Crew nicht über Beginn und Dauer der Trainingseinheiten verhandelte, sondern die Zeiten für das allmorgendliche Laufen und Treffen im Kraftraum kompromißlos festlegte, weil die Leistung anders nicht zustande kommt. Gutes Betriebsklima allein garantiert eben keinen Erfolg. Jeder Sieg muss immer wieder aufs Neue erarbeitet werden. Das zumindest war jedem klar, den sie ins Team Alinghi holten. So gesehen, war es gar kein Wunder, dass die Schweizer auf Anhieb und überlegen den America’s Cup gewannen. Es war logisch. Mck Wissen Heft 5 zum Thema Operations

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Schiffe wie aus Legoland

Die Ostfriesen sind bekannt als Spezialisten. Sie bauen Schiffe, die angeblich nicht zu bauen sind. Und die andere unter diesen Bedingungen nie zu Wasser bringen könnten. Text Erdmann Braschos Es gibt tatsächlich Leute, die sich für allerhand Zeit und Geld in der engen Röhre eines Flugzeugs in die Weltgeschichte pusten lassen, um benebelt von gebrauchter Luft und verschobener Zeit einen echten Schrumpfkopf oder einen von circa zweitausend fürchterlichen Zähnen anzugucken, zu denen es ein Hai unter anderem bringt. Kann man natürlich machen. Nur geht das in Papenburg ja besser. Der Weg zum Heimatmuseum, Hauptkanal rechts 13 ist nicht so langweilig, teuer, gesünder sowieso und Kinder interessieren sich immer für Schrumpfköpfe. Das sind jetzt schon mal vier bärenstarke Argumente gegen die Fidschiinseln und für Papenburg. Was die Meyer Werft alles kann Natürlich gibt es auch Gründe für die Fidschis und weniger für Friesland, weshalb bislang in Papenburg 18 stattliche Kreuzfahrtschiffe vom Stapel liefen, die komfortables Reisen durch frische Seeluft, mehrgängige Menüs inklusive, zu den Fidschis ermöglichen. Schon eine Weile macht die seit 1795 existierende Meyer Werft Sachen, die nach landläufiger und sonstiger Expertenmeinung nicht gehen. Mit dem stählernen Raddampfer „Triton“ baut sie im 19. Jahrhundert ihr erstes Passagierschiff. Ein Bootskörper aus Eisen würde augenblicklich untergehen, hieß es, bis die „Triton“ im Papenburger Sielkanal oben blieb. Damit war das recht alte archimedische Prinzip 1874 auch in Ostfriesland bewiesen. Der Fracht- und Passagierdampfer „Graf Goetzen“ war auch aus Eisen und den verfrachteten die Meyerschen Schiffbauer 1914 zunächst in Einzelteilen nach Afrika, wo die Friesen das Puzzle zu einem stattlichen Pott zusammenfügten und in den Tanganijka-See rutschen ließen. Ging eigentlich auch nicht, aber gut. Die „Graf Goetzen“ wurde später mal neben Katharine Hepburn und Humphrey Bogart als Hauptdarstellerin in „African Queen“ berühmt und ist nach wie vor unterwegs. Made in Germany hält länger, als man denkt, 730 Meter über dem Meer im Süßwasser ohnehin, wo Schiffe langsamer rosten. Schwer zu sagen, wie viele Seeleute nach einem anderen Meyer-Werft­bau, dem legendären Feuerschiff „Elbe 1“ Ausschau hielten. Heute ist es als Museumsschiff in Cuxhaven vertäut. Einst gab es im Emsnahen Papenburg, dem „südlichsten Seehafen Deutschlands“, 23 Werften. Übrig geblieben ist die Meyersche. Das liegt daran, dass die Schiffbauer nicht einfach immer weiter gemacht haben wie früher, sondern sich als Spezialist für Auto-, LKW- und Passagierfähren, Gastanker, Tiertransporter und Schiffsumbauten auf einen Markt konzentrierten, wo sich den wiesel­flinken fernöstlichen Billigheimern am ehesten Paroli bieten lässt: Die Fertigung einer schwimmenden Kleinstadt für mehrere Tausend Menschen ist eine vielschichtige, Planung und Präzision voraussetzende Aufgabe. Sowas klappt in Germany am besten. So peilte Bernard Meyer, der sechste Meyer in der respektablen Generationenfolge, Mitte der 80er Jahre den Markt für luxuriös ausgestattete Kreuz­fahrtschiffe an. Kühn war auch der Stapellauf des ersten Exemplars. Noch hatte niemand ein derart großes, gut zweihundert Meter langes Schiff klassisch, seitwärts von der Helling zu Wasser gelassen. Einige allzu nah am anderen Ufer des Spektakels stehende Zuschauer sahen sich plötzlich knie- bis hüfthoch im Wasser stehen, derweil die bedenklich schaukelnde „Homeric“ 1986 im neuen Element die erwartet stabile Schwimmlage fand. Nun sind solche haar­sträubenden Momente zwar das Salz in der Suppe richtigen Schiffbaus, müssen aber nicht sein. Ein komplexes, aus zahlreichen Gewerken und Teilen zusammengefügtes Schiff lässt sich in einem überdachten Dock effizienter bauen: mit größtmöglicher Automatisierung von Schneid- und Schweißarbeiten, optimierten Warenflüssen und durchdacht kurzen Wegen zwischen Werkbank und Erzeugnis. Denn selten bewegt sich der Friese schneller als ein Koreaner und wer nicht unnötig viel herumläuft, wird eher fertig. 18 Jahre und ebenso viele Kreuzfahrtschiffe später ist die Jos. L. Meyer GmbH bei annähernd dreihundert Metern Länge und mehr als doppeltem Schiffsvolumen angekommen. Die beiden weißen, 60 und 75 Meter über Alleen, Wiesen und Kanäle ragenden Hallen sind kaum zu übersehen. Die Absaugvorrichtung im Dach und die Höhe der zweiten Halle erlaubt sogar die Montage des Schornsteins und damit den Test der Motoren bereits im Dock. So liegen die Neubauten sehr zum Leidwesen der aus halb Nord­deutschland anreisenden Schaulustigen bloß noch einen statt bisher drei Tage am Ausrüstungskai der Werft. In den vergangenen beiden Jahren warfen jeweils 250.000 Neugierige einen Blick vom panoramaverglasten Besucherzentrum in die beiden Hallen der Traumschiff-Fabrik. Mit dieser Einrichtung macht die Werft gute Stimmung in der Gegend und spricht bereits im Baustadium des nächsten Luxusliners die umworbene deutsche Klientel für die Reedereien an. Wer so einen Pott im Dock gesehen hat, möchte sich eines Tages mal auf See an Bord verwöhnen lassen. Es müssen ja nicht gleich die Fidschis sein. Beim Schnuppertörn zu baltischen Perlen lassen sich der cabrioletartig überdachte Pool, Golfabschlagplatz, Joggingpfad, Fitnessräume, Portofino Restaurant oder jenes 11-stöckige Atrium, durch das die Aufzüge mindestens so cool schweben wie in Downtown-Atlanta, ja auch kennenlernen. Das Legoprinzip Während der eineinhalbstündigen Führung durch das Meyersche Besucherzentrum hagelt es ein bisschen viel Zahlen, doch sehen wir das dem knorrigen Papenburger nach, der mit Filmvorführungen, einem Blick in eine Muster­kabine, einem arg schweren Ankerkettenglied zum hochheben und manchem schiffbaulichen Exponat zum gucken, anfassen und staunen routiniert durch die Meyerwelt führt: „Zweitausend Kilometer Kabel, das ist so weit wie von Papenburg nach München und zurück“, werden zum Beispiel in der „Jewel of the Seas“ verlegt. Das können wir uns gerade noch vorstellen. Die 400 Millionen Euro, die so ein Schiff kostet, kaum. Wie man so einen stattlichen Kahn in gerade mal 13 Monaten baut, bleibt auch nach Erläuterung des sogenannten „Legoprinzips“, wonach ein Meyersches Kreuzfahrtschiff aus 70 vorgefertigten Modulen entsteht, sagenhaft. Die nebenan angesiedelte Tochter G+H PreCab, die so einen Luxusliner ruckzuck mit über Tausend komplett bis zur Toilettenpapierhalterung vorgefertigten Kajüten und Suiten einräumt ist einer von vielen Lieferanten, die zu diesem Wunder beitragen. Sind eben doch flinke Burschen, die Friesischen Schiffbauer. Auch wenn der Reisende ihnen das in Papenburgs Innenstadt links oder rechts des Hauptkanals weder auf Anhieb und auch später nicht anmerkt. Die Überführung des Potts aus dem flachen Binnenland die 42 Kilometer Flußabwärts bis Emden ist eine ganz andere Geschichte, welche die Werft dank Emssperrwerk mit gezielt um 2,70 m angehobenem Wasserstand und Übung von früheren Auslieferungen wuppt. Dann werden sieben, ansonsten im Flussbett liegende Visiere hochgeklappt und der Fluss zwischen den Dörfern Gandersum und Nendorp gestaut. Ansonsten fungiert das 2002 fertig gestellte „Jahrhundertbauwerk“ als Sturmflutschutz der Region, wie längs der Küste, vor allem in Holland üblich. Denn die Nordsee hat zwei Gesichter, ist Freund und Feind der Friesen. Bislang konnten zwischen Papenburg und Emden bis 7,30 m tief gehende Schiffe verkehren, durch das geschlossene Sperrwerk wurden 120 Zentimeter gewonnen. Außerdem sind die Schiffe neuerdings mit dem fortschrittlichen POD-Antrieb ausgerüstet, großen, unter dem Heck in jede Richtung drehbaren Außenbordmotoren. Sie ziehen die jüngsten Neubauten jetzt rückwärts die Ems hinab, was nochmals eine Handbreit Wasser zwischen Flussbett und Ozeanriese schaufelt. So machen die Papenburger Schiffbauer nach wie vor Sachen, die angeblich nicht gehen und andere unter einfacheren Rahmenbedingungen, nämlich direkt an der Küste mit von Haus aus schiffbar tiefem Wasser, nicht hinkriegen. Wenn ein über 60 Meter hoher Koloss majestätisch langsam durch das kurvenreiche Emsfahr­wasser den Weltmeeren entgegen gleitet, wird es still in der ringsum am Ufer versammelten der Menschenmenge. Manchmal finden sich hunderttausend Schaulustige ein. Was andere können Dabei ist die Papenburger Werft mit ihren publikumsnahen Erzeugnissen, spektakulären Überführungen und jahrelanger Diskussion um Emsvertiefung und -sperrwerk bloß das bekannteste Beispiel niedersächsischen Spezi­alschiffbaus. Die Emdener Nordseewerke lassen Eisbrecher, Containerschiffe, Saugbagger, außerdem U-Boote und Fregatten vom Stapel. Längs der Weser schweißen, spachteln und lackieren die angesehenen Werften Abeking & Rasmussen sowie Lürssen/Fr. Schweers große Luxusmotor- oder Segelyachten für vermögende Kundschaft, darunter manchen Wüstensohn, Zelebritäten wie Aga Khan oder JetSet-Menschen wie Giovanni Agnelli. Die brauchen keinen Bastelkram, sondern schnelles, ansehnliches und zuverlässiges Wasserspielzeug, wie auch CompuNet Gründer Jost Stollmann, der sich bei A&R einen ansehnlich dunkelblauen 37 Meter Schlitten aus Aluminium schweißen und ziemlich aufgeräumt einrichten ließ. Seit den Zwanzigerjahren ist Abeking & Rasmussen eine weltweit führende Yachtbauadresse. Gleich drei Fassmers leiten die seit 1850 bestehende Werft in fünfter Generation. Fr. Fassmer baut Vermessungs-, Peil- oder Fischereiforschungschiffe, Seenotret­tungskreuzer und geschlossene Rettungsboote, die sich samt Besatzung oben vom Deck eines havarierten Schiffs schubsen lassen und nach einigen Etagen freiem Fall komplett wieder auftauchen, eine Spezialität, auf die sich auch Ernst Hatecke in Drochtersen versteht. Diese facettenreiche Seite des niedersächsischen Spezialschiffbaus ist zwar so interessant wie Haifischzahn und Schrumpfkopf am Papenburger Hauptkanal rechts 13, jedoch dem breiten Publikum leider nicht zugänglich. Die erste Reise der Ozeanriesen von den Meyers ans Meer lässt sich übrigens schön mit dem Rad erkunden, sofern es kaum bis gar nicht regnet und der übliche Wind aus nordwestlichen Richtungen nicht allzu viel dagegen hat. Von Papenburg bis Emden geht es rund sechzig Kilometer die Ems entlang, die 24 km bis Leer rechts oder links des Flusses. Ab Leer dann das linke Emsufer bis zum Fischer­hafen Ditzum dem Dollard entgegen. Man kann auf den as­phaltierten Wegen der Fehn oder Internationalen Dollard-Route sehr schöne Radrennen mit eigenen und anderen Kindern machen (wer ist zuerst in … Tipp: Die Mütter hinter der letzten Emskurve lassen, das ist für alle Beteiligen besser) und hoffen, dass man mit dieser Maßnahme abends nach vielleicht halbstündig vorgezogener Bettzeit eher Ruhe vom Fragefeuerwerk und Ideenfestival bekommt, wie es kleine Menschen so tagtäglich abfackeln. Doch kennen Kinder ja die meisten Tricks: Die einen ziehen eiskalt beim Radrennen mit und bleiben abends genauso lange wach, andere täuschen Müdigkeit vor, bloß um abends in Ditzum eine extralange Geschichte aus dem eigenem Kopf, dem mitgebrachten Buch oder eine glaubhafte Erklärung zu hören, warum Ditzum so heißt und das Kaff gegenüber Rorichum. Die Übernachtung in Nachbarorten wie Hatzum, Oldersum und Petkum löst dieses Problem übrigens nicht. Aus ganz anderem Holz als die in Weltmärkten denkenden Fassmers, Lürssen oder Meyers ist Hinderk Bültjer geschnitzt, der Wert darauf legt, Bootsbauer zu sein und zwar keiner, der sich mit modernen Kunstfasern und -harzen befasst, sondern ein richtiger, mit dem klassischen Naturprodukt. Hier wird nicht über Produktivitätssteigerung, Automatisierung und kurze Wege nachgedacht, sondern der Kiel noch richtig, mit der Queraxt bearbeitet, dem Kant­holz eine sauber aus dem Material gearbeitete Sponung zur Aufnahme der Plankenenden beigebracht und abschlie­ßend das Werg in die Fugen geklopft, wie man es schon immer macht und machen wird, solange die Ditzumer Fischer durch Dollard und Wattenmeer tuckern und Eingeborene wie Bültjer zu jeder Tages- und Nachtzeit „Moin-Moin“ sagen. Merian Extra Wasserreich Niedersachsen

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Zu Fuß nach Arquà Petrarca

Ein Spaziergang durch die Vulkanberge gerade mal 90 Busminuten vom Flugplatz Marco Polo oder dem Bahnhof von Venedig entfernt. Von Erdmann Braschos Wenige Kilometer südwestlich von Padua erheben sich seltsam kegelförmige Berge aus der Ebene des Veneto. Meist sind sie von der Stadt zu sehen. Gegen Abend, wenn der 470 Meter hohe Monte Grande beginnt, seinen langen Schatten zu werfen, rücken die Euganäischen Hügel durch den Mittelmeerdunst und Diesigkeit der betriebsamen Region an Padua heran, locken die Flanken der seitlich beschienenen Hänge zu einem Ausflug. Burgruinen, Gehöfte, Dörfer, Kirchen, Klöster und Villen lugen durch das Grün der bewaldeten Hügel und Weinberge. Terrakottafarbene Tupfer der Schindeln und Gemäuer verheißen ländliches Idyll. Ein überschaubar kleines Mittelgebirge, gut 18 Kilometer in Nord-Südrichtung, sieben Kilometer ohne die östlichen Ausläufer und westlichen Kegel breit. Durchzogen von gut 200 Wegen, von denen Zwanzig als Wanderrouten gekennzeichnet sind. Gerade richtig für den überwiegend sitzenden Menschen, der es gewohnt ist, sich befördern zu lassen, den Reiz des Gehens dennoch nicht vergessen hat. Außerdem ist die Erkundung der Euganäischen Hügel der ideale Ausgleich zum Ansturm der Eindrücke und großstädtischen Trubel eines Venedigbesuchs. Ein Hotelzimmer in einem der berühmten Thermalbäder Abano oder Montegrotto im Osten der Hügel ist noch zu haben. Bereits die alten Römer kurten hier. Später schätzte der Adel der K.u.K. Monarchie die wohltuende und lindernde Wirkung der heißen Quellen. Heute bevölkert der moderne Wellnesstourismus das mineralienhaltig brühwarme Wasser der Thermalbäder. Man dämmert und döst im Schlamm der Fangopackungen. Ich suche mein Wohlergehen oben, im eigenwilligen Hügelland. Übergangslos ragt es über die Ebene des Veneto, wie eine Inselgruppe aus dem Meer. Ein Stoffbeutel für Antonio Mazzettis vorzüglichen Wanderführer, Zahnbürste, Rasierer, das nötigste für einen Spaziergang mit Übernachtung irgendwo in den Hügeln findet sich morgens an der Rezeption. In Teolo, einer Ortschaft auf dem Sattel des Monte Grande, steige ich aus dem Auto, gehe los. Wohin ist beinah egal. Die Euganäischen Hügel sind überall schön. Verlaufen kann man sich nicht und alle paar Kilometer kommt bereits das nächste Dorf. Einen Berg wie den Monte Pendice links über mir habe ich noch nie, vielleicht in einem Fernsehfilm über exotische Länder mal gesehen. Rechts wellt er lieblich und sanft nach Vò hinab. Links hängen Bäume am Fels, klammert sich Gebüsch über dem Abgrund. Nebel und Gegenlicht des Morgens steigern die Dramatik. Diese kleine Sensation lenkt meine Schritte zunächst nach Castelnovo. Außerdem zieht es Germanen in Italien grundsätzlich südwärts. Vor 30 Millionen Jahren schuf Vulkantätigkeit die Euganäischen Hügel. Abgesehen vom Wasser der Dolomiten, das nach mehrjähriger Wanderung mineralisiert und erhitzt in den Thermalbädern im Osten der Hügel quillt, haben die Berge mit den Alpen wenig zu tun. Der unterschiedliche Abtrag weicher und harter Steinschichten formte das abwechslungsreiche, lieblich bis schroffe Hügelland. Mit dem harten Zoronitgestein wurde halb Venedig gepflastert. Es gelangte auf den einst viel genutzten Wasserstraßen des Veneto zur Lagunenmetropole. Die Pflanzenwelt der Hügel ist ein Mix alpiner und mediterraner Flora und zeugt vom angenehm gemäßigten Klima. Buchen, Eichen und Kastanien gedeihen hier wie Ginster, Oliven- und Obstbäume. Die Kastanie ist hier so beliebt, dass sie als Gemüse zum „Cappone con marroni“ gereicht wird. Der Castagnaccio aus Kastanienmehl ist eine Kuchenspezialität von Teolo und leider, leider erst etwas für den Nachmittag. Wer sich auskennt und genau guckt, entdeckt im Gebüsch der Euganäischen Hügel die wildwachsende Jujube. Die Frucht hat die Form einer Olive und ist beinahe kirschrot. Früher, als die Heilmittel noch aus der Natur kamen, wurde Jujube bei Husten genommen. Heute ist sie eine Süßigkeit. Die Einheimischen nennen die kuriose Frucht in ihrer Mundart „Zizola“. In der Abgeschiedenheit der Hügel gedeihen sogar noch einst, in der Antike übliche Wildkräuter, die es eigentlich nicht mehr gibt. Die Euganäischen Hügel sind eine Enklave der Vielfalt. Alle paar Gärten und Gatter echauffieren sich vorlaute Kläffer über den Spaziergänger. Mit einem energischen „Basta“ wird das Gebell abgestellt. Knurrend trollen sich die kleinen Aufpasser. Natürlich drehen sie sich alle paar Schritte noch mal um. Der Fremde wird im Auge behalten. Sicher ist sicher. Köter sind überall, auch ein- zweihundert Meter über der Ebene des Veneto, wo manches anders ist, gleich: Riesenschnauze und beim ersten Widerspruch wird gekniffen. Ab und zu surrt ein Radler im papageienbunten Pistendreß über die kurvenreichen Sträßchen. Die Hügel sind ein Zweiradeldorado, ihre Steigungen im ersten Gang ohne weiteres zu wuppen. Nach einer Weile verdampft der Dunst in der erstarkenden Sonne und gibt den Blick auf die ferne Ebene Richtung Adria frei: Zwischen Gewächshäusern und Obstplantagen die Hotelkomplexe von Abano und Montegrotto Terme. Die mehrstöckigen Funktionsbauten überragen beinah die Kirchen. Hier oben stellt sich das Wohlergehen von selbst, Schritt für Schritt, ein. Die Sonne hat schon Kraft und die Natur erwacht an diesem sonnigen Märztag. Da und dort liegen in den schattigen Lagen noch Schneereste. Den Nachteil der noch kahl-grauen Bäume erkaufe ich mit dem Vorzug wunderbarer Ruhe, von den vorlauten Vierbeinern in  den Ortschaften mal abgesehen. Kaum fröhliche Wandervögel, moderne Wellnessmenschen oder keuchende Leistungssportler, bloß zwitschernde Vögel und jede Menge Frieden. Ideal sind die Monate März bis Juni, wobei die Wochen nach Ostern den Deutschen Urlauber mit blühendem Unterholz und grünenden Bäumen beglücken. Nach dem endlosen Winter nördlich der Alpen ist der vorgezogene Frühling im Süden wahrlich labend. Im Hochsommer bieten die bewaldeten Höhen zwar Kühle und Schatten. Jedoch wird es im Lauf der Mittagsstunden für ausgiebige Wanderungen auch in den Hügeln zu heiß. Empfehlenswert ist der Herbst, der in Arquà Petrarca, dem bekanntesten Ort der Hügel, am ersten Oktobersonntag mit dem Jujubefest begrüßt wird. Kleines italienisches Mittelgebirge. Die Jacke ist geöffnet, der Stoffbeutel hängt über der Schulter. Während des Auf und Ab bei Torreglia leert sich die Wasserflasche. An der Schulter des Monte Rua entdecke ich, wenige Serpentinen unterhalb, eine Ortschaft. Die mächtige Kirche, sie hat selbst von oben gesehen eher das Format eines Doms, läutet. Der Magen ist auch der Meinung, es wäre Zeit für eine Pause. Okay, Galzignano. Bauern nesteln an ihren Reben. Jedes zweite Gehöft lockt mit Agroturismo, einer Kostprobe naturnah bodenständigen Lebens. Auf die 13 verschiedenen D.O.C. Weine ist die hiesige Winzergemeinschaft besonders stolz. Das Consorzio Vini der Colli Euganei ermittelt alljährlich die dreißig besten Weine der Gegend. 2005 wird die Liste vom Pinello und Serpino des Jahrgangs 2002 der Weingüter la Costa dei Fratelli Faccin geführt. Sie reicht bis zu Spumante und Passito Dessertweinen der Jahrgänge 2002, 2000 und 1999. Seit der Vereinigung Italiens wird in den Euganäischen Hügel zunehmend Cabernet angebaut. Eine unproblematische Rebsorte, die sich zudem gut mit anderen mischen läßt und hier der gängige Tischwein ist. Nähme der Wanderer all die Gelegenheiten zur Weinprobe wahr, er käme nicht weit. Sogar eine strada del vini führt durch die Euganäischen Hügel. Ich empfehle eine gut gefüllte Geldbörse und einen Kombi mit abstinenter Begleitung. So können mehrere Weingüter abgeklappert werden. Gut möglich, dass die Spaghetti, die ich in der Via Roma zu einem Glas rotem Cabernet genieße, zu den besten zählen, die ich je um die Gabel wand. Natürlich trägt der Vormittag zu dieser Einschätzung das seine bei. Jedenfalls habe ich noch nie Bigoli gegessen, die dickste Spaghetti-Variante, die es gibt. Sie werden stets frisch aus Weizenmehl, Wasser, Butter, Salz und Eiweiß zubereitet. Die Spätzle der Italiener sind eine Spezialität der Region Padua. Mit Bigoli gewinnen Eltern ihre Kinder für stinklangweilig bis uncoole Waldspaziergänge durch die Euganäischen Hügel. Kleine Menschen mögen ja immer klare, einfache Sachen: eine Lebensweise, zu der kluge Erwachsene vielleicht eines Tages mal wieder zurück finden. An Galzignanos Via Roma komme ich bei einem Teller Bigoli mit einer Pilz-Tomatensauce dazu. Ein Kaffee kompensiert die Wirkung des zweiten Gläschens Cabernet. Dann wird es Zeit den bunten Beutel zu schultern und weiter zu ziehen. Nach einer Stunde öffnet sich das Gatter zum barocken Themengarten der Villa Barbarigo. Im schulterhohen Heckenlabyrinth verlaufen sich höchstens kleine Erwachsene und richtige Kinder. Von der angehobenen Rotunde mit umranktem Ruhebänkchen in der Mitte des Labyrinths werden die Bälge im Auge behalten. Sie werden die Euganäischen Hügel zweitens dank dieses Irrgartens, wo man sich so schön austoben kann, mögen. Nebenan dreht der schwarze Schwan mit rotem Schnabel eine müßige Runde im Bassin des Dianabads. Ob er Glück und Frieden solitären Lebens zu schätzen weiß? Er hat es ja immer. Im Teich der Winde paddeln weiße, gelb beschnabelte Schwäne. Enge Laubengänge spenden im Sommer willkommenen Schatten. Eine Kröte genießt mit dem Kleinen auf der Schulter die ersten kräftigen Sonnenstrahlen. Kleine Frösche werden lang huckepack getragen. Auch auf der Kanincheninsel wird das erste Sonnenbad genommen. Die Tiere fletzen und räkeln im Stroh. Ob es sie stört, dass sie eingesperrt sind? Oder nehmen sie die Einschränkung nicht mehr wahr? Die Kanincheninsel des Themenparks soll an die Grenzen und Endlichkeit des Lebens erinnern. Denn zum Fressen und Faulenzen ist das Gastspiel auf dem Erdenrund auf Dauer zu schade. Mal durch die Euganäischen Hügel spazieren, gucken und nachdenken ist schon besser. Die neuerdings bis hin zu den Wasserspielen aufwendig wiederhergestellte Anlage aus dem 17. Jahrhundert ist einer der letzten vollständig erhaltenen symbolischen Gärten. Einst landete Zuane Francesco Barbarigo von Venedig im Boot durch die Kanäle kommend am Dianaportal, begrüßte die Tiere und genoss das ländliche Idyll fern der Lagunenmetropole. Die Euganäischen Hügel waren bereits damals eine Enklave. Auch heute sind sie kaum, am ehesten Italienern bekannt. Am späten Nachmittag ziehe ich durch Olivenbäume und Weinberge nach Arquà Petrarca, jenes mittelalterliche Dorf, in dem Francesco Petrarca, mit Dante Aligheri und Giovanni Boccacio das Dreigestirn der italienischen Literatur, ab 1370 seine letzten Jahre verbrachte. Die wunderbare Kassettendecke der betagten Casa Petrarca hat die Jahrhunderte überstanden, Tisch und Bücherschrank des Arbeitszimmers auch. Die Schatten werden länger, die Kühle des Abends kriecht in die Jacke. Der bunte Stoffbeutel lehnt an der Bank. Im Garten versteht der Spaziergänger, das der rastlose Altertumsschwärmer, von immer neuen Projekten, manchem diplomatischem Botengang und fortwährend schriftstellerischer Selbstbespiegelung geplagte Briefschreiber und Lyriker hier, im Süden der Euganäischen Hügel doch noch etwas Ruhe fand. Selbst von seinen Weinstöcken war der Abstinenzler Petrarca angetan. Natürlich genoss der standfest geschulte Kirchenmann seinen Wein nicht einfach. Er sah ihn als „Gegengift der Wollust und Ermutigung zur Zügellosigkeit.“ Es wird dunkel. Ich schultere den Stoffbeutel und gucke mich nach einer Bleibe um. So viele zwitschernde Vögel und so viel Frieden hatte der Besucher schon lang nicht mehr. Merian Heft Venedig

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Horizontverschiebung

Hier geht es um eine Insel im Bayerischen Meer, glückendes amphibisches Leben und einen 90. Geburtstag. Und um die Segelyacht Dreamtime. Nach weithin verbreiteter Ansicht gilt ein Boot als entbehrliche Sache. Was nicht zwingend zum alltäglichen Leben erforderlich scheint, steht bei der hinsichtlich Spielzeug vernünftigen weiblichen Fraktion der Familie unter mindestens latentem Rechtfertigungsdruck. Jeder, der sich eine Liebhaberei wie ein Motorrad, einen Oldtimer oder Sportwagen gönnt, kennt diese unschöne Opposition. Bei einem schwimmenden Spielzeug kann sich das zum brüsk formulierten Veto auswachsen: Das Boot oder ich. Der Münchener Fotograf Ulli Seer wurde durch die elterliche Ferienwohnung auf der Fraueninsel im Chiemsee geprägt. Er ist etwa so lange auf dem Wasser unterwegs, wie er schwimmen kann. Als Fünfjähriger takelte er einen Ruderkahn mit einer Zeltplane als Segel auf, wagte sich in einer lokalen Bootsklasse wie dem sogenannten Chiemsee-Schratz weiter raus und bretterte in den siebziger Jahren als Student mit einer flotten Jolle über die Regattabahnen. Zur Vermeidung müßiger häuslicher Latenzen entschied Seer sich für eine dem Wassersport zugewandte Frau. Dazu musste er weit, bis ins ferne Australien, reisen. Das ist insofern bemerkenswert, weil das Polyglotte nicht direkt zur Heimatverbundenheit des Bayerischen, soweit wir es verstehen, passt. Auf die zweite und dritte Anomalie kommen wir später zu sprechen. Anfang der Achtziger war Seer klug genug, seine Begeisterung für das amphibische Leben im und am See zugunsten von Beruf, Frau und drei Kindern mit einem behäbigen Jollenkreuzer zu domestizieren. Zunächst. Das ist nicht selbstverständlich, weil die im Märklinidyll der Gegend gelegene Fraueninsel mehr als ein romantisches Fleckerl Erde ist, wie es die Fremdenverkehrswerbung zutreffend beschreibt. Auch außerhalb des mächtigen Klosters ist das Eiland in seiner herrlichen Jenseitigkeit ein Ort, wo es zur dauerhaften Horizontverschiebung kommen kann. Es ist einfach derart schön dort, dass man bleiben und die Nötigungen festländischer Pflichten vergessen möchte. In diesem Idyll wird Seer mit einer der schönsten schwimmenden Skulpturen des Bayernmeeres groß, dem Vierzig-Quadratmeter-Schärenkreuzer Argo V. Das flachbordige Geschoss ist etwa 15 Meter lang und richtig schmal. Eines der extremsten Exemplare der ursprünglich schwedischen Bootsklasse, mit seinen Proportionen 1924 vom besessenen Segler, Architekten und Bootskonstrukteur Gustav Estlander auf die Spitze getrieben. Die schwimmende Extravaganz liegt an einer Boje in Sichtweite der elterlichen Ferienwohnung. „Irgendwann einmal werde ich so ein Schiff segeln“, ahnt Seer damals. Ende der achtziger Jahre scheint es so weit zu sein. Der langjährige Besitzer Erwin Ludescher ist verstorben, und die Angehörigen haben das bedenklich leckende Gefährt vorsichtshalber bergen lassen. Argo steht „aufgebahrt“ in einer Halle, wie Seer zurückblickt. Trügerische Erinnerungen aus verblichener Jugend an den intakten Renner schieben sich tückisch vor die Realität des morschen Gebälks. Gefährlich ist auch der lockende Preis. Die Sicherungen sind bei Seer schon fast draußen, als er Bootsbauer Bepp Heistracher um Rat fragt. „Lass die Finger davon, das ist ein Fass ohne Boden.“ Tja, solche Handwerker gibt es, gradlinige Leute, die dem Liebhaber und Träumer in gebotener Klarheit einschenken und den Horizont wieder geraderücken. Die kostspielige und zeitraubende Sanierung passt nicht in Seers Gesamtlebenskunstwerk als Freiberufler, Familienvater und Segler. Doch der Traum von einem hinreißenden Segelboot für das Bayerische Meer bleibt. Vernünftiger als Seers Jugendliebe „Argo“ Nach einer Weile tapferen Wartens begegnet Seer im Sommer 1990 am Bodensee einem Dreißig-Quadratmeter-Schärenkreuzer. Er ist kürzer, etwas breiter, insgesamt vernünftiger als Seers Jugendliebe „Argo“. Ein vergleichsweise handliches Gefährt aus klar lackiertem Mahagoni, mit einem weißen Dach in der vergessenen Machart alter mit Leinen bespannter Kajüten. Dazu kleine Bullaugen und ein Fach zur Ablage der Leinen, der sogenannte Mastgarten. Ein Gefährt mit musealem Charme. Seer erliegt ihm augenblicklich. Es heißt „Elch“ und hat den entscheidenden Vorzug, dass er angesichts der Bürde absehbarer Instandsetzungsmaßnahmen und alljährlicher Pflege damit zwar in die Knie gehen, aber nicht absaufen wird. Ein traditionell aus waagerechten Planken über senkrechten Rahmen (Spanten) gebautes Boot ist im Prinzip ein Parallelogramm, dessen Bauteile im Lauf der Jahrzehnte etwas Spiel bekommen. Sie verschieben sich und lassen Wasser herein, bis man mehr mit dem Pumpen als dem Segeln beschäftigt ist. Es handelt sich um ein Exemplar der angesehenen Werft Abeking & Rasmussen, wo am linken Weserufer in Lemwerder bei Bremen weltweit gefragte Holzboote entstanden. Werftinhaber Henry Rasmussen berichtet in seinen Memoiren „Yachten, Segler und eine Werft“ über das Jahr 1929: „Ein interessanter Bau war auch der Schärenkreuzer ,Pasch‘ meines Freundes Erich F. Laeisz, Hamburg. Da Herr Laeisz ein großer Förderer der Schärenkreuzer war und gern experimentierte, so kamen wir überein, unseren beiderseitigen Freund Alfred Mylne einen 30er zeichnen zu lassen. Um Mylne in die ganze Schärenkreuzer-Materie einzuweihen, sandte ich ihm meine neuesten Risse. Die Konstruktion von Herrn Mylne hatte viel Ähnlichkeit mit meinen Booten, war in vielem aber doch wieder anders, mehr für englische Verhältnisse zugeschnitten mit geradem Mast und größerer Verdrängung.“ Der Schärenkreuzer ist damals Avantgarde Der Hamburger Reeder Laeisz ist damals in der glücklichen Lage, sich ungebremst von lästigen Sachzwängen wie Budget- und Zeitfragen der Parallelwelt intensiv ausgeübten Segelsports widmen zu können. Er lebt gediegen an der Hamburger Außenalster, seinerzeit ein nobles Suburbia, so gelassen, wie wir es uns heute auf der Fraueninsel denken. Die Horizontverschiebung geht damals so weit, dass Laeisz sich nahezu jährlich eine vielversprechende Rennyacht bauen lässt, sie auf der Alster, auf der Kieler Förde oder zur Abwechslung auch mal in den Staaten vor Long Island segelt. Der Schärenkreuzer ist damals Avantgarde. Eine Marotte der Familie Laeisz ist es, ihren Schiffen einen mit „P“ beginnenden Namen zu geben. Die besegelten Frachtschiffe der Reederei, wie beispielsweise die „Padua“ (heute „Kruzenshtern“), die „Passat“ (Museumsschiff in Travemünde) oder die „Peking“ (wird derzeit für den Hamburger Hafen hergerichtet) werden daher P-Liner genannt. Der Tatsache, dass sie schnelle Reisen absolvieren, verdanken sie den Namen Flying P-Liner. Diesen Namensgebungsbrauch setzt Laeisz privat mit „Pasch“ fort. Sein nächstes Boot heißt „Pan“. Die zweite und dritte Anomalie Seit drei Jahrzehnten ist Familie Seer nun mit der ehemaligen „Pasch“ auf der Reibfläche von Wind und Wasser unterwegs. Am liebsten bei Hochdruckwetterlage, wenn eine gleichmäßige Ostwindthermik nachmittags eine köstlich konstante Brise übers Bayerische Meer schickt. Dann preschen die maronenbraunen Planken durch das grüne Wasser dem Alpenpanorama mit Hochplatte und Kampenwand entgegen. Ein seglerisches Nirwana. Sollte an heißen Sommertagen jedoch die Luft stehen, hängt die australische Fahne schlapp am Heck. Dann dient die „Dreamtime“ als Badeplattform. Womit wir bei der zweiten und dritten Anomalie wären. Der blaue Southern Cross erinnert an die australische Herkunft von Ehefrau Jill. In seinen „Songlines“ hat Bruce Chatwin die Wanderschaft der Aborigines anstelle der Sesshaftigkeit als ideale Lebensform, als „Dreamtime“ beschrieben. Auch passt der Name zur schönen Auszeit auf dem See. Die Töchter Nicola, Daniela und Sohn Benny wuchsen mit dem Boot auf. Es sieht danach aus, als würde der Stammhalter die Segelleidenschaft des Vaters und des Großvaters fortsetzen. Wenn außer Seer keiner Zeit hat, geht er mit „Linoo“ an Bord. „Das ist ein Pointer-Mischling. Meine Tochter Nicola brachte ihn aus Griechenland mit. Er ist zwar schon zweimal über Bord gefallen. Aber ich hab ihn immer gepackt und ins Boot gehoben.“ So ein flachbordiger Renner ist halt schon auch praktisch. Die gute Zeit an Bord lässt die Instandhaltung der Antiquität fast vergessen. Gleich nach der Übernahme des Boots wurden 30 Meter Planken gewechselt und ein neues Deck verlegt. Es hat mittlerweile Patina. Und wenn 2,7 Tonnen Mahagoni über Eiche und Blei auf so gelassen australisch-bayerische Weise in die Familie reinwachsen, kann man auch mal den 90. Geburtstag des Gefährts bei einer konstanten thermischen Brise aus Ost feiern.

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Daysailer

Wer wenig Zeit hat und trotzdem immer mal wieder für ein paar Stunden aufs Wasser möchte, für den sind sie genau richtig: Daysailer versprechen großes Vergnügen mit wenig Aufwand. Sieht man sich in den Buchten, Segelvereinen und Häfen unserer Gewässer um, wo selbst an schönen Sonn- und Feiertagen eine riesige Flotte von Freizeitbooten unbenutzt unter der Plane an den Bojen oder Stegen schlummert, entsteht der Eindruck, Boote würden ähnlich wie Heimtrainer als Versprechen eines anderen, aktiven Lebens gekauft, das nicht eingelöst wird. In einem großen Yachthafen wurde einmal über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet, dass die dort vertäuten Boote im wesentlichen zwei Mal in der Segelsaison, nämlich im Frühjahr aus dem Winterlager an den Steg und im Herbst wieder zurück an Land bewegt werden. Liegt das an der Überalterung der Klientel, lassen wirtschaftliche Entwicklung und ökonomischer Druck jüngeren Bootseignern keine Freizeit mehr? Vielleicht erschöpft sich das Glück des Eigners nach dem Motto „mein Haus, mein Auto, mein Boot“ auch in der Repräsentation. Oder liegt es am Boot selbst? Bereits das zehn Meter lange Kajütboot heutiger Machart bietet als schwimmendes Wochenendhaus vier Kojen, Salon, Pantry, Toilettenraum, Einbaumaschine und Stehhöhe in allen Kabinen. Das Einsteigermodell der Großserienhersteller wiegt Werftangaben zufolge etwas mehr als fünf Tonnen und ist mit etwa 50 Quadratmetern besegelt. Auf dem hochbordigen Gefährt findet der Segler keine Nähe zum Wasser. Er hat sich von dem entfernt, was er eigentlich sucht. Ein führender Bootskonstrukteur bemerkte einmal: „Ganz gleich, ob wir vom kleinen Kabinenkreuzer oder einem hochseetauglichen Renner reden – von wenigen Ausnahmen abgesehen sind alle Segelboote Daysailer. Auch mit der 25-Meter-Yacht wird Sonntag nach dem Frühstück abgelegt und am Nachmittag zurückgekehrt.“ Höchste Zeit also, sich auf einen uralten Bootstyp zu besinnen, den es schon seit der Kaiserzeit gibt. Damals wurde er Nachmittagsboot genannt. Heute, da das Lifestyle-Thema Segeln ohne Anglizismen nicht mehr auskommt, heißt es natürlich Daysailer. Bei diesem Gefährt handelte es sich um ein etwa neun Meter langes, offenes Kielboot ohne Unterschlupf, Spritzkappe oder Kajüte – ein Gefährt für schöne Segelstunden. Flott zur Sache kommen Man kam flott zur Sache. Der Aufwand – das Auf- und Abdecken des Bootes, das Auf- und Abtakeln – stand in einem gesunden Verhältnis zu den Stunden auf dem Wasser. Und wer dann noch das Glück hatte, in der Nähe des Liegeplatzes zu arbeiten und zu wohnen, legte an schönen Sommertagen sogar unter der Woche mal ab. Kein Wunder, dass sich seit einigen Jahren mancher Konstrukteur und Bootsbauer auf dieses Konzept besinnt. Von einem Trend zu sprechen wäre zu früh, weil die Stückzahlen der Daysailer im Vergleich zur Konfektion der Großserienwerften verschwindend klein sind. Es ist eher eine Art Gegenströmung zu den heute üblicherweise angebotenen schwimmenden Alleskönnern. Solche Boote werden meist von Individualisten gekauft, die sich für die Essenz des Segelns interessieren. Sie wissen, dass ihnen der Alltag, ganz gleich, wie schön oder verregnet der Sommer ist, wenige Gelegenheiten lässt. Entsprechend kostbar sind die Stunden auf dem Wasser. Ein Boot, das bereits bei sanfter Brise segelt und bei zunehmendem Wind überzeugt, muss leicht und mit gescheitem Ballastanteil unterwegs sein. Das geht nur, wenn Einbauten wie Kojen, Polstergarnitur im Salon, WC, Dusche, Kochgelegenheit, Tanks und Batterien weggelassen oder auf das Allernötigste reduziert werden. Neben dieser konzeptionellen Klarheit trägt eine anspruchsvolle, gewichtsparende Bauweise zur Agilität auf dem Wasser bei. Mitte der neunziger Jahre etwa ließ sich der italienische Industrielle Giovanni Agnelli nach einer Enttäuschung mit einer größeren Yacht einen 29 Meter langen Daysailer bauen. Die karbonschwarze Stealth ist dank klarer Konzeption und hochwertiger Bauweise mit 71 Prozent Ballastanteil unterwegs. Agnelli genügte es, sein Landleben für ein paar Stunden zu unterbrechen. Er genoss das seglerische Nirwana und wandte sich dann wieder anderen Dingen zu. Die Segelspaßmaschine aus Kohlefaser ist unter Deck quasi leer. Abgesehen von solch segeltechnischem Fetischismus gibt es einen praktischen Grund, warum ein Boot für hiesige Gewässer leicht sein sollte. Am Bodensee beispielsweise geht es alljährlich vom Spätsommer an in vielen Häfen um jeden Zentimeter Tiefgang. Auch das flache Ijsselmeer limitiert ähnlich wie manch mühsam ergatterter Liegepatz an den bayerischen Seen den Tiefgang. Das leichte Boot mit seinem jollenartig flachen Rumpf lässt zwischen dem Bootsboden und dem Grund Platz für eine seglerisch vorteilhafte Kielflosse. Ein fünf Tonnen schweres Boot dagegen zieht bereits einen derart dicken Bauch durchs Wasser, dass wenig Platz für einen gescheiten Kiel bleibt. Zwar gibt es pfiffige Hubkiellösungen, doch: Wer wenig Zeit zum Segeln hat, befasst sich ungern mit zusätzlicher Technik zum Anheben und Absenken des Kiels. Für gelegentlich Nachmittags- und Feierabendsegler gilt das auf dem Wasser Keep-it-simple-Prinzip ganz besonders. Wer sich am Arbeitsplatz und daheim mal ausklinkt, möchte segeln und nicht basteln. Leichte Boote, bei denen das Verhältnis von Gewicht und Besegelung stimmt, kommen bereits bei jenem Hauch von Wind, den das Schwäbische Meer oder die bayrischen Seen an vielen Tagen in unbeirrter Sparsamkeit bescheren, in Fahrt. Der elf Meter lange Daysailer vom Typ Sagitta der Schweizer Heinrich Werft beispielsweise wiegt mit zweieinhalb Tonnen weniger als die Hälfte des erwähnten 30-Fuß-Großserienboots und ist mit sechzig Quadratmetern unterwegs. Dann sollte der Daysailer, gleich welcher Größe, möglichst flachbordig sein, damit er mehr Sportgerät als schwimmender Caravan ist. Daysailer werden heute in verschiedenen Spielarten gebaut – von cool bis charmant, von italienischer alta moda für den Hauslago bis hin zum Retrosegler für Küste oder Côte d‘ Azur. Wer es modern mag, wird sich eine Esse oder die B-Yachts des mailändischen Konstrukteurs Luca Brenta ansehen. Die B30 eignet sich für Binnengewässer wie den Attersee, der 60-Füßer wurde bislang zwei Mal im Auftrag deutscher Eigner für die Kieler Förde und die Costa Smeralda gebaut. Wem maronenbraunes Mahagoni lieber als die Trendfarbe silbermetallic ist, wird sich die formverleimten und einhandtauglichen Binnenrenner der Markus-Glas-Werft am Starnberger See ansehen. Oder er schaut bei Carpe Diem Yacht Design in Tutzing rein, wo Klaus Röder den persönlichen Kompromiss aus Segelspaß, Eckdaten des Liegeplatzes und Erfüllung menschlicher Bedürfnisse unterwegs wie Koje, Kochgelegenheit und Bordklo maßschneidert. Kostspielige Versuchungen in Retromanier sind die Daysailer Eagle 44, Friendship 40 oder die ansehnliche Hinckley 42DS. Wem das vorerst alles viel zu teuer ist, schießt für wenige Tausend Euro ein gebrauchtes Plastikboot, beispielsweise ein Zweimannkielboot vom Typ Dyas. Da geht man mittwochs einfach mal an Bord seines Nachmittagsbootes, oder am Sonntag nach dem späten Frühstück. Man hebt die blaue Persenning runter, schubst sich für ein paar intensive Stunden vom Steg hinaus aufs Wasser, wo man wie Agnelli garantiert auf andere Gedanken kommt.

Günther Henze

Es ist manchem Segler von der Waterkant oder süddeutscher Gewässer weniger bekannt, dass man in Nordrhein-Westfalen wunderbar segeln kann. Es gibt dort landschaftlich herrliche, wenn auch vom Wind unterschiedlich begünstigte Stauseen wie den Baldeney- oder Biggesee, die Sorpe- oder beispielsweise Rurtalsperre. Der Möhnesee im Sauerland beispielsweise hat 1.200 Liegeplätze, verteilt auf 14 Clubs. Wo es so viele Boote gibt, braucht es auch eine Serviceadresse wie die Henze Werft für all die Variantas, Sprintas und Sprinta Sports, Delantas oder Optimas, weshalb Henze fast drei Jahrzehnte Dehler Vertragswerkstatt, war. Auch den Freunden des beliebten Zweimann Kielboots Dyas ist der Betrieb von Günther Henze ein Begriff. „Von 1972 bis ‘87 habe ich etwa vierhundert Dyas verkauft, in den besten Jahren um die hundert jährlich“ erinnert der 64-jährige stolz im Büro bei einer Tasse Kaffee mit Trockenmilch. Ab und zu kommt die Sekretärin mit einer Frage zur Verbuchung von Rechnungen rein, ansonsten ist es nebenan Mitte März im Empfang und Seglerladen für den üblichen Kleinkram ruhig. An den Wänden hängen Bilder von Einzelbauten für das Mittelmeer, Barkassen und Schnellfähren, die offensichtlich nicht an der Möhnetalsperre zum Einsatz kommen. Die baut Henze nämlich auch, doch dazu später mehr. Eigentlich ist Henze Bremer und ein Bootsbauer der alten Schule. „Ich habe bei Burmester gelernt, als Lehrling aber hauptsächlich die Fertigung von formverleimten Minensuchbooten erlebt. Eine Yacht wie die 11 KR Yawl „Heike“ für Heinz Glahr war auch dabei, erinnert der sportliche Senior, der sogar noch auf dem legendären Burmester Zwölfer „Ashanti III“ segelte, bis das Schiff vor seinen Augen explodierte, ausbrannte und bis zur Deckskante sank. „Wir wollten gerade mit unseren Segelsachen an Bord gehen, als es passierte“ erinnert Henze, der nach seiner Ausbildung drei Jahre als Bootsmann auf dem Burmester Schoner „Ashanti IV“ arbeitete. „Da habe ich Theodor Heuss und Heinrich Lübke kennengelernt.“ Im Frühjahr 1969 ergab sich Gelegenheit zur Übernahme der Bootswerft Schmelz gleich beim Yachtclub Möhnesee, wo „damals so dreißig Hansajollen und einige Piraten lagen“ erinnert Henze seinen Umzug ins Binnenland. Immerhin konnte er zunächst bei seinem Fach, dem klassischen Bootsbau und dem ihm vertrauten Material Holz bleiben. Während der guten Wirtschaftswunderjahre gab Henze dann richtig Gas. So wurden die Räumlichkeiten bald zu klein, weshalb Henze den Betrieb nach Westrich, ein Dorf in der Nähe verlegte. 1981 zog Henze in ein neues Gebäude nach Körbecke wieder näher am See um. Damals ging die von der Fritzmeier Werft in Bruckmühl bei Rosenheim im seinerzeit wegweisenden Depotschaum Verfahren gefertigte Dyas noch weg wie warme Semmeln und Henze beschäftigte in Spitzenzeiten 15 Mitarbeiter. Anlässlich der „Ultima Ratio“, eines zweirümpfigen 20 x 6 Meter großen Motorboots, eröffnete Günther Henze im ehemaligen Gebäude der Rickmers Werft in Bremerhafen, der heutigen Boot Bremerhafen, eine Zweigstelle für den Bau großer Objekte, wo auch die Schnellfähren „Nordblitz“ (25 m) und die 16 Meter lange „Rheinjet“ entstanden. Bemerkenswert bei der „Ultima Ratio“ ist die fortschrittliche Bauweise aus Epoydharz imprägnierten Karbongelegen (Prepreg) über einem besonders leichten Kern aus Waben (Honeycomb). Leider führte die „Rheinjet“ zur Schließung der Dependance in Henzes Heimat. „Wir hatten die vorgeschriebenen Schall Grenzwerte geringfügig überschritten und ich habe den Eindruck, der Kunde nutzte dies, um das Boot nicht abnehmen zu müssen, weil er gerade nicht liquide war“ erklärt Henze das Aus für die Niederlassung an der Küste. Der Betrieb existiert übrigens heute noch und was er kann, bewies Frank Kamlade mit dem Bau eines ziemlich großen Expeditionsschiffes für private Rechnung. Das 50 m Boot war in den 90er Jahren vorübergehend eines der größten Faserverbundteile. Seegehende Boote bauen Günther Henze und sein 40-jähriger Sohn Sven übrigens nach wie vor. Im Auftrag des Bauunternehmens Bilfinger & Berger komplettieren die Henzes an der Bremerhafener Adresse neun und 12 m große 40 Knoten Barkassen für Wasserbaustellen in Afrika. Wir wassern die Boote dann in Bremerhafen ein und nutzen die Überführung Weser aufwärts zur Verladung nach Übersee gleich als Probe- und Abnahmefahrt. Bald ist das erste Dutzend dieser Henzeschen Schnellboote komplett. Mitte bis Ende der 90er Jahre fertigte Henze zwanzig 6 m Kajütboote vom Typ Unna 20, 45 Exemplare der einen Meter längeren Unna 24 und schließlich sieben Unna 31 füi db-Yachtbau. Damals begann Henze auch mit dem Relaunch der Dyas mit GfK-Rumpf anstelle der herkömmlichen Sandwichbauweise, deren Schaum bei vielen Booten Wasser gezogen hatte. Seit Mitte der 80er Jahre machte der Betrieb auch mit Einzelbauten von sich reden. Zwanzig Boote vom 7,30 m Vierteltonner „Hardware“ bis zum zwanzig Meter Retroschlitten von Andre Hoeks Konstruktionsbüro entstanden bislang am Möhnesee, meist in Holz-Epoxydbauweise.In den 80er Jahren erschien ein besonderer Kunde bei Henze auf dem Düsseldorfer Messestand. „Er sah nicht direkt wie der typische Segler aus, eher wie ein Rocker, mit Lederkluft und so. Wir redeten eine Weile, aber das macht man während einer Messe ja ständig. Ehrlich gesagt nahm ich den Mann nicht ganz ernst.“ Das änderte sich schlagartig, als Hein Gericke meinte: So, jetzt schreiben sie mal auf, was das Folkeboot kostet. Der weithin bekannte Händler für Motorradbekleidung und Zubehör kleckerte nicht, er bestellte, was ein Folkeboot gut und begehrenswert macht. Gericke segelte es eine Weile, dann war er reif für einen knapp 13 Meter langen Liberarenner, einen Entwurf, von dem es im wesentlichen ein Foto gab. Die Henzes bauten Gerike das Boot, dem bald die 14 m lange „Speedware“, eine Heinemann Konstruktion folgte. Das Boot kam im Mittelmeer so gut an, dass es bald verschwand und wie wieder gesehen wurde. Gericke brauchte ein neues Boot und ließ die Henzes die knapp 16 Meter lange „Speedair“ bauen, einen Einzelbau im Stil der 90er Jahre mit Panorama verglastem Aufbau und außen um den Aufbau geführten Dachspanten anstelle der üblichen innen im Deckshaus untergebrachten Versteifungen. Dieses Boot wurde Gericke zwar nicht in Ibiza entwendet, doch war der passionierte Segler bald reif für ein neues, etwas größeres Boot, die „Cheliacarocca“. Den Namen verdankt die Andre Hoek Konstruktion den Initialen von Gericke vier Töchtern. Der elegante Flushdecker mit dem niedrigen Deckshaus, ansehnlichem Löffelbug und klassischem Yachtheck verdrängt ganze 18 Tonnen. Da der L-Kiel erst nachträglich mit dem Rumpf verbolzt wurde und das Karbonruder ebenfalls erst am Schluß in die Ruderlager geschoben wurde, war der Bau des 4,20 m breiten Bootes formverleimt in ziemlich tiefen Binnenland im Industriegebiet zwischen Möhnesee und Soest möglich. Das Schiff entstand im wesentlichen unter der Projektleitung von junior Sven Henze, der auch in punkto Ausbildung seinem Vater folgend das Handwerk bei einer angesehenen Bremischen Adresse lernte, bei Abeking & Rasmmussen. Die vielbeachtete „Hetairos“ bekam Henze junior nicht mit, er genoss aber die breite Ausbildung mit vielen Materialien. Seit Anfang des Jahres steht Gerickes 2002 übernommene „Cheliacaroca“ wieder in der Halle der Henze Werft, Kiel und Ruder liegen vor der Tür. „Gericke wollte, dass ich nach Ibiza fahre und das Schiff für ihn transportfertig mache.“ Es gibt keinen größeren Vertrauensbeweis eines Eigners in die Werft seiner Wahl. Bekanntlich enden viele Beziehungen zwischen Kunden und Werft mit der Übernahme des Bootes, sei es, weil der Eigner nicht mit der gelieferten Qualität zufrieden ist, oder die Werft nicht bezahlt bekam, was sie zum wirtschaftlichen Ausübung ihres Handwerks braucht. Nach acht Jahren in der südlichen Sonne wird das Boot generalüberholt. Ob Gericke das Boot behält oder neu baut, ist noch nicht heraus. Derzeit wird das Boot für 890.000 Euro bei Hoek Brokerage angeboten. Bemerkenswert ist die handwerklich perfekte Illusion eines traditionell geplankten Rumpfes. Die äußerste Lage des formverleimten Bootes wurde mit der Anmutung herkömmlich angeordneter Plankengänge und –stöße aufgebracht. Sogar einen farblich klar abgesetzten Heckbalken und Vorsteven im Eichenlook gibt es. Alles ist sauber, fugenlos zusammengefügt. Ein herzerwärmendes Finish, das Schwärmen lässt.   Das überzeugend seglerisch, nämlich funktional und einfach mit wenigen Winschen, technisch Zweckmäßigste und ohne bei bei großen Yachten üblichen Gadgets ausgestattete Schiff folgt Gerickes Philosophie, dass entbehrliches und folglich weggelassenes Equipment nichts wiegt, nichts kostet und auch keine Folgekosten hinsichtlich Reparaturen und entgangener Segelzeit nach sich zieht. Obwohl Sven Henze kein Freund markiger Worte ist, zeigt er das Henze Flaggschiff mit gewissem Stolz. Von der handwerklichen Qualität des Henzeschen Holzbootsbaues kann man sich übrigens im Vorschiff anhand der beiden nachträglich auf ausdrücklichen Wunsch des Germanischen Lloyd eingebauten Rahmenspanten überzeugen. Die ungewöhnlich innen über die Stringer geführten Versteifungen sind formschön gearbeitet und eine Zierde der Kajüte.  Stolz zeigt Henze auch das nebenan in der Halle stehende, erstmals selbst in Mahagoni mit Teakdeck ausgebaute Folkeboot. Die GfK Schale wurde mit Kiel und Ruder von der dänischen Folkebootcentrale bezogen. Dank des Henzeschen Ausbaues und liebevoller wie durchdachter Detaillierung kommt es wertig daher. Die elegant geschwungene Sitzbank für den Steuermann lässt sich unter das Achterdeck schieben. Die Schubladen (eine sogar mit Anzünder für die Zigarette nach dem Segeln) schmiegen sich seitlich zwischen Achterdeck und Bank. An den Sitz und Ausreitkomfort der Vorschoter auf der hohen Kante wurde mit ergonomisch ausgeführter Sülloberkante gedacht, und zwar in einer um mehrere Achsen gewundenen, entsprechend aufwändig zu tischlernden Teakleiste und abgewinkelter Fußleiste. Ein Tribut an das leibliche Wohl sind diskret in die Plicht integrierte Dosenhalter. Und weil Sven Henze keine passenden Decksorganizer für die Umlenkung der Trimmleinen vom Mast über das Kajütdach zur Plicht in den Katalogen der Bootsausrüster fand, baute er die Dinger selbst mit Karbonrahmen. Und das bei einer Klasse, wo Holzmasten vorgeschrieben sind. „So anspruchsvolle Faserverbundteile finde ich interessant“ meint der Junior, der den Betrieb nächstes Jahr übernehmen wird. Ob der Einstieg ins Folkeboot gelingt, bleibt angesichts der maladen wirtschaftlichen Großwetterlage abzuwarten. „Derzeit werden keine neuen Folkeboote und Dyas gebaut.“ So machen die beiden Henzes derzeit lange Gesichter. Es gibt keine Neubauten. Und beim beliebten Zweimannkielboot gibt es noch ein ganz anderes Problem. „Die Dinger gehen ja nicht kaputt“ meint Henze. Dabei ist die neue, im Jahr 2000 gemeinsam mit einem Polnischen Lieferanten für den Gfk Bau weiterentwickelte Henze-Dyas ein reizvolles Schiff. „Wir haben die Aluleiste an der Rumpf-Decksverbindung weggelassen und eine andere übergangslose und formschöne Lösung gefunden. So kommt das Schiff leichter daher“ meint Günther Henze. Lange herumgefuchst wurde an der geschwungenen Travellerkonsole mit beidseitig 2 x 7-fach ausgeführten Trimmklaviatur. Dort kann sogar während des Segelns die Mastkurve anhand der Unterwantspannung variiert werden. Auch über das Dyas Dauerthema, die Größe und Formgebung der Spinnakertrompete, haben sich die Henze gebeugt. Sie bauen die Trompete mit besonders großen, nach innen grefenden Radien, damit das Nylon beim Setzen rasch durch das Deck schlüpft. 64 Dyas wurden seit Ende der 90er gebaut, anfangs gut zehn Boote jährlich. Derzeit ist der Markt tot. „So eine Krise habe ich noch nicht erlebt“ berichtet der alte Hase des Bootsbaugeschäfts, das derzeit mit auf sieben Mann reduzierter Mannschaft und dem üblichen Service- und Winterjobs aufrecht erhalten wird. Ein Teil der Halle ist an eine Autowerkstatt vermietet. Doch sind die Henzes für die Zukunft gut aufgestellt. Eine große Fertigungstiefe vom Metall-, über den Modellbau, Vielseitigkeit im Umgang mit Holz und Faserverbundmaterialien bis hin zur langjährigen Erfahrung in der Zusammenarbeit mit anderen Werftpartnern macht Henze wie gehabt zur interessanten Adresse. Man muss für einen Einzelbau nach eigenen, speziellen Vorstellung nicht ins Ausland gehen, mit all den kaufmännischen wie juristischen Unwägbarkeiten. Man kann sein Boot auch quasi vor der Tür, eine Autostunde von Dortmund, selbst neu erfinden. „Als wir die Cheliacarocca“ gebaut haben, war Gericke ziemlich oft hier.“ Abgesehen vom Segeln gibt es bekanntlich nichts schöneres, als ab und zu mal bei seiner Bootsbaustelle nach dem Rechten zu sehen.

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Ein Leben für Boheme II

Wir sind uns nicht sicher, ob Schiffe lebendige Lebewesen sind, gar eine Seele haben, wie oft behauptet wird. Manchmal glauben wir es, meist halten wir das für Schmonzes, für Seemannsgarn, das zu vorgerückter Stunde nach einigen Gläsern Bier oder Wein gesponnen wird. Bei Licht besehen dürfte es eine Behauptung sein, deren Erörterung unter psychologischen Gesichtspunkten interessanter ist. Andererseits gibt es Yachten, speziell solche mit klassischen Linien, die eine sogartige Anziehung auf bestimmte Menschen ausüben. Sie leben für sie. Ihre Existenz erscheint ohne den Klassiker so wenig denkbar, wie es umgekehrt das Schiff ohne sie kaum geben würde. Ihr Schicksal ist mit jenen Planken verbunden, die ihnen die Welt bedeuten, ganz gleich wie unzumutbar arbeitsreich, wie hart und riskant ihre Existenz für die Yacht war und noch ist. Das Verhältnis der energischen Französin Etelka Fekete zum aparten dänischen Fahrtenschoner „Doriana“ ist eine solche symbiotische Beziehung, wenn auch eine, die ihren Zenit leider überschritten hat. Denn „Doriana“ liegt die meiste Zeit im Hafen, wird kaum gesegelt. Die Protagonistin dieses Artikels ist nach jahrzehntelangem Seglerleben für die Yacht bereit für einen neuen Lebensabschnitt. Vieux Port von Cannes 2007. Hinter Casino und Kongreßzentrum, ziemlich am Ende der Jetéé Albert Edouard, liegt zwischen Motoryachten mit Achterschiffen, die der spanischen Treppe Roms nachempfunden scheinen, der 175 Tonnen Fahrtenschoner „Doriana“. Das wuchtige Gebälk von Großbaum und Gaffel ruht auf der Baumstütze. Der rasant geneigte Flaggenstock ragt über das filigrane, annähernd dreieckige Heck. Die Trossen knistern zwischen Pollern und Klüsen. Etelka Fekete, eine alterlos blonde Französin, hebt den Schwingschleifer vom Gräting und bittet über die federnde Gangway an Bord. Viel hat Frau Fekete schon in ihrem Leben gemacht. Als Jugendliche wurde sie französische Fechtmeisterin. Später schlug sie sich als Stuntfrau im fernen Kalifornien durch, doch eigentlich lebte und lebt sie noch für den hübschen Fahrtenschoner, der 1930 in der Kristian Andersen Skibsvaerft in Frederiksund im dänischen Seeland entstand und dessen Heckgräting sie gerade schleift. Die Lebensgeschichte von Frau Fekete mit dem Schoner beginnt 1972 in Kopenhagen. Damals sucht der dänische Reeder Ivar Lauritzen aus Altersgründen einen neuen Eigner für seine „Jill“. Sie war 1930 nach Plänen von Lindholm und Ernst Wedell-Wedellsborg aus Teak über Eichenspanten entstanden. Der neue Eigner heißt George Riffe, ein gelernter Seemann und Opernliebhaber aus den Staaten. Als Eigner einer 20 Meter Ketsch, seiner ersten „Boheme“, mit Liegeplatz Villefranche hat Riffe, der in sich Deutschland vergeblich um eine Karriere als Opernsänger bemühte, Etelka Fekete kennen gelernt. Das Paar plant eine Weltumsegelung und erfüllte sich mit der Übernahme von Lauritzens Schoner den Traum, an Bord eines etwas größeren Schiffes mit Chartertörns Geld zu verdienen. „Es war unglaublich kalt, als ich wenige Wochen nach der Geburt meines Sohnes Christopher nach Kiel hinterher reiste“ berichtet Frau Fekete. „Schnee lag an Deck.“ Noch heute schlottert sie bei der Erinnerung an die Übernahme des Schiffes und die ersten Wochen an Bord, damals, Februar 1973 im Fischereihafen der Förde. Sohn Christopher Riffe, ein sympathisch introvertierter Mittdreißiger, er skippert seit einigen Jahren „Doriana“ ex. „Boheme II“, ex. „Jill“, steht lächelnd neben seiner energischen Mutter. „Im Frühjahr überführten wir nach Ostende, wo wir ein neues Deck verlegten und Crew für die Weiterreise durch den Ärmelkanal und die Biskaya fanden. Den Sommer 74 verbrachten wir auf Ibiza. Wir segelten mit meiner Familie, die aus Nizza kam, und natürlich mit Freunden. Da ging es uns wieder gut.“ Das eigentliche Paradies entdeckt die Familie im Jahr darauf im Naturhafen von English Harbour auf Antigua. „Außer uns gab es wenige Charteryachten, eine herrliche Zeit, in der wir alle Hände mit Törns und der Pflege des Schiffes zu tun hatten. Wir waren die einzigen Weißen, die nicht auf Abstand zur einheimischen, schwarzen Bevölkerung gingen. Chris war damals unglaublich blond, er lernte und sprach ausschließlich pidgin Englisch. Er wurde auf den kleinen Antillen Tutu genannt. Wenn ich in Grenada oder auf St. Martin einkaufen ging, wurde ich Miss Tutu gerufen. Christu lebte ziemlich frei und unbefangen. Wir waren sozusagen weiße Nigger, eine von den Schwarzen akzeptierte Minderheit und Ausnahme. Die übrigen Weißen auf Antigua hielten Abstand, sie spielten Cricket und feierten ihre Parties unter sich.“ Christopher erinnert, wie er mit seinem Lieblingstier, einem Huhn auf der Schulter, über die karibischen Märkte zog. „Wir segelten mit italienischen Gästen, mit Dänen und natürlich vielen Amerikanern. Sie kamen als unsere Gäste und viele gingen als Freunde.“ Besorgt beobachtet Etelkas Vater, ein Dozent für Chemie und Physik aus dem fernen Cannes das Flower-Power Leben in der Karibik. Er erreicht nach einigen mahnenden Briefen Anfang 1981 die Rückkehr der Familie mit ihrem schwimmenden Zuhause an die Cote d’ Azur. Er meint, es sei höchste Zeit für Christophers regulären Schulbesuch und organisiert einen Liegeplatz für den Schoner. Es ist jener Platz, an dem „Doriana“ heute liegt. Vorbei ist die Zeit, als der sechsjährige Christopher in der kurzen karibischen Dämmerung im Vollgas Außenborder gefahrenen Beiboot seine fischenden Eltern sucht, weil er ihr Ausbleiben instinktsicher als Unglück interpretiert. Jetzt muss sich der Naturbursche mit den Intrigen und Machtspielchen einer halbprivaten Schule im gehobenen bürgerlichen Milieu von Cannes bewähren. Das Geschäft mit einträglichen Charterfahrten wird auch nicht leichter und „Boheme II“ älter. Etelka und ihr Mann Charles arbeiten hart für den laufenden Betrieb des Schiffes. Aus dem kleinen Chris mit dem Kleintierzoo im steuerbordseitigen Kinderzimmer, aus „Tutu“ mit Huhn auf der Schulter auf karibischen Märkten wird ein junger Mann, der in der Schule nicht mehr als Paradiesvogel ausgegrenzt sein mag, sondern mit richtiger Schulkleidung dazu gehören möchte. Charles Riffe denkt eher an „Boheme II“ und Rücklagen für schwere Zeiten, die Mutter an die Zukunft des Kindes. Etelka löst den Konflikt mit einem harten Schnitt, einem Flug nach Los Angeles. Warum diese Stadt? „Weil es dort Sonne und Meer gibt“ erklärt Etelka. Sie hat kaum Geld für ihren Sohn und sich, was keine gute Voraussetzung für ein Leben in Kalifornien ist. Die einstige französische Fechtmeisterin besucht den örtlichen Fechtclub und hat bald einen Job als Stuntfrau im Spielbergfilm „Hook“, später spielt Etelka Fekete den zweiten Stunt in „By the sword“. Es ist die Tellerwäscherkarriere der durchsetzungsfähigen Französin, deren freiheitsliebende ungarische Eltern nach dem Krieg Budapest verließen, um ihren Kindern und sich das sozialistische Experiment zu ersparen. „Wir lebten nicht schlecht in Redondo Beach am Pazifik. Christopher machte die Schule fertig und ich hatte meine Engagements“. In den Sommerferien kehrt der Junge zum Vater an Bord zurück. Damals ist „Boheme II“ die Sommermonate ausgebucht. „Ich schuftete wie ein Hund und half meinem Vater als Deckshand, Steward und was immer zu tun war“ erinnert Christopher. Charles Riffe erklärt seinem Sohn, das „Boheme II“ eines Tages ihm gehören werde. So entscheidet sich der Filius Anfang der Neunziger Jahre gegen den Besuch der UCLA, wo ein Studium entweder der Ozeanographie oder Philosophie und Psychologie angedacht ist. Christopher Riffe wählt den Lebensweg seines Vaters, des romantisch veranlagten Berufsseglers und Charterskippers. „Ich machte damals drei Jobs, skipperte das Schiff, arbeitete als First Mate und Deckhand“ erinnert Christopher. Es war ziemlich hart.“ 1993 gewinnt Patrice de Colmont die Schoner „Puritan“ und „Boheme II“ zur Teilnahme am Klassiker Highlight und formidablen Saisonausklang „Nioulargue“. Damals kommt der schwedische Reeder Mikael Krafft erstmals an Bord. Mit 21 Jahren segelt Christopher sein Elternhaus dann erstmals allein, sein Vater zieht sich nach Florida zurück. Christopher schafft den Betrieb und die Pflege des 32 Meter über Deck langen, sieben Meter breiten Schoners nicht und bittet seine Mutter um Hilfe, die zögernd und ungern ihre Hollywood-Existenz aufgibt. Frau Fekete kehrt wieder zu „Boheme II“, der schönen Frön der Pflege eines betagten Holzschiffes in südlicher Sonne, zurück. Die beiden arbeiten wie die Tiger, doch ist eine umfassende Sanierung der Yacht im sechsten Jahrzehnt unausweichlich. Mitte der neunziger Jahre bietet Mikael Krafft erstmals den Kauf des Schiffes an. Er verspricht dem seinerzeitigen Eigner Charles  Riffe „Boheme II“ für den weiteren Charterbetrieb mit Etelka Fekete und Christopher Riffe als bewährter Crew flott zu machen. Im Oktober 2000 bricht „Boheme II“ beim Aufslippen auf einer nahegelegenen Werft infolge unsachgemäßer Lagerung auf der Helling. „Es war furchtbar, einzig das Rigg sorgte dafür, dass das Schiff zusammenblieb. Der lange Kiel war gerade mal bis zur Hälfte unterbaut, obwohl Taucher ihr Okay gegeben hatten,“ erinnert Christopher. Zwei, drei Monate steht „Boheme II“ mit angebrochenem Rückgrat auf dem Slip.“ Aus dem Plan einer schrittweiten Sanierung der Yacht ist ein Totalschaden geworden. Januar 2001 steht „Boheme II“ auf einer Werft in Villefranche. Christopher entwirft ein neues, yachtartigeres Heck anstelle des abgerundeten Achterschiffs im Stil nordischer Fischkutter. Gemeinsam mit dem neuen Eigner Mikael Kraft entwickelt Chris ein neues, für den Charterbetrieb praktischeres Deckslayout mit mittschiffs offener Plicht anstelle des geschlossenen Deckshauses und kleinem Doghouse im Stil angelsächsischer Yachten achtern. Die umlaufende Schanz wird 20 Zentimeter gekürzt, was das Schiff eine Idee flachbordiger und eleganter wirken läßt. Etelka Feketa, ihr Sohn und eine internationale Bootsbaugang arbeitet sechs, meist sieben Tage die Woche, oft 12 Stunden am Tag. Sie halten zweieinhalb Jahre durch. Der Streß macht sich bei Etelka Fekete mit einer Hauterkrankung bemerkbar. „Wir fuhren morgens eine Stunde zur Arbeit, zogen durch, fuhren abends eine Stunde zurück. Es war ein Alptraum, doch das Boot wurde fertig.“ In der Nacht zum Muttertag 2003 brennt das nahezu fertige, segelklare Schiff infolge einer Verkettung unglücklicher Umstände in der La Darse Werft in Villefranche, jenem Hafen, wo die junge französische Fechterin Anfang der 70er Jahre die Bekanntschaft des musisch interessierten Seglers und Berufsseemanns Charles Riffe machte, aus. In den Morgenstunden schwelt der ausgebrannte Rumpf von „Jill“, ex. „Boheme II“. Kraft erwägt, das Schiff aufzugeben. „Wenn Du das machst, gehe ich mit unter“ erklärt Etelka Fekete. Kraft verlädt das ausgebrannte Schiff nach Peenemünde, wo der umgebaute Schoner bei der Navcom Werft nochmals, allerdings mit weiteren Zugeständnissen wie überfurnierten Stahlmasten und einem zwar gemütlichen, allerdings eher Kreuzfahrtschiff üblichem Interieur entsteht. Den Winter 2004/05 liegt das Schiff in Stockholm. Etelka Fekete und ihr Sohn ziehen wieder durch, arbeiten den Winter über bei sprichwörtlich Kieler Temperaturen, kratzen mit klammen Fingern am Heißluftgerät und der Ziehklinge die Farbreste von den Planken unter Deck. Jetzt steht „Doriana“ zum Verkauf. Der viel beschäftigte Star Clippers Reeder Mikael Kraft nutzt das Schiff selten. Chartertörns ergeben sich kaum. Selbst ein schöner Hafen wie Cannes ist auf Dauer das Schlimmste, was einem See gehenden Schiff und seiner Besatzung passieren kann. Eine Segelyacht muss segeln, sonst wird selbst aus einem stolzen Schoner ein unglückliches Schiff. Frau Fekete und ihr Sohn sind müde. Ein großer Schoner braucht auch im Hafen liegend mehr als eine zweiköpfige Crew. Der Lack wird unter südlicher Sonne rasch welk und die Bronze blind. Die Bezahlung der „Doriana“ Crew, so hört man in der Szene, ist eher dürftig als inspirierend. Dennoch halten die beiden „ihrem“ Schiff noch die Stange. Frau Fekete baut gerade in einer Tischlerei an der Küste einen neuen Spinnakerbaum. Wenn sie nicht an Bord arbeitet, geht sie zeitig und kommt am späten Nachmittag. Der Spirit des nach wie vor hübschen Schoners ist weg. Eigner und Chefs kennen wirksame Wege – ob bewusst oder unbewusst – ihn zu liquidieren. „Sobald Doriana verkauft ist, gehen wir. Es ist Zeit für etwas Neues.“ Was wird das sein? „Ich weiß es nicht. Ich bin immer meinen Weg gegangen und Christopher ist jung, ihm steht die Welt offen. Wenn Du wirklich gehst, kommt etwas Neues, Positives.“ Tut es weh zu gehen? „Nein“ behauptet die Freiheit liebende Frau energisch. „Denn Doriana ist nicht mehr Boheme II. Boheme bleibt als schöne Erinnerung in meinem Herzen.“ Die Magie des charmanten dänischen Fahrtenschoners ist für Frau Fekete nach drei Jahrzehnten und dem Umbau erloschen, die symbiotische Beziehung zu Ende. Frau Fekete schultert ihre Tasche für den Weg zur Tischlerei. „Ich möchte pünktlich sein, denn heute Abend spielt AC Mailand, das möchte ich sehen.“ Nach der Passage der federnden Gangway dreht sich die zierliche Französin noch mal um. “Wissen Sie, was das schlimmste im Leben ist? Das schlimmste ist, einen Boß zu haben, das ist schlimmer, als nicht zu wissen, wie Du nächsten Monat Deine Rechnungen bezahlst. Denn das haben wir immer hingekriegt, stimmt’s Chris?“ PS: Dies ist die halbe Geschichte. Ich habe versprochen, die ganze mit Rücksicht auf die Beteiligten vorerst nicht zu erzählen.

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Der Häuptling

Wie viele Schiffer, speziell aus dem Norden, ist er am ehesten in seinem Terrain, der Welt des Segelns, zugänglich. Wilfried Horns ist gebürtiger Flensburger, gelernter Tischler und passionierter Segler. Das sind drei ungünstige Voraussetzungen für ein flüssiges Gespräch mit dem Nestor und Impresario der deutschsprachigen Klassikerszene. Doch wenn es um traditionsreiche Segelboote geht, um laufende Projekte und neue Ideen des Freundeskreises Klassische Yachten oder seine schmucke 7 KR Yacht „Piraya“, teilt Horns sich mit. An Bord wie an Land, Sommers wie Winters in einen universell getragenen Pullover gewandet, den markanten Schädel von einer Korona weiß-grauer Haare umgeben, das meist in sämtliche Himmelsrichtungen zeigt, hört er gründlich zu. Seine stets in Betrieb befindliche Pfeife gibt kleine Rauchzeichen. Die Abstände zwischen den Rauchzeichen des Freundeskreis-Häuptlings kündigen an, dass es heftig in ihm denkt und Horns gleich etwas sagen wird. Wenn Horns sich dann äussert, kommt er mit wenigen, überlegten Worten aus. Wer Horns eine Weile kennt und eine Stunde mit ihm geredet hat, erfährt, dass der Eigner des knapp elf Meter langen Fahrtenbootes nach langer Beschäftigung mit dem betagten Benziner unter dem Bodenbrett den Motor kurz und schmerzlos aus dem Schiff hob, ihn zum Sperrmüll brachte und seitdem richtig und wie früher unterwegs ist. „Ich war es einfach leid, da stundenlang über dem Motorschacht zu hängen und nicht zu kapieren, warum er mal anspringt und dann wieder nicht.“ Horns erzählt es so, als hätte er einen lang ertragenen, lästigen Besuch vor die Tür gesetzt. Mittlerweile ist Horns die fünfte Saison ohne Maschine unterwegs. Im Mai vor zwei Jahren segelte er anlässlich der Max Oertz Regatta von Kiel nach Neustadt, hing zwölf Stunden in einer Flaute vor der Fehmarnsundbrücke und kam im letzten Büchsenlicht an. Horns und seine neue Lebensgefährtin Hella Peperkorn, eine extrovertierte Leiterin einer Kinderschauspielschule, machten das Beste draus, warteten einfach ab, bis sich ihr Freund, der Wind, wieder zurückmeldete. Da auch gute Freunde manchmal unzuverlässig sind, plant Horn die Segelwochenenden mit Blick auf den Montag genau. „Ich guck’ mir die Wetterprognose im Internet an und mache solche Schläge, dass wir Sonntag zurückkommen.“ Eine weitere Herausforderung ist es, einen Langkieler in unseren engen Häfen unter Segeln an den Liegeplatz zu bringen. „Es ist interessant, wie langsam Sie segeln können, wenn Sie richtig hoch an den Wind gehen. Das musste ich auch erst mal üben“ berichtet Horns mit sympathischer Bescheidenheit. Zum Classic Yacht Event im Sommer 2005 hat das Seglerpaar Horns/Peperkorn die „Piraya“ natürlich ohne den lärmenden und stinkenden Gesellen unter dem Bodenbrett von Kiel nach Stockholm und zurück manövriert. „Es ist herrlich, wie früher zu segeln“ schwärmt Horns. „Du bist aufmerksamer, beschäftigst Dich gründlicher mit dem Wetter und weißt den Wind mehr zu schätzen.“ Er erzählt von der Schwedentour durch steinige und enge Fahrwasser so beiläufig, als hätte er nachmittags mal bei passendem Wind eine Runde zum Stollergrund und zurück in die Förde gedreht. Bei aller Sprödigkeit ist der 57-jährige eine angenehm uneitle Ausnahme in der Segel- speziell der Klassikerszene, wo es manchen PR-Strategen, Berater und Makler gibt, es um Eitelkeiten, Euros, den Logenplatz für das eigene Schiff und natürlich Geld geht. Oliver Berking, er initiierte 1995 die Robbe & Berking Classics, und ist neuerdings erster Vorsitzender des Freundeskreises Klassische Yachten e.V., kennt Horns seit zwölf Jahren: „Was ich besonders an ihm mag, ist die Tatsache, dass ihm jede Art der Selbstdarstellung zuwider ist. Damit ist er vielleicht nicht im herkömmlichen Sinne ein Frontmann, aber gerade das qualifiziert ihn eben doch genau dieses für den Freundeskreis zu sein. Es geht ihm nämlich ausschließlich um die Sache.“ Natürlich betritt Horns in seiner Eigenschaft als Freundeskreis-Häuptling das Podium der Klassikerszene auch. Etwa, wenn er die eine oder andere sommerliche Klassikerveranstaltung eröffnet oder mit wenigen klaren Sätzen durch den alljährlich „bunten Abend“ des Wintertreffens führt. Da legt Horns dann die Pfeife beiseite, steht im Pulli vor dem brechend vollen Hörsaal eines Hamburger Museums und moderiert mit der Gelassenheit und Übersicht eines Leuchtturmwärters eine Veranstaltung, die – passend zum Freundeskreis und typisch Horns – unter beiläufig bescheidenem Titel antritt und oft hochkarätige Vorträge oder Einladungen zum Segeln bietet. Die Klassikerszene ist facettenreich. Hier tummeln sich die Fans grob getischlerter Arbeitsboote im Finkenwerder Fischerhemd, Jollensegler, Studenten und andere, deren seglerische Mittel begrenzt sind. Vom unzugänglich feinen Pinkel bis zum maritimen Lebenskünstler, vom Blazer- bis Pulliträger, von bräsig bis nett, vom Hoch- bis Tiefstapler ist alles dabei. Charaktere und Temperamente mögen verschieden sein, dabei haben die Freundeskreisler alle den gleichen Knall. Und deren Häuptling hat mit „dem Kulturgut klassische Yacht,“ wie Horns es in aller Gelassenheit und Klarheit nennt, das Thema seines Lebens gefunden. Das sie nicht bloß zusammengefunden haben, sondern, was schwieriger ist, zusammenbleiben, liegt maßgeblich an ihrem gelassen integren Strippenzieher. Der langjährige Holzbootsegler, Nautiquitäten- und Büchersammler Volker Christmann aus Wiesbaden, er berät den Freundeskreis und Horns in Literaturfragen, schätzt Horns als „Visionär mit Bedacht und starkem Durchsetzungsvermögen. Wenn er was will, dann macht er es.“ Für ausländische Beobachter ist der Freundeskreis längst ein Phänomen. Wie ausgerechnet Deutsche, die im Ausland als überorganisiert, zu Formalien und zum Vereinsklüngel neigend gesehen werden, eine derart entspannte, zugleich dezentral effiziente Interessenvertretung auf die Beine und ins Laufen bekommen, ist manchem Kenner der Szene ein Rätsel. Dabei ist der Freundeskreis am Beispiel seines Häuptlings recht einfach zu verstehen: Horns interessiert sich bloß fürs Segeln alter Schiffe, die Kultur und Dokumentation klassischen Yachtsports – wie gesagt eher im universell getragenen Pulli als im blauen Blazer. Im Pulli kann man auch mal eben das Boot auspumpen. Februar 1994 versammeln sich Horns und vierzig andere, für alte Schiffe begeisterte und gründen mit einer 50 Mark Spende eine „Initiative von Schwärmern, die sich aus Lebensfreude, Leidenschaft, Weltanschauung um den Erhalt klassischer Yachten bemühen,” jenen „Verein“, den es formal, um den Vorschriften zu genügen, natürlich gibt, der aber als solcher erfreulich wenig stattfindet. Natürlich ist der stille Tischler und „Piraya“ Eigner Horns auf die möglichst authentische Klassikerinstandsetzung abonniert. Doch verbohrt, wie der eine oder andere „Holzwurm“ der Szene, ist er deswegen nicht. Er wirbt einfach für seine Vorstellungen, er motiviert und lässt dennoch das andere gelten. Als Segler, Handwerker und gelassen toleranter Mensch kennt er die Grenzen des Machbaren. Mit diesem Spirit wurden aus den 50 Gründungsmitgliedern mittlerweile rund 1.200 Freundeskreisler. Horns Drive, die Bewegung mit immer neuen Vorhaben lebendig zu halten, hat eher zu als abgenommen. Berking beispielsweise ist „immer wieder verblüfft, was für Ideen Horns hat.“ Welche Schätze es hierzulande zu heben gab und gibt, welche Vielfalt zu dokumentieren, ist seit einigen Jahren einem größeren Publikum auf der Homepage des Freundeskreises klassischen Yachten zugänglich, speziell dem digitalisierten Yachtsportarchiv zu sehen, wo im Wesentlichen die Ausgaben der „Yacht“ von 1904 als führendem Medium eingescannt sind. Es ist via Internet per Mausklick in Sekundenschnelle zugänglich. Eine weltweit einzigartige Suchmaschine für Holzbootliebhaber und Klassikerfans mit täglich 500 Zugriffen. Das ist maßgeblich Horns Initiative und Überredungskünsten, seiner beharrlichen Suche nach Partnern zu verdanken. Seit Jahren redet er mit finanzstarken Eignern, manchem Protagonisten des Wirtschaftslebens, Museumsdirektoren, Verlagsleitern oder Berthold Beitz von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Beharrlicht zieht Horns an allen möglichen Strippen für die Bewahrung, Dokumentation und Wertschätzung klassischen Yachtsports. Schon manchen, der eigentlich gar keine Zeit hat, hat der Motivationskünstler dafür gewonnen, sich mit seinen Möglichkeiten und Kontakten einzusetzen. Wie ihm das gelingt? Ganz einfach, er lebt dieses Programm seit über einem Jahrzehnt und verfolgt manches Vorhaben mit der Cleverness und Konsequenz eines Regattaseglers auf der entscheidenden Kreuz. Die neue Freundeskreis-Aktion „Rettet die Klassiker“ etwa spürt sanierungsbedürftige Holzboote auf, dokumentiert ihren Standort in einer Karte, findet Interessenten für die Problemfälle und trägt so dazu bei, das sie wieder gesegelt werden.  Der neue, von der Versicherung Wehring & Wolfes unterstützte Restaurierungsfond bietet dem Bootseigner eine Begutachtung, Anleitung und Betreuung der Instandsetzung. Vorbilder sind ähnliche Stiftungen in den USA, England, Holland, Dänemark oder Schweden. Horns und die Aktiven des Freundeskreises nutzen die internationalen Kontakte nicht bloß zum Segeln, Würstchen grillen, Bier trinken und für Döntjes. Derzeit beschäftigt sich Horns mit dem Ausbau und der Überarbeitung des Yachtsportarchivs, jener international Bahn brechenden digitalen Klassikerdatei, die der Freundeskreis die vergangenen Jahre über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen schuf. „Ich meine, das Angebot könnte noch attraktiver daherkommen und die Navigation in der Website einfacher werden.“ Im Herbst wird er sich nochmals um die Europäisierung des weltweit einmaligen Angebots bemühen. Finnland, Schweden, Norwegen und Holland haben bereits zugesagt. Die zum zweiten Mal in unseren Gewässern gesegelte Classic Week hat Horns für 2010 natürlich längst in der Pipeline. Das alles bahnt Horns nebenher an, zusätzlich zum Privatleben und dem Betrieb zweier Schiffe. Seine neue Lebensgefährtin machte neulich eine historische 5 mR Yacht flott. Im Unterschied zu manchem Küstenbewohner ist ihm das Metier nicht in die Wiege gelegt. Horns wächst in einer Flensburger Lehrerfamilie auf, wo es eher um Latein und Griechisch als um die in dieser Stadt so nahe liegende, außerdem eindeutig interessantere Freizeitbeschäftigung Segeln geht. Irgendwann ergab sich dann für den Jugendlichen mal eine Mitsegelgelegenheit im Flensburger Segel Club. „Da wurdest Du als junger Vorschoter wie ein Hiwi behandelt, musstest dauernd irgendwelche Honoratioren und Heinis da grüßen, Flaggen dippen. Nö, das war’s nicht“ erinnert Horns den abtörnenden Probeschlag in die Welt des Herrensegelns. Horns geht rudern, tobt sich im Einer, Zweier oder Achter auf der Flensburger Förde aus, wo es mehr um Sport als Status und mit Gleichaltrigen ins Geschirr geht. Zum Segeln gelangt Horns erst Ende der 70er Jahre in Kiel. Da fährt er mit einer kolossalen 22 m Gaffelketsch allerhand Eiche spazieren und ertischlert sich seinen Anteil an der „Rhea“ ex. „Juliane von Holdt“, die 1900 im dänischen Nyborg als Arbeitsboot vom Stapel lief. In der Zwischenzeit hat er den schönen Beruf des Tischlerhandwerks ergriffen, anstatt wie in Kiel studiert Biologie und Geografie zu unterrichten. Damit ist er dem damals absehbaren Thema seines Lebens beruflich Welten näher, als zwischen Pult und Tafel. Einige Sommer genießt Horns das amphibische Leben zwischen Kiel und der dänischen Südsee. Als „Rhea“ für einträgliche Charterfahrten zum Mittelmeer verlegt wird, steigt Horns aus. „Ich möchte nicht tausend Kilometer weit zum segeln fliegen, wenn ich zu Fuß an die Förde gehen kann.“ 1984 kauft er „Piraya“, eine 7 KR Slup mit seegängig weichen Linien und gestrecktem Aufbau über einem spannungsreichen Decksprung. Mit 10,20 x 2,60 m und 47 Quadratmetern am Wind zählt sie nicht zu den spektakulär großen Schiffen der Förde. Dafür ist es ein berühmter Bootstyp. „Piraya“ ist ein slupgetakelter Nachbau der legendären „Störtebeker III“, mit der Ludwig Schlimbach in den 30er Jahren einhand in 59 Tagen von Lissabon nach New York segelte. Seit der Atlantiküberquerung ist der Bootstyp für manchen gestandenen Segler ein Traumschiff, nicht zuletzt, weil es aus einem guten Stall kommt, gezeichnet von Henry Rasmussen und gebaut bei A&R. „Piraya“ entstand 1949 für den Vorsitzenden des Weser-Yachtclubs. Henry Wilkens segelte manche Nordseewoche, das Skagenrennen, Gotland Rund Regatten mit dem Schiff und damals lernten der heutige A&R Werftchef Hermann Schaedla nebst Betriebsleiter Horst Lehnert auf „Piraya“ das Handwerk mit Schot und Pinne. Der zweite Eigner vergnügte sich bei Rote Sand Regatten, auf der Nordsee oder Helgoland-Edinburg Rennen mit dem Schiff. Als dritter „Piraya“ Eigner macht Horns kein großes Tamtam um sein Schiff. Er mag, pflegt und segelt es einfach. Deshalb hat er gleich nach der Übernahme die Reling samt Heckkorb und Sitzbank entfernt. Eine Reling ist eigentlich ganz praktisch, doch scheuern die Vorsegel am Draht und den Stützen. Außerdem ist „Piraya“ ohne Seezaun einfach übersichtlicher und so, wie in Lemwerder an den benachbarten Club geliefert. Mit Sprucemast, Leinen bezogen und weiß gemaltem Kajütdach, den ovalen und runden Bullaugen, verzinkten Beschlägen und der in Feder und Ähre auslaufenden A&R Göhl auf der weißen Bordwand sieht das Schiff im fünften Jahrzehnt aus, als sei es neulich erst aus der Halle geschoben worden. Wer wenig schnackt, kriegt was gebacken. Horns ist während der hektischen Märzwochen, wenn es zur Bootspflege genug Licht und mit etwas Glück erstmals die wünschenswerte Trockenheit im Winterlager gibt, kaum ansprechbar. Der Freundeskreis-Häuptling ist auf dem Rückweg von einem anderen Termin zum Interview ins Hamburger Univiertel gekommen. Horns ist beinahe ein wenig gesprächig geworden. Dann steckt er sich noch mal eine Pfeife an, schweigt, und gibt abnehmend Rauchzeichen. Nun hat der Häuptling genug von sich preisgegeben, mehr als sich für einen gebürtigen Flensburger, gelernten Tischler und echten Segler gehört.

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Luca, Stefano und das krumme Geschäft

Die venezianische Gondel ist Transportmittel, Prestigeobjekt und Touristenschaukel. Vor allem ist sie aber eins: krumm. Nur so kann sie seitwärts gleitend geradeaus fahren. Das ist nicht ohne weiteres zu verstehen, aber ganz einfach. Eigentlich müssten die Kanäle der amphibischen, von Wasserstraßen durchzogenen Adria-Metropole als Heimat der venezianischen Gondel der ideale Ort sein, etwas über das merkwürdig gekrümmte Gefährt der Serenissima zu erfahren. Schneller, als der Besucher gucken kann, sieht er sich in ein sacht schwankendes, mit Samt gepolstertes Gefährt komplimentiert, um alsbald zwischen verzückt lächelnden Japanern, „gorgeous“ rufenden Yankees und den ersten digital filmenden Russen zu sechst für 80 Euro eine dreiviertel Stunde durch die schattigen Häuserschluchten zu treiben. Für eine Bootspartie sind die Gondolieri zu haben, erzählen wollen sie über ihr Gefährt und ihre Arbeit aber nichts. Immerhin sind nach beharrlichem Fragen bei abends ermattendem Besucherstrom Luca Rizzi und Stefano Galletta zu Auskünften bereit. Wir treffen uns an der südlichen Treppe der hölzernen Accademia-Brücke. Rizzi und Galletta stehen mit Strohhut, blau-weiß gestreifter Marinéra, dem Matrosenhemd, in schwarzer Hose und schwarzen Schuhen am Dorsoduro-Ufer. Man glaubt gern, dass es sich bei dieser Kluft um die traditionelle Kleidung eines Gondoliere handelt. Dabei wird der Strohhut in der Zunft erst seit dem Zweiten Weltkrieg getragen, das Matrosenhemd seit den siebziger Jahren, als Venedig-Reisen mit Bootspartie üblich wurden und dem Gondoliere mit der Spezialisierung auf den Fremdenverkehr ein regelmäßiges Einkommen boten. Die Hemden waren zunächst rot-weiß, später blau-weiß gestreift. Rizzi hat die Aufgabe, mit dem Fremden zu plaudern, während Galletta mit Adleraugen den Besucherstrom über die Brücke im Blick behält und das Zaudern oder Verweilen eines Passanten als Einstieg in eine beiläufig eingefädelte Kaltakquisition nimmt. Kiellos plattbödige Konstruktion „Rudern ist einfach“, meint Rizzi. Anstrengender sei, „jeden Tag 14, 16 Stunden auf den Beinen zu sein und Kunden zu kriegen“. Die vergleichsweise einfache Handhabung ihres schwimmenden Arbeitsplatzes verdanken die Gondolieri Domenico Tramontin. Ende des 19. Jahrhunderts gab Bootsbauer Tramontin der Gondel die charakteristisch asymmetrische und gekrümmte, rechts um 24 Zentimeter gekürzte Form. Die Asymmetrie und mehr Volumen auf der linken Bootsseite gleichen das Gewicht des backbord stehenden Gondoliere aus. Der Gondelrumpf ist so geformt, dass er leer deutlich nach rechts geneigt, mit dem Gondoliere an Bord leicht nach rechts geneigt, mit kommod auf den Bänken sitzenden Passagieren waagerecht schwimmt. Die Mitte des Schiffs liegt etwa 15 Zentimeter neben der üblichen Mittschiffslinie. Die Konstruktion kündet von einer virtuosen Beherrschung der Netto- und Bruttoschwimmlage. Die gekrümmte Bootsform lässt die Gondel unabhängig von ihrer Beladung geradeaus fahren, wobei sie ständig seitwärts nach links über das Wasser rutscht. Es ist eine kiellos plattbödige Konstruktion mit seitlich gekrümmten, am Übergang zum Gondelboden geknickten Spanten. Die Vorwärtsbewegung des Gondoliere erzeugt vorübergehend einen Gierwinkel von gerade mal vier Grad, was eine geringe Kursabweichung durch das steuerbordseitige Ruder ist. Die Fèro symbolisiert die sechs Stadtteile Anhand eines CAD-Programms (Computer Aided Design) beschäftigte sich der italienische Ingenieur Carlo Donatelli eingehend mit der Schwimmlage, den Auftriebsverhältnissen, der bemerkenswerten Manövrierfähigkeit und Kursstabilität des Gefährts. Interessant ist auch die ergonomische Standposition des Gondeliere auf dem leicht abschüssigen Achterdeck des Bootes, die einst Sicht über das früher überdachte Gefährt und Diskretionsabstand zu den Passagieren bot. Nachzulesen in Carlo Donatellis „Monographie La Gondola, una stradordinaria architettura navale“. Bis zu Tramontins pfiffiger Idee wurde die venezianische Gondel von mindestens zwei Ruderern bewegt. Es wird angenommen, dass der abnehmende Reichtum in der Lagunenmetropole die Rationalisierung erzwang. Ein Gondoliere musste fortan an Land bleiben und sich anderweitig verdingen, eine frühe Maßnahme eiskalten Outplacements. Seitdem wird praktisch jede Gondel allein, „alla venezia“, also von einem hinten links stehenden, in Fahrtrichtung blickenden Gondoliere, bewegt. Die Fèro genannte stählerne Bugzierde der Gondel symbolisiert die sechs Stadtteile und ist neben dem Campanile San Marco längst Wahrzeichen Venedigs. Die Massenträgheit des Gewichts der Bug- und Heckverzierung verzögert Donatelli zufolge das Giermoment bei Geradeausfahrt und vereinfacht die einmal in Gang gesetzte Drehbewegung der Gondel, deren Wasserlinienlänge leer 55 Prozent der Gesamtlänge entspricht, beim Umschiffen von Kanaleinfahrten Die üblichen Kitschfallen Venedigs Interessant ist die Fórcola als Druckpunkt und vielseitig verwendete Führung des Ruders. Ellenbogenförmig aus Kirsch- oder osteuropäischem Walnussholz getischlert, ermöglicht sie entlang ihrer Rundungen und Ausbuchtungen vom Schnellgang über verschiedene Anlegevarianten bis zur Rückwärtsfahrt sieben verschiedene Fahrtzustände und hilft dem Könner bei der routinierten Handhabung des langen Ruders selbst in engen Kanälen. Damit ist die Fórcola vielseitiger als das Getriebe jedes modernen Autos. Sie wird binnen drei Tagen von den Remeri, den Ruder- und Fórcoletischlern geschnitzt. Drei Spezialisten dieses Handwerks gibt es dafür noch in Venedig. Sie fertigen die Fórcola je nach Größe, der Kniehöhe und Vorlieben des Gondoliere. Einem von ihnen ist mit „Fórcole, a cura di Saverio Pastor“ ein sehenswerter 136 Seiten starker Bildband gewidmet (siehe Kasten). Längst hat sich die Fórcola vom nüchternen Gebrauchsgegenstand zur kunstgewerblich herausgehobenen Skulptur verselbständigt. Für den Reisenden mit Sinn für anspruchsvolle Tischlerei ist der Besuch der Werkstatt eine Möglichkeit, die üblichen Kitschfallen Venedigs zu umschiffen und den Aufenthalt in der Stadt mit einem handwerklichen Einblick zu vertiefen. Verdienst eines Assistenzarztes Saverio Pastor, der sein Handwerk Ende der siebziger Jahre beim sogenannten Forcolekönig Giuseppe Carli und Ruderspezialisten Gino Fossetta lernte, gründete 2002 den Verein El Fèlze. „Die Gondel ist ein dynamisches System. Es setzt das Wasser, das Gefährt und den Gondoliere voraus. Erst die Fahrt durch das Wasser wandelt ihre Asymmetrie in eine Art von Symmetrie, die Fahrt geradeaus. Man kann eine Gondel nicht ohne weiteres hinter einem anderen Boot herziehen. Sie funktioniert nur mit dem Gondoliere als Antrieb und Steuermann zugleich. Alles hängt miteinander zusammen, so wie die Gondelkultur viele verschiedene Handwerke voraussetzt“, sagt Pastor. Über die Position der unten als Vierkant ausgeführten, im Bootsdeck steckenden Fórcola gibt es verschiedene Ansichten. „Vor einer Weile wurde sie dreißig, vierzig Zentimeter nach vorn gelegt. Da kann man mehr Druck machen und ist wendiger. Mit der hinten sitzenden Forcola fährt man leichter geradeaus“, berichtet Rizzi. Früher war die Gondel als privates Fortbewegungsmittel in der Stadt so selbstverständlich wie heute das Auto außerhalb Venedigs. Zum gutsituierten venezianischen Haushalt gehörte die gondola casada nebst Personal zu deren Handhabung, für Botenfahrten, zum Abholen oder Übersetzen der Familienmitglieder oder Gäste. Der in den fünfziger Jahren anschwellende Fremdenverkehr machte das Verkehrsmittel zum Highlight eines Venedig-Besuchs und damit für private Haushalte zu teuer. Er liquidierte und wandelte die Tradition zugleich. Heute verdient ein Gondoliere im Fremdenverkehr mit 80.000 Euro ungefähr so viel wie ein Assistenzarzt oder Unternehmensberater auf halber Höhe seiner Karriereleiter. Die Fèlze ist verschwunden Zwar soll es immer noch die eine oder andere Privatgondel geben, die aus sentimentalen Gründen oder Stolz gehalten wird, eher findet man sie jedoch als Exponat in der interessanten Gondelabteilung des Schifffahrtsmuseums Museo Storico Navale (Castello 2148, täglich 8.45 bis 13.30 Uhr geöffnet), wo unter anderem Peggy Guggenheims private Gondel ausgestellt ist. Von den Kanälen verschwunden und allenfalls auf historischen Gemälden und verblichenen Fotos, mit viel Glück beim Blick in die Hinterhöfe zu entdecken ist die Fèlze, ein leichter hölzerner Aufbau mit einem halbrunden Dach, einer schmalen Tür und kleinen Fenstern, der auf die Gondel gesetzt wurde. Im Sommer spendete die Kabine Schatten, die Lamellen boten Diskretion und ließen auch an heißen Tagen etwas Luft herein. In den nebligen Wintermonaten schützte die Fèlze vor Nässe und Kälte. Der Aufsatz gehörte früher zur Ausstattung jeder Gondel. Im Zeitalter der ausschließlich touristischen Nutzung ist die Fèlze verschwunden. Sie würde den Ausblick sowie Ein- und Ausstieg erschweren. Eiche, Walnuss, Kirsche und Mahagoni Die Fèlze symbolisiert die private Nutzung der Gondel und wäre vergessen, gäbe es die „El Fèlze“-Vereinigung der Künste und Gewerke, die zum Bau der Gondel beitragen, in San Marco 430 (Telefon 0 41/5 20 03 31, www.elfelze.com) nicht. Sie hat sich der Dokumentation und dem Erhalt der Jahrzehnt für Jahrzehnt nivellierten Gondelkultur verschrieben und sich bewusst nach dem bereits obsoleten Zubehör genannt. Das von ihr herausgegebene Faltblatt erklärt die zehn Gewerke von den Squerariòli genannten Bootsbauern über die als Ottonài und Fonditori bezeichneten Schlosser, die Intagiadòri (Kunstschnitzer), Tapessièri (Polsterer), Caleghèri (Schuhmacher), Remèri (Forcola- und Ruder-Tischler), Fravi (Schmiede für die Ferro-Bugverzierung), Indoradòri (Vergolder) bis hin zu den Baretèri (Hutmachern), Sartòri (Schneidern), alles in allem 28 Betriebe. Selbst das Gondelschwarz ist eine lokale Spezialität. Es wird alle zwei Jahre aufgefrischt. Die Gondel wird in fünf Arbeitsgängen aus sechs verschiedenen Hölzern und 280 Teilen binnen vier Monaten gebaut, wiegt etwa eine halbe Tonne und kostet annähernd 30.000 Euro. Sie ist etwa 10,75 Meter lang und 1,38 bis 1,75 Meter breit. Nach der Kiellegung werden zunächst drei Rippen, im Fachjargon Spanten genannt, errichtet und mit der obersten Planke stabilisiert. Dann werden sämtliche Aussteifungen des Bootskörpers mit etwa 27 Zentimeter Spantabstand von oben in die Gondel geschoben. Wie im Bootsbau üblich sind sie meist aus Eiche, wobei für die Aussteifungen mittschiffs bei der Gondel Walnuss genommen wird. Dann wird der Rohbau gedreht und fertig beplankt. Kirsche eignet sich besonders für Gravuren, Mahagoni für das aufwendig geschnitzte Vordeck, Kastanie für Bug und Heck. Die Squero San Trovaso (Dorsoduro 1097) ist neben der Tramontinschen Gondeltischlerei (Dorsoduro 1542, www.tramontingondole.it) die bekannteste Werft und für Besucher zugänglich. Leuchtend gelbe Kunststoff-Imitate 2002 gab es in Venedig noch sieben Gondelbauer. Die Werften schließen nach und nach. Es bleibt abzuwarten, ob der lokale Stolz und Sinn für die venezianische Gondel reicht, das einmalige Gefährt, sein Handwerk und seine Kultur in seiner Vielfalt zu erhalten. Die Fèlze ist bereits verschwunden. Am Geld, das der Fremdenverkehr täglich in die Stadt bringt, kann es nicht liegen. Neuerdings schaukeln Imitate aus glasfaserverstärktem Kunststoff in der Lagunenstadt. Sie sind leuchtend gelb und somit auch von strapazierten Tagestouristen als Fälschung zu erkennen. Sollten Sie mal nach Venedig kommen und den Spießrutenlauf der überall lauernden Gondolieri bis ins Revier vom dicken Rizzi und dünnen Galletta rings um die Accademia-Brücke geschafft haben, können sie bei den beiden ruhig Platz nehmen. Wir hatten ausgemacht, dass wir sie empfehlen, wenn sie was über Gondeln erzählen, und Germanen halten bekanntlich ihr Wort. Ob und wie die beiden singen, wissen wir nicht.

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Xenos und zwei Esel

Mit Eseln durch das Taygetosgebirge in Griechenland gehen ist eine schöne und mühsame Sache. Auch ein interessanter Weg zur eigenen Geduld wie zum Erkunden des Peloponnes. Die gefühlte Strecke, die Pitza, Tacia und ich seit Verlassen von Skoutari, eines Dorfes auf dem linken Mittelfinger des Peloponnes gelaufen sind, ist enorm. Gegen Mittag wollten wir den Ort verlassen. Haben wir im Prinzip auch. Doch bereits zwischen den Steinmauern der Vorgärten haben sich die Beiden begeistert über das frische Grün hergemacht. Ab und zu mahne ich geduldig zum Weitergehen und erkläre, das hier wäre eine Wanderung und keine Freßtour. Doch verstehen Esel entweder mein Bemühen um die griechische Sprache nicht, oder die Verständigung zwischen Tier und Mensch ist sowieso eine jahrtausendealte, vom Vierbeiner geschickt gepflegte Illusion. Die Einsicht meiner Weggefährten hält allenfalls ein paar Huftritte. Dann strafft sich der Strick hinter mir und ich höre wieder das Stillstand verheißende Rupf- und Mampfgeräusch. Nun muß, wer großes vor hat, erstmal Vertrauen schaffen. Das ist an der Börse nicht anders als mit Eseln. Also lasse ich sie fressen. Außerdem stellen die Beiden die Mehrheit unserer Wanderdelegation. Dass sie über hervorragende Menschenkenntnis verfügen, werde ich die nächsten Tage erfahren. Esel haben erstens einen eigenen Willen, zweitens ist er außerordentlich stark, soweit es um den stoischen Ausdruck des Nichtwollens geht. Sie laufen erst, wenn sie klargemacht haben, dass du warten mußt, bis sie bereit sind, ihre Meinung zu ändern. Das kann dauern. Wie diese Bereitschaft herzustellen ist, zählt zu den Geheimnissen der Grautiere. Es gibt keinen Zweifel, dass sich der Mensch deshalb die willenlose Gerätschaft des Automobils ausdachte. Die Sonne nimmt ihren Lauf, nähert sich der Senke zwi­schen dem Sangiasrücken und Taygetosgebirge, bläut den leicht gekräuselten lakonischen Golf. Eigentlich wollte ich immer schon mal Zeit haben, mir das in aller Ruhe anzuse­hen. Der Ginster blüht, die Schmetterlinge haben Betrieb­sausflug. Die Libellen brummen mindestens so wichtig wie unser Außenminister durch die Weltgeschichte. Die Bienen prüfen das Angebot und die Fliegen sind eh gut drauf. Vor allem da, wo Esel mit Ohren und Schwanz, der moderne Zweibeiner nicht mal mit Armen hinlangt. Wellig und unten am Wasser noch sanft hebt sich der Peloponnes aus dem Mittelmeer. Ein herrlicher Steingarten mit Oliven be­schattenen Äckern und Wiesen. Dazwischen vom Meer meistens abgewandten Ortschaften. Heimat eines bis heute zurückgezogen lebenden Menschenschlags, wie ihn Patrick Leigh Fermor in seiner Schilderung einer Wanderung durch die Manihalbinsel in den 40er und 50er Jahren in „Travels in the Southern Peloponnese“ beschrieben hat. Einzig Gythion, wo ich vor einigen Tagen den Proviant für die Tour besorgte, macht einen lebhafteren Eindruck. Pitza und Tacia fressen sich schöne pralle Grasbäuche an. Die Dorfköter kläffen nicht mehr. Das ist schön, muss aber nichts heißen. Hunde gewöhnen sich praktisch an alles. Auch an „Xenos“, den Fremden, der ver­sucht, mit zwei Eseln eine Wanderung durchs Taygetosge­birge zu machen und sich eigentlich noch da aufhält, wo er losgegangen ist. So was bebellt kein griechischer Dorfköter länger, als die arbeitende Bevölkerung des Ameisenhau­fens neben mir benötigt, ein Blatt quer über den Pfad zu schleppen. Ameisen, Käfer. Es braucht Pitza und Tacia, damit ich mir solchen Kinderkram mal wieder ansehe. Wie man zum Esel kommt Die braunen Felsen und die grüne Macchia rücken in den satten Farben der Nachmittagssonne vom gegenüber lie­genden Peloponnes Finger näher. Alles sehr schön. Noch heute vormittag hatte ich keinen Plan, wie ich der Tiere überhaupt habhaft werden könne. Tacia rotierte in einem Tempo am Strick um den Olivenbaum, wie ich es von Dec­kenventilatoren aus den Tropen kannte. Ich sah mich bereits mit lädiertem Nasenbein von einem Huftritt nie­dergestreckt auf dem Boden wälzen, die Dorfgemeinschaft und die Esel ratlos drum herum. Dann zeigt mir Bäuerin Mansothalassitis, wie man zum Esel kommt. Man geht ent­schlossen, ohne jedes Zaudern (das merken Tiere auch wenn sie nicht gucken), hin und ergreift den Strick. So stand erst Tacia, dann Pitza geduldig auf dem Dorfplatz, während ich die strohgepolsterten Sättel zurechtrückte und mein Ge­päck aufs Holzgestell band. Die Ohren wedelten hin und her. Amüsiert, angriffslustig, neugierig, abenteuerlustig? Die beiden sagten nichts. Ich auch nicht. Skeptisch wogten die Köpfe des versammelten Ältestenrats. Er schloß Wetten ab, dass wir drei es nicht über die Dorfgrenze von Skoutari hin­aus schaffen würden. Ob die alten Leute jetzt feixend hinter den Gardinen hocken und amüsiert unser Vorankommen beobachten? Wahrscheinlich haben wir die Dorfgrenze noch vor uns. Dabei hatte ich es mir zuhause mit dem Fin­ger auf der Karte so schön vorgestellt. Ich leihe irgendwo rings um Gythion zwei Esel. Die beiden tragen mein Ge­päck. Wir bummeln durch die spartanische Ebene, biegen ins Taygetos Gebirge ab und queren den Rücken an einer passablen Stelle nach Kardamili. Immerhin gehen wir ge­gen abend noch ein Stückchen. Zwei Olivenbäume, ein Zelt. Was brauchen Tier und Mensch zum Übernachten mehr? Kalí níchta. Den nächsten Tag wollen wir weiterziehen. Ach was: ich ziehe Pitza und Tacia. Dabei sieht es bei den rings ums Mittelmeer Geborenen so leicht aus. Sie gehen. Gelassen, wie der mediterrane Mensch das eben macht. Denn er hat das Leben nicht vor sich. Er lebt schon. Ich dagegen ziehe meine Esel über die Straße von Areopolis nach Gythion. Ist der Deutsche nur glücklich, wenn er auch im Urlaub schuften kann? Dann beschert ein Zufall die Entdeckung, wie bequem es sich hinter statt vor dem Esel geht. Das macht unser phil­hellenisches Stop and Go komfortabel wie bei Hermann Ludwig Heinrich von Pückler-Muskau, dem einen oder anderen Lesenden ud Reisenden vielleicht als Fürst Pückler-Muskau bekannt. Er erkundet im 19. Jahrhundert unter anderem den Peloponnes zu Fuß. Der Esel braucht das Gefühl, er würde entscheiden wo es langgeht. Dann läuft er. Übernimmt der Zweibeiner diese Rolle, bleiben Grautiere stehen und fres­sen. „He, Xenos! Was machst Du da mit den Eseln?“ ruft es aus dem Olivenhain. Es braucht eine Weile, bis ich das sonnengegerbte, von Arbeit, Alter und manchem Ouzou ge­prägte Gesicht zwischen den Zweigen entdecke. Ghía su, Hallo! Der Esel ist zwar ein schweigsames Tier, stellt dafür al­lerorten Kontakt her, sogar zu den arg konservativen, gegenüber mo­dernen Erscheinungen wie dem Fremdenverkehr abgewandten Bewohnern der Manihalbinsel. Ich be­komme das erste von vielen Angeboten der Reise für „meine“ Esel. Efcharistò, danke. Ich möchte Pitza und Tacia behalten. Denn ich mag meine Esel schon ein bisschen. Sie öffnen Augen, Nase und Ohren für Dinge, die zu sehen, riechen, hören ich vergaß. Cherete, adio! Wolfsmilchsträucher, Spornblumen, Ginster Es dauert, bis ich das zahlenfixierte Leistungsdenken ab­streife wie eine unnötige Jacke. Wozu ist es wichtig, ob wir am Tag acht oder 25 Kilometer laufen? Natürlich habe ich Schwierigkeiten, mich aufs Zigeunern einzulassen. Nach und nach nehme ich die Schönheit des großen Stein­gartens wahr, der sich zwischen den Dörfern des Taygetos aus­breitet. Im späten Frühjahr laufen wir um leuchtend gelbe, pilzförmige Wolfsmilchsträucher, queren Felder voll roter Spornblumen und blühendem Ginster. Ich rieche den aromatischen Duft der Tannen, der Kiefern und Zypressen weiter oben, spüre den heißen Wind, den die Thermik manchmal aus den Tälern in die angenehm kühle Brise hinauf schickt. Das Glück der Kindheit: den Tag dreckig beginnen und ohne Waschzwang eingeferkelt beenden. Nachdem es eine Weile her ist, dass ich die Anarchie genoß, mich nicht waschen zu können, freue ich mich dennoch über eine Quelle mit einem gara­gengroßen Bassin im Schatten stattlicher Kastanienbäume. Man wird älter. Ich klettere ins eiskalte Wasser, lege den Kopf in den Nacken, blinzele unter das leuchtend grüne Laub. Die Gedanken treiben. Tacia steht wie ange­wachsen und blickt zu mir hinüber, die flauschigen Eselsohren aufmerksam nach vorne gerichtet: „Xenos.“ Wenige Schritte dahinter Pitza. Denken Esel eigentlich? Wenn ja: was? Jedenfalls gucken sie mit ihrem Pokerface immer gleich lieb. Richtig böse sein kann ich ihnen nie. Auch nicht, als Pitza sich mit gekonnter Kopfdrehung aus dem Halfter windet und mit Xenos’ Ledertasche samt Drachmen, Geld, Fotoapparat, Papieren, Paß und Ticket für einen Tag abhaut. Dass es mir gelingt, sie ohne fremde Hilfe und Unglück mit eigenen Händen einzu­fangen, erfüllt mich für Tage mit Stolz. Als meine Begleite­rinnen sich aus unerfindlichen Gründen weigern, mit mir eine daumenbreite Wasserrinne zu queren, bin ich zwar fällig für eine willenlose Gerätschaft wie das Auto, doch wissen die beiden, wie schnell Zweibeiner zur Versöhnung bereit sind. Nur mit den Ohren verraten sie sich. Mal läßt Pitza sie streitlustig nach hinten über den Kopf ragen, dann stellt Tacia ihre schlanken Löffel senkrecht nach oben – die Öffnung interessiert nach vorn gerichtet. Und während Xe­nos badet, gönnen sich die beiden auch was. Im Dreck wäl­zend verschwinden sie in einer Staubwolke. Die Hufe wir­beln herum. Wie praktisch, dass ich den beiden vorhin das Gepäck abnahm. Esel wälzen sich nämlich auch mit allem drum und dran. Auch ich in Lakonien Gegen Abend kocht Xenos Nudeln mit einer archaisch schlichten Soße. Die Verhältnisse müssen paradiesisch sein, damit diese Absage an die gesamte abendländische Kochkunst schmeckt. Et in Lakonia ego. So heißt die süd­lich an Arkadien grenzende Provinz. Einst setzten die Spartaner in diesen Wäldern ihre Jünglinge aus – ohne Esel natürlich – und warteten, wer wann und wie zurück kam. Eine Mutprobe für die gerade zwölfjährigen Jungen. Da­mals gab es hier Bären und Wölfe. Heute Nudeln kochende Germanen. Auch ich in Lakonien. Browsen, chatten, mailen – alles Mumpitz. Ich logge mich aus einer Welt, in der das Banale in Englisch daherkommt und bei angehobe­ner Flatrate glänzende Aussichten verspricht. Solche Einsichten ver­mitteln Pitza, Tacia und der Tagetos. Dafür schiebe ich den Beiden eine Packung Papadopoulos Kekse Scheibe für Scheibe zwischen die Schneidezähne. Orangen mögen die Beiden auch. Von Dorf zu Dorf eilt uns die Kunde von den Eseln und dem Fremden voraus. Meine Begleitung wird allerorten so fachmännisch begutachtet, als sei ich mit einer Motoguzzi in ein sizilianisches Nest gekommen. In Panitza klöne ich mit dem Krämer, in Konakia kommt der Dorfpoli­zist, in Kokkina Louria hat der Dorfpope für den Fremden Zeit. Verschlafene Dörfer, von holprigen Wegen durchkreuzt: eine Kirche, eine Kneipe, ein Laden, wo die Frauen in Puschen einkaufen. „He Xenos! Was machst Du mit den Eseln?“ erkundigt sich Nikos am Ortseingang von Melissa. „Was? Verreisen? Wohin?“ Ich nicke auf den Bergsattel mit dem Kloster Pana­gia Giatrissa über uns. Nikos schüttelt den Kopf. Gestern erst fiel eine Horde schweißgebadeter, krebsroter Holländer (Holländer, in kurzen Hosen) im Laufschritt in die Gaststätte des Dorfes ein, orderte Mineralwasser, guckte nach Ein­nahme des Getränks auf die Uhr, schob die Münzen auf den Blechtisch und verschwand talwärts Richtung Sparta. Mo­derne Freizeitgestaltung. Jetzt kommt einer mit zwei Eseln. „Hör mal, Xenos: es gibt praktische japanische Esel. Dats­uns, Toyotas und Mazdas. Pickups mit Ladefläche. Arbeit­stiere, die parieren. Die müssen bergauf nicht mit Stöckchen und Hella-Rufen angetrieben werden. Und haben ein baßstarkes Radio und eine Steckdose zum Laden des Telefons. Damit bist Du in einer halben Stunde oben am Kloster Panagia Giatrissa. Es ist ganz leicht. Du schwitzt nicht. Du guckst Dir alles an und wirst nicht mal dreckig dabei.“ Nikos hat recht. Die Beine sind schwer, der Hintern wund, der Magen knurrt. Die Füße wollen nur noch aus den Bergstiefeln. Nikos grinst, nimmt mir die Stricke aus der Hand, flüstert Tacia und Pitza etwas ins Ohr. Dann verschwindet der liebenswerte, schwere Mann mit seiner einmachgläserdicken Brille und dem großka­rierten Hemd mit den Beiden im Dunkeln. Im Lichtkegel einer Glühbirne über Melissas Taverne hockt ein Dutzend Dörfler in der sternenklaren, angenehm kühlen Nacht. Sie haben schon gegessen. Doch finden sich noch Reste. Skeptisch beobachten sie den Fremden, der sich hungrig über Brot, Schafskäse, Wein, Oliven und zwei ge­bratene Eier zu Bratkartoffeln hermacht. Sogar ein Platz zum Schlafen findet sich in Melissa. Ein guter Geist hat Ker­zen angezündet. So finde ich die Kapelle am Ortseingang in der Nacht. Ich breite die Isomatte zu Füßen der in gold und silbernem Blech ge­prägten Ikonen aus. Die Apostel lä­cheln mild. Das Gemäuer schickt die Sonne des Tages als Wärme in den kleinen Raum. In einem Got­teshaus hat Xenos noch nicht genächtigt. Tacia und Pitza schweigen sich eine Weile vor der Kapelle an, dann be­quemt sich jede unter ihren Olivenbaum. Nach zwei Tagen bietet der Taygetos einen Blick auf den nachmittags funkelnden Messenischen Golf. Es ist herrlich kühl. Der Forstweg durch die duftenden Tannen erinnert an den Schwarzwald. Da und dort ein Bach. Gegen fünf entdeckt Xenos eine Lichtung und schlägt sein Zelt auf. In Kardamili endet das Eselsglück des Fremden. Rummel, eine Tankstelle, ein Bus, vor dem sich meine Begleiterinnen arg fürchten. Hupen, Gelächter, Sprüche. Grinsende Lands­leute. Kinder, die den Tieren Wasser bringen. Che­rete, adio. Ich klopfe den schlanken Hals von Tacia, kraule die weichen Ohren und den flauschigen Haar­schopf über Pitzas Stirn. Warum kann ich die beiden nicht mitneh­men? „Hört mal: ich muß wieder zurück. Browsen, mailen, chatten, ihr wißt ja: den ganzen Mumpitz.“ Pitza und Tacia sagen nichts. Diesmal ist Xenos sicher, dass die Beiden ihn nicht verstehen.

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Doppelleben

Der Tischler Jürgen Renken betreibt zwei Unternehmen. In dem einen verdient er sein Brot. In dem anderen verwirklicht er sich selbst. Von Erdmann Braschos Zwischen dem Niemandsland der vom Altonaer Bahnhof nordwärts führenden Gleise und der Elbtunnel-Autobahn A7 gibt es ein Gewerbegebiet mit Autowerkstätten, Großhändlern und Speditionen. Mit ihren baumbestandenen Straßen ist die Gegend im Sommer zwar grün. Schön ist sie aber nicht. In Gewerbegebiete fährt man, wenn es sein muss. Dennoch ist es hinter den Glasbausteinen einer nüchternen Betonhalle auf dem Hof der Schützenstraße 107 jahraus jahrein abends länger hell als üblich. Auch jeden Samstag ist hier zur besten Wochenmarkt- und Latte Macchiato-Zeit etwas los. Selbst an eigentlich dem Privatleben gewidmeten Weihnachtsfeiertagen, an Neujahr und selbstverständlich mindestens einem der Oster- oder Pfingstfeiertage wird hier in der kostbaren Stille exklusiver Sonderschichten gearbeitet. Hier wirkt Jürgen Renken und – keine Sorge – es geht nicht um einen Nerd, Workaholic oder schrägen Vogel ohne Frau, Freunde und Privatleben. Renken hat das alles, gehört aber zu den Menschen, die neben ihrem eigentlichen Beruf noch einen zweiten brauchen. Weniger zum Geldverdienen, wobei Renken das Pläsier nicht als brotlose Liebhaberei betreibt. Dazu ist er in seinem Metier zu gut. Renken ist einer der besten Restauratoren von Mahagoni-Motorbooten der Marke Riva. Selbst seine Rivalen in Holland, Berlin, Süddeutschland oder Italien nicken anerkennend. Die übliche Arbeitszeit ist er mit der Planung und Einrichtung von Arztpraxen, Bars, Kantinen, Kinos, Restaurants, Wellnessanlagen oder Werbeagenturen beschäftigt. Das ist ein Büro- und Strippenzieher-Job mit häufigen Abstimmungen, zahlreichen Emails und oft klingelndem Handy. Man kann sich da selten ganz auf eine Sache konzentrieren. Renken hat das so gewollt, weil sich in dieser Branche mit dem Entwurf von Interieurs und der Organisation von handwerklicher Arbeit eher Geld verdienen lässt, als mit dessen Ausführung. Die Sache hat nur einen Haken. Renken mag sein Handwerk. Er hängt an der Ausführung. „Mein Großvater, Vater, Onkel und Bruder waren, oder sind alle Tischler“ berichtet er. Damals, als er in der elterlichen Möbelbaufirma lernte, beschäftigte sein Vater 120 Leute. Die Arbeit im Betrieb verlangte Subordination und etwas was sein Vater als Haarschnitt akzeptiert hätte. Damals trug Mann das Haar aus programmatischen Gründen auch nach der Sturm und Drang Zeit noch lang. Renken beantwortete das väterliche Ultimatum auf seine Weise. Er entschied sich für seine Haare und ging, blieb nach dem Studium der Holzbetriebstechnik und Innenarchitektur in Hildesheim aber seinem Metier treu. Er tischlerte in Bremen Innenausbauten. „Das lief eine Weile, irgendwann aber nicht mehr“ erinnert Renken. Zeit für was Neues. Renken zog nach Hamburg und gründete Ende der achtziger Jahre eine Präsentationsplattform für Möbeldesigner. Den Namen hatte er von der New-Wave und Punk-Band „Public Image Ltd.“ Leider hatte die pfiffige Idee mit coolem Rubrum einen Nachteil. Sie funktionierte nicht. Also kehrte Renken zum Ladenbau zurück, jetzt als Gestalter und Organisator. Mittlerweile hat seine Public Image Design GmbH mehr als hundert Objekte geplant und eingerichtet, zahlreiche UfA-Kinos, Meridian Spa-Anlagen, Anwaltskanzleien, Buchhandlungen oder Friseursalons, nicht allein in Hamburg, sondern überall in Deutschland. In Prag hat er eine große Freizeitanlage geplant, in London eine Boutique eingerichtet und in Paris eine Wohnung. Renken hängt das nicht an die große Glocke. Man muss ihn beharrlich danach fragen. Dennoch ist ihm der Erfolg anzumerken. Er wird an seiner Haltung, seinem Selbstbewusstsein und seiner Kleidung deutlich. Renken ist auf legere Art zu gut für das angezogen, was er nebenher macht. Renken sitzt früher als die meisten Kreativen am Schreibtisch seines Büros in der Deichstraße mit Blick aufs Nicolaifleet. Kurz vor Sieben gibt’s in der Innenstadt immer einen Parkplatz für seinen Audi Q7 und Renken kann schon mal mindestens zwei Stunden ungestört von Anrufen durchziehen. So wurde aus dem Rohrkrepierer ein Geschäft. Ende der Neunziger Jahre konnte Renken, dem es eigenen Worten zufolge zwischendurch „richtig dreckig gegangen“ war, wieder an die Ausführung denken. An sein Handwerk als Ausgleich zur Kopfarbeit, an den Rückzug in die ungestörte Beschäftigung mit einer einzigen Aufgabe. Er musste nur eine Nische finden, wo solche Arbeit auch bezahlt wird. Renken erinnerte seine Bremer Zeit. Als Jugendlicher hatte er damals in der Werft von Hermann Claus Bekanntschaft mit eleganten offenen Sperrholzmotorbooten gemacht. Also beugte er sich im externen Lager seines Betriebs im Gewerbegebiet hinter den Gleisen über eine renovierungsbedürftige „Riva Junior“ von Anno 1968. Ein Magagoniboot mit welkem Lack, erblindeten Chrombeschlägen und stotterndem Motor. In aller Stille verwandelte er das Problem bis Sommer 2002 in eine sehenswerte Antiquität. Diese Restaurierung war Renkens Visitenkarte in der speziellen bis pingeligen Szene der Riva-Liebhaber. Das ist eine Art Oldtimer-Club für norditalienische Wasserstraßenkreuzer, wie sie von 1949 bis in die siebziger Jahre für vermögende Leute entstanden, die sich gern in einem schwimmenden Edelholz-Kabriolett zum kernigen Klang amerikanischer Vintage Achtzylinder den Fahrtwind um die Nase wehen lassen. Etwa die Hälfte der insgesamt viertausend klassischen Riva-Boote existiert noch. Die Flotte ist eine limited edition, bei der es um jedes einzelne Liebhaberstück geht. Die obligatorischen Stehempfänge und Galadinner, den Smalltalk im blauen Blazer zur weißen Hose überlässt er gern anderen. Renken ist aus völlig anderem Holz als beispielsweise sein Konkurrent Norman Bauer von der Berliner Boat Lounge. Der umgängliche, gewinnende, gut aussehende Bauer ist bei den Veranstaltungen als eine Art Riva-Nanny präsent. Ein prototypischer Außendienstler. Der joviale Bauer bietet das Rundum Sorglos Paket für die empfindlichen Boote mit kapriziöser Motorisierung. Renken ist der zurückgezogene Instrumentenbauer, der seinen Kunden ein abgefahrenes Maß an handwerklicher Perfektion übergibt und annimmt, dass diese damit umzugehen wissen. Wenn es sein muss ist Renken natürlich auch mit Tat und Rat zur Stelle. Er wurde sogar schon bei einem Stehempfang und Galadinner gesehen. Freunde berichten schmunzelnd, dass Renken da bei der erstbesten Gelegenheit wieder verschwindet. Mittlerweile ist aus Renkens Feierabendbeschäftigung ein Betrieb mit zwei Angestellten geworden. Alexander Mühle-Corcoran und Johannes Schultze arbeiten jeden Tag hier. Renken ist ab 14 Uhr dabei. Die drei beschäftigen sich gerade mit der zwölften Riva. Mal ist nur das Konzertflügelfinish der 17, abschließend mit viertausender-Körnung in der Qualität eines Spiegelschliffs polierten Lackschichten gefragt. Manchmal das ganze Programm mit neuen Planken. Die intensive Beschäftigung mit solch einem Boot kann ohne weiteres hundert Tausend Euro, auch deutlich mehr kosten. Wenn Renken einen Kunden interessant findet oder mag, dann deckelt er auch mal das Budget und rechnet nicht alle Stunden ab. Wie bei einem Möbelrestaurator herrscht in der Werkstatt  meditative Stille. Ablenkenden Dudelfunk braucht es nicht. Die Arbeit reicht. Geredet wird nur, wenn es sein muss. Renken ist ein ernster Mann und das Handwerk anspruchsvoll. Ein abrutschender Stechbeitel oder ein verkanteter Hobel – der Schaden wäre groß. „Wir machen hier praktisch nichts zweimal“ berichtet er. Als eine seiner Arbeiten, das letzte Exemplar der Tritone-Serie anlässlich der Hamburger Bootsausstellung frisch restauriert gezeigt wurde, sah sich Thomas Lütje, der langjährige Inhaber einer angesehenen Werft für gediegene Yacht-Sonderanfertigungen das glänzende Finish des klarlackierten Mahagoni lange aus vielen Blickwinkeln an, ging nach einer Weile kopfschüttelnd vom Messestand und meinte: „Das ist ja Wahnsinn. Ich möchte nicht wissen, wie viele Stunden da drin stecken! So ein Möbel darf man gar nicht mehr in die Elbe heben.“  Das Exponat ist Ergebnis einer fast zweijährigen Beschäftigung und entsprechend enger Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Bootsrestaurator. Konrad Börries, der Eigner des Bootes lernte Renken dabei „als Handwerker kennen, der die Arbeit in seiner Werkstatt braucht, weil er da kaum Zugeständnisse an die heute übliche Optimierung von Arbeitsabläufen und sogenannte „Benchmark-Mentalität“ machen muss. Ich glaube Renken ist ein unruhiger Mensch, der einen hohen Anspruch an seine Arbeit hat und beim Bootsbau Ruhe findet, ein Rebell und Ästhet zugleich.“ Der Berliner Verleger „bewundert seine Sorgfalt. Sie wird selten geliefert, auch wenn sie bezahlt wurde. Man braucht dazu eine Haltung, die vielleicht mit der Anfertigung japanischer Messer vergleichbar ist.“ Börries verstand es übrigens, den Bootsbauer seines Vertrauens weitgehend nach eigenem Gusto machen zu lassen. Renken geht freundlich mit Besuchern und Kunden um. Doch kann eine Klientel, die sich überwiegend oder ganz den schönen Seiten des Lebens widmet, anstrengend sein. So hat er letztes Jahr einen Auftraggeber gebeten, sein halbfertiges Boot wieder abzuholen. „Es mag ja manche Enttäuschung mit Handwerkern geben. Ich verstehe auch, dass Mikromanagement mit ständiger Abfrage des Arbeitsfortschritts gerade schick ist. Aber die Kontrolle muss in einem erträglichen Verhältnis zur eigentlichen Arbeit bleiben. Sonst macht es keinen Spaß“ erläutert Renken die Verteidigung seiner Nische. „Ohne Vertrauen, das hier konzentriert gearbeitet statt getrödelt wird, geht es nicht.“ Aus diesem Eklat wurde „für beide Seiten ein zufriedenstellendes, vertrauensvolles Verhältnis“. Der Kunde ließ locker. Das Boot blieb in der Halle. Übrigens trägt Renken auch mit Anfang Sechzig das Haar länger als andere seines Alters. Das Leben mag sich ändern. Doch kann man sich bei entscheidend erscheinenden Gesichtspunkten treu bleiben. Viele Handwerker können mehr als das, was sie machen dürfen, sprich ihnen bezahlt wird. Für dieses Dilemma aus der Realität beruflicher Rahmenbedingungen und eigenem Anspruch hat Renken mit seinem clever getakteten Doppelleben als Einrichter, Planer, Organisator und nebenberuflicher Restaurator kostbarer Boote seine Nische gefunden. Dafür sitzt er am Schreibtisch wenn andere schlaftrunken nach dem Wecker tasten. Dafür beugt er sich während unwirtlicher Wintermonate zur besten Wochenmarkt- und Latte Macchiato-Zeit mit klammen Fingern in der notorisch kalten und dunklen Werkstatt über seine Bootsbaustelle. Am liebsten allein während kostbarer Stunden exklusiver Sonderschichten. Fast jeden Tag, außer Sonntags. Da ruht Renken sich aus. Brand eins Heft zum Thema Motivation

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Das Buch zur Pause

Ein Gespräch über Risiken und Nebenwirkungen einer in Däemark häufigen Namenskombination. Von Erdmann Braschos Frau Hansen, Ihren Namen tragen in Dänemark Abertausende von Frauen. Stört Sie das? Manchmal gibt es komische Bemerkungen. Oder die Anregung, ich solle mir endlich einen Künstlernamen zulegen. Und, haben Sie einen? Nein. Ich habe stattdessen die Linda Hansens in meinem Land fotografiert. Ärgern Sie sich so über ihren Namen? Es war eigentlich alles okay, bis die Kuratorin einer Ausstellung vor einigen Jahren meinte, als Linda Hansen könne ich in meinem Job kaum erfolgreich sein. Elf Buchstaben, bloß die falschen. Wären 13, wie zum Beispiel die von Pipilotti Rist besser? Was macht denn die Frau? Videogeschichten, die keiner versteht. Den Namen hab’ ich mir immerhin gemerkt. Bis zur Bemerkung der Kuratorin hatte ich meinen Namen nicht für eine Behinderung gehalten. Wieviele Linda Hansens gibt’s denn in Dänemark? Es gibt rund 250.000 Leute namens Hansen. 20.000 Frauen heißen Linda mit Vornamen. Bei fünf Millionen Einwohnern… … heißen 530 Linda Hansen, haben allerdings noch einen Mittelnamen. Ich konzentrierte mich bei den Porträts auf jene 80-100, die exakt wie ich heißen, also die echten Linda Hansens. Von den Echten haben Sie dann 28 mit 44 Fotos portraitiert, ohne Bildzeilen. Mutig. Was ist daran mutig? Heute wird alles betextet, angedacht bis vorgekaut serviert. Es darf nichts für sich sprechen. Ich möchte, daß man sich die Fotos unbeeinflußt von nebensächlichen Informationen wie Adresse, Alter, Beruf ansieht. Wird uns das Hingucken und Nachdenken genommen? Wie oft wird die Wahrnehmung durch Bildzeilen auf die falsche Fährte gelockt! Es geht mir um Vorurteile, die schnell getroffenen Entscheidungen und Zuordnungen, die wir jeden Tag je nach Aussehen, Wohnlage oder Namen treffen. Wenn ich zum Beispiel telefoniere und meinen Namen nenne, gibt es oft diese kleine Pause. Was passiert da? Hansen ist der zweithäufigste Familienname in Dänemark. Zusammen mit bestimmten Vornamen wie Linda klingt er etwas gewöhnlich. Früher hätte man gesagt: Working class. Ist doch nicht übel, heute zur berufstätigen Bevölkerung zu zählen. Natürlich, nur wissen Sie schon, was gemeint ist. Die Pause. Ja, die Pause und das Grinsen. Sie sehen es durchs Telefon. Um diese kleine Pause geht es in ihrem Buch? Genau, um den Augenblick, wo sich der Vor- und Nachname zum Klischee verdichtet. Hätten Sie nicht auf Porträts, die das Klischee so derb bestätigen, in Ihrem Buch verzichten können? Ich mache kein Marketing. Ich bin Fotografin. Gucken Ihre Linda Hansens deshalb selbstbewußt und stolz in die Kamera? Ich begann vorsichtig, mit einem Brief, faßte nach zwei Wochen telefonisch nach. Es war mir wichtig, daß das Linda Hansen Projekt nicht für Ulk gehalten wird. Haben sie Absagen bekommen? Ja, drei oder vier. Ulkig ist ihr Buch dennoch, die Bildauswahl keß. Es ist mir ernst. Bei den Porträts geht es um Vorurteile, die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen. Wir nutzen wenige vordergründige Informationen, um jemand einzuschätzen. Name, Adresse, Beruf, Klamotten, Auto – schon geht die ganze Chose los. Wir urteilen blitzartig. Deshalb war es mir wichtig, die Linda Hansens  möglichst ehrlich zu porträtieren. Ich wollte in die Augen sehen, das Gesicht, den Körper zeigen, weniger das jeweilige Milieu abbilden. Ich fotografierte jede Frau mehrmals. Oft verbrachten wir einen ganzen Tag zusammen. Ich wollte hinter die übliche aufgesetzt reservierte Freundlichkeit, diese „ich bin gut drauf“ Maske gelangen. Wie geht das? Wir haben geredet, so von Linda zu Linda. Oft sind wir rasch zu  persönlichen Themen gekommen. Wir Frauen sind verletzlich. Das wollte ich auch zeigen. Interessant ist die Haltung der Hände. Was macht der fotografierte Mensch mit seinen Händen? Er hält sich, oder die Kinder fest. Er legt die Hände ab, verknotet sie oder läßt sie hängen. Manche Linda hat ja auch einen Hund, da haben die Hände etwas zu tun. Linda Hansen: Linda Hansen. Multivers APS Forlag, Kopenhagen, 96 Seiten, gebunden, DKK 248, ISBN 87-7917-056-0

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Der segelnde Impressionist

Es gibt zwei Möglichkeiten sich mit dem Segeln zu beschäftigen. Man kann seine kostbare Freizeit mit dem Surrogat, dem Traum vom großen Boot und dessen Instandhaltung vertrödeln. Oder man baut sich eins in der passenden Größe und segelt einfach. Auf der Alster, Elbe, der Kieler oder Flensburger Förde beispielsweise, auf dem Ratzeburger See oder dem Golf von Saint Tropez. Hinnerk Bodendieck und Kronprinzessin Ute Die Sache mit dem Bau hat der Hamburger Grafiker, Illustrator und Maler Hinnerk Bodendieck auf naheliegende Weise gelöst. Weil Garagen, Schuppen oder Zelte im Winter dunkel, zugig und unnötig teuer sind, baute er das Boot in der Wohnung seiner Eltern, was auch für Bodendiecks Eltern Vorteile hatte: Sie wussten, was ihr Junge in der Freizeit so macht. Der Hobby-Bootsbauer hatte es warm, was auch dem Anrühren und Verarbeitung, dem Trocknen und Aushärten der verarbeiteten Kleber, Harze und Lacke zugute kam. Er hatte gescheites Licht. Außerdem gab es zwischendurch dank kurzer Wege zur Pantry mal einen Tee und was zu essen. Wer den Bootsnamen „Kronprinzessin Ute“ mit Hinweis auf den Heimathafen „Blankenese“ – angebracht in goldenen Lettern – für kapriziös hält, sollte wissen: Es handelt es sich erstens um einen Zweimaster. Zweitens die Nachahmung eines Beibootes zum artgerechten Übersetzen von Kapitänen oder (mindestens) Kommandanten. Drittens ist der Bootsname ein Dank an Bodendiecks Mutter. Die Gig ist ein leichtes, geklinkertes Ruderbeiboot mit Hilfsbesegelung, also das klassische Gefährt zur Fortbewegung auf dem Wasser mit umweltfreundlichem Hybridantrieb. Dabei ist die Inanspruchnahme des Windes beliebter. Rudern ist unnötig anstrengend und gibt Schwielen an den Händen. Als Bodendieck die Handhabung der Jolle auf allen möglichen Gewässern geübt hatte, wollte er mal nach Saint Tropez. Da muß jeder Segler mal hin. Natürlich nicht irgendwann im Sommer. Da kommt außer obszön reichen amerikanischen Millionären oder russischen Oligarchen fast jeder rein. Der wahre Weg zu den Voiles de Saint Tropez Bodendiek wollte in der ersten Oktoberwoche zum Klassiker gucken zu den Voiles de Saint Tropez. Diesmal kam statt seinem Vater Bodendiecks treuer Matrose Fiete Girardet mit. Die beiden packten die Jolle auf den Hänger und putzten die 1.600 Kilometer bis Port Grimaud in einer Sitzung weg. Das Gefährt war flott eingewassert, aufgetakelt und eingeräumt. Denn der einzig wahre Weg zum Vieux Port von Saint Tropez, diesem Concours des verfeinerten maritimen Geschmacks, zum Gral klassischer Yachten geht nur auf eigenem Kiel und angemessen besegelt. Eigentlich kommt man während der Segelwoche nur nach Anmeldung in den Vieux Port, sofern man ein unverbaut klassisches Boot hat oder ein modernes, wo Wally drauf steht. Denn der Hafen ist dann eine geschlossene Gesellschaft. Die 16 Fuß Jolle, deren Name und Heimat in goldenen Lettern auf dem schwarzen obersten Plankengang angebracht ist, steuerte unbehelligt von Pfiffen, Platzverweisen und bulligen Türstehern zwischen der langen Mole und der vorgelagerten Marina, wo das moderne Vollplastik Kroppzeug ganzjährig Seepocken ansetzt, die Arena des alten Hafens an. Sogar die Passage der Capitainerie im dicken Turm gelang. Kein wildes Gefuchtel, kein Schlauchboot preschte heran. Bodendieck drehte mitten in der Arena vor den kühnen Vorsteven und Klüverbäumen mit einem Aufschießer in den Wind. Der drei Quadratmeter Klüver und das handliche Luggersegel wurde geborgen und der praktische Besan weggepackt. Fiete legte sich in die Riemen. In der nordöstlichen Ecke des Hafens fand sich vor der Mole Jean Révelle zwischen den Fischer- und Beibooten ein Spalt zum anlegen. Natürlich war Bodendieck nicht allein der kühnen Hafenansteuerung und wunderbaren Boote halber gekommen, die sich hier zum stilvollen Saisonabschluß versammeln. Er holte seine Farben heraus und fing an. Am einstigen Umschlagplatz für Wein, Kork, Fisch oder Nüsse war der segelnde Maler genau am richtigen Ort. In Saint Tropez griffen Ende des 19. Jahrhunderts die Pointillisten zum Pinsel, rückten Impressionisten die Staffelei zurecht. Bald sprach sich der Charme des Ortes herum. Saint Tropez wurde zum Lebenskünstlerdorf. Genau der richtige Ort für ein Boote bauendes, malendes und segelndes Gesamtkunstwerk wie Bodendieck. Der Odeur von Saint Tropez Nirgendwo mischt sich die Pestilenz schlecht verbrannten Diesels aus kalten Motoren mit sündteurem Parfüm besser als Anfang Oktober in der Arena pastellfarbener Häuser des Vieux Port. Hier riecht es schon länger nicht mehr „nach Teer, Salz und Sardinen“, wie der notorisch mürrische Guy de Maupassant 1887 von einem Besuch notierte. Bodendieck malt inspiriert vom Schweden Anders Zorn, dem Franzosen John Singer Sargent oder dem Spanier Joaquin Sorolla in der Tradition des Spätimpressionismus, als begeisterter Segler mit Einschänkungen auch angeregt vom deutschen Marinemaler Hans Bohrdt. Er nennt bewundernd Carl Becker, Robert Schmidt-Hamburg, Friedrich Kallmorgen und Emil Nolde als Vorbilder. Er begeistert sich für die „verstörend unechten Seestücke“ Manets oder den malenden Seemann, Journalisten und Reisemaler Albert Brenét. Damit sitzt Bodendieck zwischen gleich mehreren Stühlen. Denn die gegenständliche, traditionell inspirierte Malerei gilt als passé. Haben Sie noch Sex? Aber solche Rubrizierungen und Trends sind dem jovialen Endvierziger ziemlich schnuppe. Bodendieck, der übrigens einen vollen Saal ziemlich gut unterhalten kann, begann mal einen Vortrag vor der versammelten Holzwürmerszene mit der irritierenden Frage: „Haben sie noch Sex oder segeln sie schon Klassiker?“ Das gewagte Intro stieß als Variante des weithin bekannten Golferwitz manchem Blazer- und Schiffermützenträger übel auf. Es war schneidend still und interessant zu erleben, mit welcher Nonchalance Bodendieck rhetorisch die Kurve von diesem Glatteis kriegte. Natürlich hat Bodendieck in Saint Tropez nicht nur gemalt. Als Klassiker Liebhaber hat er natürlich Schiffe geguckt. Angesichts der Schönheit und Vielfalt im Vieux Port versammelter Kostbarkeiten kann man in der ersten Oktoberwoche in Saint Tropez verrückt werden. Liebe zum Metier Bodendieck hat ein beeindruckend kritisches Auge für Yachten. Er kann bei manchem als Replik daher kommenden Neubau genau erklären, was nicht stimmt. Tja und zwischendurch ging Bodendieck natürlich segeln. Mal solo, mal mit Matrose Fietje. Mit so einem handlichen Boot ist das Ablegen und Auftakeln kein Akt. Es ist ein Vergnügen in der beinahe vergessenen Leichtigkeit des Jollensegelns. Außerdem ist es wunderbar Nautiquitäten wie dem markanten Gaffelkutter „Marigold“ oder der charmanten Fahrtenketsch „Yali“ draußen auf dem Wasser zu begegnen. Im Zeitalter der Digitalfotografie, wo nachbearbeitete Bilder immer perfekter, farbenfroher, leider auch zunehmend glatt, beliebig und austauschbar werden, ist Bodendiecks Liebe zur Meteir, sind sein Blick und Talent sehenswert.

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Auf Kamerafahrt

Über die lange Reise des Soziologen und Wirtschaftsgeografen Tom Nitsch zum Werbefilmer der Yachtbranche und sein Geschick, die Schönheit des Segelns zu zeigen. Ein Sommermorgen in der dänischen Südsee, einem Archipel, das seinen Namen mehr seinem Inselreichtum als der hier meistens erlebten Temperatur verdankt. Dafür verzaubert der kurze, intensive Sommer den Besucher. Thurø ist eine kleine Insel gegenüber dem trubeligen Provinzstädtchen Svendborg im Süden Fünens, Gambøt eine Bootsbauer- und Fischersiedlung unter hohen Bäumen am Ufer von Thurø Bund. Vor 150 bis 80 Jahren noch flogen hier in einem guten Dutzend Werften die Späne. Dann ersetzte die motorisierte Schiffahrt das Handwerk des Frachtsegelns. Heute erinnert die Walsted Baadeværft in Gambøt an die große Tradition des Holzbootbaus. Geduckte, reetgedeckte Fischerkaten, Blumen, Netze, da und dort lehnt ein Fahrrad. Die Uhr geht hier nicht langsamer als anderswo. Nur achtet man in Gambøt nicht so auf sie. 25 Tonnen sichtlich verfeinerter Eiche, Lärche, schwarz verfugter Teakbohlen, Stahl, Blei und filigraner Takelage schweben auf der spiegelglatten, kaum von einer Brise geschuppten Wasserfläche von Thurø Bund. Ein Deck aus raffiniert getischlerten Mahagoniluken, Niedergangshutzen, gefolgt vom traditionellen Kartenhaus mit apart geneigtem Dach. Dahinter das Steuerrad, ein zweiter Mast, dann endet der gut 19 Meter lange, weiße Rumpf in einer kühn geschwungenen Deckskante. Das ist die „Ar“. In der Mitte zwei Tassen dampfender Darjeeling und Tom Nitsch. Tom Nitsch und seine herrliche 19 m Fahrtenyawl AR Ein kleiner Knall reicht nicht, sich solch einen Instandhaltungsalptraum ans Bein zu binden. Die Leidenschaft muss bodenlos sein. In der Sprache der Engländer und Amerikaner, die prägnante Ausdrücke vorrätig hält, wird das Phänomen „wooden boat disease“ genannt. Bei der sogenannten Holzbootkrankheit handelt es sich allerdings nicht um einen beharrlichen Bohrwurm oder die gefürchtete Trockenfäule, welche Rumpf und Gebälk ruinieren, sondern die enthemmte Begeisterung eigentlich vernünftiger Leute für betagtes Wasserspielzeug. Der Hamburger Dokumentarfilmer Nitsch ist seit Jahrzehnten von dieser Leidenschaft in Beschlag genommen. Ein schlacksiger, von der letzten Kamerafahrt auf See gebräunter Fünfziger. Ein jugendlicher Typ, ernst wie die meisten Leute, die mit den Händen arbeiten. Längst hat er seine Passion für „schwimmende Kulturgüter“ und die Ausübung traditionellen Yachtsports zum Beruf gemacht. Nitsch lebt und zeigt sie. Zwischen Luftdruckschreiber, Meilenzähler, Schiffsuhr und unzähligen Instrumenten, die es zur Navigation im flachen, verwinkelten Gewässer einer richtigen Südsee wie der dänischen braucht, hängt an der Stirnseite des Kartenhauses ein kleines schwarz-weiß Porträt. Es zeigt einen ernst zur Seite blickenden älteren Herrn in Krawatte, dunklem Mantel und Schiffermütze: Henry Rasmussen (1877 – 1959), den ersten Eigner der „Ar“. Der Gründer, Schiffskonstrukteur und Verkaufstalent des 1907 in Bremen Lemwerder begonnenen Bootsbaubetriebes „Abeking & Rasmussen“ ließ die Yacht anlässlich der Seglerolympide anno 1936 vom Stapel, um sich die Regatten in der Kieler Förde auf eigenen Planken anzusehen. Er taufte sie schlicht und ergreifend nach den Initialen seiner Werft. Bereits Rasmussens Vater baute Boote – in Svendborg. So ist „Ar“ in Nitschs Händen in Rasmussens Heimat zurück gekehrt. Seit einigen Jahren lebt der Kameramann mit seiner Familie hier. Als eine Segelschule ihr betagtes Ausbildungsschiff ausmustert, kaufen Lebensgefährtin Angelika Berger und Nitsch 1981 das Asservat maritimer Kultur. Das erste, was Nitsch ändert, ist der ein klein wenig gewöhnliche Bootsname „Möwe“. Aus Rasmussens Renommierschlitten zur Olympiade wird wieder „Ar“. Nitsch wird zum norddeutschen Protagonisten der damals einsetzenden Renaissance alter Planken – sie beginnt im Verborgenen, in schlecht beleuchteten Bootsschuppen und Werfthallen mit wochen- bis monatelangen Instandsetzungsarbeiten in Skandinavien, England, Holland, den Staaten, in Südfrankreich und Italien. „Du rutschst von Jahr zu Jahr tiefer ins Schiff“, schildert Nitsch die handwerkliche Herausforderung und einhergehende Identifikation mit dem Metier. Das Leben ist vielleicht ein Kunststück, die Existenz mit so einer schwimmenden Antiquität ein Gesamtkunstwerk. Damals ist die Entscheidung für Rasmussens Planken ein unzeitgemäßer Schritt. Die aus den Vorkriegsjahren übrig gebliebenen Boote gelten in den erneuerungssüchtigen 80ern als „Sperrmüll“, wie ein Kieler Politiker damals die Idee eines Museumshafens in der Förde kommentiert. Diese Ignoranz wird die Fraktion der Teerjacken und Salzbuckel diesem Schreibtischtäter und Unmenschen nicht vergessen. Früh prägt Tom Nitschs Begeisterung für alte Jollen und klassisches Segelspielzeug seinen Kurs durch’s Fahrwasser des Lebens. Als Schüler richtet er eine eher zum Abwracken denn Segeln geeignete Jolle her und übt mitten in Hamburg auf der Alster den Umgang mit Schot und Pinne. Im Lauf der Jahre erliegt er dem Reiz raschelnden Segeltuchs und dem Charme rotbraun unter dem Bootslack schimmernder Hölzer. Auf der Elbe macht er die elementare Erfahrung, von Wind, Wellen, dem Kommen und Gehen der Gezeiten abhängig zu sein. Noch trennt Nitsch Passion und Beruf. Während einer Perureise beschäftigt er sich mit den Folgen geographischer Gegebenheiten auf Ökonomie und Lebensverhältnisse. Der studierte Soziologe und Wirtschaftsgeograf dreht seine erste Dokumentation auf 16 mm Film. Die zuständige Fernsehredaktion folgt jedoch nicht Nitschs Erkenntnis, dass sich moderne Industriegesellschaften und Entwicklungsländer auseinander bewegen. Sie wollte einen positiven Ausblick, obwohl die Recherche es nicht hergab. „Ich möchte heute mit dem Redakteur mal in die Barriados von Lima gehen und ihm zeigen, dass die Situation schlimmer als damals ist.“ Wie mancher Zeitgenosse wollte Nitsch die Verhältnisse anschauen, zeigen und die Welt zumindest ein bisschen verbessern, statt bloß das beste für sich aus ihnen zu machen. Die Zeiten haben sich geändert, Nitsch auch. Man muss bloß den richtigen Schwenk machen. Heute richtet er das Objektiv auf Jost Stollmanns neue 40 Meter Yacht. Mitte der 70er hatte Nitsch seinen Job als Regionalplaner aufgegeben. Nitsch lernte das Handwerk professionellen Filmens. Bald schultert er die sackschwere Arriflex für aktuelle ZDF Berichte in Hannover. „Lohnbelichtung“ nennt er solche Auf­tragsarbeiten, den Dreh von Filmen, die ihn nicht wirklich in­teressieren. Segler dagegen sind für ihn Logenbrüder und -schwestern einer seltenen, glückenden Lebensform. Zahlreiche Features hat er mittlerweile über sie gedreht: hinreißende Bilder von der Nioulargue Regatta (1991), dem herbstlichen Auftrieb alter Yachten vor Saint Tropez. An Bord des Oldtimers „Aello Beta“ filmt er ein ehrgeizig gesegeltes Atlantikrennen oder dreht sensibel erzählte Portraits der Beziehung von Menschen zu ihren ansehnlich aufgetakelten Segelspielzeugen. Leider hat Nitsch nach seinem wunderbaren Video „Im Zauber des Drachen. Segeln in die Verlorene Zeit“ 1998 der Mut zur sensiblen Erzählung und langsamen Schnittfolge verlassen. Sein dreiviertelstündiges Feature über die schottische Yachtkonstrukteurs- und Bootsbauerdynastie Fife of Fairlie und deren Hinterlassenschaft zeigt die Kultur der Yachtinstandsetzung und des Segelsports in einer wohltuend ruhigen Bildsprache mit seltenem Mut zum Pathos. Sie umschifft die Kitschfallen der ausgefilmten Becks Bier Reklame, weshalb kein von der Quote paralysierter, auf entsetzliche Stereotypen abonnierter  Fernsehredakteur sie in den Äther schickt. Atemberaubende Einstellungen, schnelle Schnittfolgen mit großen,  klassischen, kühnen Yachten, die Dramatisierung mit spektakulär langen Brennweiten, kontrastierende Bilder aparter bis dekadenter Zuschauerinnen und Hunde, die dem Jahrmarkt der maritimen Eitelkeit natürlich nichts abgewinnen, sind derzeit Nitschs Lösung. Das ist die ersten Male lustig anzuschauen, erscheint in der Wiederholung leider maniriert und wird langweilig. Schade auch, dass Nitsch den nächsten Schwenk macht, „slow food“ aus der Nische endgültig durch Aktion und handwerklich gut gemachte, allerdings wohlfeile Effekte ersetzt. Derzeit beschäftigt sich Nitsch mit einer modernen Yacht. „Alithia“ ist der neue 40 Meter Schlitten des CompuNet Gründers Jost Stollmann. Statt sich seine neoliberalen Ideen in Schröders Kabinett auseinander nehmen zu lassen und seine Zeit bei der visionslosen Moderation der Verhältnisse zu vertrödeln, segelt Stollmann lieber: Begleitet von einigen Hauslehrern segelt Familie Stollmann gerade um die Welt. Ab und zu fliegt Nitsch mal hin und lässt sich für neue knackige Perspektiven in den 50 Meter Mast hieven. Dann schneidet Nitsch sein Material so geschickt auf Musik, bis es „groovt“, der Zuschauer eine kleine Gänsehaut bekommt. So schön ist die Welt, wenn man sich die richtige aussucht. Es ist eine Frage des Schwenks. Der Tee ist alle. Eine Möve schwebt über Thurø Bund, die „Ar“ und Nitsch mitten in der dänischen Südsee. Schwer zu sagen, ob sie klagt oder lacht.

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Sinnvoll schenken

Was haben Sie denn dieses Jahr zu Weihnachten geschenkt bekommen? Wann haben Sie zuletzt bei der Bescherung um Fassung gerungen? Schwer vorstellbar, dass Sie mithalten können mit dem, um das es in dieser Geschichte geht. Nach den finalen Weihnachtsvorbereitungen, nach Kirchgang, Essen und Bescherung sind die Feiertage das stille Auge im Orkan des achteraus liegenden und schon bald wieder einsetzenden Alltags. Leider schellt am zweiten Weihnachtsfeiertag unausweichlich die B-Liga der Verwandtschaft. Tja, und vorher schweift der Blick noch mal über das Sideboard im Wohnzimmer und rüber zum Baum. Da liegen die ganzen Verlegenheiten, die vorgestern aus dem Papier genestelten Bestseller und Biographien, Kalender, Socken und – ach – die entsetzlichen Weinbrandbohnen auch. Alternative zur Weinbrandbohne Wann haben wir zuletzt bei der Bescherung um Fassung gerungen, und haben staunend, der Ohnmacht nahe vor dem einzig richtigen Präsent gestanden? Wann gab es zuletzt das überlebensgroße Spielzeug, das wir des Anstands halber nicht zu wünschen wagten, doch eigentlich schon länger dringend nötig hatten? Also, wann war die Bescherung wirklich eine? Da holen wir uns doch gern das eine oder andere erfreuliche und ansehnliche Geschenk im amerikanischen Millionärshaushalt in Erinnerung. „Als wir morgens mit dem Dampfer in Bermuda ankamen, waren als Erstes ihre Masten und Rahen zu erkennen. Das in Hamilton ankernde Schiff selbst sah ich erst später“, notierte Marjorie Merriweather Post über ihre erste Begegnung mit ihrem Geschenk, einer ansehnlichen Viermastbark. Sie war schwarz, ihre vielen Segel wurden von 72 adretten Matrosen bewegt. „Great Kicks“, erinnerte sich Mrs. Merriweather Post. Die Löhne waren niedrig Mit ihrem zweiten Ehemann, dem New Yorker Börsenkaufmann Edward Francis Hutton, hatte sie die väterliche Frühstücksflockenfirma in den Lebensmittelkonzern General Foods verwandelt. So ließ er für sie bei der Kieler Friedrich Krupp Germania Werft ein passendes Segelspielzeug bauen. Als cleverer Schenker wusste Hutton, wo es die dollste Sache für vergleichsweise kleines Geld gibt. Die Löhne waren niedrig, die Reichsmark war weich und der Dollar strong. Das Präsent wurde wie der private Eisenbahnwaggon und die vorigen Yachten des Hauses „Hussar“ genannt. Natürlich bleibt der Verdacht, der begeisterte Segler habe sich mit dem Boot auch ein klein wenig selbst beschenkt. Doch tun Männer das bei besonderen Anlässen wie Weihnachten, Geburtstagen und zur Abwechslung zwischendurch nicht eh? Nachdem Hutton seine Frau bereits zuvor an Bord seines 62-Meter-Zweimasters mit den Sonnenseiten des Yachtlebens bekannt gemacht hatte, lag die neue „Hussar“ einfach in der Luft. Außerdem hat so ein richtig dicker Schlitten nur Vorteile. Er schaukelt kaum und wenn überhaupt, dann majestätischer. Er ist schneller und hinterlässt beim Publikum am Ankerplatz einen bleibenden Eindruck. Nicht zuletzt trägt sich der Schenker mit einer gekonnten Gabe ins Geschichtsbuch anekdotenreicher Präsente ein. Klappt das mit einer Packung Weinbrandbohnen? Ferienhaus im spanischen Stil Nach den ersten „Kicks“ hatte Frau Post viel Freude an ihrem Schiff. Begüterte Menschen richten sich ja gern öfter mal neu ein. Dem neuen Zuhause am Central Park und dem Zweitwohnsitz auf Long Island mit amerikanisch vielen Zimmern im Tudor-Look war in den zwanziger Jahren Mar-A-Lago in Palm Beach für die unwirtlichen Wintermonate gefolgt. Das Ferienhaus im diesmal spanischen Stil hatte richtig viele Zimmer und einen kleinen Golfplatz. Die Kajüten der schwimmenden Residenz wurden im Stile Ludwigs XIV. mit Badezimmern aus Carraramarmor und echtgoldenen Wasserhähnen eingerichtet, so wie es Sonnenkönige und reiche Amerikaner mögen. Mrs. Merriweather Post hatte während unterhaltsamer Kreuzfahrten nach Monaco, zu den Galapagos-Inseln und nach Hawaii so viel Freude an ihrem schwimmenden Zuhause, dass sie das prächtige Geschenk nach auch der Trennung von ihrem Mann behielt. Sie ließ es weiß streichen und nannte es „Sea Cloud“. Und weil das schöne Schiff seit 80 Jahren begeistert, segelt es noch heute. Nun ist so ein Rahsegler von der Anschaffung her und hinsichtlich der laufenden Kosten nicht jedermanns Sache. Die Liegegebühr, die Heuer für die Besatzung, die vielen Matrosenanzüge und die gelegentlich zu erneuernde Segelgarderobe können einen erdrücken wie der Anker und die dazu gehörige Kette eines solchen Geschenks. Doch geht es auch kleiner. Frederick Bedford beispielsweise hatte als Direktor der Standard Oil Corporation einen etwas enger geschnürten Geschenkeetat. Als seine Enkelin Lucy den versierten Segler Briggs Cunningham heiratete, bekam sie nicht etwa das übliche, sondern ein vorzeigbares Schiff mit in die Ehe. Bedford hatte einen Zwölfer vom jungen New Yorker Yachtkonstruktionstalent Olin Stephens zeichnen und in der Nevins-Werft, einem damals führenden Lieferanten von Regattabooten, bauen lassen. Lucy Bedfords Mitgift maß gut 21 Meter, wog 25 Tonnen und brauchte eine Elf-Mann-Crew. Das bescherte dem Junior eine sorgenfreie Existenz Cunnighams Vater hatte William Procter and James Gamble die Entwicklung von schwimmender Seife finanziert. Das bescherte dem Junior eine sorgenfreie Existenz. Er nutzte sie unter anderem zur Erfindung des nach ihm benannten Großsegel-Vorliekstreckers. Bedford hatte sich einfach Gedanken gemacht, was der Bursche so braucht und mit welcher Hardware er sich auf der Regattabahn weiterentwickelt. An Deck waren die ersten Coffeegrinder zum Betrieb der Vorsegelwinschen installiert. So ein Geschenk ist doch interessanter als die normal langweiligen Verlegenheiten, oder? Die lindgrüne „Nyala“ gehört heute stilsicher restauriert zum Segelrennstall des Mailänder Modekaufmanns Patrizio Bertelli. Der als Choleriker gefürchtete Prada-Boss hockt ab und zu auf dem Achterdeck und übernimmt beim Segeln seines Schiffs irgendeinen kleinen, nicht unbedingt die Regatta entscheidenden Handlangerjob. Es heißt, Bertelli mache an Bord einen recht zufriedenen Eindruck. Man könne sich gar nicht vorstellen, dass er seine Angestellten im Büro mit Handys und Laptops bewerfe. Richtige Geschenke haben einen bleibenden Wert. Sie können dauerhaft, gleich mehrere Generationen, beglücken. Es muss bloß das richtige, ein gescheites Schiff sein. Letztlich wird gemeinsame Zeit auf dem Wasser geschenkt. Es gibt nichts Schöneres, als unter den weißen Schwingen der Segel mit der Familie oder guten Freunden über das weite Blau des Meeres zu schweben. „Germania“ bot den kaiserlichen Rennyachten Paroli Das wusste auch Bertha Krupp, als sie den ehrgeizigen Juristen Gustav von Bohlen und Halbach pünktlich zur Kieler Woche 1908 mit einem flotten Zweimaster beglückte. Die legendäre „Germania“ bot den kaiserlichen Rennyachten Paroli, machte im südenglischen Seglermekka Cowes eine gute Figur und war ein in der Wilhelminischen Zeit geschäftlich cleveres Geschenk. Derzeit entsteht nach akribischer Rekonstruktion anhand verschiedener Quellen in einer spanischen Werft ein Nachbau des bei Miami gesunkenen Originals. Wie wir hören, handelt es sich um ein Geschenk eines segelbegeisterten Hamburgers an seine Frau. Tja, es müssen eben auch heutzutage nicht Weinbrandbohnen oder müßige Biographien sein. Und damit es Heiligabend beim Blick unter die Fichte nicht so leer aussieht, empfiehlt sich ein Modell oder ein Buddelschiff. Ungerechterweise erbt nicht jeder eine Frühstücksflockenfirma oder ein paar Stahlwerke. Und nur wenige verfügen heutzutage über das Geschick, in einträglichen Branchen das große Rad zu drehen. Na, da muss halt auf kleinere Überraschungen ausgewichen werden, Nautical Furniture vom Kontinent der unbegrenzten Möglichkeiten zum Beispiel. Die Marine Services Unlimited im amerikanischen Bundesstaat Michigan restauriert eigentlich klassische Motoryachten, baut aber zur Überbrückung der neuerdings auch bei uns wieder harten Winter den sogenannten „Lovedesk“ und „Loveseat“, einen liebevoll marinisierten Schreibtisch und dazu passend, eine ins Heck eingelassene Couch. Wie beim venezianischen Wassertaxi Möglicherweise werden die Möbel nicht in jedem Haushalt mit ungeteilter Begeisterung ausgepackt. Aber es geht ja darum, ihm eine Freude zu machen. Auch ist die Ähnlichkeit zur gehobenen Wohnzimmerausstattung der fünfziger Jahre nicht ganz von der Hand zu weisen. Auf dem Wasser aber war und ist glänzend lackiertes Mahagoni immer schön. Stoßempfindliche Kanten sind mit seewasserbeständigen und hochglanzpolierten Niroblechen beschlagen. Wie beim venezianischen Wassertaxi für den extrafeinen Pinkel gibt es gleich unter der Wasserlinie sitzende Auspuffe. Für den krisengebeutelten Amerikaner sind die wie klassische Holzmotorboote mit Spanten gebauten Möbel mit 8000 bis 11 000 Dollar nicht ganz billig. In Euro ist die Überraschung dagegen fast schon greifbar. Wir erinnern in diesem Zusammenhang kurz an Edward Francis Hutton. Der wusste, welche Überraschung er wo kauft. Natürlich setzt sich der Verschenker oder eine der Ohnmacht nahe Beglückte einer derart marinisierten Arbeits- und Wohnzimmerausstattung dem Verdacht aus, einen Knall zu haben. Dafür sind die Betriebskosten günstig, und das Unterwasserschiff muss selten neu gemalt werden. Erfreulich ist auch, dass so ein Rußrotzer weder stinkt noch Lärm macht. Beglückt nehmen wir mit Blick auf die vertrauten Bordinstrumente Platz, ziehen die untere Schublade an der sympathisch in der Hand liegenden Klampe heraus. Da kommen die Weinbrandbohnen für nachher rein, wenn die B-Liga der Verwandtschaft schellt.