S‘san hoit koane Ant’n

Der bayrische Arzt und Alleinunterhalter Georg Ringsgwandl bezeichnete „Fernsehen, Saufen und Golf spielen“ mal als beliebteste Freizeitbeschäftigung der Deutschen. Es wäre schade, wenn der Ringsgewandl da Recht hat.

S‘san hoit koane Ant’n

Denn Fernsehen und Saufen machen in erhöhter Dosierung auf Dauer blöd und dick, besonders bei synchronem Gebrauch. Seltsamer noch als der rätselhafte Zeitvertreib des Golfens ist die Sitzsportart des Dickschiffsegelns. Früher wurde dabei besorgniserregend gesoffen. Für Generationen waren Segeln und Alkohol zwei Seiten der gleichen Medaille. Es gab – und gibt leider nach wie vor – das Ablege-, das 11 Uhr-Bier, den hochprozentigen Besanschot-an-Schluck, das Anlegebier oder die Sherrytime. Abends heißt es dann erst richtig „Prosit“ an Bord. In Berlin gibt es sogar ein Boot mit diesem Namen.

Nun gibt es eine ergiebigere und gesündere Droge, die sogenannte Dünnschifferei. Dünnschiffe sind Boote, die deutlich länger als breit und hoch sind. Im Unterschied zum allgegenwärtigen Dickschiff steht das Dünnschiff bei Kaum bis Wenig nicht elend herum. Ein Dünnschiff macht so viel Spaß, dass Bier, Wein oder Hochprozentiges an Land oder in der Bilge bleiben können, weil die Droge Segeln schon langt.

Vor einer Weile besuchte ich mal den Münchener Bootsbauer Helmut Fischer. Ein bodenständiger Mann, der in der ersten Etage seiner Möbeltischlerei im Stadtteil Trudering in viertausendstündiger Feierabendarbeit erst einen Vierziger Schärenkreuzer alleine gebaut hatte und dann noch einen zweiten. Obwohl man bekanntlich nur ein Boot segeln kann, sind Schärenkreuzersegler mindestens im Begriff, von einem zweiten Boot übernommen zu werden – soweit die Sache nicht schon vollzogen ist. Wir waren zum Segeln am Starnberger See verabredet, wo Fischers erstes Geschoß namens „Aphrodite“ an einem Bojenplatz lag. Das zweite (die „Freya“) stand auf einem Trailer neben Fischers Werkstatt.

Grundsätzlich kann man am Starnberger See schön segeln gehen. Sofern es Wind gibt. Die Erörterung der Frage, wann dieser Fall eintritt, überlasse ich Einheimischen, weise aber darauf hin, dass enorme Geduld hilft. Die meditative Demut des echten Seglers in Erwartung einer Brise wird durchaus belohnt. Sollte der Wind dennoch mal ausbleiben, hat man falsch oder halt zu kurz gewartet. Wie das eben bei besonderen Freunden so ist. Wahrscheinlich ist Segeln in Bayern so ähnlich wie Golfen oder Fliegenfischen. Das Metier erschließt sich nicht jedem.

Vor allem braucht man dazu die richtige Hardware. Der Golfer weiß, dass mit einem falschen Holz und ungeeigneten Eisen alles daneben geht. Ein schwerfälliges und untertakeltes Gefährt, das nach entbehrungsreichem Warten auch in der Hand des geübten Seglers aus der Brise nichts macht und wie gehabt apathisch auf dem Lago herum steht, ist für alle Beteiligten eine Beleidigung. Wer betrüblicherweise so ein Boot hat, mäht dann besser daheim den Rasen. Es wäre so beglückend, wie Fliegenfischen ohne Köder.

Ich war eigens aus dem windreichen Norden zum schönen Possenhofen gekommen. Der See machte seinem Ruf alle Ehre. Still wie das Sargassomeer lag er da. Keine Welle trübte das Spiegelbild der Schönheit, die sich gleich doppelt zeigte. Hier wirkte der Bootsname „Aphrodite“ auch nicht kitschig oder übertrieben. Mit ihrer gestreckt über den See ragenden Bug- und Heckpartie schien Fischers Vierziger mehr zu schweben als zu schwimmen.

Während Fischer mit seinem kleinen Nachen vom Possenhofener Ufer hinaus ruderte, war ich bereits beim Übersetzen auf der Rückbank sitzend hin. Mit den abgefahrenen Proportionen des ganze 48 Zentimeter aus dem See ragenden Rumpfes, der kleinen Schlupfkajüte unter dem filigranen Peitschenmast erschien das aparte Geschöpf wie aus einer anderen Welt.

Unbeeindruckt von der Windstille fädelte Fischer das Großsegel in die Spur des honiggelben Sprucemastes, zog es himmelwärts, wickelte das Vorsegel aus und schubste den Bug von der Boje. Die anderen Boote standen wie schlummernde Möwen an den Bojenplätzen abgedeckt herum. Wir standen auch. Alle vernüftigen Leute waren entweder zum Arbeiten in der Landeshauptstadt oder aus anderen Gründen, wahrscheinlich auch zum Rasen mähen, an Land geblieben. Beim prüfenden Blick ins Mattgrün des Wassers entdeckte ich ein paar Schwebestoffe. Die Algen trieben die Mahagoniplanken entlang sacht nach achtern. Nicht dass der Fischer jetzt schon von „Wind“ oder „Fahrt“ geredet hätte. Der sportliche Bayer ist eh mehr ein Mann der Tat als des Wortes. Immerhin ließ sich das Gefährt bereits steuern. Das ließ hoffen. Segler sind ähnlich wie Fliegenfischer gnadenlose Optimisten. Ich genoß einstweilen die Athmosphäre des Starnberger See, wo sich das Ländliche auf eigenartige Weise mit dem exklusiven vorstädtischen Leben Münchens mischt.

Plötzlich schuppte sich backbord voraus das Wasser. Und zwar nicht von einem aus der Seemitte der Roseninsel entgegen eilenden Fischschwarm. Es handelte sich anscheinend um Wind. Fischer sagte nichts. Er gab nicht mal Tipps zum Steuern, was Bootseigner eigentlich nie schaffen. Mit routinierten Handgriffen stellte er den Spalt zwischen Vor- und Großsegel ein, als wären solche Phänomenalbrisen hier so üblich, wie die das Land ringsum katholisch ist.

Wie aus der offenen Kajüte zu hören, begann das Wasser den Rumpf entlang zu murmeln. Mit sanft weg gedrücktem Pinnenausleger führte ich die schlanken Planken näher an das Gekräusel heran. Die Fahrt steigerte sich vom belebten, dann eifrigen bis hastigen Vorbeiplätschern in ein köstliches Fitschern und Zischen. Die zunächst noch unentschlossene halbe bis ganze Windstärke wuchs sich zu fetten Zwei aus. Wie in alten Jollenzeiten hockte ich beglückt auf der windwärtigen Bootskante und spielte mit Schotwagen und Großschot. Entzückt dirigierte ich das glänzend im Lack stehende Mahagonigeschoß durch den Nordost. Ein Gleichklang zwischen Wind und Wasser stellte sich ein, zur deren Voraussetzungen natürlich das entbehrungsreiche, an der Verzweiflung entlangschrammende Warten ebenso gehörte wie dieses aparte Seespielzeug. Es zog eine unverschämte Höhe. Was für eine Leichtwindmühle.

Alle Boote, die ich, ob alt oder neu, klein oder groß, gesegelt habe, erschienen im Vergleich zu diesem hier als krude Rohsegler. Mit Ausnahme eines IACC America’s Cuppers der 90er Jahre, den ich mal bei ähnlichen Bedingungen übers Ligurische Meer scheuchen durfte. Da ging es ähnlich zur Sache. So zischten wir durch‘s seglerische Elysium nach Leoni herüber: die schöne „Aphrodite“, der Fischer und ich aus dem zugigen Hamburg. Jetzt waren all die rechtschaffenen Leute und die Rasenmäher am falschen, wir drei am richtigen Ort. Die Votivkapelle lugte durch das Grün der Nachmittagssonne, was Amis, Chinesen, Japaner ohnehin entzückt und andere Fremde wie mich auch.

Als ich später bei anderer Gelegenheit Stefan Frauendorfer im schönen Tutzing besuchte und ihm vom Vierziger-Nirwana erzählte, ein Genuß, der dem Klassenhäuptling und vorübergehenden Hobby-Bereederer zweier alter Exemplare durchaus geläufig ist, meinte er: „S‘san hoit koane Ant’n“ (Sind halt keine Enten).

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