Hans-Joachim Kulenkampffs Dreimaster
Was machen Männer in den besten Jahren, wenn plötzlich der Geldregen einsetzt? Sie spielen das Leben eindeutig über par, werden mit einem flachen Sportwagen und verblüffend junger Freundin seltsam. Als der Schauspieler und Showmaster Hans-Joachim Kulenkampff für die Tabakreklame „Feuer, Pfeife, Stanwell“ in den Siebzigerjahren ein Vermögen bekam, steckte der passionierte Segler die 650 Tausend Mark stattdessen in sein Traumschiff.
1988 erklärte er in einer Talkshow einmal: „Es gibt ein paar Dinge, wo ich nicht zu beleidigen bin, das ist beim Segeln und beim Autofahren.“ Der umgängliche Kulenkampff, der als Theaterschauspieler für seine Tourneen ausgiebig reisen musste, fuhr gern Auto. Noch lieber ging er an Bord seiner „Marius IV“ segeln.
Kulenkampffs Ultima Thule: Anholt
Der gebürtige Bremer verwirklichte mit der Sonderanfertigung einen Traum, wie ihn jeder Tourensegler bestens kennt: den von der komfortabel großen, unkaputtbaren und zugleich handlichen Hochseeyacht. Der 53-jährige ließ sich einen rund 17 Meter langen, vier Meter breiten Segler zeichnen. Das war Anfang der siebziger Jahre viel Schiff. Kulenkampff hätte mit seinem 18 Tonnen Schlitten ohne weiteres nach Grönland oder zu den Fidschi Inseln ablegen können. Kulenkampffs persönliches Ultima Thule lag im Kattegat auf halber Strecke zwischen Dänemark und Schweden, etwa vier zügig absolvierte Segeltage von der Kiel-Holtenauer Schleuse des Nord-Ostsee Kanals entfernt. Die Rede ist von der Insel Anholt.
Anholt ist eine überwiegend flache Insel, die sich ähnlich wie ein echtes Südsee Atoll spät über den Wogen zeigt und zwecks Vermeidung von Schiffbruch nur in einem bestimmten Winkels anzusteuern ist. Größer als die Hürde der Anreise über die offene See zur schmalen, bei Westwind exponierten Hafeneinfahrt war die Weiterreise in den steinigen Irrgarten der westschwedischen Schären rings um Göteborg, vor allem die Rückreise gegen den frischen Westwind mit deftigem Seegang. Genau dafür, für viel von vorn, war die stäbige „Marius IV“ gedacht.
Wie es zum 17 m Dreimaster kam
Die Handhabung löste Kulenkampff auf spezielle Weise. Damals waren Rollanlagen zum Aufwickeln der Segel um rotierende Aluminiumrohre am Vorstag oder die im Mast in leidlich bekannter Markisenwickeltechnik für das bequeme Segelmanagement noch nicht üblich. Effiziente, mit einer Hand zu bedienende Winschen, ganz zu schweigen von deren motorisierter Variante, gab es ebenfalls nicht.
Die Segelyacht der Siebziger sah aus wie eine zeitgenössische Stereoanlage. Sie hatte endlos viele Tuningmöglichkeiten, die natürlich nur von Experten beherrscht und der artverwandten Spezies der Wichtigtuer besprochen wurden. Die mussten mit derben Sprüchen, reichlich Bier und ähnlichen give aways bei Laune gehalten werden. Nun war Kulenkampff aber kein Herrensegler, der solche Burschen zum Wechseln riesiger Vorsegel und Reffen des Großtuchs mitnahm. Er wollte seine Ruhe und die Arche vom Segel-Verein Niedersachsen Burg an der Lesum mit seinem langjährigen Segelfreund Schapp Meyer im Wesentlichen zu zweit bewegen. Ab und zu kamen auch mal die leider nicht ganz so segelbegeisterte Frau und Tochter oder Kollegen vom Funk und Fernsehen mit.
Blaupause Atlantikrenner „Vendredi 13“
So bekam das Boot anstelle eines Masts mit zwei großen Segeln, nicht zwei mit entsprechend kleineren Tüchern, sondern allen Ernstes drei Masten. Die Blaupause dazu war die 39 Meter lange „Vendredi 13“ anlässlich der Einhand Atlantik-Regatta von England nach Amerika von 1972. Genau so und nicht anders wollte Kuli das haben und Horst Glacer zeichnete ihm die Takelage. Bei auffrischendem Wind wurde eines der handlichen Stagsegel herunter an Deck gezogen. Das kriegten Kuli und sein Matrose Meyer auch in der schietigsten Böe problemlos hin.
Der ungewöhnliche Look brachte dem Boot bald den Spitznamen „Verkehrtherumsegler“ ein. Die eigenartige Geometrie vermittelte auf den ersten Blick aus der Ferne in der Tat den Eindruck, als stimme da etwas nicht und das Boot würde rückwärts segeln. Wenn vor der Wesermündung, auf der Nord- und Ostsee dieser Bonsai Dreimaster wie eine Fata Morgana erschien, wussten die Kenner an der Küste immer, dass das Urgestein der deutschen Fernsehunterhaltung „gerade nicht zu beleidigen war“. Natürlich provozierte so viel Gebälk über 15 ½ Meter Deckslänge im Hafen ständig unterschiedlich nette Fachfragen. Segler fachsimpeln, frotzeln und sticheln gern. So antwortete Kuli auf die Frage, warum das Schiff denn drei Masten habe: „Weil ich vier nicht unterbringen konnte.“
Im August 1974 erschien Kulenkampff mit seiner „Marius IV“ das erste Mal auf seiner Lieblingsinsel Anholt. Angesichts des vollen Hafens ankerte er im Außenbecken hinter den Wellenbrechern und wartete ab. „Daraufhin verschwand der meist nachlässig gekleidete Hafenmeister in seinem Büro, erschien nach einer Weile picobello in seiner Uniform zurück und bot dem Dreimaster einen Ehrenplatz am Fähranleger an. Dort, wo eigentlich keine Yacht anlegen durfte“ erinnert Birger Winkelvoß, der damals als Jugendlicher zufällig mit einem anderen Boot zugegen war und sich als Freund des heutigen, dritten Eigners rührend um das Schiff kümmert.
Schifferklause Lehrke in Bremerhaven
Zum Ritual der sommerlichen Törns zur Kattegatinsel Anholt und mancher kleinen Flucht in die Weite der Nordsee zwischendurch gehörte die Ansteuerung der Schifferklause Lehrke in Bremerhaven. Dort, an der Geeste 19 ging der Dreimaster oft längsseits. Andere Gäste, die den Fehler gemacht hatten, draußen vor dem Lokal am Tisch mit dem besten Blick auf den Hafen zu tafeln, wurden dann von der Wirtin mit dem Hinweis weg komplimentiert, sie säßen „leider gerade an Herrn Kulenkampff Platz“ und der wäre „halt jetzt da“.
Nach dem Bacchanal eines gekonnt zubereiteten Fischgerichts mit zwei oder drei gescheiten Bieren waren Kuli und Matrose Schapp bereit für den Törn. Am nächsten Tag schob sich der Klipperstefen dem Jadebusen entgegen, die handlichen Stagsegel flatterten im üblichen Westwind und der Diesel wurde abgestellt. Das Seglerleben konnte beginnen.
Unterwegs auf See schöpfte der bodenständige Charmeur, der clever zwischen dem Tiefgängigen und dem Seichten, zwischen Spracharbeit auf der Theaterbühne oder literarischen Sendungen und populären Auftritten vor einem Millionenpublikum, den Quiz Shows „Wer gegen wen“ oder „Einer wird gewinnen“ zu kreuzen wusste, Ausgeglichenheit und Kraft. Vor einigen Jahren übernahm der Bremer Geschäftsmann Jens-Torsten Bausch das Boot und ließ es aufwändig generalüberholen. Als noble Bremensie liegt sie nun als „Langlütjen“ am Stegende der Bremerhavener Lloyd Marina.
Zur Beantwortung der Frage wie sich so ein Bonsai-Dreimaster und Verkehrtherumsegler eigentlich anfasst und fährt haben Bausch und sein Matrose Winkelvoß an einem gleichermaßen sonnigen wie windreichen Tag zum Segeln eingeladen. Da wir Dreimaster bisher nur als Besucher der „Rickmer Rickmers“ oder der „Passat“ kannten, wurde das Angebot gern angenommen. Wer möchte nicht daheim oder im Club erzählen, er hätte neulich einen Dreimaster gesegelt, obwohl so was seiner Größe und Umständlichkeit halber bekanntlich als Museumsschiff in Hamburg und Travemünde vertäut ist?
Die böigen vier Windstärken mit gelegentlich einem Extrapüster aus West schieben den Schlitten mit beachtlichen 8, manchmal neun Knoten durch die Weser. Das hätte der Besucher dem Schiff angesichts des erheblichen Nettoabtropfgewichts nicht zugetraut.
Das Steuerrad mit den gedrechselten Tropenholzspeichen hat mit etwa einem Meter Durchmesser nicht ganz das Format der Pamir, ist dennoch recht groß. Hier also stand der EWG (Einer wird gewinnen) – Quizmaster mit seiner obligatorischen blauen Schiffermütze während Matrose Schapp das eine oder andere an Deck regelte. Eigner Bausch lässt sich die Segelstunden von seinem permanent läutenden I-Phone verhageln. „Nein, ich bin nicht in Mallorca, auch nicht im Büro. Ist es etwas Wichtiges?“ Geschäftlich Strippen ziehen und segeln, das sind und bleiben wohl zwei Welten.
Unter Deck ist die „Langlütjen“ ganz die „Marius IV“ geblieben. Das schwarz grün marmorierte Pantry Kacheldekor der frühen siebziger, die dicken Rippen der Zentralheizung, die Vertäfelung in heller Eiche. Sogar die Altherrensprüche auf den Bronzeschildern aus der Abteilung „The Captain …“ sind noch da.
Also, wir sind nicht sicher, ob es wirklich so drei Masten sein müssen, wir das ganze Geklöter an Schienen für die Selbstwendefocks, Winschen und Klemmen, so viele Strippen und Schoten unbedingt bräuchten. Heute gibt‘s die acht Knoten raumschots direkter, leichter, einfacher. Der Stand der Segeltechnik ist vier Jahrzehnte weiter.
„Wissen Sie, irgendwie ist Kuli bei uns immer dabei“ meint Winkelvoß. „Der guckt jetzt bestimmt aus irgendeiner Wolke runter und freut sich, dass sein Schiff wieder segelt.“ Darauf ein kühles Bier und vielleicht auch ein kleines Fischgericht in der Schifferklause Lehrke. Morgen dann den langen Schlag hinaus in die Weite des Meeres.
Die kurze Ära drei- und viermastiger Yachten
1972 startete Jean-Yves Terlain mit dem Dreimastschoner „Vendredi 13“ beim Observer Singlehanded Transatlantic Race (Ostar) vom südenglischen Plymouth nach Newport in den USA. Der Kurs von Ost nach West gegen den Golfstrom über den stürmischen Nordatlantik ist ein Härtetest für Mensch und Material. Er führt oft direkt in die entgegenkommenden Tiefdruckgebiete mit chaotischem Seegang. Das 39 Meter lange, 35 t schwere Boot entstand nach Plänen des amerikanischen Konstrukteurs Dick Carter in einer bretonischen Werft als seinerzeit größte Kunststoffyacht. Sie war der Handhabung halber mit drei Vorsegeln an jedem Mast angetrieben. Bei drei permanent an Stagreitern hängenden Vorsegeln kann wenig kaputt gehen und dem chronisch überforderten Einhandsegler bleiben kraftraubende wie gefährliche Segelwechsel und Reffmanöver erspart.
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