Erich Wilts
Es gibt keinen unpassenderen Ort zur Begegnung mit dem Blauwassersegler Erich Wilts als die hektische Hamburger Innenstadt. Hier, an der Binnenalster wird an mancher roten Ampel per Countdown die Wartezeit in Sekunden bis zum 200 m Spurt zur nächsten Ampel angezeigt.
Als ich den ringsum gelassenen großen Mann das erste Mal sehe, denke ich an einen Werkkundelehrer, der als integre Persönlichkeit eine desinteressierte Kinder-Verwahranstalt mit wenigen Unterrichtsstunden in einen lebenswerten Ort verwandeln könnte.
Ausgerechnet in der Filiale einer nichtssagenden Kaffeekette sind wir verabredet. Nach der Begrüßung überlegen wir, wo wir uns mit unseren Bechern hinhocken könnten. „Na, wo wir am wenigsten von diesem dauerfröhlichen Gedudel hier belästigt werden“ rutscht es mir heraus. Die Kassiererin versteht das und gibt uns gleich eine Peilung.
Dann erzählt Wilts mitten in dieser absurd künstlichen Plastikwelt mit leuchtenden Augen vom Segeln vor Alaska, vom Beringmeer und den Aleuten, wo er gerade herkommt. Wo der Pazifik einen langen Atem hat, es in der Wetterküche dieser Breitengrade plötzlich stürmt und so heftig weht, dass man kaum aus dem Niedergang kommt. Wilts ist hands on, wie man im englischsprachigen Raum sagen würde. Ohne es zu betonen, ist er klar und auf angenehme Weise geradeaus.
Die Begegnung liegt eine Weile zurück. Dennoch erinnere ich das etwa zweistündige Gespräch, als wäre es gestern gewesen. Damals bereitete er sich gemeinsam mit seiner Frau Heide auf jene Reise von Alaska nach Japan vor, die mit dem Verlust der „Freydis II“ enden sollte.
Staunen und Demut gelernt
Viel ist passiert seitdem. Die Wilts segelten im Uhrzeigersinn die große Runde um die nördliche Hemisphäre des Pazifik von Alaska südwärts bis San Diego über Hawaii und die Midway Inseln bis Japan, fanden in der Marina von Iwaki einen Liegeplatz und nahmen sich zur Erkundung Japans Zeit.
Wieder bereiten sie während einer Bordlebenspause von Deutschland aus die Fortsetzung ihres Törns über die russische Halbinsel Kamchatka in den Norden vor. Erneut soll es in diese unwirtliche Gegend des Beringmeeres gehen, wo man das Wetter gut beobachten sollte, Fahrtensegeln eine abenteuerliche Exkursion ist und die entfesselten Elemente mit der stäbigen 25 Tonnen Slup Katz und Maus spielen.
Reißende Gezeitenströme mit gefährlichem Seegang zwischen den Inseln, der Blick in den harten Alltag der Einheimischen, Begegnungen mit Bären und die Ansteuerung schroffer Gletscher locken die Wilts mehr als komfortable Marinas, die Barfußroute, der seglerische Mainstream. Es zieht die beiden immer wieder in jene Breitengrade, wo die Zivilisation ausfranst, in die Wildnis übergeht.
Sie segeln mit jener Begeisterung dorthin „die Bergsteiger auf Gipfel treibt. Dafür sind wir bereit, Unwägbarkeiten und Strapazen auf uns zu nehmen. Wir haben bei solchen Törns das Staunen gelernt und eine Demut, die glücklich und zufrieden macht. Solche Erlebnisse befriedigen zutiefst“ schrieb Heide Wilts einmal.
Obwohl sie ihre Ziele von langer Hand, mit cleverer Organisation und beharrlicher Vorbereitung verfolgen, wirken sie dabei ringsum gelassen. „Jeder nach seinem Gusto. Wem die Ostsee oder das Mittelmeer reicht, wunderbar“ meinte Wilts damals im Balzac.
Der Tsunami
In der Nacht vom 10. auf den 11. März 2011 hat Heide Wilts im fernen Heidelberg einen Alptraum vom Verlust des Schiffes. Er wird mit dem Erdbeben und dem fürchterlichen Tsunami Wirklichkeit, überflutet die Ostküste Japans teilweise, kostet vielen Menschen das Leben und löst die Atomkatastrophe von Fukushima aus.
Der Sog des Tsunamis zerrt die „Freydis“ zunächst aus dem Hafen. Eine Woge spült sie später unrettbar in die Felsen. Die Wilts haben mehr als einfach „nur“ ihr Schiff, sie haben ihre Arche, ihr schwimmendes Zuhause verloren, einen treuen Begleiter, mit dem sie durch dick und dünn segelten, der ihnen einmal in Südamerika ausbrannte und den sie vor Deception Island am Rand der Antarktis beinahe verloren hätten und wieder flott machten.
All das, den erlebnisreichen letzten großen Törn der „Freydis II“ von Alaska nach Japan, das Drama des verloren geglaubten, bald entdeckten, zunächst rettbar geglaubten und schweren Herzens aufgegebenen Bootes schildert der soeben erschienene 230-seitige Band von Heide Wilts. Das Buch ist im Ostfriesland-Verlag SKN erschienen. Es wird innerhalb Deutschlands kostenlos verschickt.
Nach dem Verlust ihres Schiffes haben die beiden Endsechziger sich in einem Alter, wo die meisten die Segel gestrichen haben oder aufhören, zügig ihre dritte „Freydis“ ausbauen lassen. Den Rohbau gab es in der gewünschten Eisklasse bereits. Damit sind sie seit 2012 unterwegs. So halten die Wilts Kurs. Denn da ist ja noch die siebte Weltreise, die das sympathische Ehepaar weiter segeln möchte.
Freydis III
Ihre neue „Freydis“ liegt derzeit in Bundaberg, das ist in der Nähe von Brisbane an der Ostküste Australiens. Von dort werden sie Anfang Januar ausgerechnet wieder zum gefährlichen, von Seebeben und Tsunamis heimgesuchten Gewässer Japans aufbrechen, um dann weiter nach Kamchatka und zu den Aleuten zu segeln. Wo es noch ungemütlicher ist, als bei uns im Winter. Wo man beim Landgang auf Grizzlys achten muss. Wo es keine Ampeln mit Countdown zur Grünphase zum nächsten 200 m Spurt und auch keine Kaffeeketten mit Muzak Musik gibt.