Lärm wie Brutus
Eine Warnung an alle Bionademenschen, die sich regelmäßig ihres C02 Fußabdrucks vergewissern und mit ermüdender Gründlichkeit ständig alles richtig machen müssen. Dieser Artikel ist mehr was für kleine Jungs.
Eigentlich ist es ganz einfach, Menschen zu verstehen. Man muss sich nur in den Räumen umsehen, wo sie sich gern aufhalten. Ist es das Wohnzimmer, die Küche, der Hobbykeller, die Garage, eine Kneipe oder Bühne, eine Bibliothek, vielleicht gar das Büro? Bei Carsten Klink und Malte Krüger ist es eine alte, helle Fabrikhalle in einem Gewerbegebiet in Berlin Köpenick. Nebenan ein Supermarkt, eine Werft zur Reparatur von Flussschiffen, eine Motorenwerkstatt, Metallbauer und Büros für dies und das.
Der 44-jährige Klink führt mit seiner Frau Martina einen Binnenschifffahrtsbetrieb für Spezialtransporte und Sachen, die andere nicht anpacken. Die Ed Line Reederei befindet sich nebenan. Nicht dass bei 24 Schiffen und 77 Mitarbeitern Langeweile aufkäme. Die Ostdeutschen haben den Betrieb ‘97 nach dem Motto gegründet: „Was Holländer bei uns machen, können wir auch.“ Klinks zehn Jahre jüngerer Kompagnon Malte Krüger kommt aus Köln, ist eigentlich Jurist und Autohistoriker mit einer gelebten Schwäche für alte Tatras.
Nur finden beide die Instandsetzung seltener Vorkriegswagen, die Reparatur historischer Motoren oder die Sanierung klassischer Motorboote interessanter, als sich den lieben langen Tag am Schreibtisch mit Angeboten, Schriftsätzen und Mandanten zu beschäftigen. Das versteht ohne weiteres, wer die Halle der einstigen Carl Engelbrecht Werft an der Wendenschlossstrasse 366 betritt. Es ist bloß ein Schritt, aber einer mit Folgen. Es ist der Schritt des kleinen Jungen an der Hand des Vaters in ein Spielzeuggeschäft. Ein Schritt, der die blöden Limits des Anfassen- und Mitnehmendürfens in einer staunenden Glückseligkeit versinken lässt. Ach, was es da alles gibt! Vorn rechts steht die Karosserie eines Tatra 87 auf einem Podest, unerreichbar, nur von unten herum zu bestaunen. Wie einst das Spielzeugauto auf dem Regal. Grün leuchtet der Motorblock eines betagten Reihenachtzylinders auf einer Palette. Eine 5 Liter Maschine aus den 30er Jahren. Auch das kleine Tarz-Sportboot aus DDR Produktion mit kessen amerikanischen Heckflossen haben wir noch nie gesehen. Links schimmert durch den glänzenden Klarlack das rotbraune Mahagoni eines Doppelplichtboots, gezeichnet von Arthur Tiller, einem vielseitigen, damals führenden Bootskonstrukteur. Im Decksausschnitt zwischen Motorraum und Heck saß der Chauffeur. Auf der Sitzbank im Vorschiff ließen sich die Passagiere den Fahrtwind um die Nase wehen. Ein Gefährt mit der Grandezza venezianischer Wassertaxis.
Es müssen nur noch die Beschläge, die nachverchromte Leitöse für die Ankerleine, die Poller, Klüsen und Halterungen für die Wimpel abschließend montiert werden und die Maschine auf ihr Fundament gehoben. Es kommt da der original 8 Zylinder Reihenmotor vom Typ Lycoming UC 500 in Frage, wie er damals Luxuswagen a la Auburn, Düsenberg oder Packard antrieb und das elegante 6 1/2 Meter lange, knapp zwei Meter breite Rennmöbel auf annähernd 30 Knoten beschleunigte. Die rutschsicheren Hartgummitritte mit dem Relief der Carl Engelbrecht Werft, der maßgeblichen Motorbootwerft der 20er und 30er Jahre sind bereits montiert. Die haben die beiden Auto- und Bootssammler anhand alter Fotos rekonstruiert. Man muss einen Hau für altes Männerspielzeug haben und gern hier sein, um so etwas zu machen.
Die morsche Limousine dahinter mit dem gewölbten Dach der geschwungenen, einst Panorama verglasten Kajüte und den ergrauten rissigen Planken gehörte in den 50er Jahren mal Hildegard Knef, die ungern auf die Annehmlichkeiten einer Kochgelegenheit und eines Toilettenraums verzichtete. „Wir haben das Boot vor einem dreiviertel Jahr bekommen,“ berichtet Krüger. Nun muss bloß noch der richtige Liebhaber mit Geschmack und Geld in die Halle an der Wendenschlossstrasse kommen und die Bootsbauer machen lassen.
Der sportlich hagere Klink, der am Scharmützelsee südöstlich von Berlin mit verschiedenen, damals möglichen Motorbooten groß wurde, rückt mit verlegenem Stolz seine Brille zurecht. Er mag Berliner Zigarren, schnittig schlanke Verdränger der 20er und 30er Jahre, von denen Klink einen, dann noch einen und dann den nächsten kaufte, weil kein wassernah lebender Mensch mit Herz (und dem langen Atem des sammelnden Liebhabers) so was einem ungewissen Schicksal überlässt, wenn er es verwahren und an seinem bevorzugten Aufenthaltsort restaurieren kann: mit beharrlich zusammengesuchten Originalteilen, gefühl- und liebevoll nachgeahmten Neuteilen. Den Aufwand, den Klink für die Replik der historischen Marienfelder Daimler-Benz Uhr erwähnt, ist erschütternd, wird aber angesichts des ansehnlichen, markanten Ziffernblatts vergessen. Eine so schlichte und klar gestaltete Bootsuhr kann man nirgendwo kaufen. Angesichts seines immer öfter klingelnden Mobiltelefons entschuldigt sich Klink. „Ich muss wieder rüber ins Büro. Wir sehen uns nachher zur Probefahrt.“
Weiter hinten in der gut 700 Quadratmeter großen Halle geschieht das laufende Geschäft der erst im vergangenen Jahr am Ort eines gescheiterten Vorgängerbetriebs neu gegründeten Werft, werden Motor- und Segelboote späteren Datums um- und ausgebaut. Damit beschäftigen sich die beiden Bootsbauer Rolf Overberg und David Schmidt gerade. Metallarbeiten übernimmt der Harleyfahrer Andre Kimritz, der auch die Marinisierung, sprich den Umbau der autoüblichen Luft/Wasser Kühlung auf den Betrieb im geschlossenen Motorraum von Booten, übernimmt. Das kleine Wasserskiboot vom Typ Tarz bekommt gerade einen marinisierten Alfa anstelle des Wartburg Motors.
Hinten links in der Halle kehren wir in die automobil kuriose Zwischenkriegsära zurück, stehen vor Krügers spezieller Asservatensammlung. Ein Tatra 97 von Anno ’39, die zwei Jahre ältere Langversion eines Tatra 75, angetrieben von einem stattlichen Heckmotor. Der Geradeauslauf sollte durch ein Haifischflossen-artiges Leitwerk auf dem Heck unterstützt werden. So was mit Spezialflosse brauchen Jungs halt zum Anfassen, Mitnehmen, zum gezielten Schnell- und noch schöneren Langsamfahren. Den Gutbrod Superior, 1953 im schwäbischen Plochingen aus der Garage geschoben, würde es ohne Liebhaber wie Krüger wohl auch kaum geben. Im Regal darüber liegen zwei Mercedes-Nürburg Motoren. Sie sind mittlerweile so rar, dass die beiden sentimentalen Auto- und Bootssammler sie bevorraten und mit gehohnten, sprich aufgeweiteten Motorblöcken, bei der besagten Maschine von 82,45 auf 82,5 mm Zylinderweite aufarbeiten. Als technischer Geschäftsführer der Reederei ist Klink regelmäßig mit der Instandsetzung von Schiffsmotoren, idealerweise mit den Bordmitteln der Werkstatt nebenan im Paterre der Reederei beschäftigt. Doch bei allem Verständnis für den Reiz der authentischen, historisch richtiger Motorbootinstandsetzung: Ist es nicht etwas „over the top“, mit den aus heutiger Sicht kruden Aggregaten der 30er Jahre abzulegen? Krüger lächelt jungenhaft. Er meint, die Frage würde sich gleich bei der Probefahrt von selbst beantworten.
Wir sind an der Wasserseite von Klinks und Krügers liebstem Aufenthaltsort angekommen. Auf der Dahme und der heutigen Ruderstrecke von Grünau wurden in den zwanziger Jahren Motorbootrennen ausgetragen. Auf einem Anhänger steht fertig zur Auslieferung eine neun Meter lange Autoboot-Limousine vor dem Tor. Ein Engelbrecht Werftbau, dessen genieteter Rumpf bereits 1929 verzinkt wurde, mit antiquiert pagodenartigem Aufbau für den Salon. Fünf Tausend Stunden gingen in die Instandsetzung des Gefährts, das einst von einem Chauffeur gefahren, gepflegt und bewacht wurde. Das vermutlich einzig erhaltene seiner Art wird auf der Elbe Gäste des Weinguts Schloss Proschwitz spazieren fahren. Aus praktischen Gründen ist das Boot dort mit einem modernen Volvo Penta AQ 170 anstelle des historischen Mercedes Automotors unterwegs.
Wenige Schritte weiter schlummern im Schatten des überdachten Bootshangars der einstigen Yachtwerft Berlin unscheinbar, wie Kanus und mit weißen Planen staub- und lichtdicht abgedeckt, einige Berliner Zigarren. Krüger streift die Schuhe ab, hüpft mit einem Satz auf das klarlackversiegelte Deck und hebt feierlich die Persenning von „Germania Mea“. Mit Socken oder barfuß an Bord ist es zwar lebensgefährlich, aber schlimmer als der Sturz in die Dahme wäre ein Kratzer im Deck. Dann kommt Klink federnden Schritts irgendwie erleichtert aus dem Büro und nimmt hinter dem kleinen Vierspeichenlenker Platz. Er betätigt mit dem kleinen Hebel rechts an der Nabe des Steuerrades den Choke und dreht das köstlich klobige Bosch Zündschloss mit der Anmutung eines Bakelit Lichtschalters. Das ist schöner, als den ganzen Tag Holländern auf heimischen Flüssen und sämtlichen Kanälen Paroli bieten.
Ein Grollen geht durch die Bootshalle. Mit aggressiver Heiserkeit Anfangs erhöhter Umdrehungen verlässt das alte Eisen unter der endlos langen Motorhaube des Vorschiffs die Agonie des Stillstands. Befeuert von weiteren Gasstößen, die Klink nach gewisser Entbehrung (das Büro, das Handy, die Holländer) offenbar gern hinterher schickt, kündet das einst aus dem Mercedes 500 marinisierte Triebwerk mit pubertärer Rotzigkeit davon, dass bei weiterer Provokation mehr geht. Diese Inbetriebnahme der acht Zylinder ist eine virile Drohung an alle, die heute auf der Dahme unterwegs sind. Der Besucher grinst wie beim Betreten der Halle von der Wendenschlossstrasse und er schämt sich bodenlos für seine kleinliche Zweckmäßigkeitsfrage an Land. Klink meint, die 110 PS Maschine würde klingen wie Brutus, das ist irgendein durchzugsstarkes Höllenteil im Sinsheimer Technik Museum. Dann legt er am Handbremsenartig langen Schalthebel den Rückwärtsgang ein. Das Wasser staut sich am Heck. Das fette Blubbern der Aufpüffe erstickt zu einem blasenartigen Quaken. Es klingt wie die Diskussion der nächsten europaweiten Emissionsverordnung durch geschlossene Türen. Die beinahe vergessene Klasse der 12 mR-Rennyachten hat sich wieder zum exquisiten Parkett alljährlicher Segelfestspiele entwickelt.
Zur Artikelübersicht