Einmal nach Portofino

Wie eine soziologische Studie herausgefunden hat, macht Geld den Menschen nur glücklich, wenn er erkennbar mehr als andere hat. Ansonsten soll Geld in der modernen Vergleichs- und Neidgesellschaft sogar unglücklich machen. Diese Erkenntnis spricht gegen einen Besuch des ligurischen Jet-Set Fischerdorfs mit pittoresk mondänem Naturhafen, wo es einige Glückspilze mit prächtigen Villen, üppigen Gärten und ansehnlichen Booten, also deutlich mehr Geld gibt, als wir je haben werden.

In Portofino können wir uns soeben einen Milchkaffee unter den weißen Sonnenschirmen der zentralen Piazzetta leisten. Er wird hier zum ähnlich phantastischen Tarif wie auf dem Markusplatz von Venedig, allerdings ohne Stehgeiger gereicht.

Dafür ist der Blick auf den Hafen mit den fröhlich kleinen bunten Booten ganz schön.  Gemäß einem ungeschriebenen Tourenseglergesetz weht der Wind immer vom Ziel. Wir befinden uns einen Segeltag von Portofino entfernt im Golf von La Spezia. Die Fallböen, die sich aus den Höhen der Cinque Terre über den eigentlich geschützten Ankerplatz von Le Grazie hermachen, künden von einem deftigen Nordwest. Portofino, wo der Autofahrer stündlich mit fünf Euro im Parkhaus geschröpft wird, gibt’s eben auch von See kommend nicht geschenkt.

Eigentlich müssten wir in Le Grazie bleiben, den dörflichen Charme des Hafens genießen und abwarten, bis der Wind nachlässt. Wir könnten den beiden rothaarigen Besitzerinnen der Vinothek bei der Beaufsichtigung ihrer Dobermänner zugucken. Wir würden den Popen bei der täglichen Straßenseelsorge beobachten und schmunzeln, wie er sich um die eindeutig dem weltlichen Leben zugewandten Weinhändlerinnen kümmert. Das Leben ist eine Komödie und in Italien wird sie farbenfroh aufgeführt.

Der Deutsche dagegen arbeitet, er kämpft auch im Urlaub, wenn es richtiger werden soll. Deshalb legen wir ab und trotzen den unwirtlichen Bedingungen draußen vor Palmaria und der Isola del Tino unter zünftig reduzierten Segeln den Kurs nach portus delphini, wie die alten Römer die felsige Bucht nannten, ab. Vor der Steilküste der Cinque Terre gehen die Wogen hoch. Schaumgekrönte Elefantenrücken rollen uns entgegen. Nach einer Stunde haben wir uns an die Verhältnisse gewöhnt und gelernt, das Boot schonend durch die Buckelpiste zu steuern. Wie eng ist das Spektrum der Verhältnisse von Wind, Wellengang, Küstenformation und Temperatur, wo es sich auf dem Meer nicht bloß schlecht bis recht aushalten, sondern leben lässt. Weiter draußen queren wir die Strömungsgrenze zwischen dem nordwestlich, entgegen dem Uhrzeigersinn durch das ligurische Meer ziehenden und dem vom Wind südöstlich geschobenen Wasser. Wir segeln aus dem grünen, küstennahen Gewässer mit der Farbe einer gekachelten Badeanstalt übergangslos in ein bodenlos dunkles Blau. Ein Spektakel, das wir noch nie gesehen haben und abergläubische Naturen umkehren liesse.

Meile für Meile würgen wir das arg auf der Seite gedrückte, stampfende und gelegentlich bis zur Mastspitze bebende Boot im Zickzack Kurs die Küste hoch. Die Sonne wandert und lässt die Terrassen der Cinque Terre in köstlichem Grün leuchten. Der Wald, die Weinberge und das Meer. Die terrakotta-farbenen Würfel der Dörfer kleben wie Bienenwaben an den abschüssigen Hängen, quellen da und dort aus den engen Schluchten hervor.

Wir verstehen, warum dieser Küstenstrich einst als uneinnehmbar sicheres Land galt und Piraten die Schlupfwinkel mochten. Eine traditionsreiche Route. Einst schaukelten die Marmorfrachter vom toskanischen Carrara hier nordwärts. Oder die genuesische Seemacht La Superba schickte ein paar Schlachtschiffe zum notorisch widerspenstigen Pisa.

Am späten Nachmittag lässt der Nordwestwind locker. Mit ungerefften Segeln spurten wir im letzten Licht auf die Landzunge von Portofino zu. Die Sonne verschwindet hinter den Bäumen. Die kurze Dämmerung des Südens lässt wenig Zeit zur Orientierung. Rechts funkeln bereits die Lichter von Rapallo und Santa Margherita.

Portus Delphini. Ein perfekt geschütztes, ostwärts in den Golf von Tigullio geöffnetes Becken, ein schluchtartig enges Versteck. Einst, im Zeitalter der motorlosen, schwerfällig zeitfressenden Frachtsegelei eine willkommene Zuflucht oder gern wahrgenommener Zwischenstopp. Heute ein gediegenes Idyll am Ende des Naturschutzgebiets Monte di Portofino. Hier muss alles bleiben, wie es war. Für den Menschen, den notorischen Veränderer, ein praktisch unhaltbarer Zustand. Portofino gehört zu den wenigen Orten der Welt, wo er gelingt.

Der Wind wird unstet, das Meer beruhigt sich. Aus rauschender Fahrt wird sanftes Plätschern. Eine mächtige Kiefer beschirmt das Gemäuer der Burg San Giorgio, wo der englische Konsul Montague Yeats-Brown seinen Tee trank, die Champagner Baronin von Mumm die famose Aussicht nach Rapallo zu Füßen des Apennin-Gebirges genoß.Kerzengerade stehen die Zypressen am Hang, stumme Wächter des subtropischen Gartens. Eine eigenartige, jenseitig schöne Enklave. Klösterliche, gelegentlich von sarazenischen Rabauken, heute dem unermüdlichen Fremdenverkehr besuchte Abgeschiedenheit. Heute Abend herrlich still und fern von dieser Welt, beinahe wie vor hundert Jahren, als das Fischerdorf mit den pastellfarbenen Fassaden und grünen Fensterläden von adligen Riviera-Lebenskünstlern entdeckt wurde. Damals war die Ortschaft auf einem Maultierpfad durch Kiefernwälder und Olivenhaine, oder mit dem Boot zu erreichen. Wir verstauen die Segel, richten das Boot zum Anlegen her und tuckern an „Orion“, einem herrlichen Camper & Nicholson Fahrtenschoner von 1910 vorbei. Er passt zur Reede von Portofino, wie das Splendido Hotel im ehemaligen Klostergebäude über die Bucht. Ist es die abendliche Stille, die bezaubernde Schönheit des Naturhafens oder die Verfassung, in der wir ihn nach einem erlebnisreichen Segeltag erreichen? Portus Delphini.

Keine Elefantenrücken mit Schaumkronen, keine knatternden Segel, polternden Umlenkrollen, knirschenden Schotwagen mehr, kein knisternder Mast, kein Reffen, keine bangen Blicke in den Himmel voraus, keine Schläge unter den Bug. Die Sorge um Besatzung und Schiff bleibt zurück. Wir atmen den betäubenden Blütenduft und genießen den Blick nach oben, unter die von Scheinwerfern beleuchteten Blätter.

Wir vergessen die Soziologen und ihre Studien über den Zusammenhang von Geld und Glück. Auf das Ristorante Puny und Splendido, die sagenhaften Preise und ganze VIP-Gedöns mit Donatella Versace und Giorgio Armani pfeifen wir. Heute Abend ist Portus Delphini ein römisches Refugium, Enklave der Zufriedenheit, ein vollkommener Naturhafen. Das Wasser plätschert um die Isolotto-Steine, gluckst die Umberto Mole entlang. Die Arche schaukelt sanft. Wir lümmeln uns in die Sitzkuhle des Bootes, plaudern ein wenig mit den Segelfreunden und werden still.

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