Der erfolgreiche Verlierer
Der typische America’s Cup Segler ist Entrepreneur, der seinen geschäftlichen Erfolg auf der Regattabahn wiederholt und das gesellschaftliche Parkett des Yachtsports genießt. Seit Generationen Arrivierte verausgaben sich selten, Royals nicht für den Cup.
Im Rahmen der sommerlichen Segelfestspiele auf dem Solent stellt Osbourne House gern den schwarzen Rennkutter „Britannia“ als Sparringspartner. Der Wettkampf mit den Gatsbys jenseits des Atlantik bleibt bürgerlichen Emporkömmlingen überlassen, einem Selfmademan wie dem 1850 in die bescheidenen Verhältnisse einer Krämerfamilie geborenen Thomas Johnstone Lipton.
Mit acht Dollar in der Tasche versucht sich der 15-jährige im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Nach einigen Jahren kehrt er mit einem Schaukelstuhl für die Mutter, 500 Dollar, Erfahrung als Tabakpflücker, Feuerwehrmann, Kutscher, schließlich Buchhalter eines New Yorker Lebensmittelgeschäfts zurück. Lipton hat verstanden: „Die Ware, die in den Staaten angeboten wird, ist nicht besser oder schlechter als in Irland oder Schottland. Sie wird bloß besser präsentiert und die Mitarbeiter sind der Kundschaft zugewandt.“
Selfmademan Thomas Lipton
Wie das väterliche Lebensmittelgeschäft läuft, weiß er schon. Wie es besser geht, probiert Lipton an seinem 21. Geburtstag mit der Öffnung seines eigenen Ladens. Er bietet Butter, Eier, Schinken oder Speck – und Sinn für Publicity. Lipton läßt eine Sau durch Glasgow jagen. Sie wirbt aufmerksamkeitsstark für „den besten Laden für irischen Schinken.“ Weil das nur einmal geht, unterhält der gewitzte Krämer seine Kundschaft jeden Montag mit einem neuen Cartoon vor seinem Geschäft. Liptons Lebensmittelladen bietet mit Zerrspiegeln die Attraktion eines Jahrmarkts. Beim Kommen erscheint der Kunde dünn, nach dem Einkauf dick. Eine andere Aktion ist das sogenannte Lipton Pfund, ein Imitat des üblichen Zahlungsmittels. Sie kauft bei Lipton Ware für 15 Schilling, die woanders ein Pfund kostet.
Work hard, deal honestly
Die ersten Jahre lebt er nicht bloß mit 18-Stunden Tagen fürs Geschäft, er schläft auch im Laden, kauft direkt beim Produzenten und zahlt bar. Rasch hat Lipton 20 Filialen. Mit der „Strategie, jede Woche einen weiteren Shop zu öffnen“ kommen in Schottland, Irland und England 500 Lipton Läden zusammen. Sein Motto: „Work hard, deal honestly, be enterprising, exercise careful judgement, advertise freely but judiciously.“ Mit 30 ist er Millionär. Ein europäisches Händlernetz kauft im großen Stil ein, in den Staaten betreibt er Verpackungsfirmen, Warenhäuser, in Chicago Schinkenräuchereien. In den 90ern steigt er mit der Übernahme Ceylonesischer Plantagen in den einträglichen Teehandel ein. Sommer 1897 folgt die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Zeit für was Neues, ein Leben als Gentle- und Sportsman.
Lipton geht segeln
Der smarte Krämer nächtigt nicht mehr unter Kasse. Lipton jagt kein Ferkel mehr durch Glasgows Gassen. Jetzt pflügt er auf dem dachschräg geneigten Deck seiner stattlichen „Shamrocks“ unter 1.300 Quadratmetern Segeltuch mit dem segelbegeisterten König Edward VII durch den Solent. Das kostet zwar etwas, macht aber Spaß, bringt Lipton und seiner Ltd. ganz andere Publicity. Lipton ist spendabel und amüsant, „the kings grocer“ Protagonist des gesellschaftlichen Lebens. Als Lipton eines Tages gefragt wird, ob er heute keinen König an Bord habe, entgegnet der Selfmademan: „Keinen König, nur Asse“.
Die braucht Lipton auch, um den anläßlich der Londoner Weltausstellung gestifteten 100 Guineen Pokal, den der Schoner America 1851 mit seinem brüskierenden Regattadebüt rings um die Isle of Wight in die Staaten entführt hat, wieder ins Empire zu holen. König Edward VII hat das Debakel als zehnjähriger selbst gesehen. Neun mal haben die Briten bislang versucht, die yachtsportliche Hackordnung wiederherzustellen. Zuletzt ist Lord Dunraven daran gescheitert. Die Beziehungen zwischen neu- und altenglischen Seglern sind kühl wie der winterliche Altantik. Einer, der aus einer Klitsche für Butter, Eier und irischen Schinken ein Lebensmittelimperium macht, auf Ceylon Tee pflücken und in Chicago Schinken räuchern läßt, kann mit dem richtigen Schiff und seinen Assen den Pokal holen.
Im Oktober 1899 entscheidet Pokalverteidiger John Pierpont Morgan Liptons America’s Cup Debüt 3:0 für sich. Angesichts des Vorsprungs der Amerikaner mag Lipton das Ende der dritten Wettfahrt nicht weiter mit ansehen. „Es ist vorbei. Laßt uns nun alle unter Deck gehen und Mittag essen. Es ist eh schon spät.“ Als Amateur und Gentlemansegler guckt Lipton in den Staaten der „Shamrock“ von seinem Dampfer zu. 1901 und 1903 wohnt Lipton weiteren Deklassierungen standesgemäß, mit Fassung und Würde bei. Nach einer vom ersten Weltkrieg erzwungenen Regattapause ist Lipton im Juli 1920 dem America’s Cup nach zwei Rennen mit seiner vierten „Shamrock“ zum Greifen nah: „Ich lasse nun Maß nehmen und eine Kiste tischlern, damit wir die Trophäe unbeschädigt mit nach Hause nehmen.“ Doch bleiben die beiden ersten Wettfahrten des 13. America’s Cup Liptons einzige seglerische Siege und der Pokal im New York Yacht Club.
Während das Yankee-Establishment angesichts des glimpflichen Ausgangs tief durchatmet, kommt es am Hudson zu einem Tumult. Lipton hat in New York zu einer Besichtigung der unterlegenen Rennyacht eingeladen. 35.000 Schaulustige stehen Schlange. Alle wollen das Boot des Grocers sehen, des jovialen Gentleman und notorisch souveränen Verlierers.
Nach zehnjähriger Pause fordert er 1930 nochmals heraus, diesmal in der vergleichsweise vernünftigen J-Class der amerikanischen Universal Rule. Das sind 37 statt 44 bis 50 Meter lange Boote, die mit 700 statt 1.500 Quadratmetern an den Wind gehen. Die Regatten zwischen der amerikanischen „Enterprize“ und Liptons fünfter kleeblattgrüner „Shamrock“ enden am 18. September 4:0 für Vanderbilt und Spitzenkräfte des amerikanischen Segelsports. Die Yankees haben vier Schiffe gebaut, den ganzen Sommer trainiert und wissen, dies ist ihr letztes Segelduell mit dem beharrlichen Gentle- und Sportsman, der es im Lauf dreier Jahrzehnte fünf mal versucht hat. Die mit erheblichem Aufwand und Ehrgeiz, neuerdings von freundschaftlichem Umgang geprägten Regatten um den America’s Cup, sie heißen damals Lipton Races, hat der Sohn irischer Einwanderer mit seinen Shamrocks nicht gewonnen, dafür die Sympathie der Yachtwelt – und Millionen Teetrinker.
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