Eine Frage der Beziehung
Bei klassischen Jollen und Yachten geht es aus naheliegenden Gründen meist um handwerkliche Fragen. Die Wiederherstellung und Instandhaltung der Boote sind Mission ihrer Eigner und des Freundeskreises. Nur gibt es weitere Gründe für ein klassisches Boot.
Liebhaber klassischer Yachten schwören auf traditionelles Bootsbaumaterial, auf ansehnliches, haltbares und wohlriechendes Holz mit seinen wunderbaren akustischen und thermischen Eigenschaften. So wird Holz in der Szene wie ansonsten Stahl oder Aluminium als Demarkationslinie zwischen dem Klassiker und allem gesehen, was es sonst alles aus Glasfaser verstärktem Kunststoff gibt. Wer sich nun eine Weile mit Booten beschäftigt, interessiert sich jedoch abnehmend für handwerkliche Gesichtspunkte und Materialfragen, so wichtig sie für den Eigner sind, der den Erhalt des Bootes mit jahrelanger Hingabe und beeindruckenden Ergebnissen stemmt.
Ich sollte in diesem Zusammenhang erwähnen, dass ich als Segler eines Kunststoff Touren-Schärenkreuzers den Betrieb von Klassikern mit Respekt beobachte. Die Begegnung mit dem mustergültig instandgesetzten 80er Seefahrtkreuzer „Regina“ beispielsweise ist für mich immer wieder ein Gänsehautmoment. Mangels eigener Erfahrung beim Betrieb eines Holzbootes habe ich vom Besuch zahlreicher Bootsbaustellen und -instandsetzungen allenfalls Einblicke. Was es heißt solche Ergebnisse zu erzielen kann vermutlich nur beurteilen, wer den Weg selbst gegangen ist.
Dennoch überlege ich, ob es Ihnen auch so geht: Aus der Mövenperspektive ähneln sich die Baustellenberichte und Restaurierungsgeschichten, so respektabel sie jeweils sind. So lohnt es einmal der Frage nachzugehen, was den Klassiker über das beeindruckende Instandsetzungsergebnis hinaus, bei „Regina“ etwa der fabelhaften Lackierung mit dem Finish einer venezianischen Gondel, ausmacht. Denn ein Boot ist zum Ablegen, als Pendant zum Arbeits- und sonstigen Landleben, zum Genuss in der Reibfläche von Wind und Wasser da. Auch wenn die Frage dem Klassikerfan ketzerisch erscheint: Kommt man mit einem modernen, pflegeleichten Kunststoffboot oder einem Schiff mit Kunststoffrumpf und ansehnlichen Holzaufbauten also besser zum Ziel? Es gibt bekanntlich Eigner, die ihren Klassiker durch ein modernes Boot ersetzt haben. Unter anderem, weil ihnen die Instandsetzung- und Pflegeagenda auf Dauer zu mühsam wurde. Weil die laufende Jobliste und auch die Unwägbarkeiten des Holzbootbetriebes nicht mehr zu ihrem Arbeits-, Land- oder Familienleben passten.
Nun hält die Mehrheit der Klassikereigner bekanntlich Kurs. Auch finden sich immer mehr Liebhaber. Wodurch also unterscheidet sich nun ein gediegenes Schiff jenseits des offensichtlichen Charmes, seiner Schönheit, Herkunft und Geschichte letztlich vom modernen Boot? Ich glaube, es ist eine weitere Ebene, nämlich die Beziehung, die der Klassikersegler zu seinem Boot entwickelt. Diese Beziehung zum Schiff hängt natürlich eng mit handwerklichen Fragen und der Liebesmüh zur Instandsetzung und Erhalt des Schiffes zusammen. Wenn der Weg aufs Wasser bereits handwerklich anspruchsvoll und mühsam war, hat der Eigner automatisch ein inniges Verhältnis zu seinem Boot. Wer den Berg zu Fuß erklimmt, hat ein völlig anderes Naturerlebnis als jemand, der die Seilbahn nahm. Ergibt sich die Beziehung zum Boot beim Klassiker also doch über die Zuwendung, den handwerklichen Aufwand? Zu einem Teil gewiss. Doch kann es nicht alles sein.
Seglerische Finesse als Ergebnis einer langen Entwicklung
Die entscheidende Qualität ergibt sich aus der intensiven Beziehung, die ein richtiges Boot mit klassischen Linien dem Segler auf der Reibfläche zwischen Wind und Wasser bietet. Dieser puristische Genuss ist bei der klassischen Jolle, speziell der Rennjolle, der Meterklasse oder beim Schärenkreuzer außerordentlich beglückend. Klassische Jollen und Yachten sind Ergebnis einer jahrzehnte-, oft jahrhundertlangen Entwicklung, auf die der moderne Serienbootsbau mit all seinen anderen Präferenzen verzichtet. Ihm geht es um den niedrigschwelligen Einstieg, bequeme Handhabung, den durch die Serienfertigung und weitere Zugeständnisse möglichen Preis, den geringen Pflegeaufwand, Platz durch aufgeblasene Proportionen, die Vielseitigkeit (Chillen, Bordleben, vielleicht auch Segeln), Moden und Zeitgeist. All das ist Voraussetzung für die Verkäuflichkeit, Stückzahl.
Moderne Boote werden aus gutem Grund vom zahlungskräftigen Einsteiger gekauft. Er empfindet den Mangel an seglerischem Genuss, von Klasse, ästhetischer Finesse oder Herkunft nicht als nachteilig. Wie auch? Niemand vermisst etwas, was er nicht kennt.
Klassiker als Auszeitmaschine
Der zweite, in der klassischen Jolle und Yacht steckende Beziehungsgesichtspunkt ergibt sich aus der besonderen Qualität der Boote, dem Look & Feel. Deshalb werden sie so lange wie irgend persönlich, beruflich oder gesundheitlich möglich, behalten. Klassiker sind mehr noch als übliche Boote Auszeitmaschinen. Dieser Film läuft ab, sobald der Eigner sein Boot nach der Arbeitswoche am Liegeplatz wiedersieht, oder er zwischendurch unter der Woche mal am Steg nach dem Rechten sieht.
Ein Beispiel für die Beziehung, die sich zwischen einem Schiff und seiner Umgebung, den Medien Wind und Wasser in Gestalt der erwähnten Reibfläche einstellt, bietet der Hamburger Architekt Volkwin Marg mit seinem 400 t Dreimast-Bramsegelschoners „Activ“. Das Schiff entstand 1951 als Salzfrachter für die Grönlandfischerei in der Svendborger J. Ring Andersen Werft. Bei einem Besuch an Bord wollte ich einmal von Marg wissen, wozu er so viel dänische Eiche, drei Masten, Bäume, Gaffeln, Stengen, Rahen und gut zehn Meter Klüverbaum zum Segeln braucht. Zumal es heute funktionale, aufgeräumte und pflegeleichte Yachten gibt, die mit weniger Hardware, geringerem seemännischen Aufwand Welten besser segeln. „Da haben Sie völlig recht“ antwortete Marg und erklärte sein Faible in folgenden druckreif klaren Sätzen. „Es gibt zweifellos interessante moderne Boote. Aber nun stellen sie sich doch bitte einmal einen Augenblick vor, sie würden in den Alpen Ferien machen. Wo würden sie die Gegend begreifen und spüren, sich wohler fühlen? In einem topmodernen Wohnmobil mit temperiertem Wasser, Internetzugang, Flachbildschirm und so weiter? Oder in einer traditionellen Berghütte, wo sie zwischendurch noch das Moos zwischen die Balken stopfen müssen“ erkundigte sich Marg listig blinzelnd. Es war eher eine rhetorische Frage.
„Schauen sie, der Schoner ist das Ergebnis einer langen Entwicklung, das Meer mit kleiner Mannschaft zu befahren. Die vorn angeordneten Rahsegel ziehen das Schiff im Passatwind ausgezeichnet über den Atlantik. Hier passt bis hin zum farblichen Kanon alles. Ich mag den Einklang von Funktion, Form und Anmutung“ schwärmte der Architekt. Dann erzählte er von den Seereisen, die die „Activ“ im Kielwasser hatte. Denn sein Schiff war viel, beinahe wie der fliegende Holländer unterwegs, hatte den Atlantik ein Dutzend Mal gequert.
Soweit es ihm beruflich möglich war, und es wurde zunehmend möglich, war Marg als Mitglied der mehrköpfigen Mannschaft in vielen Destinationen bis nach Grönland an Bord. Besser versteht Margs Bordlebensweise mit so viel Gebälk, wer etwas über die Herkunft des gebürtigen Danzigers und die heimlichen Auszeiten des Jugendlichen im Hafen weiß. Margs Studium im tieferen Binnenland war lediglich ein Umweg nach Hamburg. „Ich glaube ich hab’ ne Macke“ kommentierte der vermutlich diskreteste Großsegler Hamburgs seine „maritime Verliebtheit“ abschließend bei diesem Gespräch. Er sagte es ohne den in diesem Zusammenhang üblichen koketten Unterton. Die Fotos der „Activ“-Törns, etwa beim Segeln vor Grönland oder in den Ankerbuchten, illustrieren Margs Beispiel vom Wohnmobil und der Almhütte in den Bergen. Törns in die hohen Breitengrade sind heute beinahe üblich. Meist werden sie mit modernen Booten unternommen. Anstelle eines Fremdkörpers ist bei „Activ“ ein die Segeltradition fortschreibendes Schiff zu sehen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass oft Architekten mit feinen Tentakeln zu ästhetischen Fragen und räumlicher Wirkung auf traditionelle, authentische Nautik abonniert sind.
Ein weiterer Beziehungsgesichtspunkt ergibt sich daraus, dass die klassisch langkielige Yacht im Unterschied zur modernen Konstruktion mit U-spantig flachem Rumpf überhaupt für den langen Aufenthalt auf dem Meer geeignet ist. Berechenbare Bewegungen in rauhem Wasser, weiches Einsetzen, erträglicher Lärm unter Deck unterscheiden das See- vom Hafenschiff, den Klassiker vom modernen Leichtbau. Eine Voraussetzung, um sich bei anspruchsvollen Verhältnissen in der Reibfäche von Wind und Wasser auf‘s Segeln einzulassen, während die Freiwache Erholung findet, liest oder vielleicht was Schönes brutzelt.
Seit Jahrzehnten schiebt sich das Novitäten-Karussell der Bootsbranche zwischen den Segler und den Wind, jenes Element, das er in seiner kostbaren Freizeit doch eigentlich sucht. Ein Beispiel dafür ist die bei großen Yachten, zum Einhandhand(regatta)segeln und für fortgeschrittene Semester zweifellos praktische Segelrollanlage. Wie bei auffrischendem Wind zu sehen, ist sie eine Vorrichtung für katastrophalen Segelstand, verschleißträchtig und Anlaß endloser Reparaturen. Schlimmer noch ist die absurde Idee, auch noch das Großsegel in bereits handhab- und mit einem Bindereff problemlos beherrschbarer Fläche in den Mast zu rollen. Diese Steilmarkisentechnik verwässert den Segelspaß mit bauchigen, ausgewehten und misshandelten Tüchern soweit, dass am Wind fast nichts mehr geht und gedieselt wird. Solche Einrichtungen verunmöglichen das Naturerlebnis ähnlich wie der Fremdkörper Wohnmobil in den Bergen.
Welcher Genuss ist es, an Bord eines klassischen, zum Am-Wind-Segeln gemachten Schiffes mit der passenden Segelgröße und geeignetem Tuchgewicht bei unwirtlichen Bedingungen überall hin zu segeln, wohin man möchte? Segeln um des segelns willen, auch wenn es mal die stundenlange Berg- und Ochsentour ist. Mit Stagreitern, gut ziehenden und Jahre bis Jahrzehnte brauchbaren Tüchern.
Und welche Sensation ist es, nach langer Agonie des Wartens bei Fastnichts bis zu einer sich dezent andeutenden Brise demütig auf den meist freundlichen Gesellen, den Wind zu warten? Welches Fest, ihn dann zu genießen. Dazu braucht es außer der Hardware in Gestalt des geeigneten Bootes mit brauchbarer Garderobe vor allem die eigene Verfassung, die Bereitschaft, sich auf das, worum es geht, überhaupt (wieder) einzulassen. Geduld, Zeit und auch es gewisse Leidensfähigkeit. Bei einem modernen Boot, das unter zwei Windstärken nur herumsteht, ist das nicht möglich. Jedes moderne Serientourenboot, im heutigen Marketing-Schicksprech mindestens als Cruiser-Racer bezeichnet, hat heute mindestens 200 Liter Diesel an Bord, bei 14 m sind es eher 400 l. Ein Segelboot mit kleinem Tank ist heute unverkäuflich, weil man heute weder Geduld noch Zeit hat.
Du sollst Zeit haben! 11. Gebot von Peter Handke
In Heft 2 des Jahrgangs 2019 erschien im Klassiker ein wunderbarer Artikel von Clemens Richter. Er beschreibt die unnötig hektische, kompetitive, notorisch rastlose Lebensweise unserer Zeit und riet zum „langsamer Segeln“. Obwohl unsere Sportart, das Yachting, bekanntlich ein aus dem holländischen Geschwadersegeln zur Jagd-, Regatta- und Schnellseglersportart entwickeltes Vergnügen ist, lohnt es sich, einmal innezuhalten und seinen Segelstil zu überdenken. Mit einem bewährten Schiff, das tatsächlich und nicht vorgeblich für die Auszeit draußen auf See gemacht ist, muss das Meer nicht schurstraks und schnellstmöglich von Hafen zu Hafen wie eine Fähre gequert werden. Absurd ist die allabendliche Hafenrally, wo mit immer höherer Drehzahl der Maschine wie ansonsten an Land zur Rush Hour zum besten oder womöglich letzten Liegeplatz gerast wird. Die schönsten Stunden auf dem Wasser sind nachmittags, wenn die Sonne sinkt und das Licht weich wird.
Mit dem schönen, klassischen Schiff ist man irgendwo draußen auf Reede wunderbar aufgehoben. Und was gibt es schöneres, als später mit dem Beiboot an Land zu rudern? Vielleicht abends oder morgens zu einem Spaziergang. Beim Blick zurück versteht man ein schönes Schiff ohnehin erst mit gewissem Abstand und im weichen Licht der späten oder frühen Stunde wird es noch schöner. Wie gut haben es die Skandinavier mit geschützten Gewässern, Bojen- und Ankerplätzen an ihren Wassergrundstücken! Die Art und Weise, wie das Boot mit dem Löffelbug beginnt, den dezenten Schwung des Deckssprungs, die Finesse, mit der sein Konstrukteur die Heckpartie aus dem Wasser gehoben hat, wie sich die Kajüte und die Fenster in die Seitenansicht fügen, all das versteht man erst aus der passenden Perspektive.
Gibt es eine bessere Gelegenheit, die Beziehung zum Schiff reifen zu lassen, als beim Spaziergang irgendwo an einem fernen Strand? Bereits im Lauf der Segelstunden oder -tage dorthin finde ich Abstand vom Landleben, Ausgeglichenheit, Ruhe. Vor einer Weile stolperte ich bei der Wiederentdeckung des aus offensichtlichen Gründen bewusst oder unbewusst missverstandenen, weil nicht gelesenen Erzählers Peter Handke an seine Mahnung, sich Zeit für das zu nehmen, was wichtig ist. Da nun die Zeit wie alles im Leben endlich ist, ist man gut beraten, sich zu entscheiden. Entscheiden heißt alles Entbehrliche, Nachrangige, alles, was von der Sache wegführt und ablenkt, wegzulassen. So kommt der wunderbare Artikel von Clemens Richter, das elfte Gebot Peter Handkes und Segeln für mich zu einer Botschaft zusammen. Ich werde es wohl noch ein wenig üben.
Es ohne Agenda im glatten Wasser in Lee der herrlich gestreckten Insel Langeland mit ihren welligen Feldern, Wiesen und Wäldern laufen lassen ist wunderbar. Nach einem mehrtägigen Ostseetörn in nurfrischer Seeluft bei der Ansteuerung von Åaland den aromatischen Kiefernduft atmen und an Bord des vertrauten Bootes die sensationelle Entdeckung machen, wie Wald riecht, bleibt unvergessen. Auch wenn es schon so lange achteraus liegt wie das Erlebnis, bei stetiger Brise in den schwedischen Schären beinahe Schulter an Schulter mit den Gänsen durch das Idyll eines endlos ausgeleuchteten Sommerabends zu schweben. Mit einem skandinavischen Boot, wie es für eines der schönsten Gewässer der Welt entstand und sich fast nur zum genüsslichen Segeln eignet.
So sind es wohl unter dem Strich vier verschiedene Beziehungen, die ein klassisches, ein traditionelles oder einfach nur ein schönes Boot ermöglicht. Da ist zunächst jene, die sich bereits durch die handwerkliche Zuwendung einstellt. Die zweite ergibt sich aus der besonderen Eignung zum Segeln und zum angenehmen Aufenthalt auf dem Meer. Die dritte Beziehung erlebt der Betrachter zwischen seinem Schiff und der Umgebung, der Natur. Die vierte ist in meinen Augen die interessanteste, sie ist die Beziehung, die ein Boot zwischen den Medien Wind, Wasser und dem Segler als teilhabender Beobachter herstellt. Sie lässt sich endlos variieren.
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