Der Großsegler

Für manche Leute ist es das höchste Glück, eine edle Yacht zu besitzen. Dem Software-Milliardär Jim Clark ist das nicht genug. Kaum ist ein Boot fertig, ist das nächste in Arbeit. Sein derzeitiges Schiff heißt Athena und ist ein interessanter Mix aus Hightech und Retro.

Der kalifornische Softwarekaufmann Dr. Jim Clark lehnt zufrieden am Rad des Außensteuerstands. Wie ein richtiger, historischer Dampfer hat Athena eine so genannte Portugieserbrücke mit vorn um das Steuerhaus geführtem Balkon. Das kräftige Braun der Teak-vertäfelten Kommandobrücke steht glänzend im Lack. Im Unterschied zu seiner weiß und dunkelrot gekleideten 18-köpfigen Besatzung trägt Mister Netscape ein hellblaues Polohemd zur weißen Hose. Die Mannschaft hat das Hemd in den Shorts stecken. Clark trägt es über dem Bund.

Mit zwei Fingern führt Clark seinen elfhundert Tonnen verdrängenden Dreimaster unter einer Wolke weißer Segel weit draußen durch den Golf von Saint Tropez. Das Steuerrad ist etwa so groß wie bei der Pamir, sein Schiff hat annähernd das Format eines Flying P-Liners. Doch transportiert es weder Baumwolle, Salpeter noch Weizen. segelt Clarks eigene maritime Welt spazieren. Sie misst 77 Meter über Deck, ist 12 Meter breit und verteilt sich auf drei Etagen zum Brunchen, Lunchen, Dinieren, Zigarre rauchen und faulenzen.

Das spätsommerliche Mittelmeer zeigt sich im diesig weichen Licht der Côte d’ Azur von seiner angenehmen Seite. Es gibt Wind und ist nicht zu heiß. „Sind Sie schon mal mit allen Tüchern gesegelt“ erkundigt sich ein Begleiter. „Noch nicht“ meint Clark und ordert via Walkie Talkie die „Topsails“. Entscheider fackeln nicht lange. Die provozierende Frage an einen passionierten Segler wie Clark kennt nur eine Antwort: raus mit den Lappen. Denn ganz oben, über den Gaffelsegeln ist noch Luft. 12 – 14 Knoten, eine Reisegeschwindigkeit, von der Segler üblicher Boote allenfalls träumen, sind ja ganz schön.

Doch wenn noch ein paar Meilen mehr gehen, werden 500 Quadratmeter Segel zusätzlich aus den drei Masten gerollt. Nach einer Weile stiebt Athena mit 2.623 Quadratmetern und gut 16 Knoten durch das Mittelmeer. „Boy, sie läuft wie der Teufel“ freut sich Clark mit leuchtenden Augen. Es ist der Moment, wo ansonsten klar denkende Strategen zu kleinen Jungs werden und es ungeachtet der Segelempfehlungen ihres Konstrukteurs rauschen lassen. Es sind solche kostbaren Minuten oder Stunden, für die Großsegler Clark sich das jahrelang mit einigen Dollars, Telefonkonferenzen, Meetings und Flügen zur Baustelle gibt.

Eine kühne, eine unzeitgemäße Segler- und auch Männerphantasie. Ein charmanter Anachronismus, aufgetakelt nach dem technischen Stand unserer Tage. Jetzt ist Athena keine Vision, kein Projekt oder Großbaustelle mehr. Jetzt lehnt Clark am pamirgroßen Rad auf der zehn Grad geneigten Kommandobrücke. Das Hemd über der Hose, zwei Finger am Rad.

Der Traum begann 1997 in einem Flur der Royal Huisman Werft. Der Bootsbaubetrieb im Südosten des Isselmeers ist auf gediegene Yacht Sonderanfertigungen spezialisiert. Der Huisman Claim „if you can dream it, we can build it“ lässt Budgetfragen außer vor. In Vollenhove geht es um das Handwerk, die Beherrschung aller schiffbaulichen Gewerke, komplexe Objekte, vor allem um Termintreue. Denn Kunden wie Mister Netscape warten ungern. Sie wollen ihr Schiff, segelklar und wie erträumt, keine Probleme.

Deshalb ließ Clark damals die 47 Meter Superyacht Hyperion aus einer neuen Legierung des Koblenzer Aluminiumspezialisten Corus bei Huisman schweißen, spachteln und lackieren. Ein modernes Boot des argentinisch-italienischen Yachtarchitekten und seinerzeitigen Agnelli Hauskonstrukteurs German Frers. Für einige Monate war Hyperion die größte Einmast Segelyacht der Welt. Bis Landsmann John Williams, ein hemdsärmeliger Immobilienkaufmann aus Atlanta, Clarks Segelboot mit seiner weinroten 49 Meter Yacht Georgia und Whirlpool auf dem Oberdeck toppte.

Damals entdeckte Clark im Flur der Huisman Werft ein Modell des Zweimast Schoners Borkumriff des deutschen Eigners Bill von Finck – und den Reiz traditioneller Linien. Als Bauherr im Lauf monate- bis jahrelanger Konzeption das Segelboot ab und zu neu für sich erfinden, ist ein Spaß, den sich eine Hand voll Eigner in der 40 Meter Plus Kategorie immer wieder gönnen. Von Finck brachte es auf 7 gediegene Schiffe.

Bereits wenige Monate nach dem Hyperion Stapellauf war Athena auf dem Weg. Clarks Wunsch nach einer veritablen Hochseesuite mit Badezimmern, begehbarem Kleiderschrank und Lesezimmer mit klimatisierter Zigarrenvitrine nebst adäquaten Unterkünften für Familie, Freunde oder Geschäftspartner, alles in allem 220 Quadratmeter privater Lebensraum unter Deck, ließ Athena vom zunächst geplanten 60 Meter Zweimaster über ein 80 m Schiff zum dreimastigen 90 m Schlitten wachsen. Der Transport von der Werft durch die Kanäle via Amsterdam an den Rand der Weltmeere limitierte Athenas Breite, die Brückendurchfahrtshöhe des Panama Kanals ihre Masten auf 60 Meter. Sie wäre sonst wohl noch ein, zwei Ideen größer geworden. Clark ist Amerikaner.

Stilistisch ist sie vom so genannt „goldenen Zeitalter“ des Yachting inspiriert, als amerikanische Bankiers, Gummibarone, Eisenbahn- und Stahlmagnaten, russische Zaren und britischer Adel sich weniger mit den Kosten als Komfort- und Stilfragen ihrer Dampf- und Segelyachten befassten. Damals meinte John Pierpont Morgan einmal, dass jemand, der nach den Kosten einer Yacht frage, sich eh keine leisten könne.

Das goldene Zeitalter der Staaten passte diesseits des Atlantik zur Belle Epoque. Damals war es très chic, mit einem Dampfer vor der Riviera zu kreuzen, mit der schwimmenden Residenz vor Monacos Corniche auf Reede zu liegen. Diese Variante des maritimen fin de siècle setzte als gepolstertes Finale der Frachtsegelei Ästhetik und Tradition des ausklingenden Zeitalters mit sanft schaukelnden und schnaufenden Sentimentalitäten fort: mit Klippersteven und Schornstein zwischen den Ziermasten stattlicher Dampfer.

In den Räumlichkeiten der schwimmenden Dritt- oder Viertwohnsitze lebte es sich samt Personal in etwa so kommod, bloß abwechslungsreicher wie zuhause. Die Flotte der stets schwarzen Corsair der New Yorker Bankiersfamilie Morgan, die 66 Meter lange Haida, 1929 in Kiel bei der Krupp-Germaniawerft gebaut und heute als Rosenkavalier bekannt oder die 91 Meter grosse Nahlin der englischen Jutemillionärin Annie Henrietta Yule von 1930 ragten aus der seinerzeitigen Flotte heraus. Zur besegelten Maybach-Kategorie gehörte die 58 Meter lange Vira, heute als Creole und einstige Gucci-Yacht im Mittelmeer unterwegs.

Seit Ende der 80er Jahre wird wieder groß aufgetakelt. Der toskanische Maschinenbaufabrikant und Werftgründer Fabio Perini ist Pionier der automatisierten Superyacht, die mit kleiner Besatzung bewegt werden kann. Er liefert seine voluminösen Motorsegler mit schnittigen Aufbauten quasi in Serie. Die yachtbaulichen Meilensteine Cyclos und Juliet der Huisman Werft setzten hinsichtlich Komplexität und Perfektion Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre Maßstäbe. Neulich ließ der einstige Avis Geschäftsführer Joseph Vittoria mit seiner 75 Meter Luxuscharteryacht Mirabella V den derzeit größten Einmaster vom Stapel. Er geht mit annährend 90 Metern Mast an den Wind. Neue, Rechner gestützte Konstruktionswerkzeuge und Materialien schlagen ein neues Kapitel im Yachtbau auf. Sie ermöglichen jenen Wettkampf um die größte, schnellste oder höchste Yacht, aus dem sich Großsegler Clark mit Athena elegant ausgeklinkt hat. Sein Boot besticht weniger durch schiere Größe, obgleich es derart groß ist, das es allenfalls aus der Ferne, vor Anker liegend, zu überblicken ist, eher durch Charme und Stil.

Zwischen den oben halbrunden Fenstern der cremeweißen Aufbauten mit der Anmutung von Pferdekutschen, Kohlendampfern oder den Yachten der Viktorianischen Ära und dem Teakgeländer der Reling fühlt man sich wie auf einem Oceanliner. Die Rettungsinselmagazine und die Bügel der anachronistischen Barkassenkräne tragen zu diesem Eindruck bei. Yachtgestalter Pieter Beeldsnijder richtete Athena klassizistisch, beinahe schnörkellos und mit zwei Holzarten, brasilianischem Swietenia Mahagoni und schwarzbraunen Intarsien aus westafrikanischem Wengé im Vergleich zu anderen Superyachten zurückhaltend ein. Das Interieur erinnert mit senkrechten Rillen in Säulen, Pfosten und Möbelrundungen an die Kannelüren antiker Tempel.

Up to date ist das SeaScape Programm, ein Steckenpferd des Softwarekaufmanns. Es fasst die bis Hyperion inkompatiblen Funktionen vor einem natürlich auf Athena abgestimmten, cremefarbigen Bildschirmfond so geschickt zusammen, dass problemlos zwischen Motordaten, Tankinhalten, Batteriezuständen, Lukenstellungen, Video überwachten Decks, Lastabfrage des selbst stauenden Tauwerkmanagements und der Unterhaltungselektronik gezappt werden kann.

Dabei prallen datentechnisch Welten aufeinander. Es ist allerhand zu verwalten: Die vier Tausend PS der Hilfsmotoren, 100.000 Liter Sprit, 30 Tonnen Frischwasser, zwei Seewasserentsalzungsgeräte, 73 Luken und Türen, mehr als 40, meist vollautomatisch tätige Segelwinden, eine Datenflut von 8.500 Sensoren. „Da möchte man gelegentlich das Programm wechseln“ meint Clark.

Schön ist es, mal in frischer Seeluft im Schutz der Reling am Meer spazieren zu gehen. Die Runde führt um die glänzende Hardware zum Ankern und Vertäuen der Yacht auf dem Bug herum, unter der nostalgisch vertäfelten Portugieserbrücke zum sanft angehobenen Heck. Nach ein paar Athena Bootslängen nimmt ihr weiß schäumendes Kielwasser wieder das Blau des spätsommerlichen Mittelmeeres an.

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