Eine noble Sache

Die Werft des Flensburger Tafelsilberfabrikanten Oliver Berking schob mit „Jenetta“ ihr drittes Exemplar einer edlen 12 mR Rennyacht aus der Halle.

Ein Maimorgen unter bewölktem Himmel in Flensburg. Es ist halb zehn und hat noch keinen Tropfen geregnet. Für norddeutsche Segler passables, für schottische Verhältnisse sensationelles Wetter. Als der ellenlange Bootskörper das 22 m Renners „Jenetta“ komplett vor der Halle steht, gibt es keinen Zweifel. Der Rumpf wurde allen Ernstes im Schottenkaro dekoriert.

Die vierköpfige norddeutsche Eignergemeinschaft, die „Jenetta“ zum historischen Kiel neu bauen ließ, dachte sich das Dekor als Hinweis auf die schottische Herkunft der Yacht aus. Es ist eine Folie, die nach der ersten Segelsaison abgenommen werden soll. „Jenetta“ entstand 1939 nach einem Entwurf von Alfred Mylne in seiner Werft auf der Insel Bute am Firth of Clyde im Westen Glasgows. Glasgow war im 19. Jahrhundert nach London, Paris und Berlin die viertgrößte europäische Metropole. Der Wechsel vom herkömmlichen Holzbauschiffbau zur leichten und Platz sparenden Mischbauweise aus Holzplanken über Metallspanten wurde am Clyde für Frachtschiffe eingeführt – und vom Yachtbau auch für „Jenetta“ übernommen.

„Jenetta“ war das letzte von zahlreichen Regattabooten des englischen Zuckerhändlers Sir William Parker Burton (1864 – 1942). Nach Entwürfen anderer Konstrukteure und guten Erfahrungen mit einem vorigen Mylne-Entwurf hatte der passionierte Segler bei „Jenetta“ für die windreichen englischen Verhältnisse auf ein langes Exemplar zulasten der Segelfläche gesetzt. Das Reglement, nach dem Zwölfer entstehen, verrechnet unter anderem die Länge, sie wird 18 Zentimeter über der Wasserlinie der still liegenden Yacht gemessen, mit der Segelfläche.

Der schnittige Bug weitet sich zum kühn geschwungenen Leib, der mit der Rasanz einer Skulptur auf dem Bock steht. Fast zwei Drittel der 27 Tonnen stecken im Bleikiel als Gegengewicht zu 130 Quadratmetern Großsegel und etwa 114 qm des Genua-Vorsegels. Es gibt keinen zweiten Bootstyp, der mit vergleichbarer Rasanz am Wind segelt. Mit einem Zwölfer geht die Post bereits bei leichter Brise ab. Bei mittlerem Wind hat er Wumms. Ab vier Windstärken macht er süchtig, bei frischem Wind alle.

Zwölfersegeln ist eine arbeitsteilige Sache und für die Mannschaft eine Frischluft Muckibude. Die Crew hält die Fuhre bei den zahlreichen Wendemanövern mit schnellem Dichtholen des Vorsegels auf Trab. Über hundert Quadrameter Vorsegel alle paar Minuten loswerfen und für den neuen Kurs erst schnell, dann zentimetergenau einstellen ist eine Schinderei. Ein Zwölfer aus Mahagoni, Teak, Spruce, und allerhand Blei unter dem Schiffskeller und surrenden Winschen war damals State of the Art. Solch eine Vintage Segelmaschine aus den Dreißiger Jahren heute um die Bojen zu scheuchen ist die schönste Art, den Segelsport zu betreiben.

1934 bis zum zweiten Weltkrieg entstand in England eine Flotte von 13 Booten. In den Staaten wurden sechs neue Zwölfer aufgetakelt. Im Deutschen Reich liefen damals vier Exemplare, die „Inga“ des Hamburger Reeders John T. Essberger und das Schwesterschiff „Anita“ des Margarinefabrikanten Walter Rau vom Stapel. Der Zigarettenhersteller Philipp Fürchtegott Reemtsma stiftete dem Norddeutschen Regatta Verein „Sphinx“ und der Bremer Bootsbauer Ernst Burmester segelte die vielversprechende „Ashanti III“.

Anläßlich des 150. Amerika Pokal Jubiläums 2001 in Cowes waren 36 Zwölfer, Klassiker und moderne Exemplare der Amerika Pokal Ära dabei, darunter die Antiquitäten zweier Shooting Stars der damals boomenden „New Economy“, die weiße „Trivia“ (Charles Nicholson 1937) des IT-Unternehmers Wilfried Beeck und die schwarze „Flica II“ (Laurent Giles 1939) seines Segelfreundes Alexander Falk. Auch der Flensburger Tafelsilberfabrikant Oliver Berking, der vergleichsweise bescheiden mit kleineren Exemplaren der sogenannten Meterklasse – es gibt sie vom Fünfer, über Sechser oder Achter – begonnen hatte und seit 1995 Regatten mit solchen Booten auf der Flensburger Förde ausrichtet. 2008 schob Oliver Berking gemeinsam mit zwei Flensburger Partnern die generalüberholte „Sphinx“ aus einer provisorischen Werft, verkaufte seinen Anteil und gründete den auf Yachtlagerung, die Überholung und Neubau von Holzbooten, vornehmlich Meteryachten, spezialisierten Betrieb Robbe & Berking Classics. Eine Wahnsinns-Idee, sich auf diese kapriziösen Rennyachten zu konzentrieren. Mittlerweile segeln mehrere Zwölfer in unseren Gewässern, von denen einige in Eignergemeinschaft oder von Vereinen betrieben werden. Zwölferfans wie Beek oder der Däne Patrick Howaldt halten sogar zwei Exemplare.

Berking verwirklicht den Traum stilvollen Segelsports mit beharrlicher Gelassenheit. Sein Betrieb beschäftigt mittlerweile 38 Leute. Wäre der Begriff Entspannt nicht so entsetzlich abgegriffen, er wäre bei Berking zu verwenden. Der Flensburger versteht es mit italienischer Grandezza und bodenständig anmutender Gelassenheit die Fertigstellung von „Jenetta“ mit einer pfiffigen Party und wenigen klaren Worten zu feiern. Sven Dose, der Häuptling der vierköpfigen norddeutschen „Jenetta“-Eignergemeinschaft berichtet in seiner kurzen Ansprache unter der aufgebockten „Jenetta“, er hätte sich von Berkings Begeisterung für Meterklasse-Rennyachten mitreißen lassen. Bislang baute die Werft kleinere Exemplare dieses Typs, im Auftrag eines vermögenden Dänen mit „Siesta“ einen lediglich entworfenen, bis 2015 nicht gebauten Zwölfer und jetzt „Jenetta“. Zwölfer sind eine Limited Edition. Von 172 gebauten Booten existieren noch 110. Dabei sind die Exemplare der Dreißiger Jahre die schönsten, weil sie weitgehend aus Holz sind und nicht wie die Amerika Pokal-Rennmaschinen der Siebziger- und Achtzigerjahre aus nüchternem Aluminium oder Kunststoff.

Man kann sie nach historischen Plänen neu bauen, sofern das Original verloren ging, oder restaurieren. Berking holte „Jenetta“ als Wrack aus Kanada. Einzig der Bleikiel und das symbolische Stück eines Decksbalkens mit der Registriernummer ließen sich erhalten. Da mit dem Kiel das Namensführungsrecht einer Yacht verbunden ist, gilt der Neubau von „Jenetta“ als Restaurierung. Restaurierte Exemplare dürfen jenseits der ursprünglichen Bauvorschriften neuerdings etwas mehr Segel setzen, was bei leichtem bis mittlerem Wind Vorteile hat. Wie bereits die Zwölfer „Sphinx“ und „Siesta“ ist „Jenetta“ zwar ein klassisch geplanktes, bei näherem Hinsehen jedoch modernes Holzboot mit Epoxidharz verklebten Planken. Da das versiegelte Holz weder nennenswert quillt noch trocken schrumpft und miteinander verklebte Planken einen unnachgiebigen Rumpf ergeben, bleibt ein Epoxidboot auf Dauer dicht. Interessant ist auch, dass sich so ein Boot härter segeln läßt. Die Rennyachten der Dreißigerjahre waren mit nachgiebigen Baumwollsegeln unterwegs. Die Fasern moderner Segeltuche geben die Stöße von Windböen dagegen direkt ans Gebälk ab. Nicht zuletzt ist ein Zwölfer-Neubau mit abschließend unter dem Rumpf montiertem Originalkiel günstiger als eine zeitfressende Restaurierung. Dennoch gingen 20 Tausend Stunden in das Schiff, das dem Vernehmen nach etwa 1,5 Millionen Euro gekostet hat.

Nach dem Einwassern gibt es Gelegenheit zu einem Blick an Bord. Abgesehen von der Luke im Vordeck, dem verglasten Skylight mittschiffs und dem Niedergang ist das Deck so schier, wie eine alte Rennyacht zwischen der Deckskante aus glänzend lackiertem Mahagoni sein kann. Einzig die Kurbeln der Grinder zur Handhabung des Vorsegels und die Takelage ragen nach oben. Die Beschläge aus keramikgestrahltem Edelstahl sind – bis hin zu den Gehäusen der diskret angebrachten Positionslaternen – raffiniert schlicht.

Im Schiff auf den Bodenbrettern stehend bleibt uns die Spucke weg. Abgesehen vom den weißen Paneelen des Toilettenraums und der Kochstelle ist „Jenetta“ leer. Einzig das warme Braun der Decksbalken, das honigfarbene Spruce der Längsbalken (Stringer) die ebenfalls klar lackierten Bodenbretter und der matte Edelstahl der Rippen (Spanten) unterbrechen die innen mattweiß gestrichene Bordwand. Wie das Original entstand „Jenetta“ in Mischbauweise aus 29 Stahlspanten, zwischen denen jeweils zwei Spanten aus schichtweise verklebter (lamellierter) Esche montiert sind. Ein Thema für sich war die Anpassung der Metallspanten, die der Langlebigkeit halber aus nichtrostendem statt herkömmlichem Stahl angefertigt wurden. Zugunsten der Festigkeit wurden die 45 bzw 50 mm Winkelprofile nicht erhitzt, sondern kalt gebogen. Den teils verzogenen Winkelprofilen nach dem Anschmiegen an die Rumpfform mit Schraubzwingen wieder eine rechtwinklige Form zu geben, war für die Bootsbauer eine Fron. Man braucht dafür gute Schraubzwingen und kräftige Hände. Zahlreiche Stunden gingen auch in die herkömmlich geschraubte Verbindung der 36,5 mm dicken Planken mit 10 mm Senkkopfschrauben und innen sitzenden Flachmuttern. Es stecken 2.856 solcher Verbindungen in „Jenetta“. Es ist schwer, sich dem schlichten Purismus von „Jenetta“ zu entziehen. Wie das beeindruckende Regatta-Debüt zeigt, segelt der soeben in Betrieb genommene Neubau ausgezeichnet. Das Retro-Segelfestspiel auf der Ostsee ist um eine Kostbarkeit reicher.

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