Keine halben Sachen
Wie ein schwimmender Klassiker und der dazu gehörende Transporter aus prominentem Vorbesitz zu neuem Leben fanden.
Jungs gleich welcher Größe brauchen Spielzeug. Das ist ebenso bekannt, wie der Zusammenhang zwischen den Spielzeugerwerbs- nebst Betriebskosten und der Spielzeuggröße in Relation zum Alter. Jeder, der aus 1:87, dem Maßstab des Wiking-Modells, herausgewachsen ist und mit deutlich überschrittener Adoleszenz das Spiel in 1:1 fortsetzen möchte, kennt die blöden Limits der sogenannten Realität. Diese will der Spielende ja gerade hinter sich lassen.
Weithin übersehen ist die Tatsache, dass das Spiel gleich welchen Maßstabs keine halben Sachen duldet. Nur das authentische, detailgetreue und zueinander passende 60er Jahre Ensemble, bestehend aus einem Magirus Deutz Rundhauber, und zwar dem mit luftgekühlter Sechszylinder Maschine, dazu passendem Kässbohrer Sattelauflieger und apartem Mahagoniboot huckepack lässt das große Kind in beinahe vergessener Glückseligkeit versinken. Also, der Laster sollte zum Boot passen. Alles andere, liebloses, schlecht gemachtes oder nicht stimmiges Spielzeug etwa, trübt die Stimmung.
Der Berliner Verleger Konrad Börries ist da auf einem guten Weg. Er fährt mit diesem auf Originalgröße vergrößerten Matchbox Set gerade in den überwiegend sonnigen Südwesten. Im Sommer ist es am Bodensee etwa eine Welt angenehmer als mitten in Berlin zu schwitzen. Man kann mal in das herrlich klare und erfrischend kühle Wasser des Schwabenmeeres springen. Noch schöner ist es, mit den beiden durchzugsstarken Chris Craft Achtzylindern aus Frank Sinatras Zeiten über den Lago zu röhren. Das geht zwar auf Berliner Gewässern im Prinzip auch. Aber nur, wenn die Wasserschutzpolizei gerade Fußball statt mit dem Fernglas aufs Wasser guckt. Einzig auf penibel definierten Wasserskistrecken dürfen die elfenbeinfarbenen Knäufe der beiden Gashebel mal durchgedrückt werden.
Außerdem macht Motorbootfahren in der Edelholzklasse – Sipo Mahagoni mit dünnen, in Fahrtrichtung verlegten, Intarsien-gleich eingelassenen honigfarbenen Kotostreifen – mit Gleichgesinnten mehr Spaß. Dazu gibt es eine Art geheimbündlerischer Zusammenkünfte der Tropenholz-Bootsfetischisten, beispielsweise die Riva Classics. Sie finden von Donnerstag bis Sonntag, den 1. Juli am Nordufer des Bodensees bei Ultramarin in Kressbronn-Gohren statt. Dieser Hafen mit trendigem Namen wird von allen, die entweder kein Boot oder – noch schlimmer – dort keinen Liegeplatz haben, geringschätzig „Baggerloch“ genannt. Beim größten Bodenseehafen handelt es sich um eine zum Bootsresort mit assoziiertem Hotel nebst Gastronomie veredelte Kiesgrube mit Seeanschluss. Börries sind solche Rubrizierungen ziemlich gleich. Hauptsache, das Ensemble schafft es bis zum See. Dort wird die zweimotorige Last Edition der Tritone, wie sie Peter Tamm 1966 als rechte Hand des Verlegers Axel Cäsar Springer bestellte, ins Hafenbecken gehoben und mit dem durchdringenden Grollen der beiden Maschinen akustisch das Revier markiert.
Dem Anfänger und Ignoranten, der die lombardische Edelholzklasse womöglich nicht kennen sollte, sei an dieser Stelle diskret zugeflüstert, dass eine Riva die Sophia Loren unter den Motorbooten ist. Etwas in die Jahre gekommen vielleicht, aber nach wie vor unvergleichlich. Dieses Geschöpf hat mit anderen, modernen, pflegeleichten Vollplastikerzeugnissen und etwaigen Imitationsversuchen gemeinsam, das die auch schwimmen, laut sind, man sich damit ohne weiteres ein Knöllchen einfahren kann und regelmäßig die Tankstelle aufsuchen sollte.
Erfreulich ist, dass sich Börries dem Spiel und seinem Ensemble mit gebotener Hingabe widmen kann. Seine Inanspruchnahme vom Berufsleben liegt seit dem Verkauf der Zweite Hand Annoncenblätter schon erfreulich achteraus. Entsprechend wurden Gebrauch und Pflege des Bootes zum Laster in den vergangenen Jahren kultiviert. Da macht es nichts, wenn die Fahrt dauert, weil dem alten Magirus 7DL auf langen Steigungen, wie es sie unterwegs zum Bodensee nun mal gibt, langsam aber sicher die Puste ausgeht. Die Zugmaschine des ehemaligen Lasters der Deutschen Bundespost zerrt die knapp drei Tonnen Mahagoni, silbern funkelnden Beschläge, die leuchtend blauen Chris Crafts, die türkisen Polster, das Kabriolet-Verdeck und die nachtschwarzen VDO Instrumente schließlich mit 40 Stundenkilometern über die Kuppe. Auf gerader Strecke beschleunigt der von Ende der fünfziger Jahre bis ‘67 in Ulm gebaute Sechszylinder in 7 ½ Minuten auf 80 Stundenkilometer. Macht nichts, flott fahren können heute ja viele. Dafür ist alles schön vintage und stimmig.
Das Boot zum Laster, Axel Springers „Raimond“, galt lange als verschwunden, was in der Szene der Riva-Fetischisten, die über jedes Exemplar praktisch alles weiß oder mit detektivischer Besessenheit heraus findet, fast unmöglich ist. Es wurde 1998 auf dem alten Magirus bei einem Bootshändler in Rhumspringe im Harz entdeckt. Dort stand es als unverkäufliches „Holz-Schätzchen“ in einer ehemaligen Wasserstoffsuperoxid Fabrik aus dem zweiten Weltkrieg zwischen amerikanischer Importware aus ziemlich buntem Kunststoff und Weinrotmetallic-farbigen Zierstreifen. Man kennt dieses Dekor vom Autoscooter auf dem Jahrmarkt. Die Nautiquität war ein Gruß des mediterran gestimmten Jet Sets in die niedersächsische Provinz. Das Ansichtsexemplar trug die Initialen des „Motor Yacht Club Hitzacker“ auf dem Heck und hieß wie diese seltsame, längst ausgestorbene Vogelart „Dodo“. Das letzte Exemplar der legendären zweimotorigen Tritone Serie, wie sie Carlo Riva von 1950 bis 1966 in 258 Exemplaren zur Rauhwasser-tauglichen Fahrt mit V-förmigem Bug, kernigem Antrieb und in wegweisender, aus dem Flugzeugbau adaptierten Holzbauweise perfektioniert hatte, war gut getarnt.
Günstige Umstände ließen das Boot als Botschafterin und Messe-Exponat des Zweite Hand Verlages nach Berlin gelangen. Dort ergriff die Riva langsam aber sicher, wie hübsche Holzboote mit Herkunft und Klasse das halt so machen, vom zunächst reservierten Kaufmann Börries Besitz. Der baldigen Umbenennung in „Hermes“, einer ersten Instandsetzung und mancher Reise auf dem alten Magirus Deutz folgte vergangenes Jahr eine aufwändige Restaurierung durch den Hamburger Riva-Spezialisten Jürgen Renken. Dieser Bootsrestaurator mag die Marke und adäquates Handwerk so sehr und halbe Sachen so wenig, dass er sich selbst samstags und an Feiertagen über manches Liebhaberstück beugt, wie es einst in der legendären Werft in Sarnico am norditalienischen Iseosee für hoch- und vermögende Kundschaft entstand.
Begleitet wurde die insgesamt 18-monatige Instandsetzung von der Fotografin Nicole Werner für den soeben erschienenen Band „T 258“. Das drei Kilo schwere 224 Seiten Werk ist das Buch zum Boot und Laster und für 198 Euro zwar nicht gerade geschenkt. Es ist aber bereits günstiger, als eine dreistündige Fahrt mit dem zweistrahligen Gleiter, der bei zahmen 25 Knoten Reisetempo eine Drittel Tankfüllung Superbenzin durchlässt.
Übrigens lässt sich das 60er-Jahre Ensemble anlässlich der „Riva Classics“ bei Ultramarin umsonst besichtigen. Das exquisite Finish des raffiniert gewölbten, mit skulpturaler Eleganz zu einem Bootskörper zusammengefügten Mahagonis ist etwas für stille Genießer.
Börries kann es nach der aufwändigen Wiederherstellung in den Originalzustand von Anno ’66 und der langen Reise kaum erwarten, die „Hermes“ endlich wieder zu fahren. Wenn sich der erste Achtzylinder mit anarchischer Rotzigkeit unter dem Konzertflügelfinish der Motorraumdeckel meldet, glaubt der arglose Zuschauer zunächst nicht richtig zu hören. Nach einer Schrecksekunde meldet sich der zweite Krachmacher mit den nächsten 4,6 Litern Hubraum. Der 53-Jährige mag diese „fuel to sound conversion“ und meint, dass bereits dieser archaische Hörgenuss es verbietet, die Motoren auf eine zweckmäßig thermostatgesteuerte, technisch bessere Zweikreiskühlung umzurüsten. Auch die ersten Takte müssen richtig, so wie früher klingen.
Damals, als der Springersche Haushalt auf der Wannsee Insel Schwanenwerder zu vorgerückter Stunde nicht auf ordinäre Bedürfnisse wie etwas Deftiges aus der Fritteuse vorbereitet war, ließ Peter Tamm genau diese Motoren an. Dann brüllte der Vertraute und angehende Geschäftsführer des Verlegers mit der „Raimond“ zum Pommes holen zu einem Imbiß an der Heerstraßenbrücke. Später am Abend mal mit einer Riva über den Wannsee holzen war für die Luxusinsulaner halt der direkte Weg. Sonst wäre das Essen kalt geworden.
Ganz legal und am Wochenende mit der Zweimotorigen vor einer Schneise weißer Gischt im Tiefflug über den Bodensee bis Konstanz oder rüber nach Bregenz reiten und gucken, ob die 41 Knoten (76 km/h) noch drin sind ist eine schöne Abwechslung zur langsamen Anreise im Magirus. Dazu das Wahnsinnsgebrüll der beiden jetzt ganz zur Sache gehenden Achtzylinder und die bewundernden Blicke der träge auf dem spiegelglatten Gewässer dümpelnden Segler im Rücken. Sämtliche lästigen, das Spiel in 1:1 störenden Gesichtspunkte bleiben natürlich an Land und so irreal fern wie der über dem Appenzeller Land thronende Fels des Säntis. Das Spiel gleich welchen Maßstabs duldet keine halben Sachen.
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