Ein neues Leben für Sphinx

Fast so schön wie Segeln ist es, zwischendurch mal beim Boot zu gucken. So kurvt der Flensburger Tafelsilberfabrikant Oliver Berking wann immer es passt, und es passt oft, in seinem schwarzen schwedischen Kombi vom Industriegebiet Süd Richtung Glücksburg.

Unten an der Förde angekommen, biegt er von der Ballastbrücke ab, öffnet das Gatter zum 30 Meter Zelt einer temporären Privatwerft und steckt sich erst mal eine an. Denn im Betrieb, geschweige denn zuhause, darf er nicht rauchen, sagt Berking. Als Geschäftsführer und Vater von sechs Kindern soll man Vorbild sein.

Bei den ersten, genüsslich inhalierten Zügen und einem Schwätzchen mit den Bootsbauern, die Berking in der willkommenen Pause eine Zigarette und Feuer gegeben haben, entspannt der 44-jährige. Eigentlich ist das Schiff, dessen wuchtigen Vorsteven er über sich sieht, ein kostspielig großes Problem. Wie es sich für die Sanierung alter Bauern- und Fachwerkhäuser oder historischer Holzbootsbaustellen gehört, nahm es zunächst kaum überblickbare, Besorgnis erregende Ausmaße an. Im Frühjahr noch ragte das Gerippe wie das hinfällige Exponat eines Sauriers im Senkenberg Museum in die Halle. Mittlerweile ist aus dem fragilen Gerippe wieder ein beplankter Rumpf geworden, dessen bündig in die Planken geschmiegten, edelstählernen Hollandprofile auf dem Mahagoni glänzen.

Natürlich ist die 21,50 Meter lange, 3,60 m breite und 26 Tonnen schwere Wuchtbrumme, deren Bootskörper mit rasantem Schwung in den Kiel übergeht, kein beliebig schwimmfähiger Untersatz mit zufällig traditionellen Linien. Um irgendein Schiff würde sich der Segel begeisterte Flensburger kaum bemühen. Berking ist von Haus aus und beruflich bedingt eher am verfeinerten Geschmack, als am gedankenlosen Gebrauch interessiert.

Das Gebälk mit dem an der Wasserlinie eigentümlich runden Vorschiff, das sich zur Bugspitze hin zu einem aparten Löffelbug verfeinert, ist „Sphinx“, ein Asservat deutschen Yachtsports. Sportgerät für olympische Regattabahnen, ein die seinerzeit lokale Konkurrenz dominierendes Regattaboot, das sein Potential in den Monaten vor dem Krieg gegenüber internationaler Konkurrenz nicht zeigen konnte. Reüssierschlitten und Platzhirsch der Regattabahnen, deren 16 Tonnen Blei ihn mit beeindruckender Rasanz zur Sache gehen lassen. Die zurückhaltende Eleganz der antiquiert fülligen, fast filigran beginnenden und endenden Rumpfform, das funktional schlichte Deck mit diskret angehobenem Schiebeluk über der steilen Stiege des Kajützugangs und die Geometrie des großen Genua-Vorsegels vor dem Groß macht den 12er in den Augen langjähriger Segler wie Berking zum Liebhaberobjekt. Eine Wertschätzung, wie sie Insider ansonsten von raren wie selten gelungenen Sportwagen kennen.

April 1939 gleitet das Schiff bei der angesehenen Abeking & Rasmussen Werft in Lemwerder bei Bremen von der Helling in die Weser. In Erinnerung an den erfolgreich gesegelten 30 Quadratmeter Schärenkreuzer des Prinzen Heinrich von Preußen wird die Yacht „Sphinx“ getauft. Eine Spende des Hamburger Takakindustriellen Philipp Fürchtegott Reemtsma hat den Bau des noblen Vereinsbootes mit Blick auf die Olympischen Regatten, die 1940 vor Helsinki stattfinden sollen, ermöglicht. Zum Verständnis, wie es unmittelbar vor dem allseits absehbaren Krieg zum maßlos optimistischen Neubau der großen und noblen Rennyacht kam, lohnt ein Blick in die damalige Entwicklung des Segelsports.

Mitte der Dreißiger Jahre ist der Zwölfer zur rasant weiterentwickelten und gefragten Rennmaschine geworden. Neue aerodynamische und yachtbauliche Erkenntnisse, nicht zuletzt die dritte Regeländerung der International Rule von Dezember 1933 haben den Ballastschwerpunkt abgesenkt, den Wirkungsgrad der Besegelung gesteigert und die Grundgeschwindigkeit mit gestreckter Wasserlinie erhöht. Harold „Mike“ Vanderbilt und T.O.M. Sopwitch, die Protagonisten des America’s Cup, duellieren sich vor Newport zwar noch in der doppelt so langen J-Class, segeln aber bereits mit „Vim“ und „Blue Marlin“ Zwölfer. Wie Wilfried Beek, Eigner des Zwölfers „Trivia“, in seiner ausgezeichneten Website www.12mr.de darstellt, „standen die Zwölfer 1937 im Mittelpunkt der Yacht-Szene.“ Damals wird die Austragung eines Zwölfer-Pokals vor Newport angedacht, eine Veranstaltung, die ab 1958 dann als America’s Cup in der Bootsklasse stattfindet. In England und den Staaten entsteht damals mancher neue Zwölfer.

Der wirtschaftliche Aufschwung im Nazideutschland, das seit den Olympischen Regatten vor Kiel gesteigerte seglerische Repräsentationsbedürfnis und das Ziel, demnächst in Finnland olympisch zu segeln, führt hierzulande zu vier Neubauten. 1937 bestellen der Hamburger Reeder John T. Essberger bei Abeking & Rasmussen die „Inga“, der Mecklenburger Margarinefabrikant Walter Rau mit „Anita“ zwei Schwesterschiffe. Allerdings deklassiert die deutlich routinierter gesegelte „Blue Marlin“, eine Charles Nicholson Konstruktion des englischen Flugzeugfabrikanten T.O.M. Sopwith anlässlich der Kieler Woche ’38 beide Schiffe. Der neue NRV Zwölfer „Sphinx“ soll dieses Debakel vergessen machen.

Von Franz Brinckman gesteuert, debütiert „Sphinx“ anlässlich der Kieler Woche 1939 Welten besser. Die elegant schwarzblau lackierte Yacht mit der Segelnummer G 4 geht regelmäßig vor „Inga“ (G 1), der weißen „Anita“ (G 2) und der natur lackierten „Aschanti III“ (G 3) über die Ziellinie. Auch die „Öresundwoche“ machen die vier deutschen Zwölfer unter sich aus. Die angelsächsische Konkurrenz segelt ’39 im Solent.

Nach dem Krieg pflügt „Sphinx“ als weiß gestrichene „Lobito“ durch die Elbe. Die Hamburger Holzhändler Hans und Wolfgang Freudenberg haben dem NRV mit dem Erwerb des Schiffes den Neubau des Clubhauses an Hamburgs Schöner Aussicht finanziert. Ein chilenischer Paß ermöglicht es ihnen, de jure das Segelverbot der britischen Besatzer für deutsche Yachten elbabwärts zu umschiffen.

1958 wird „Lobito“ ex. „Sphinx“ von der Marineschule Mürwik in Flensburg zur seemännischen Ausbildung von Offiziersanwärtern übernommen. Der Marinetradition folgend wird sie „Ostwind“ genannt. Unzählige Ab- und Anlegemanöver gelingen mit dem motorlosen 30 Tonnen Langkieler. Nach etwa 80 Tausend Seemeilen und 65-jährigem Einsatz ist eine Sanierung jedoch unvermeidlich. Die stählernen Spanten der Kompositbauten rosten. Manche der korrodierten Aussteifungen wurde im Schiff geflickt. Über die Substanz maßgeblicher Bauteile wie Kielaufhängung kann nur spekuliert werden. 2004 legt die Marine die Schiffe sicherheitshalber still.

 Zu Berkings Enttäuschung, er hatte sich um eine lokale Lösung für die Marinezwölfer „Ost- und Westwind“ eingesetzt, schreibt die in Frankfurt am Main ansässige „Verwertungsgesellschaft des Bundes“, ansonsten mit einträglichen Verkauf von Suppenkellen oder Kübelwagen befasst, die Schiffe zur schriftlichen Versteigerung aus. Die Szene ächzt, Bietergemeinschaften formieren sich zum Erhalt der Schiffe.

Zur großen Erleichterung vieler Segler hat der Freundeskreis Sphinx, er besteht aus dem Juristen und Vorsitzenden des Flensburger Segelclubs Jochen Frank, dem Spediteur Gorm Gondersen und Berking, die „Ostwind“ für 173.001 Euro ersteigert. Wie sich bald zeigt, ist damit das Recht zur Führung des ursprünglichen Bootsnamens, das schöne Gefühl, mit der Baunummer 3312 den letzten A&R Zwölfer und eine bald siebzig Jahre alte Henry Rasmussen Konstruktion zu besitzen, und natürlich eine stattliche Aufgabe übernommen. Der zweite Marinezwölfer „Westwind“, das einstige Essberger Schiff namens „Inga“, wurde von einer deutsch-englischen Bietergemeinschaft um Alexander Böhning ersteigert und vor einigen Monaten in Flensburg abgeholt. Das Schicksal der Yacht erscheint leider ungewiß.

Den werftüblichen Tarif von rund einer Million Euro, der für über zehn Tausend Arbeitsstunden, Material und Nebenkosten zu werftüblichen Konditionen veranschlagt wird, mochte die Flensburger Eignergemeinschaft nicht ausgeben. Kaufmännisches Kalkül, eine Prise lokaler Stolz und die Möglichkeit, zwischendurch mal beim Schiff zu gucken, führten zur privaten Bootsbaustelle. Sie wird seit Winter 2006 saisonal schwankend von einer drei bis siebenköpfigen Gang von Metall- und Bootsbauern unter Anleitung des gelernten Parkettverlegers und Berking-Segelfreunds Kai Wohlenberg vorangetrieben. Bislang war „Sphinx“ eine kurze Episode im Segelsommer 1939 und ein Hinterglasmodell im Kaminzimmer des Norddeutschen Regattavereins. Ab Frühjahr 2008 soll der nachtblaue Renner wieder mit brodelnder Verdrängerwelle durch die Ostsee pflügen.

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