Elisabeth Ernst Meyer
Ein Porträt der Klassiker-Enthusiastin, die Ende der Achtzigerjahre mit dem weithin bewunderten zweiten Stapellauf des einstigen Americas Cup Renners Endeavour von sich reden machte – basierend auf Tatsachen statt üblicher Märchen.
Im Alter von vier Monaten wird Elisabeth Ernst Meyer erstmals in einer Trage an Bord eines Bootes gehoben. Als versierte Regattaseglerin möchte Mary Meyer, Ärztin der Epidemiologie, den geliebten Wassersport wie gehabt mit Kind fortsetzen. Vater Eugene Meyer, ein Psychiater, gewinnt Motorboot fahrend und angelnd Abstand von seiner Tätigkeit an Baltimores „Johns Hopkins School of Hygene and Public Health“. So wird Meyer frühzeitig auf dem verzweigten Gewässer der Chesapeake Bay mit Wind und Wasser, Böen und Boot, Pinne und Schot vertraut. Den Sommer verbringt die Familie in Marblehead bei Boston, dem nordamerikanischen Mekka des Segelsports, oder sucht weiter nördlich im urwüchsigen, angenehm kühlen Maine auf dem Wasser Erholung. Das prägt.
Die segelbegeisterte Mutter schildert der achtjährigen Tochter den majestätischen Anblick der J-Klasse Yachten anläßlich der prestigeträchtigen Rennen um den Amerika Pokal ‘30, ‘34 und ‘37 draußen vor Newport. Die Vorstellung der niedrigen, hundertdreißig Füße lang über das Wasser ragenden Deckskante unter verschwenderisch großer Segelgarderobe lässt die junge Seglerin nicht mehr los. In der Schule geht sie Freunden mit Fotos, Daten und Anekdoten über die längst von den Regattabahnen verschwundenen Segelsaurier und deren 16 Etagen himmelwärts ragende Takelage auf die Nerven. Bereits während des Studiums der englischen Literatur wird die 21-jährige Eignerin eines 12 Meter langen „Concordia“ Zweimasters. Diese, einst von der norddeutschen Werft Abeking & Rasmussen in 102 Exemplaren exklusiv für amerikanische Kundschaft getischlerten Holzboote genießen entlang der Ostküste der Vereinigten Staaten geradezu kultische Wertschätzung. Das Boot mit dem kleinen blauen Stern am Bug und dem Halbmond am Heck gilt als Quintessenz nautischer Kultur. Als dezentes, europäisches Erzeugnis verkörpert es schwimmendes Understatement.
Mit dem Bachelor of Arts in der Tasche jobbt Meyer zunächst bei einem Segelmacher in Annapolis, dann im Zoo ihrer Heimatstadt Baltimore. ‘77 gründet sie mit Freunden „Weatherly Company“, eine Firma zum Entwurf und Bau von Urlaubsdomizilen auf dem neuenglischen Lebenskünstler Eiland Martha’s Vineyard. Rund 40 Häuser entstehen auf der gefragten Insel, darunter große und komplexe Objekte wie die Villa für Jacqueline Kennedy-Onassis. Und weil Geldverdienen allein nicht glücklich macht, veröffentlicht die begeisterte Seglerin ‘79 im Selbstverlag das Buch zu ihrem Schiff: „The Concordia Yawls, 1938-1978: Forty Years Sailing“.
‘84 amüsieren sich Meyer und die halbe weiße, angelsächsische, segelnde und protestantische Bevölkerung der Ostküste mit „Yaahting“, der Parodie einer namhaften New Yorker Wassersportzeitschrift, über den Bullshit der Yachtpresse. Mit „how to walk the dock“, einer komplett durchfotografierten Anleitung zum Beschreiten eines Bootsstegs, nimmt sie den (damals erst in den Kinderschuhen steckenden) Beratungsjournalismus hoch.
Im gleichen Jahr führt sie eine Recherche über die kurze Ära der J-Klasse Yachten nach Südengland. Sie interviewt den 97-jährigen Flugzeugfabrikanten, America’s Cup Herausforderer und einstigen „Endeavour“ Eigner Thomas Octave Murdock Sopwith und besucht Frank Murdoch, seinen 81-jährigen früheren Angestellten. Die bis heute erfolgreichste englische Herausfordereryacht des Amerika Pokals (‘34) steckte voller, von Murdoch ausgetüftelten Neuheuten, etwa der ersten elektronischen Windmeßanlage. Viereckige Vorsegel nutzen den Wind besser aus dreieckige. Die sogenannten „Quadrilaterals“, schnodderig „Quads“ genannt, wurden zum Merkmal der Klasse und müssten streng genommen Murdochs heißen. Sogar mit profilierten Wanten, die sich nach jeder Wende automatisch strömungsgünstig in den Wind drehen, soll experimentiert worden sein.
Nachdem sich das junge Ehepaar Vivienne und John Amos während fünfjähriger Eigenarbeit mit der Wiederherstellung des „Endeavour“ Rumpfes auf einer Baustelle südlich von Southampton ruiniert hat, entschließt sich die 31-jährige Reporterin an einem verregneten Novembertag ‘84 zur Übernahme des komplett entkernten, 40 Meter langen Eisenrosses. „Es war mir nie in den Sinn gekommen, eine J-Klasse zu kaufen. Ich war zum gucken und dokumentieren einer Yachtsportära gekommen. Aber ihr Anblick warf mich um. Ich nahm die steile Leiter zur Bordwand, kletterte im Stahlskelett wieder runter und stand mitten in der schönsten aller J-Klasse Exemplare. „Endeavour“ war schön wie ein umgedrehtes Kirchenschiff. Da ich die Möglichkeit hatte, sie zu kaufen, blieb mir keine andere Wahl, als es zu tun,“ erinnert sie sich an den folgenschweren Entschluss. Ein Jahr später ist auch die energische, straff arbeitende Amerikanerin am Ende. Meyer überlegt, die Finger von „Endeavour“ zu lassen. Ein Unglück mit dem Auto, ein samt Kriegskasse verschwundener Verlobter und ein Nervenzusammenbruch erinnern Meyer an Sopwiths Warnung: „J-Klasse Yachten waren damals schon monströs. Sie passen weniger denn je in die Zeit. Sie müssen verrückt sein, Frau Meyer.“ Die Wiederherstellung der historischen Segelmaschine mit gigantischen Abmessungen scheint so unmöglich wie das Erklimmen eines bislang nicht bezwungenen Gipfels.
Andererseits weiß die drahtige Seglerin: „J-Klasse Schiffe sind die Königinnen des Yachtsports. Sie sind der Stoff, aus dem Geschichte ist.“ Generationen von Seglern haben den Segelsauriern nachgetrauert. Das Erlebnis sie zu segeln, gilt als Droge. Meyer ändert die Strategie. Die 33-jährige schreibt die Verwandlung des Rohbaus in eine luxuriöus ausgestattete Charteryacht bei führenden nordeuropäischen Schiffbauern aus und heuert den Glückstädter Yachtberater Jens Cornelsen für die Bauaufsicht an.
1989 schiebt die holländische Royal Huisman Werft, der Betrieb hat sich mit gediegenen Aluminium- und Stahlyachten einen Namen gemacht, nach zweijähriger Arbeit ein mittel- bis dunkelblaues Grandhotel vor die Halle und errichtet einen schornsteindicken 50 Meter Mast darüber. Hinter dem Kirschinterieur über Dielen aus Oregon Fichte haben die Holländer einen begehbaren Kühlraum, Klimaanlage, Motor, Stromerzeuger, Tanks und Seewasserentsalzungsanlagen im schlanken, torpedoförmigen Rumpf versteckt. Ein Kamin und die fragmentarische Heckpartie von Harold S. „Mike“ Vanderbilts „Ranger“ zieren den Salon. Der Umbau wird zur Sensation der Yachtbranche. Zehn Millionen Dollar soll ihre „Endeavour Incorporated“, die Meyersche Firma zum Schiff, in die Yacht gesteckt haben.
Im August 89 kommt es zur Begegnung der dunkel- genauer: endeavourblauen Yacht mit der tannengrünen „Shamrock V“ draußen vor Newport, auf historischem Gewässer. Publikumswirksam stehen Senator Ted Kennedy und CNN Boß Ted Turner auf Teakbohlen, die jedem Salzbuckel die Welt bedeuten. Die Monstrositäten des Teebarons Sir Thomas Lipton und des Flugzeugfabrikaten T. O. M. Sopwith segeln wieder. Nachdem die prosaischen Yankees sämtliche ihrer sechs J-Klasse Renner verschrotteten, holte ihre segelbesessene Enkelin, die energetische Elisabeth „Endeavour“ Meyer „Darling Jade“ aus Calshot Spit und stellte parallel „Shamrocks“ Herrichtung auf die Beine. Das Spektakel kuriert das seit ‘83 lädierte seglerische Selbstbewußtsein, als die australischen Schotenreißer vor Newport die Herausgabe des Amerika Pokals aus der Trophäensammlung des New York Yacht Club erzwangen. Draußen auf der sanft rollenden Atlantikdünung werden wieder Spinnaker gesetzt, deren Fläche die Immobilienfachfrau Meyer ebenso praktisch wie cool mit Grundstücksformaten umreißt: „Just under half an acre“.
Das Budget zum Betrieb des 40 Meter langen Seewasserspielzeugs in praktisch werftneuem Zustand beziffert Meyer in den Neunzigerjahren bei einer durchschnittlichen Jahressegelleistung von 30 Tausend Seemeilen mit einer Million Dollar. Die wesentlichen Posten sind Gehälter der achtköpfigen Stammbesatzung, laufende Reparaturen, regelmäßiger Ersatz verschlissener Segel durch neue Garderobe, gelegentliches Auffrischen der glänzend lackierten Bordwand, Versicherung und Hafengebühr.
‘88 hatte Meyer in ihrer Wahlheimat Newport „J-Class Management“ gegründet, ein Büro zur Betreuung der beiden J-Klasse Exemplare „Shamrock V“ und „Endeavour“ sowie Vermietung an eine zahlungskräftige, vom üblichen Bootsprogramm gelangweilte Klientel. Es bietet den einwöchigen Segelurlaub für 70 Tausend Dollar netto, zuzüglich Nebenkosten für Sprit, Hafengebühr und Trinkgelder für die Crew an. Im Herbst ‘99 verkaufte Meyer „Endeavour“ mit 150.000 Meilen unter dem Kiel an einen Eigner aus New Hampshire. Angesichts einer ausgesprochen selbstbewußten Preisvorstellung war das Schiff einige Jahre auf dem Markt. Der Küstenklatsch berichtet, die Geschäftsfrau habe die erwarteten Dollars für „Darling Jade“ bekommen. „Nach 15 Jahren „Endeavour“ möchte ich mich auf etwas neues, IYRS konzentrieren,“ kommentierte Meyer den Verkauf. „J-Class Management“ betreut einstweilen die Generalüberholung von „Shamrock V“ und betreibt „Endeavour“ für ihren neuen Eigner.
Zum Gerücht, sie würde ihre seglerische Passion aus der Erbschaft eines stattlichen Vermögens (Levi Strauss und Washington Post) finanzieren, erklärt die 49-jährige. „Meine Familie hatte oder hat mit Levi Strauss nichts zu schaffen. Katherine Graham, eine Tante väterlicherseits, arbeitete für viele Jahre als Herausgeberin der „Washington Post“. Mein Vater saß dort mal ehrenhalber im Aufsichtsrat. Das ist alles. Niemand in meiner Familie hat großartig geerbt. Jeden in „Endeavour“ gesteckten Dollar habe ich selbst verdient“, erklärt die passionierte Seglerin, offenbar geschickte Geschäftsfrau, die ambitionierte Publizistin und Yachtrestauratorin.