Eine Scheibe abschneiden

Ein Außenseiter mischt das Geschäft mit dem Dartsport auf.
Sein Motto: Das Bessere ist der Feind des Guten.

Text: Erdmann Braschos

Der ehemalige Bauunternehmer Charles Rechberger hat Ende des Jahres 2008 jede Menge Ärger. Er gehört zu den Geschädigten der Pleite des Baukonzerns Philipp Holzmann und ist auf einer Eine-Million-Euro-Forderung sitzengeblieben. Um auf andere Gedanken zu kommen, kauft sich der aus dem Allgäu stammende Wahl-Berliner eine handelsübliche Dartscheibe. Nach ein paar Würfen sieht er sie sich genauer an und wundert sich über die schlechte Qualität des Drucks und die Abgrenzung der Spielfelder mit grobem Draht. Das kann man besser machen, denkt sich der damals 48-Jährige. In ihm keimt die Idee für ein neues unternehmerisches Abenteuer.

Rechberger ist ein geselliger Mensch, der „gern um die Häuser zieht“, sich beim Gespräch eine Zigarette nach der anderen ansteckt und stets für einen flotten Spruch zu haben ist. „In den Achtzigerjahren gab es in Kempten drei Leute mit Autotelefon. Den Chefarzt des örtlichen Krankenhauses, den Bürgermeister und Rechberger“, berichtet er aus seinem früheren Leben in Saus und Braus. Als er vor vier Jahren die Pfeile auf die Dartscheibe wirft, ist das längt Vergangenheit. Doch er resigniert nicht, sondern erkundet einen für ihn neuen Markt.

Weltweit werden jährlich etwa 110 Millionen Dartscheiben verkauft. Das Geschäft ist fest in angelsächsischer Hand. Traditionsreiche britische Marken versorgen die Spieler seit je mit Scheiben und Pfeilen. Die Dartboards bestehen aus Sisalfasern, die mit einem speziellen Verfahren so gebündelt und zu Scheiben gepresst sind, dass die Pfeile darin stecken bleiben. Das funktioniert bei regelmäßigem Spiel etwa ein Dreivierteljahr, dann muss eine neue Scheibe her.

Rechberger gelingt es nach einigen Mühen, besten mittelafrikanischen Sisal zu bekommen. Das Material gilt als besonders gut bedruckbar. „Es ist eine Frage des Breitengrads, der Sonne und Witterung. Brasilianischer Sisal beispielsweise eignet sich aufgrund der dunkleren Färbung der Faser und der Holzeinschlüsse weniger“, so seine Erkenntnisse aus dem Dartscheiben-Selbststudium.

Das nächste Problem löst der Unternehmer mit einem auf die Verarbeitung von Naturfasern zu Dämmstoffen, Matten und Vliesen spezialisierten Kollegen. Nach einigen Experimenten verwandeln die beiden das Rohmaterial in borstenartig gebündelte und gepresste Ware. Sie konstruieren auch ein Werkzeug, das etwa 45 Sisalbündel mit bis zu zehn Tonnen Druck zu einer drei Zentimeter starken Scheibe mit 46 Zentimetern Durchmesser komprimiert. Und experimentieren mit Klebern und Trocknungstechniken, dem Schliff und weiteren Methoden zur Vorbereitung der Sisaloberfläche.

Nach einem halben Jahr fährt Rechberger mit den Rohlingen zu einem befreundeten Drucker in seine alte Heimat ins Allgäu. Erste Versuche, das Material digital zu bedrucken, sind ernüchternd. Die Farben sind entweder zu hell oder zu dunkel, der Druck ist oft milchig. Aber das Duo gibt nicht auf. So oft es in der Druckerei tagsüber und nach Feierabend möglich ist, probieren sie es mit immer neuen Dartscheiben. Ihnen schweben gestochen scharfe, brillante Motive vor, damit die Scheiben sich zum Beispiel als Werbeträger gut vermarkten lassen. Nach sechs Wochen Experimentieren gelingt abends um halb elf der Durchbruch. Jetzt weiß Rechberger, wie man Sisal digital bedruckt. Und dass sich im Prinzip jedes Motiv auf das anspruchsvolle Naturprodukt bringen lässt. „Das“, sagt er stolz, „kann sonst keiner.“

Der Tüftler tauft seine neue Firma Pemizza GmbH und gewinnt einen Investor für den Aufbau des einige Hunderttausend Euro teuren Maschinenparks. Der besteht unter anderem aus der Druckmaschine und einer rechnergesteuerten CNC-Fräse. Damit können in wenigen Minuten acht Dartscheiben gleichzeitig und mit unterschiedlichen Motiven bedruckt werden. Die Spielfeldabgrenzungen aus hauchdünnem 0,5-mm-Blech integriert Rechberger in seine Scheiben. „Damit ist barrierefreies Darten möglich, und es bleibt mehr Platz für die Pfeile.“

Den Nachschub hat er sich schon mal gesichert

Mit den Mitarbeitern des 15-köpfigen Betriebs hat er sich neue Spiele ausgedacht, die Schutzrechte geklärt und auch den Sisal-Nachschub gesichert. Nun fühlt sich der Newcomer gut gerüstet im Wettbewerb mit den Platzhirschen der Branche, die er nach eher unerfreulichen Erfahrungen als „internationale Sisal- und Dartscheibenmafia“ bezeichnet.

Derzeit präsentiert er sein Produkt vor allem bei Brauereien und Fußballvereinen. „Jeder, dem ich die Scheibe zeige, staunt, grinst, hängt sie auf und fängt an zu spielen“, sagt Rechberger, der meint: „Ich hab’ den Mercedes unter den Dartscheiben.“ Der hat allerdings auch seinen Preis: Ein Board made in Germany mit drei Plastikpfeilen kostet mindestens 59 Euro. Rechberger steckt sich noch eine an und nimmt einen tiefen Zug. Die Zeiten, in denen er um die Häuser zog, sind vorbei. Er steht jetzt früh auf, geht früh schlafen und denkt nur noch an das eine: seine Scheiben.

Heft 11/2012 Thema zweite Chance