Der Tiefstapler

Im Bootsbau geht es zu wie in der Politik. Alles schielt mit unterschiedlichem Erfolg zur Mitte. Dank großer Stückzahlen bietet der umsatzstarke Massenmarkt dem Kunden viel Schiff zum interessanten Preis. Clever ködern die Großserienwerften mit variantenreichem Kajütausbau, einem betont modernen Ambiente und neuerdings markantem Falz in Aufbauten und Heckpartie. In die Rümpfe eingelassene Panoramafenster oder pfiffig eingebaute Kaffeeautomaten überzeugen selbst die bei der Anschaffung kostspieligen Segelspielzeugs generell zurückhaltende Ehefrau.

Es ist eine mörderische Konkurrenz um Marktanteile, die da alljährlich auf den Bootsmessen mit immer neuen Gadgets ausgefochten wird. Vor einigen Jahren noch gehörten Badeplattformen und Flügelkiele zum Novitätenfeuerwerk. Denn mit etwas America’s Cup Appeal verkaufen sich auch gemütliche Familienkutschen und Segelurlaubsboote Welten besser.

Mit diesem speziellen Kiel, er hat ähnlich wie der Flügel eines Flugzeugs kleine Winglets am Ende, beschäftigt sich Christof Wilke mitten im Berner Oberland am Thuner See auch. Allerdings aus anderen Gründen. Zudem schiebt sein elf Mannbetrieb jährlich gerade mal zwei bis vier, statt mehrere hundert neue Boote aus der Halle.

Leissigen ist eine Ortschaft mit vielen Chalets, zwei Gasthäusern, einem Supermarkt und einem Cafe am Südufer des Thuner See. Rund sechshundert Meter über dem Meer fährt man auf der Schnellstraße flott in die alpine Enge der Zentralschweiz. Die Eiger Nordwand, Jungfrau und Mönch befinden sich um die Ecke. Ab und zu rauscht die Bahn auf der Strecke Spiez – Interlaken den See entlang.

Wer einen mit mancher Finesse ausgefuchsten Neubau in der kompetitiven Dreimannkielboot-Konstruktionsklasse der 5.5er für sein Seglerglück braucht, ein Starboot, eine Finn-Jolle oder einfach nur einen auf das persönliche Gewicht, eigene Kondition und Segelstil maßgeschneiderten Jollenmast aus Karbon, der schaut früher oder später mal in Leissigen bei „Ch. Wilke Swiss Marine Composites“ rein.

Auszug aus Süddeutsche Zeitung, Mobiles Leben, 6. Juni 2011