Der Musikdampfer des Marschalls
Der gelernte Schlosser Josip Broz, genannt Josef Tito, hatte ein Faible für weiße Marineuniformen und blaue Schuhe. Und die passende Yacht dazu.
Nicht nur in den heißen Sommermonaten zog es Josef Tito nach Veliki Brijuni, einer Insel bei Pula, die für den obersten Werktätigen, seine Bekanntschaften und Gäste reserviert war. Vor dem idyllisch flachen Brioni Archipel in Sichtweite des Festlands ankerte eine charmante volkseigene 46 Meter Motoryacht mit Vertrauen erweckend hohem Bug, vielen Bullaugen, vorn umlaufender Portugieserbrücke, angenehm schattigen Seitendecks und apart abgerundetem Achterschiff. Unwirklich wie das Lametta auf der Uniform des einstigen Untergrundkämpfers schwojte das in der hellen Sonne weiß leuchtende Traumschiff in der türkis schillernden Adria.
Vom Balkon vor dem Steuerhaus ließen sich bei heiklen Ablegemanövern, von denen es im Leben des Staatsschlossers und Marschalls manche gab, die Back- und Steuerbordseite überwachen. Die Volksrepublik Jugoslawien war ein sozialistisches Land ohne russische Besatzungstruppen. Titos blockfreier Kurs zwischen östlicher Hegemonie und westlicher Einflussnahme war so heikel, wie die Navigation auf der mit Untiefen gespickten Adria. Sie verlangte Augenmaß und Kalkül.
Der Musikdampfer des Marschalls hieß „Kraljevica“. Wie die kleine, von Habsburgern oder Italienern als Porto Re erinnerte Hafenstadt im Südosten Rijekas, wo Josip Broz 1925 als Mechaniker in einer Werft gejobbt und nebenher Partei- und Gewerkschaftsarbeit erledigte, um sich bald ganz auf das politische Strippenziehen zu konzentrieren. Der Name des volkseigenen Traumschiffs erinnerte an Titos Erinnerung an seine proletarische Vergangenheit.
Seine Karriere aus dem Untergrund via Komintern, Gefängnis und Partisanenkampf an den Maschinentelegrafen der Macht, das gepolsterte Leben auf dem Parkett der Weltpolitik war steil. 1953 wurde der autoritäre Tito zum Staatspräsidenten ernannt, ein Privileg, das er sich zehn Jahre später weisungsgemäß auf Lebenszeit zementieren ließ.
In seiner weißen Villa auf Groß-Brioni war das Bohnerwachs der langen Gänge des Staatsapparats, der Belgrader Politbüro-Mief so entfernt wie das Festland. Tito entwöhnte seine Arbeiter und Bauern damals auf brutal stalinistische, meist mediterran mildere Tour von kapitalistischen Mätzchen wie Eigentum und bürgerlicher Dekadenz. Deshalb gehörte der charmante Musikdampfer nicht ihm, sondern allen. Einzig das Recht zum Betreten des Schiffes war eingeschränkt.
Natürlich wäre der Besitz des Traumschiffs schön gewesen, doch wozu Dinge teuer bezahlen, wenn bereits das Privileg zur entspannten Nutzung langt? Eine Vorwegnahme des modernen Leasing, wobei die Kosten von sämtlichen Werktätigen beglichen wurden. Erweisen sich in der abschließenden Bilanz eines zufrieden geführten Erdenbürgertums Kleinigkeiten wie Hab und Gut nicht ohnehin als Blendwerk? Der sozialistische Patriarch musste und konnte diesem der Staatsräson halber entsagen.
1952 war „Kraljevica“ in Rijeka bei der Brodogradiliste 3. Maj am Marx-Engels Boulevard 9 nach Plänen eines italienischen Konstrukteurs vom Stapel gelaufen. Sieben Sommer vergnügte sich der Marschall mit ihr. ’59 wurde sie von der deutschen „Zentralen Buchungsstelle“ übernommen und „Istranka“ genannt. Von Nizza tuckerte sie im Charterbetrieb zu den Balearen, über die Kanarischen Inseln bis zum liberianischen Monrovia.
Der lebenslustige und repräsentationssüchtige Marschall, auch sonst eher an unterhaltsamer Abwechslung als der dauerhaften, vertieften menschlichen Beziehung interessiert, hatte längst eine andere maritime Affäre. Sie hieß „Galeb“. Ihr Name kündete von der freien und räuberischen Lebensweise des Freibeuters der Lüfte. Das kroatisch „Seemöve“ getaufte Schiff hatte mit 117 Metern den Vorzug, größer als „Christina O.“ des griechischen Reeders Aristoteles Onassis zu sein. „Britannia“, die Staatsyacht des Commonwealth, war kaum größer. Menschen, die sich aus beengten Verhältnissen auf die Portugieserbrücke des Daseins manövriert haben, neigen besonders auf dem Wasser zum großen Format. Titos „Seemöve“ war 1938 in Genua als schnittiger Bananendampfer entstanden. Mit den beiden, zusammen 7.200 PS starken FIAT Motoren lief sie 17 statt dröge 14 Knoten Reisegeschwindigkeit ihrer Vorgängerin. Damit konnte sich der angemessen gewandete Marschall auf der Themse und auch sonst in der Weltgeschichte blicken lassen. Ausgiebige Kreuzfahrten in politischer Mission waren auf dem 15 Meter breiten Schlitten beinahe so kommod, wie das alljährliche Brioni Sabbatical.
Der weitere Kurs des abgelegten Musikdampfers wurde dann mit einer Briefkastenfirma auf der Kanalinsel Jersey, die unter anderem mit vielen Sonnenstunden punktet, korrosivem Dauerliegen an der Cote d’ Azur und einer Versteigerung an eine auf den Grenadinen eingetragene Adresse juristisch abwechslungsreicher als nautisch. 1995 strandete das teilweise überholte Schiff im Dock der Konkurs gegangenen Valdettaro Werft auf Golf von La Spezia. Die Arbeiten wurden 2000 mit einem abwechslungsreichen Holzausbau in Ahorn, Eiche, Kirsche, Mahagoni, Palisander bis hin zu lackiertem Teak abgeschlossen.
Die Technik wurde komplett erneuert, einzig das Ankerspill auf dem angehobenen Vordeck und die Messing Glocke ist von gestern. Die Kommunikation von der Brücke zum lauten Schiffskeller erfolgt nicht mehr mit Maschinentelegraf, sondern per Joystick und Touchscreen Bildschirm. Zwischen dem beeindruckend großen Maschinenraum und den Mannschaftsquartieren wurde eine Edelstahlküche über die gesamte Schiffsbreite eingebaut, wo der Küchenchef und ihm assistierende Gemüseschneider einer großen Abendgesellschaft ein mehrgängiges Menü in den Speiseaufzug stellen. Eine neunköpfige Besatzung kümmert sich um die nautischen Belange und versorgt bis zu acht Gäste an Bord.
Einzig die beiden weißen Negerküsse, ein auf modernen Yachten und bei richtigen VIPs unvermeidliches Zubehör zur Satellitenkommunikation, geben kund, dass der Musikdampfer des Marschalls mit zeitgemäßer Technik unterwegs ist. Die zitronengelbe Verkleidung des Schornsteins ist der Clou des charmant kleinen Kreuzfahrtschiffs. Die zwei zusammen tausend PS starken Deutz Diesel schaufeln das Mittelmeer unter Titos abgelegter Wasserdatsche mit 14 Knoten Reise-, wenn es sein muss auch 17 Knoten Spitzengeschwindigkeit durch. Bei gemächlichen 800 U/min begnügen sie sich mit 150 Litern Diesel die Stunde.
Der solvente Zeitgenosse bucht „Istranka“ ab Viareggio für eine private Odyssee durch das toskanische Archipel einschließlich Personal wie Kapitän, Koch und Gemüseschneidern bei Carlo Capelli.Da erscheint man entspannt wie Jozip Broz alias Josef Tito auf dem angenehm schattigen Seitendeck und lässt mild lächelnd ablegen. Wenn es sein muss, zünftig weiß gewandet. Die blauen Schuhe gibt es bei Deichmann.
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